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Veröffentlicht am 20.04.2017

Wie geht es Ihnen heute?

Fuchsteufelsstill
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„Genauso stellte ich mir Liebe vor. Manchmal war sie da, auch wenn niemand sonst sie sehen konnte, und manchmal war sie auch da, obwohl ich sie nicht sehen konnte. Wenn ich mich fragte, ob ich jemanden ...

„Genauso stellte ich mir Liebe vor. Manchmal war sie da, auch wenn niemand sonst sie sehen konnte, und manchmal war sie auch da, obwohl ich sie nicht sehen konnte. Wenn ich mich fragte, ob ich jemanden liebte, wusste ich allein durch die Frage schon, dass ich es nicht tat. Vielleicht fühlten wir doch schneller als wir dachten.“

Inhalt

Für Juli gestaltet sich jeder Tag anders, obgleich sie immer dieselben Handlungen vollzieht. Jede Abweichung vom gewohnten Rhythmus versetzt sie in Angst und Schrecken, ebenso wie grelle Farben, fremde Menschen und unkontrollierbare Gefühle. Juli wird von einem Fuchs begleitet, der ihr seine Krallen in den Rücken gräbt und weich um ihre Beine schleicht, doch niemand kann ihn sehen. Aber egal, denn Juli weiß, dass sie psychisch krank ist und dennoch fast jede Antwort auf naturwissenschaftliche Fragen beantworten kann, ihr ganzes Universum stützt sich auf logisch bewiesene Erklärungen, während ihr nicht einmal ein ironischer Gesichtsausdruck gelingt. Als sie auf zwei andere Patienten der Psychiatrie trifft, die ebenso in ihren Zwangshandlungen gefangen sind, beginnt sie, aus den gewohnten Verhaltensmustern auszubrechen und lebt ein Wochenende jenseits ihrer Wohlfühlzone, um zu erkennen, dass jeder verrückt sein kann, solange er andere Individuen akzeptiert, selbst wenn deren Beweggründe unvorstellbar weit weg von der eigenen Lebensvorstellung liegen.

Meinung

Die junge Autorin Niah Finnik, die selbst zu den Betroffenen des Asperger-Syndroms zählt, beschreibt in ihrem Debütroman sehr eindringlich und greifbar die innere Zerrissenheit von psychisch Kranken, die sich nicht nur auf ihr seltsames Empfinden und ganz unerklärliche Verhaltensweisen konzentriert, sondern in erster Linie mit öffentlichem Unverständnis und ständiger Erklärungsnot konfrontiert sieht.

Oft fragt man sich als Leser, was das Fremde vom Bekannten unterscheidet und wie gestört ein unangepasstes Verhalten tatsächlich empfunden wird. Auch die gewählte Erzählperspektive, die uns unmittelbar am Geschehen teilhaben lässt und die Grenzen zwischen genormten Gedankengängen und aufgedrängten Empfindungen verwischt, lässt den Leser sehr nah ran an die Hauptprotagonistin und ihre seltsamen Erkenntnisse.

Dadurch gelingt es der Autorin eine ungeahnte Nähe herzustellen, zu Dingen und Empfindungen, die man als psychisch „gesunder“ Mensch nicht kennt. Immer wieder erscheinen die Handlungen in einem vollkommen abstrusen Licht, während die Beweggründe seltsam klar wirken. Diesen schriftstellerischen Spagat meistert Frau Finnik hervorragend, denn trotz aller Unterschiede wirkt das Krankheitsbild ganz klar und absolut glaubwürdig, und wird durch die bildhafte Sprache sehr greifbar.

Darüber hinaus werden menschliche Verhaltensweisen hinterfragt und aus ganz verschiedenen Perspektiven beleuchtet, Normales erscheint nun bitter und Unnormales nur allzu menschlich. So dass man sich am Ende des Buches fragt, wie es wäre in einer anderen Haut zu stecken, von der man genau weiß, wie fehlerhaft und außergewöhnlich ihre Außenwirkung ist.

Fazit

Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen frischen, außergewöhnlichen Roman, der den Leser tief in ein unbekanntes Krankheitsbild blicken lässt und die Besonderheit jedes Menschen hervorhebt. Letztlich ist es weder ein mitleiderregender noch ein sentimentaler Roman, sondern vielmehr eine kleine Studie über das Normale, das Andersartige und die Chance, die sich aus gemeinsamer Interaktion ergibt. Humorvoll, erschreckend, ehrlich aber in erster Linie lesenswert!

Veröffentlicht am 10.04.2017

Trauer, um ein viel zu kurzes Leben

Ein fauler Gott
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„Die ewigen Jagdgründe musst du dir wie eine Lücke in der Zeit vorstellen. Dort wird Jonas ewig so bleiben, wie du ihn erinnerst.“

Inhalt

Als sein 8-jähriger Bruder Jonas stirbt, steht Benjamin an der ...

„Die ewigen Jagdgründe musst du dir wie eine Lücke in der Zeit vorstellen. Dort wird Jonas ewig so bleiben, wie du ihn erinnerst.“

Inhalt

Als sein 8-jähriger Bruder Jonas stirbt, steht Benjamin an der Schwelle zur Pubertät. Nach einem Anfall im Schwimmbad, geht es dem Kleinen immer schlechter und schließlich stiehlt er sich klammheimlich aus dieser Welt, in der es für ihn noch so viel zu entdecken gab. Für Benjamin und seine Mutter Ruth beginnt nun eine andere Zeitrechnung, ein Leben, in dem ein geliebter Mensch einfach so fehlt und nur der Besuch auf dem Friedhof bleibt. Während Benjamin sich strukturiert mit der Sache auseinandersetzt und ihn seine Freunde, aber auch der Schulalltag vom Unglück ablenken. Verfällt seine alleinstehende Mutter immer mehr in eine Depression, die sie auch an Selbstmord denken lässt. Doch Benjamin steht ihr bei, weckt neuen Lebensmut in ihr und zeigt ihr, wie sie ihr jüngstes Kind weiterleben lassen kann, wenn auch nur in Gedanken und Erinnerungen an eine Zeit, in der Jonas noch unter ihnen weilte.

Meinung

Zum Thema Trauer, Sterben und dem Umgang der Hinterbliebenen mit der Lücke nach dem Tod eines geschätzten Menschen, habe ich dieses Jahr bereits zahlreiche Bücher gelesen. Ihnen allen war eins gemeinsam, sie konnten in mir Gefühle wecken, die mich gerührt haben, oftmals sogar zu Tränen. Nur „Ein fauler Gott“ reiht sich zu meinem Leidwesen nicht in diese traurig-emotionale Achterbahnfahrt der Gedanken ein.

In seinem Debütroman bleibt der Autor Stephan Lohse geradezu unheimlich sachlich und verpasst es damit, mein Leserherz zu überzeugen. Denn wenn man durch Trauer und Verlust überhaupt nicht berührt wird, sei es durch Gesten, Worte oder Taten, dann stellt sich mir die Frage, welcher Inhalt sich dem Leser erschließen soll?

In erster Linie jedoch, fehlt es diesem Roman an einer klaren Erzählstruktur. Immer wieder verliert sich der Autor in Nebenhandlungen, immer wieder ergreift er Erzählstränge, die für den Fortgang der Erzählung keine Bedeutung haben und schafft damit einen sehr zerfaserten, fast durcheinandergeratenen Text, dem ich nur mühsam folgen konnte.

Tatsächlich fand ich den Einstieg ins Buch noch am gelungensten, weil dort die Qualität der Formulierungen wirken kann, weil ersichtlich wird, wie schwer es den Protagonisten fällt, ihr Leben nach dem Tod des Angehörigen zu akzeptieren. Doch bereits nach wenigen Kapiteln konzentriert sich der Autor auf das Erwachsenwerden von Benjamin, eben jenem Jungen, der gerade seinen Bruder verloren hat.

Und mit dieser Haupthandlung verschwindet die Basis der Geschichte. Es folgen Eindrücke eines Pubertierenden, seine Erlebnisse und Probleme, Geschichten seiner Freunde, die erste Eroberung des weiblichen Geschlechts. Nur in minimalen Sequenzen schimmert die Aussage, die eigentliche Bedeutung des Textes durch und das war mir definitiv zu wenig.

Fazit

Ich vergebe 2 Lesesterne für einen Roman, der sich nur wenig an trauernde Menschen richtet dafür aber gekonnt das Leben eines Teenagers in den 70-iger Jahren beleuchtet. Wenn man keine emotionale Geschichte erwartet und sich auf das kunterbunte Geschehen einlassen mag, so findet man an der Schreibweise und der Geschichte mit Sicherheit mehr Gefallen, was auch die Mehrheit der Leserstimmen reflektiert. Mir hat dieses Buch leider nicht zugesagt, weil ich mir etwas vollkommen Anderes davon erhofft hatte.

Veröffentlicht am 09.04.2017

Die Herausforderung eines ungeplanten Familienlebens

Mit jedem Jahr
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„Aber sein eigenes Scheitern erschien ihm allzu nah an dem ihres Vaters. Und alle Beziehungen, an denen er sich je versucht hatte, lagen zerschellt vor seinen Füßen wie die Splitter eines zerbrochenen ...

„Aber sein eigenes Scheitern erschien ihm allzu nah an dem ihres Vaters. Und alle Beziehungen, an denen er sich je versucht hatte, lagen zerschellt vor seinen Füßen wie die Splitter eines zerbrochenen Spiegels.“

Inhalt

Nach dem tragischen Unfalltod seines Bruders und dessen Frau, stellt sich für Jason die elementare Frage, ob er sich seiner 6-jährigen Nichte Harvey annehmen möchte, oder ob sie in eine fremde Pflegefamilie kommen soll. Er entschließt sich, die Verantwortung für das kleine Mädchen zu übernehmen und versucht, zum ersten Mal in seinem Leben, sich der Herausforderung zu stellen, einen bewussten Lebensweg einzuschlagen. Während er bisher zwischen Desinteresse, unbändiger Wut, Alkoholmissbrauch und einer alltäglichen Antihaltung schwankte, konzentriert er sich nun auf die Anforderungen, die ein Kind mit sich bringt. Mit jedem Jahr, welches die beiden gemeinsam verbringen, wächst sein Vertrauen in sich selbst und in die unerschütterliche Liebe seiner Tochter, die zunächst ganz unbefangen und unschuldig mit seinen Charakterschwächen umgeht und der es sogar gelingt, ihren Vater zum Positiven zu beeinflussen.

Meinung

Dies ist bereits mein zweiter Roman des britischen Autors Simon van Booy, der mich mit seinem Roman „Die Illusion des Getrenntseins“ von seinem schriftstellerischen Können überzeugen konnte. Allein deshalb waren meine Erwartungen an die Erzählung über einen Vater wider Willen und seine angenommene Tochter sehr hoch. Ich habe mir eine philosophische, berührende Geschichte versprochen, die zeigt, wie differenziert der Mensch auftreten kann und welcher Lebensweg vorgegeben, welcher selbst gewählt ist. Leider konnte mich „Mit jedem Jahr“ nicht wirklich fesseln und auch nicht gänzlich überzeugen, weil van Booy hier an der Oberfläche kratzt, keine wirklichen Emotionen schürt und seine Protagonisten sehr alltäglich und vorhersehbar agieren lässt.

Die Zutaten für den vorliegenden Roman sind denkbar einfach und doch von immenser Stärke: ein kleines Mädchen, ein Antiheld, der keinen Lebensplan verfolgt und die Dauer von reichlich 10 Jahren, die genau jene Veränderungen bewirkt, die sich der Leser erhofft.

Mit Hilfe diverser Zeitsprünge versucht der Autor, zwei Perspektiven anschaulich zu präsentieren. Einmal eine Zeit, in der Jason, an seine Grenzen gerät, weil er nicht genau weiß, wie er mit einem Kind umgehen soll und dann an die Gegenwart, in der wir einem Treffen zwischen Vater und Tochter folgen dürfen, in dem sich die erwachsene Harvey erinnert und bedankt für all die schönen, unvergleichlichen Momente, die ihr Vater ihr geschenkt hat. Doch die Zeitsprünge erfolgen relativ ungeordnet und unterbrechen sogar den ein oder anderen schönen Erzähltext, so dass man sich als Leser wieder erinnern muss, was eigentlich gerade der Schwerpunkt des Erzählten war.

Darüber hinaus bleiben auch die Protagonisten etwas blass, denn ihre Charaktereigenschaften erschließen sich lediglich aus ihren Handlungen, nicht über Reflexionen ihrer Gedanken. Der Leser erfährt nicht, warum Jason seinen Sinneswandel vollzieht, warum er plötzlich alles für seine angenommene Tochter aufs Spiel setzt. Und obwohl man weiß, dass es sich dabei um Vaterliebe handelt, wird nicht erörtert, wie es sich anfühlt, vom wutgeprägten Rowdy zum treusorgenden Mann zu werden.

Fazit

Ich vergebe 3 Lesesterne für diese Familiengeschichte, die durchaus realistisch und ansprechend gestaltet wurde, allerdings etwas seicht und nur allzu normal wirkt.

Diesem Roman fehlt es an Dingen, über die der Leser nachdenken möchte. Man bekommt vieles bereits präsentiert und kann es annehmen oder ignorieren, wird aber nicht in das Geschehen involviert. Ich empfehle die Lektüre eher für Zwischendurch, für Lesestunden in denen man abschalten und sich entspannen möchte, mit Worten, die an das Gute im Menschen erinnern und an die Kraft des eigenen Willens.

Veröffentlicht am 06.04.2017

Der Soldat und das Mädchen

Heute leben wir
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„Damit das Spiel perfekt, das heißt ausgeglichen lief, mussten die Guten und die Bösen spiegelbildlich zueinander existieren. Es musste schlicht und einfach die Guten und die Bösen geben.“

Inhalt

Der ...

„Damit das Spiel perfekt, das heißt ausgeglichen lief, mussten die Guten und die Bösen spiegelbildlich zueinander existieren. Es musste schlicht und einfach die Guten und die Bösen geben.“

Inhalt

Der deutsche Soldat Matthias schlägt sich in den letzten Tagen des Krieges als ein getarnter amerikanischer Soldat der Mission „Greif“ durch und plant weitere Menschen zu töten, egal wie sinnlos seine Bemühungen auch sein mögen. Denn innerlich hat er längst mit den Idealen des Nationalsozialismus abgeschlossen, er ist sich sicher, dass Hitlerdeutschland seinem politischen Ende entgegenstrebt. Als ihm durch Zufall ein kleines, jüdisches Mädchen anvertraut wird, ändert sich für ihn von Grund auf alles. Er kann Renée, die mutige Jüdin mit dem durchdringenden Blick einfach nicht töten, sondern wählt stattdessen seinen Kameraden. Fortan ist er sich seiner Gefühle nicht mehr sicher, denn sein einst abgebrühter, automatisierter Tötungsmechanismus gerät ins Wanken und weicht zugunsten eines ungekannten Beschützerinstinktes. Er schreibt es sich auf die Fahne, das Mädchen irgendwie durch den Krieg zu bringen, ihr Überleben zu sichern und irgendwann von vorn anzufangen. Doch Matthias gerät in Gefahr, als ihn die Amerikaner als das entlarven, was er wirklich ist. Ein Soldat, der auf der falschen Seite steht und keineswegs überleben darf …

Meinung

Diese Romanvorlage der französischen Autorin Emmanuelle Pirotte wird bereits 2017 verfilmt. Sie verarbeitet in ihrem Debütroman die autobiografischen Erzählungen ihrer Großeltern, die im zweiten Weltkrieg selbst eine Jüdin vor den Deutschen versteckt hielten. Diese innere Beteiligung, die Identifikation mit dem Verlauf der Geschichte merkt man der Erzählung an.

Auf sehr ungewöhnliche und intensive Art und Weise setzt die Autorin eine zwischenmenschliche Beziehung in den Fokus der Erzählung und verpackt ganz nebenbei wichtige historische Fakten in der geschaffenen Rahmenhandlung. Dieser Aspekt hat mir ausgesprochen gut gefallen, denn anders als in klassischen Romanen deren Handlung sich mit dem Kriegsgeschehen beschäftigt, steht hier ein desillusionierter Soldat und sein Leben im Vordergrund. Es ist in erster Linie eine Charakterstudie über Entwurzelung, Einsamkeit und Lebensabkehr, die erst durch den menschlichen Faktor eine Änderung einschlägt und wieder Hoffnung schöpft. Hoffnung auf ein Leben abseits von Krieg, Zerstörung und Mangel, abseits von fragwürdigen politischen Überzeugungen und sinnlosen Vernichtungsmanövern.

Matthias ist ein Individualist, der nichts beschönigt, der einst aus eigener Überzeugung in die Kriegsmaschinerie Deutschlands eintrat und jahrelang zur Marionette des Bösen wurde, dennoch versinkt er weder in Selbstmitleid noch verspürt er Reue über seine tödlichen Handlungen. Vielmehr überdenkt er seine Aktionen und stellt alles unter ein lobenswertes persönliches Ziel: die Rettung einer unschuldigen Seele. Der Leser erlebt die Beziehung zwischen Matthias und Renée als faszinierend anders, seltsam intensiv und nur intuitiv greifbar, denn das Geheimnis, warum der Soldat gerade dieses kleine Mädchen verschont, bleibt im Ungewissen.

Auch die Nebenfiguren, die in der Geschichte verankert sind, bekommen eine gewichtige Ausprägung. Menschen, denen ihre Rechte genommen wurden, die aber dennoch charakterstark und ausdauernd für ihr persönliches Umfeld eintreten. Menschen, die sich ferngehalten haben vom System Hitler und seinen bösartigen Auswüchsen und die nichts weiter wollen, als ihren Frieden auf Erden. Menschen, die den Leser mit ihren Ansichten überzeugen, weil sie konsequent und ehrbar handeln.

Fazit

Ich vergebe 5 Lesesterne für diesen intensiven, spannenden Roman, der historische Fakten und psychologische Überlegungen gekonnt vereint. Eine Erzählung, die den Leser gefangen nimmt und immer etwas mysteriös bleibt. Gerade so als könne man nicht jeden Menschen einschätzen, weil es zu viele Unbekannte in seinem Charakterbild gibt. Lobenswert finde ich hier auch die sachliche Erzählweise, der es trotz der geschilderten Untaten gelingt, immer objektiv und nicht wertend aufzutreten. Ein Roman, der nicht mit den Emotionen des Lesers spielt und diese dennoch herausfordert.

Veröffentlicht am 27.03.2017

Das menschliche Projekt

Die Terranauten
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„Aber wir waren schon zu lange miteinander eingesperrt und kannten einander zu gut, jede Eigenart und Geste, jede Phrase, jede Sprechgewohnheit, jede hundertmal gehörte Geschichte zerrte an unseren Nerven, ...

„Aber wir waren schon zu lange miteinander eingesperrt und kannten einander zu gut, jede Eigenart und Geste, jede Phrase, jede Sprechgewohnheit, jede hundertmal gehörte Geschichte zerrte an unseren Nerven, bis das Prinzip der Kameradschaft nur noch ein Witz war.“

Inhalt

Es ist ein Pilotprojekt mitten in der Wüste von Arizona, dort wo die Sonne brennt, wurde unter dem Namen „Ecosphere“ eine riesige Glaskuppel errichtet, in der 8 Menschen für jeweils 2 Jahre hermetisch abgeschlossen sind und für wissenschaftliche Zwecke ein Leben außerhalb der Erdatmosphäre proben. Unter der Schirmherrschaft von Mission Control, einem kommerziellen Unternehmen, wird das Leben im inneren der Kuppel streng überwacht und für Marketingzwecke ausgenutzt. So gibt es Videoübertragungen, Ansprachen der Bewohner an die Menschen draußen und natürlich die Möglichkeit für Interessierte, direkt in den künstlich geschaffenen Lebensraum zu schauen. Für die „Terranauten“ im Inneren gestaltet sich das Leben alles andere als einfach, denn sie leiden alsbald unter Hunger, fühlen sich schlapp und ausgelaugt und fiebern dem Ende der Mission entgegen. Als die ersten Liebesspiele in der Kuppel stattfinden und sich Paare bilden, ergibt sich ein voyeuristischer Effekt, den der Boss, zu nutzen weiß. Doch als eine „Terranautin“ schwanger wird, geraten alle an ihre Grenzen und es fragt sich, ob sie ihre Mission beenden können …

Meinung

Die war mein erster Roman des Autors T.C. Boyle, auf den ich durch die zahlreichen begeisterten Leserstimmen aufmerksam wurde und den ich unbedingt selbst kennenlernen wollte. Doch leider konnte mich weder der Inhalt des Buches, noch die schriftstellerische Umsetzung überzeugen, so dass die über 600 Seiten für mich leider alles andere als ein Lesevergnügen wurden.

Die drei gewählten Erzählperspektiven aus Sicht eines männlichen und eines weiblichen Bewohners der Glaskuppel, sowie einer Frau, die es leider nicht in das „Heiligtum“ geschafft hat, sind gut gewählt, denn dadurch entsteht für den Leser ein gewisser Rundum-Blick. Man erfährt im Folgenden sehr wenig über den wissenschaftlichen Aspekt, dafür aber umso mehr über die zwischenmenschlichen Beziehungen der Projektteilnehmer. Da ist Dawn, die sich ehrgeizig in ihre Aufgabe stürzt und durch einen Verhütungsfehler zur Mutter wird und Ramsey, der Playboy, dem es in erster Linie um seine Bedürfnisbefriedigung geht und der fast alle Frauen liebt, bis er gezwungenermaßen zum Vater abgestempelt wird. Und dann gibt es Linda, die immerfort in der zweiten Reihe steht und zwischen naiven Racheakten, gezielten Eifersüchteleien und bösartigen Kommentaren schwankt. Und sie alle zeigen nur eines: Man kann in „E2“ durchaus überleben, doch man wünscht sich sehnlichst ein Ende des Projektes, um die geschundenen Seelen reparieren zu können.

Meine schlechte Bewertung beruht im Wesentlichen auf einem Mangel an wirklicher Handlung. Boyle bildet das tägliche Leben ab, beschreibt Alleingänge der Bewohner und teils handfeste Auseinandersetzungen, immer vor dem gleichen Hintergrund: arbeiten, essen, schlafen. Nur wenige Highlights, wie ein lebensbedrohlicher Stromausfall erhöhen die Lesefrequenz. Die vorherrschende Stimmung ist: Langeweile. Und daraus resultierende Ränkespiele, sexuelles Begehren und persönliche Fehltritte. Dieser Roman nimmt nicht nur unsympathische Protagonisten für sich in Anspruch, sondern sorgt dafür, dass ich mich immer wieder gefragt habe: „Warum tun sich Menschen freiwillig etwas Derartiges an, nur um sich dann fortwährend zu beklagen?“. Inhaltlich hätte sich das Buch mit der Hälfte der Seitenzahl begnügen können.

Fazit

Ich vergebe bescheidene 2 Lesesterne für einen im Grundsatz interessanten Roman, der sich in Kleinlichkeiten, Detailverliebtheit und Langeweile verliert. Wer gerne in die Abgründe der menschlichen Seele blicken möchte, wer es mag, wenn Protagonisten so geradlinig gestrickt sind, wie man es von Anfang an erwartet, wer Sex statt Wissenschaft sucht, dem könnte dieses Buch durchaus gefallen. Für mich lässt sich nur ein negatives Fazit ziehen. Schade!