Profilbild von jenvo82

jenvo82

Lesejury Star
offline

jenvo82 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit jenvo82 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 10.02.2021

Mehr als ein verschlissenes Herz

Schwarz und Silber
0

Der Trost, sie so stark zu wissen, vermischt sich mit der Angst, nicht wirklich unentbehrlich für sie zu sein und unter den zahllosen Arten, mit denen ich an ihr hänge, an ihr zu hängen wie ein Blutsauger, ...

Der Trost, sie so stark zu wissen, vermischt sich mit der Angst, nicht wirklich unentbehrlich für sie zu sein und unter den zahllosen Arten, mit denen ich an ihr hänge, an ihr zu hängen wie ein Blutsauger, der anderen das Leben aussaugt, eine Art riesiger Parasit.“

Inhalt

Anna ist das Kindermädchen von Emanuele, dem Sohn von Nora und dem Ich-Erzähler und hat in der Kleinstfamilie einen unentbehrlichen Stellenwert eingenommen, eine noch viel bedeutsamere Rolle als die Großeltern oder andere Bezugspersonen.

Doch nun ist sie krank, so krank, dass ihre Lebenszeit bemessen ist und der Krebs wird sie zunächst nur schwächen aber bald schon einen hohen Tribut einfordern und dann kann sie weder für das Ehepaar da sein,noch für den Schulanfänger, den sie liebevoll seit seiner Geburt betreut. Deshalb zieht sie sich zurück, schraubt den Kontakt auf ein Minimum herunter und konzentriert sich auf den Kampf gegen die tödliche Krankheit.

Für das Paar brechen ungeahnte Zeiten an, denn Signora A., die sie als ihre engste Vertraute ansehen, hat das Gleichgewicht in der Paarbeziehung anscheinend erst hergestellt und nun müssen sich Mann und Frau erneut finden, wenn sie nicht so einsam bleiben möchten, wie sie es tatsächlich schon sind.

Meinung

Der in Turin geborene Autor, der mich mit seinem Buch „Die Einsamkeit der Primzahlen“ vor einigen Jahren schon überzeugen konnte, widmet sich in diesem Roman nicht nur dem langsamen Zerbrechen einer zunächst stabilen Paarbeziehung, sondern in erster Linie den Bruchstellen, die andere hinterlassen, wenn sie gehen müssen. Gerade die Beschreibung des Klappentextes, hat mich sehr in ihren Bann gezogen, denn ich habe ein Faible für tiefgründige Themen, die sehr gerne auch den Tod oder das Verlassenwerden betreffen dürfen. Und zu gern hätte ich Antworten auf die versprochenen Fragen (Was hält Menschen zusammen, was trennt sie? Was passiert, wenn plötzlich jemand fehlt, der immer da war?) bekommen, was leider nur unzureichend durch die Lektüre geleistet wird.

Der Ich-Erzähler tritt hier in einer dermaßen einseitigen Erzählperspektive auf, das seine Gedanken den ganzen Roman dominieren. Und vielleicht weil er wie der Autor selbst Physiker ist und seine Stärken mehr auf Logik und klaren Strukturen basieren, bleibt mir alles Gesagte seltsam fremd und erscheint trotz Bedeutsamkeit eher nüchtern und objektiv. Beim Lesen habe ich die tiefere Bedeutung immer nur erahnt, sie dringt viel zu schwer an die Oberfläche und nimmt mich als Leser nicht gefangen. Selbst die Protagonisten untereinander wahren eine gewisse Distanz und sind sich zwar nah, aber weniger auf einer emotionalen Ebene als in ihren ganz alltäglichen Handlungen. Egal ob es sich dabei um Nora seine Frau, Emanuel seinen Sohn oder Anna, ihr Kindermädchen handelt, ich komme einfach nicht an deren Gedankenwelt heran und sie bleiben mir bis zuletzt sehr fremd.

Der Schreibstil selbst ist lobenswert, er transportiert passend zur Thematik eine große Portion Melancholie und schafft schöne Bilder. Auch der Wechsel zwischen den Zeitstrukturen des Romans konnte mich überzeugen, denn manches wird rückblickend anderes vorausschauend betrachtet, so dass ein stimmiges Gesamtbild entsteht.

Umso ärgerlicher bin ich über die inhaltliche Zerrissenheit des Textes, die ausgehend von verschiedenen Berührungspunkten immer wieder Gedankensplitter aufnimmt, über die ich nachdenken möchte, sie aber ebenso schnell wieder fallenlässt. Damit zerfasert sich der Text immer mehr und es bleibt nur wenig Lobenswertes zurück. Sehr gern hätte ich über die ein oder andere Frage länger nachgedacht als es der Autor für notwendig hält, denn er erstickt seine guten Gedankengänge und bringt sie viel zu abrupt zu Ende, in dem er absolute Antworten auf Fragen liefert, die nicht so ohne Weiteres zu beantworten sind.

Darüber hinaus kritisiere ich so manche abstruse Äußerung wie zum Beispiel seine Aussage über die Familie (S. 57): „Eine Familie in ihren Anfängen ist manchmal auch das: ein vor Egozentrik zusammengezogener galaktischer Nebelfleck, in Gefahr zu implodieren.“ Sorry, aber so etwas lässt mich nur noch den Kopf schütteln und macht vielleicht auch deutlich, warum ebenjener Protagonist ein so unausgesprochenes Eheproblem mit sich herumträgt.

Fazit

Das werden leider nur 2,5 Lesesterne (aufgerundet 3) für diesen durchaus interessanten Roman, der sich mit inneren Konflikten und Sichtweisen beschäftigt, die ich generell gut nachvollziehen kann, hier aber nur mäßig umgesetzt sehe. Positiv beurteile ich hingegen die literarische Wertschätzung eines Menschen. Egal wie nah oder fremd uns eine Person stehen mag, menschliche Verbindungen leben von einem Gleichgewicht zwischen dem Nehmen und Geben, in diesem Text verschiebt sich der Adressat und wechselt die Seiten und dennoch erhält jeder Faktor eine Bedeutsamkeit, die auch nach dem Ende der Beziehung sichtbar bleibt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 29.01.2021

Der bedrückende Reiz der Körperlichkeit

Hingabe
0

„Ich hatte sie nicht lieben können, wie ich niemanden lieben konnte. Ich hatte gedacht, es wäre leicht, im Zusammenleben mit einer Frau würde die Beziehung zu ihr mühelos, ich könnte hineinwachsen, da ...

„Ich hatte sie nicht lieben können, wie ich niemanden lieben konnte. Ich hatte gedacht, es wäre leicht, im Zusammenleben mit einer Frau würde die Beziehung zu ihr mühelos, ich könnte hineinwachsen, da ich es weder als Kind noch als Jugendlicher gelernt hatte. Aber ich war ein schlechter Schüler.“

Inhalt

Suiza möchte ans Meer und trampt von Frankreich nach Spanien. Mitgenommen wird sie immer, denn sie ist nicht nur wunderschön und sinnlich, sondern noch dazu etwas zurückgeblieben und dafür umso leichtere Beute für die Männer, die junge unschuldige Frauen am Straßenrand auflesen, um diese nicht nur näher an deren Zielort zu bringen, sondern auch intim mit ihnen zu werden. Doch Suiza lässt die Vergewaltigungen über sich ergehen und strandet schließlich in der spanischen Provinz, wo sie vom Betreiber einer kleinen Bar als Bedienung eingestellt wird. Und dort begegnet ihr zum ersten Mal Tómas. Er ist ein wohlhabender Bauer Anfang 40, der mehrere Ländereien besitzt und erst kürzlich von seinem Arzt erfahren hat, dass er eine schwerwiegende Lungenkrebserkrankung hat. Tómas fühlt sich von Suiza sexuell dermaßen herausgefordert, dass er sie schon bei ihrem zweiten Treffen, aus der Bar entführt und sie noch auf dem Feld vergewaltigt. Aber die junge Frau kennt diese Vorgehensweise bereits und lässt auch ihn gewähren. Was sie sucht ist ein Zuhause, Stabilität und Liebe, trotz ihrer sehr speziellen Art. Und Tómas braucht tatsächlich eine Frau, die ihm nicht nur das Bett wärmt, sondern auch auf dem Hof hilft, das Essen kocht und die Tiere versorgt. Die beiden bleiben zusammen und versuchen so etwas wie eine Beziehung zu etablieren, doch Tómas kennt sich mit Frauen nicht aus und seine Erkrankung kostet ihn viel Kraft …

Meinung

Der Debütroman der französischen Autorin Bénédicte Belpois, die zudem als Hebamme arbeitet, besitzt durchaus eine gewisse Durchschlagskraft und einen ungewöhnlichen Erzählton, der diese Geschichte begleitet und die Leserschaft polarisiert, indem er gerade die Thematik der Vergewaltigung sehr deutlich und präzise werden lässt. Mir wurde der Roman von einer Lesefreundin empfohlen, zuvor hatte ich ihn eigentlich gar nicht wahrgenommen, doch dadurch war meine Aufmerksamkeit natürlich geweckt.

Nun muss ich sagen, dass ich leider nicht so begeistert von der Geschichte bin, sie aber durchaus gerne gelesen habe. Angesprochen hat mich vor allem der Schreibstil der Autorin, die in direkter, klarer Sprache ihre Sachverhalte ausdrückt. Sie gestaltet den Text abwechslungsreich, nimmt mehrere Perspektiven auf, erzeugt einen schlüssigen Handlungsverlauf und formuliert Sätze, die ausgesprochen gut zu den von ihr entworfenen Figuren passen.

Aber genau diese Charaktere waren es, die mich stellenweise an den Rand der Verzweiflung getrieben haben. Die beiden Hauptprotagonisten sind zwei ausgesprochen archetypische Menschen, die so ziemlich jedes Klischee erfüllen: Er der brutale, endgültige, entschlossene Mann, der nie eine Frau wirklich liebte und auch sonst kaum Zuwendung erfuhr, im Kern aber ein guter Mensch sein möchte. Und Sie, ein hilfsbedürftiges, anziehendes, weiches Wesen, die zwar leicht zurückgeblieben ist, sich aber mit kindlicher Lebensfreude in jeden neuen Tag stürzt und zahlreiche bisher verborgene Talente entwickelt.

Zwischen ihnen entwickelt sich eine große Dramatik, gepaart mit normaler Alltäglichkeit und den deutlichen Schatten der Verzweiflung. So wie es der Klappentext verspricht, ist es nicht, denn angeblich soll hier aus purer sexueller Begierde eine bedingungslose Liebe wachsen. Von Liebe sind wir meines Erachtens aber meilenweit entfernt. Vielmehr ist es eine unglücklich gewählte Kombination aus der Triebgesteuertheit des Mannes und seiner schweren Krankheit. Für die weibliche Person bleibt nur eine ungesunde Rolle vieler Abhängigkeiten bestehen, die mehr und mehr verdeutlicht, wie schwer es werden würde, wenn Tómas plötzlich nicht mehr da sein sollte.

Und genau diese Radikalität, die sich durch tragische Umstände, persönliches Leid und nicht abwendbare Schicksalsschläge manifestiert, präsentiert sich hier geballt auf engstem Raum. Das größte Problem, was ich mit diesem Buch hatte waren gar nicht die sexuellen Begebenheiten, sondern der fehlende Mehrwert des Buches. Ein Kranker, der sich zunächst nur Sorgen darum macht, wie er eine fremde Frau zu seinem Besitz machen kann, ist für mich unglaubwürdig. Und die Figuren selbst, wirken zwar ins sich geschlossen bleiben mir aber emotional sehr fremd. Immer wieder hat sich mir beim Lesen die Frage aufgedrängt, was uns die Autorin sagen möchte und ich habe leider keine Antwort darauf gefunden.

Fazit

Ich vergebe 2,5 Lesesterne (aufgerundet 3) für diesen eigenwilligen Roman über eine fatale Zusammenkunft eines wilden Mannes und einer gefügigen Frau. Inhaltlich habe ich hier kaum etwas gefunden, was mir eine konkrete Aussage geliefert hat. Man kann dieses Buch gut und schnell lesen, vor allem, wenn man möglichst wenig Erwartungshaltung aufgebaut hat. Die Art und Weise der Erzählung wirkt schon reizvoll, nur der Inhalt des Gesagten zerrinnt mit jedem Satz zwischen den Fingern und verliert sich nach gut 200 Seiten gänzlich. Ich glaube, dieses Buch hinterlässt einfach zu wenige Spuren und wirft Fragen auf, deren Antworten ich nicht kennen muss. Dies ist bereits der zweite Roman in diesem Jahr, bei dem eine Erkrankung mit einer Lappalie verbunden wird. Beide Bücher („Wilde Freude“ und dieses hier) konnten mich viel zu wenig überzeugen, weil es ihnen an psychologischem Tiefgang fehlte, obwohl ich sonst sehr gern Romane über Abschiede, und menschliche Sorgen und Nöte lese, kann ich nicht nachvollziehen, warum man sie mit so lockeren Themen kombinieren muss.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 11.11.2019

Eine Frau sucht ihren Mann

ATME!
0

„Manche denken, dass man Liebe lernen kann. Dass man sie berechnen kann. Oder bestellen. Dass man an sich selber arbeiten muss. Oder an dem anderen. Dass man dafür sehr besonders sein muss. Oder so wie ...

„Manche denken, dass man Liebe lernen kann. Dass man sie berechnen kann. Oder bestellen. Dass man an sich selber arbeiten muss. Oder an dem anderen. Dass man dafür sehr besonders sein muss. Oder so wie alle. All das ist falsch. Das weiß ich. Denn das Einzige, was man wirklich braucht dafür, ist der passende Andere.“

Inhalt

Nile steht kurz vor der Hochzeit mit ihrem geliebten Ben, den sie nun bald heiraten wird. Doch während sie in einer Umkleidekabine ihr zukünftiges Brautkleid anprobiert, verschwindet Ben ohne ein Wort des Abschieds aus dem Geschäft, er geht nicht mehr an sein Handy und kehrt auch nicht am Abend nach Hause zurück. Die Polizei bleibt gelassen, als sie ihn vermisst meldet, ist doch noch kaum ein Tag vergangen, doch ihre Ängste werden immer schlimmer. In ihrer Verzweiflung wendet sie sich an Flo, Bens fast Exfrau, die sie zwar hasst, die allerdings auch die einzige zu sein scheint, der ähnlich viel an Ben liegt, wie ihr selbst. Gemeinsam, wenn auch nicht freiwillig, beschließen sie den Vermissten auf eigene Faust zu suchen und stoßen dabei auf eine heiße Spur in Bens Handykontakten. Er hat mit einem Mann telefoniert, den Nile am liebsten tot wüsste, denn er hat sie einst vergewaltigt und nun ist auch er verschwunden. Klar ist, nur einer der beiden wird wieder auftauchen und Nile hofft, das es der Richtige sein wird …

Meinung

Die Grundstory klingt sehr verlockend und der Klappentext verspricht einen psychologischen Thriller, der wie ein Vexierspiel voller doppelter Böden und verblüffender Wendungen auftritt – doch tatsächlich ist es die eigentliche Geschichte, die mich zunehmend frustriert hat. Nile ist das reinste Nervenbündel, außerdem hat sie eine gar seltsame Vorstellung von Recht und Unrecht und stürzt getrieben durch die Handlung, wüsste man nicht genau, dass sie ihren Mann sucht, könnte man meinen, dass sie selbst die Verfolgte ist. Der Schreibstil hat mir gut gefallen: eine klare, präzise Sprache, viele Cliffhänger, ein hohes Tempo – genau so stellt man sich einen mitreißenden Thriller vor. Leider bleibt dieses Plus so ziemlich das Einzige, was auf der positiven Bilanzseite aufzuführen wäre – danach verliert sich die ganze Handlung in unlogischen, an den Haaren herbeigezogenen Entwicklungen und setzt sich darüber hinaus mit traumatisierenden Erlebnissen auseinander, die ihrerseits leider nicht genügend Licht ins Dunkel bringen und viel zu wenig Aufklärungsarbeit leisten.

Fazit

Für diesen Spannungsroman möchte ich nur 3 Lesesterne vergeben, weil er wirklich nicht über den Durchschnittsroman des Genres hinausreicht. Er liest sich flott und hält den Leser bei der Stange, präsentiert aber eine vollkommen überzogene Handlung mit unsympathischen, nervigen Protagonisten, die ich mir so gar nicht vorstellen kann. Besonders enttäuscht war ich von der psychologischen Komponente, denn die ist wirklich nur stümperhaft ausgearbeitet und wirkt durch die einseitige Erzählperspektive weder fesselnd noch einladend. Abschließendes Urteil: Kann man lesen muss man aber nicht, es bietet zwar Unterhaltungswert bleibt aber dennoch blass.

Veröffentlicht am 26.11.2018

NSA - Niemand sieht alles

NSA - Nationales Sicherheits-Amt
0

„So also war es, wenn etwas ungeheuer Großes geschah, wenn etwas ungeheuer Bedeutsames sich vollzog. Man erhob sich aus seinem Bett wie an jedem gewöhnlichen Tag seines bisherigen Lebens, und auf einmal ...

„So also war es, wenn etwas ungeheuer Großes geschah, wenn etwas ungeheuer Bedeutsames sich vollzog. Man erhob sich aus seinem Bett wie an jedem gewöhnlichen Tag seines bisherigen Lebens, und auf einmal änderte sich alles, und man wusste, man würde in einer gänzlich veränderten Welt wieder zu Bett gehen.“


Inhalt


Im Nationalen Sicherheitsamt, kurz NSA in Weimar arbeiten Menschen, die mittels Datenüberprüfung all jene aufspüren, die sich in irgendeiner Weise den Anweisungen des Regimes unter Adolf Hitler widersetzen. Engagierten Programmstrickerinnen, wie der jungen Helene Bodenkamp, gelingt es durch die sinnvolle Abfrage von bedeutsamen Parametern, Anschläge zu vereiteln, Judenverstecke aufzuspüren und antifaschistische Propaganda zu unterbinden.

Doch während der Chef des Amtes immer mehr unter Druck gerät, weil dem Amt einschlägige Erfolge fehlen, die er nach Berlin melden kann, machen seine Mitarbeiter interessante Entdeckungen in Richtung Amerika, in dem sie sich Zugang zu den dortigen Komputern verschaffen, und auf Pläne zum Bau der Atombombe stoßen. Doch in erster Linie nutzen sowohl die versierte Angestellte Helene, als auch der erfolgreiche Analyst Eugen Lettke das Datennetz für private Zwecke.

Beide verschleiern ihre Anfragen, manipulieren Datensätze und verfolgen längst nicht die absolute Aufopferung für das Deutsche Volk, welche vom Führer verlangt wird. Und dadurch gefährden sie bald schon den Gesamterfolg ihres Arbeitgebers, doch wo kein Kläger, da kein Richter …


Meinung


Zunächst einmal bin ich auf diesen Roman durch einige sehr positive Rezensionen aufmerksam geworden, die Lust auf die Geschichte gemacht haben. Auch der Klappentext hat mich sofort angesprochen, denn die Idee, das digitale Zeitalter in die historische Epoche des Nationalsozialismus vorzuverlegen, hat schon was. Das klassische „Was-wäre-wenn“ Szenario wird förmlich impliziert und so konnte ich mich dazu motivieren, zu diesem Buch zu greifen, selbst wenn es dem Genre Science-Fiction zuzuordnen ist, welches ich normalerweise nicht konsumiere. Und dann noch geschrieben von einem erfolgreichen deutschen Autor, von dem ich immer mal wieder Bücher wahrgenommen habe, und bisher dennoch keines gelesen habe.


Und doch ist mir bei der Lektüre recht schnell die Lesefreude abhandengekommen, so dass ich mich stellenweise sehr motivieren musste, weiter zu lesen, um die Gedankengänge zu verfolgen.

Das größte Manko des Buches ist meines Erachtens eine viel zu persönliche, unrelevante Geschichte, die ausgehend von den beiden Hauptprotagonisten regelrecht ausgewälzt wird. Immer wieder taucht der Leser tief in die Gedanken des Eugen Lettke ein, der sich auf einem persönlichen Rachefeldzug gegen empfange Schmach als Jugendlicher befindet und nun seine Peiniger verfolgt, um es ihnen heimzuzahlen und der doch sehr nervigen Helene Bodenkamp, die ihren fahnenflüchtigen Liebhaber versteckt, und von einer gemeinsamen Zukunft in Brasilien träumt. Leider, leider bleibt dabei die von mir erhoffte Geschichte gänzlich auf der Strecke.

In nur spärlichen Ansätzen geht der Autor auf die Arbeitsweise und die Hintergründe des NSA ein, er streift auch nur die historischen Geschehnisse, verändert sie fiktional, damit habe ich zwar gerechnet, nur passiert selbst das ausgesprochen oberflächlich. Dafür erfährt der Leser detailliert, warum Helene Kondome klaut und Eugen eine ganz spezielle Vorliebe für Nobelhotels und Fesselspiele hat.

Für die knapp 800 Seiten habe ich fast 3 Wochen Lesezeit benötigt und bin nur deshalb an der Lektüre drangeblieben, weil es ein Leserundenbuch war. Der etwas spannendere Mittelteil wird von einem allzu uninteressanten Start und einem wirklich an den Haaren herbeigezogenen Ende überdeckt, so das ich ziemlich froh bin, es geschafft zu haben.

Positiv möchte ich dennoch die Idee bewerten und auch die Umsetzung der vielen kleinen Parameter, die gut durchdacht in den Text integriert wurden. Im Ansatz kann ich auch Leser verstehen, die hier ein neues Lieblingsbuch finden, nur das man dazu etwas komplett anderes erwarten muss, als ich es getan habe. Der Schreibstil ist einfach aber prägnant, der Handlungsverlauf konstant und die Wendungen dazwischen manchmal sogar faszinierend, wenn man zum Beispiel erfährt, was es mit der Weiterentwicklung des NSA auf sich hat und wie vielschichtig und lückenlos die Betrachtungsweise der unpersönlichen Maschinen namens Komputern geworden ist.


Fazit


Ich vergebe nur 2,5 Lesesterne, die ich nach Empfinden eher zu zwei Sternen abrunden möchte. Die Ansprüche, die dieser Roman deckt, harmonieren nicht mit meiner persönlichen Vorstellung, die sich wesentlich mehr Geschichte, mehr Auseinandersetzung mit den Hintergründen und den technischen Dingen erhofft hat. Selbst das Faktum, das Maschinen den Menschen beherrschen kam nur unzureichend zur Sprache, denn Helene wiederrum gelingt es mühelos, das unerschöpfliche Überwachungsorgan auszutricksen. Der Autor macht mir mit diesem Buch nicht wirklich Lust, auf ein weiteres aus seiner Feder. Vermutlich habe ich ein Problem mit dieser Art der fiktionalen Literatur, denn er verbindet zu viel Wahres mit zu viel Erfundenem, eine striktere Trennung und eine weniger romanhafte Ausführungen, hätten mein eher negatives Urteil vielleicht abgemildert, so bleibt es als eines der schlechteren Bücher in Erinnerung.

Veröffentlicht am 11.09.2018

Sind wir mutig oder naiv?

Im Blick
0

„Wir könnten uns in den nächsten Wochen entscheiden, uns wieder voneinander zu entfernen. Wir könnten aber auch zusammen sein und einen Alltag miteinander haben. Ich kann mir beides vorstellen.“


Inhalt


Die ...

„Wir könnten uns in den nächsten Wochen entscheiden, uns wieder voneinander zu entfernen. Wir könnten aber auch zusammen sein und einen Alltag miteinander haben. Ich kann mir beides vorstellen.“


Inhalt


Die namenlose Ich-Erzählerin des Buches lässt den Leser teilhaben an ihrem Leben. Zunächst schildert sie eine Freundschaft mit Anja, die genauso alt ist, wie sie selbst und mit der sie sämtliche Erfahrungen ihrer Jugend gemacht hat. Gemeinsam waren sie 11, dann 12, dann 13 Jahre alt…

Und nun ist ebenjene Frau erwachsen, lebt ganz bewusst homosexuell und schildert einprägsam ihre gegenwärtige On-/Off-Beziehung mit ihren Höhen und Tiefen. Die Erzählstränge laufen parallel, wechseln einander ab und skizzieren einen größeren Lebensabschnitt, sodass man das Buch durchaus als Coming-of-Age Roman bezeichnen kann. Besonderes Augenmerk bekommt jedoch nicht die zwischenmenschliche Seite der Einzelbeziehung, sondern die Außenwirkung, die Erlebnisse und Erfahrungen der Frauen, die in immer neuen fast unzähligen Kleinigkeiten aufgearbeitet werden und dem Leser einen sehr aggressiven Feminismus präsentieren. Die Grenzen zwischen dem Du und dem Ich verwischen immer mehr, scheinen auch vollkommen irrelevant zu werden, stattdessen manifestiert sich eine für mich fragwürdige Gesamtaussage, die vor allem das Feindbild Mann im Fokus hat.


Meinung


Die junge österreichische Autorin Marie Luise Lehner schreibt kontroverse, unabhängige Romane, die genau darauf basieren, andere aufzurütteln, ihnen Unglaubliches zu präsentieren und nicht unbedingt Sympathien zu wecken. Ihr Schreibstil wirkt modern, bietet poetische Gedanken und Schimpfwörter in fast einem Atemzug, wirkt flüchtig und intensiv gleichermaßen und scheint ein persönliches Markenzeichen zu sein. Bereits in ihrem Roman „Fliegenpilze aus Kork“ greift die Autorin Begriffe wie Lieben und Geliebtwerden auf, gestaltet sie authentisch, menschlich, manchmal hilflos, dann wieder hoffnungsfroh, doch hier wird dieser Gedankengang nur peripher berührt und zu Gunsten einer radikalen, feministischen Ansicht verdrängt, die im Laufe des Textes immer brisanter wird und mich nach und nach abgeschreckt hat.


Positiv beurteile ich den Umgang mit den diversen Geschlechterrollen, ein Spiel zwischen männlichen und weiblichen Eigenschaften, die nicht zwangsläufig angeboren, vielmehr anerzogen zu sein scheinen – hier horcht man als Leser in sich hinein, ob genau diese Vorurteile nicht ausschlaggebend sind, ob man nicht selbst in Klischees denkt und Frauen immer in die Opferrolle drängt oder Männer als Macher ansieht. Allerdings verliert auch dieser zweite Ansatz des Buches an Potential. Was bleibt nun auf den wenigen 186 Seiten Lesestoff? Eine holprige, anklagende Schrift gegen die Unterdrückung des weiblichen Geschlechts, ein Aufruf zu mehr Feminismus zwischen den Betroffenen und der Vorschlag sich gegenseitig zu stärken, gegen die schiere Übermacht des männlichen Sexismus.


Fazit


Ich kann hier leider nur 2,5 Lesesterne vergeben (aufgerundet 3, denn es waren gute Ansätze erkennbar). Dem provokanten Text, mit seinen vielseitigen Ansätzen und seinen breit gefächerten Ansichten, fehlt es an Kontinuität, an einer echten, erzählenswerten Geschichte. Und alle Emotionen, die anfangs noch gut spürbar sind, werden von Wut und Unverständnis gegenüber anderen überdeckt. Tatsächlich stört mich nicht einmal der Umstand, dass die Personen so blass und unentschlossen wirken, manchmal naiv, dann wieder risikobereit, immer auf der Suche nach dem noch größeren Hype auch in Form von Drogen und Alkohol, immer an der Grenze zum Anderssein. Damit könnte ich leben, das passt zum Buch. Vielmehr stört mich die zerfaserte Geschichte, der ich außer einer für mich nicht relevanten feministischen Sicht nichts weiter entnehmen kann.