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Veröffentlicht am 03.04.2022

Öffnet die Augen für das Schicksal indischer Mädchen

Das Mädchen mit dem Drachen
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Die französiche Lehrerin Léna hat einen Schicksalsschlag erlitten. Um über die Trauer hinwegzukommen und den Kopf zu beschäftigen, fliegt sie nach Indien, wo es ihr aber zunächst nicht gelingt, das Geschehene ...

Die französiche Lehrerin Léna hat einen Schicksalsschlag erlitten. Um über die Trauer hinwegzukommen und den Kopf zu beschäftigen, fliegt sie nach Indien, wo es ihr aber zunächst nicht gelingt, das Geschehene zu verarbeiten. Als sie beim Schwimmen fast aufs Meer hinausgetrieben wird, holt ein junges Mädchen, dass täglich kurz am Strand mit seinem Drachen spielt Hilfe und rettet Léna so das Leben. Sie merkt, dass in dem recht armen Dorf Mächen kaum auf eine gute Zukunft hoffen können und beginnt, sich für diese einzusetzen. Doch wird sie dadurch auch ihren eigenen Schmerz lindern können?

Das Buch von Laetitia Colombani erinnert äußerlich an die beiden Vorgänger "Der Zopf" und "Das Haus der Frauen". Auch inhaltlich widmet sie sich wieder den Frauen, ihren Ängsten, ihren Rechten und ihren Hoffnungen. Zwar ist das Buch nicht besonders umfangreich, doch schon auf den ersten Seiten, schwappt eine Welle Indien über den Leser. Mit wenigen Worten, so viel auszudrücken, ist eine Kunst, die die Autorin perfekt beherrscht. Lange, verschachtelte Sätze sucht man hier vergebens. Das Buch ist auch vom Satz her eher auf Leichtigkeit getrimmt: kurze Kapitel, wenige Zeilen pro Absatz, viel Raum. Diese Leichtigkeit steht jedoch im krassen Gegensatz zu dem eher bedrückenden Thema. Mehrfach muss man sehr schwer schlucken, wenn man die beispielhaften, gut recherchierten und authentisch geschilderten Schicksale von Mädchen und Frauen in Indien liest, vor allem wenn es um solche geht, die noch richtige Kinder sind. Gewalt gegen Frauen, Kinderarbeit, Hunger und Zwangsehe sind nur einige Schlagworte, die hier zu nennen sind.

Der Anfang des Buches konnte mich also wirklich begeistern. Man fragt sich, was Léna wohl selbst Schlimmes erlebt haben könnte. Im Mittelteil hatte die Geschichte leider dann eher den Charakter eines Planes, der abgearbeitet wird. Natürlich geht es da auch, um die Umsetzung einer Idee, die Léna hat, doch mir fehlte da etwas die Emotion. Zudem wird andauernd und nicht besonders geschickt imm wieder auf den Schicksalsschlag Lénas hingewiesen, was etwas nervig ist, wenn man eh so gespannt ist zu erfahren, was denn nun geschehen war. Auch die Auflösung dieser Frage war für mich etwas konstruiert und nicht ganz realistisch.

Umso mehr packte mich aber wieder das Ende des Buches, in dem sich plötzlich die Ereignisse überschlagen und sogar richtig Spannung aufkommt. Der Schluss wirkt auf mich versöhnend, aber nicht zu sehr, denn er lässt noch einiges offen. Das finde ich gut, denn anders hätte das Ganze für mich nicht gepasst. Auf jeden Fall ein Buch, dass mich dankbar für das, was ich habe und sein darf, zurücklässt. Werde ich nicht so schnell aus dem Kopf bekommen. 4 Sterne

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Veröffentlicht am 23.03.2022

Summer of '99

Man vergisst nicht, wie man schwimmt
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Der fünfzehnjährige Pascal, der von allen nur Krüger genannt wird, mag den Sommer nicht, denn er kann nicht mehr schwimmen. Auch verlieben darf er sich niemals. Er verbringt die meiste Zeit mit Freund ...

Der fünfzehnjährige Pascal, der von allen nur Krüger genannt wird, mag den Sommer nicht, denn er kann nicht mehr schwimmen. Auch verlieben darf er sich niemals. Er verbringt die meiste Zeit mit Freund Victor: Abhängen, Playsi bei Müller Zocken und Pommes im Schwimmbad snacken. Doch eines Tages kollidiert seine Welt mit der von Zirkusmädchen Jacky, die ihn nach einem Ladendiebstahl anrempelt und den Rucksack mit seinen heimlich verfassten Geschichten auch gleich mitgehen lässt. Nachdem Victor und er Jacky vor der Polizei warnen, beschließen die drei, den letzten Tag des Sommers 1999 gemeinsam zu verbringen. Doch das bringt nicht nur Spaß, sondern große Gefühle und Gefahr mit sich.

Das Buch hörte sich recht geheimnisvoll und spannend an. Und schon nach den ersten Kapiteln fand ich die Schreibweise des Autors sehr eingängig, wenn auch manchmal etwas sehr detailliert, was dafür sorgte dass es Längen gab. Aber es kam auch ein bisschen Sommergefühl auf und Erinnerungen an den Sommer 1999, was vor allem an äußeren Umständen lag, wie z. B. genannte Musiktitel, Playstationspiele und Markennamen. Auch das nahende Millenium wird erwähnt.

Während man also sowas wie Nostalgie verspürt, taucht man mit der Hauptfigur Krüger (eigentlich Pascal) in die Geschichte ein. Als Protagonist ist Krüger sehr zurückhaltend, verletztlich, schüchtern und kommt selten aus sich heraus. So richtig kann man ihn und seine widerstreitenden Gefühle eigentlich nicht verstehen, denn er hat Geheimnisse, die dem Leser zwar immer wieder in Erinnerung gerufen, aber nicht erzählt werden. Nur bei seinem einzigen Freund Victor ist Krüger offener. Die Begegnung mit Jacky sorgt bei ihm gleichzeitig für Hoffnung, aber auch Angst gegenüber seinen aufkommenden Gefühlen für sie. Dies stellt für mich den Hauptstrang der Geschichte dar.

Aber im Roman werden auch Elemente genutzt, die ich nicht so wirklich mit einer süddeutschen Kleinstadt in den Neunzigern verbinden konnte und die etwas zu übertrieben ausgefallen sind. Darunter die Hunnen, eine Marihuana vertickende, nicht ungefährliche Gruppierung und eine Party, die beide wie aus Hollywoodfilmen entsprungen wirkten. Das passte für mich dann nicht ganz zusammen. Stellenweise war es eben zu unrealistisch.

Für den Spannungsbogen war die zeitweise Übertreibung aber sehr gewinnbringend, denn etwa ab der Hälfte konnte ich das Buch nicht mehr weglegen, weil eine bedrohliche Stimmung über allem lag und ich dauernd damit rechnete, dass noch etwas Schreckliches passieren wird. Zudem sind die zarten Gefühle, die sich zwischen Krüger und Jacky entwickeln einfach authentisch und wunderschön in die Geschichte eingewoben. Das Ende konnte mich vor allem in einem Punkt überraschen: wie gut der Autor mich an der Nase herumgeführt hatte

Insgesamt 4 von 5 Sternen

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Veröffentlicht am 01.03.2022

Weniger historisch als unterhaltend

Das verschlossene Zimmer
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Im Frühjahr 1939 droht Krieg in Polen. Ein Einmarschieren der deutschen Streitkräfte ist wohl nur noch eine Frage der Zeit. Die 17-jährige Marie, die mit ihrem Vater, einem erfolgreichen Arzt, in Krakau ...

Im Frühjahr 1939 droht Krieg in Polen. Ein Einmarschieren der deutschen Streitkräfte ist wohl nur noch eine Frage der Zeit. Die 17-jährige Marie, die mit ihrem Vater, einem erfolgreichen Arzt, in Krakau wohlbehütet lebt, möchte endlich wissen, warum ihre Mutter sie verlassen hat, als sie noch klein war. Ihr Vater schweigt dazu eisern. Daher bricht sie seine immer verschlossene Zimmertür auf und findet unter einer Bodendiele etwas, das ihre Welt ins Wanken bringt. Sie beschließt, dem Geheimnis um ihre Mutter auf den Grund zu gehen. Nahezu gleichzeitig trifft sie auf jemanden aus der Vergangenheit, zu dem sie sich schon immer hingezogen gefühlt hat. Nur dass die Liebe zu ihm, einem Juden, jetzt große Gefahren birgt.

Ich habe mich aufgrund der Leseprobe für das Buch interessiert. Familiengeheimnisse mag ich gern. Auch das Setting und die Nebenhandlung im medizinischen Bereich fand ich sehr reizvoll. Die Autorin, die lange als Drehbuchautorin gearbeitet hat, weiß, wie man die Neugier weckt und die Handlung in Szene setzt. Dabei geht ihr jedoch manchmal die Puste aus, so dass sie einige Handlungsstränge beginnt, die später kaum eine Rolle spielen.

Auch die Emotionen sind manchmal nicht tiefgehend genug, was meiner Meinung nach daran liegt, dass diese bei ihr sonst die Schauspieler hervorbringen und ausdrücken müssen. Trotzdem ist ihre Idee gar nicht verkehrt und der Plot hält durchaus Überraschungen bereit, die man so nicht erwartet hätte. Zudem schreibt die Autorin flüssig, gut verständlich und, wie ich finde, auch mit einem guten Maß an Spannung.

Wer hier allerdings einen realitätsnahen, minutiös recherchierten historischen Roman erwartet, wird am Ende total enttäuscht sein. Es handelt sich tatsächlich um einen reinen Unterhaltungsroman, bei dem sich die Autorin viel Freiheit genommen hat, die Realität der Idee entsprechend anzupassen, was manchmal nicht ganz überzeugend ist. Dennoch kann ich nicht sagen, dass der Roman seinen Zweck mich zu unterhalten nicht erfüllt hätte. Ich wollte natürlich am Ende das Geheimnis um Maries Mutter aufdecken. Davon konnten mich auch die diversen Ungereimtheiten nicht abhalten.

Fazit: Kein realistischer, historischer, sondern ein Unterhaltungsroman, der sich gut lesen lässt, wenn man über einige Mängel hinwegsehen kann. Für Liebhaber historisch korrekter Romane ist er nicht empfehlenswert.

3,5 Sterne, die ich im Sinne der Unterhaltung wo 3,5 Sterne nicht möglich sind auf 4 Sterne aufrunden werde.

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Veröffentlicht am 22.02.2022

Ergreifend, aufrüttelnd, wunderschön

Weil wir träumten
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Emma hat eine defekte Herzklappe. Seit ihrer Kindheit hat sie sehr viel Zeit im Krankenhaus verbracht, immer behütet von der Mutter, die ständig Angst um sie hat. Nur Urgroßmutter Elise versteht den Drang, ...

Emma hat eine defekte Herzklappe. Seit ihrer Kindheit hat sie sehr viel Zeit im Krankenhaus verbracht, immer behütet von der Mutter, die ständig Angst um sie hat. Nur Urgroßmutter Elise versteht den Drang, der nun 16-jährigen Emma endlich das Leben zu führen, das sie sich wünscht. Daher fliegt sie mit ihr nach Madagaskar, wo Emma Wale sehen und die Mitte des Lebens finden will. Doch schon bald merkt sie, dass das Leben außerhalb ihrer Ferienlodge so ganz anders ist, als es die Touristen sehen dürfen. Sie lernt die gleichaltrige Fy kennen, die bereits Mutter ist und ihr nach und nach ihre bisherige Lebensgeschichte erzählt. Es beginnt eine Freundschaft, die beiden Mädchen hilft, über sich hinauszuwachsen.

Diese Geschichte ist wirklich etwas ganz Besonderes. Nicht nur erfährt man durch sie sehr viel über Madagaskar, seine Bevölkerung und die Lebensumstände, die dort für viele Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene normal, für einen Europäer aber nur schwer zu ertragen sind. Man erkennt durch sie auch, wie gut es uns doch im Vergleich zu vielen anderen Menschen geht und das nur, weil wir zufällig irgendwo auf der Welt geboren wurden, wo man nicht ausgebeutet wird. Man bekommt eine ganz andere Sicht auf das, was wir als Glück bezeichnen.

Der Schreibstil von Antonia Michaelis hat viel dazu beigetragen, dass der Geist der Geschichte so gut transportiert wird. Er ist poetisch, hält sich fern von Klischees und auch versteht sie sehr gut Spannung aufzubauen. Dadurch, dass die Autorin selbst längere Zeit auf Madagaskar lebte, sind die Geschehnisse einfach sehr authentisch geschildert. Die beiden Protagonistinnen, deren Lebensumstände nicht verschiedener sein können, bilden eine Einheit, die glaubwürdig ist. Sie wachsen im Laufe der Geschichte über sich hinaus. Vor allem das madegassische Mädchen Fy hat mich tief beeindruckt. Obwohl ihr schon so viel Schreckliches erleben musste, ist das Glas für sie immer halb voll, hat sie nicht verlernt, das Positive zu sehen.

Etwas gewöhnungsbedürftig war für mich die Rolle des Geisterhaften im Buch. Doch am Ende muss ich sagen, dass es mich dem Kern der Geschichte sehr viel näher gebracht hat und eine Stimmung hervorruft, die mich Madagaskar noch intensiver erleben lässt. Ein Buch, das mir sehr gefallen hat, mich zu Nachdenken gebracht und mich aber auch sehr gut unterhalten hat. Ein Buch, dass mir noch lange im Kopf bleiben wird und durch das ich sehr viel gelernt habe. Es hat einfach verdient, gelesen zu werden. Zudem unterstützt man dadurch die Projekte der Autorin. 5 Sterne

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Veröffentlicht am 22.02.2022

Jede Menge Gedanken

Das Vorkommnis
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Die Protagonistin hält eines Abends eine Lesung in einer fremden Stadt. Im Anschluss kommt eine unbekannte Frau auf sie zu, offenbart ihr, dass sie ihre Halbschwester sei. Sie umarmt die Unbekannte und ...

Die Protagonistin hält eines Abends eine Lesung in einer fremden Stadt. Im Anschluss kommt eine unbekannte Frau auf sie zu, offenbart ihr, dass sie ihre Halbschwester sei. Sie umarmt die Unbekannte und nach ein paar Sätzen gehen sie wieder getrennte Wege. Doch das Vorkommnis führt dazu, dass die Protagonistin ihr Leben überdenkt und hinterfragt.

"Das Vorkommnis" ist der erste Band der autofiktionalen Trilogie "Biographie einer Frau" von Julia Schoch, welche von der Fachpresse bereits hochgelobt wird. Die Idee ist gut, es passiert im Leben etwas Unvorhergesehenes (in diesem Buch gar nicht mal so überraschend) und plötzlich fragt man sich, ob man in der Vergangenheit auch schon Ereignisse und Erlebnisse falsch eingeschätzt hat, wie soll man auf das "Neue" reagieren? Reagiert man überhaupt oder lebt man weiter, als wäre nichts. In "Das Vorkommnis" taucht eine Halbschwester auf, die diese Gedankengänge bei der Ich-Erzählerin auslöst. Eine Halbschwester, von der die Erzählerin aber eigentlich schon wusste und sie nur verdrängt hatte, die lange vor ihrer eigenen Geburt und vor der Beziehung ihrer Eltern geboren wurde.

Natürlich kann ein solches Ereignis ein Einschnitt ins eigene Leben sein, doch die Fülle an Gedanken und Zweifel, die danach auf die Erzählerin einprasseln führen mir zu weit weg. Eher habe ich das Gefühl es brauchte eine Basis, einen Ausgangspunkt, um bestimmte Dinge im Leben der Erzählerin zu erwähnen, die sie schon länger beschäftigen oder die sie für interessant hält: Ihre Kinheit in der DDR, irgendwo in der Pampa, erste Beziehungen, das Leben der Mutter, von dem sie immer meinte, diese würde es nicht genießen, die ehemalige Beziehung des Vaters, ihre Entfremdung von ihrer "richtigen" Schwester, ihre Arbeit, ihre Ehe und die Zweifel an der Liebe, an ihrem Mann, seiner Treue, ihr Umgang mit den eigenen Kindern, ja sogar das Leben der Großeltern usw.

Und so prasseln diese Gedanken chronologisch relativ ungeordnet und durcheinander auf die Erzählerin und auf mich ein. Ich erwischte mich mehr als einmal dabei, mich zu fragen, ob das Vorkommnis wirklich all das ausgelöst hat. Oder liegt das Problem nicht vielmehr bei der Erzählerin: "..., was einen Menschen antrieb, was ihn niederzwang, woran er wuchs oder was ihn vernichtete, seine Größe und seine Verzweiflung, all das kam immer nur aus ihm selbst."

Ich will nicht verschweigen, dass es in dem Buch einige gute Gedanken, Anekdoten und aufgeworfene Fragen gibt. Doch persönlich berührt hat es mich leider viel zu selten, obwohl es auch mit meiner Biographie Überschneidungen gibt, was angesichts der Breite an angesprochenen Themen aber vermutlich bei jedem Leser der Fall wäre. Mir fehlten zum Beispiel Namen. Es tat mir in der Seele weh immer nur vom älteren Kind zu lesen, als wäre es ein abstraktes Ding und keine Mensch, den die Erzählerin geboren hat. Mir fehlt Nähe und echtes Gefühl in diesem Text. Das ist wohl der Hauptgrund, warum mich das Buch weniger gepackt hat, als erwartet. Daher 3 Sterne

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