Eine Fassade bröckelt
Die Nachbarin
„Und nun musste sie der Wahrheit ins Auge sehen, dass das Glück dieser Beziehung sich nie mehr vergrößern würde, sondern von nun an nur noch verblühen konnte.“
Imogen ist mit dem deutlich älteren Anwalt ...
„Und nun musste sie der Wahrheit ins Auge sehen, dass das Glück dieser Beziehung sich nie mehr vergrößern würde, sondern von nun an nur noch verblühen konnte.“
Imogen ist mit dem deutlich älteren Anwalt Evelyn Gresham verheiratet. Die Ehe ist keine romantische, aber gesellschaftlich durchaus passend. Für beide offenbar das schlagende Argument; der Rest ist mit dem Einhalten gesellschaftlicher Konventionen und Höflichkeitsfloskeln gut getan.
Das Aufrechterhalten der Fassade - inklusive dem notwendigen Verschließen der Augen und Selbstbetrug - geht lange gut; bis die Nachbarin Blanche sich immer weiter zwischen die Eheleute drängt.
Blanche spricht Evelyn auf einer Ebene an, zu der Imogen niemals Zugang gefunden hätte. Denn die beiden Frauen sind sehr unterschiedlich.
Blanches skrupellose Einmischung in das Familienleben der Greshams und Evelyns uneinsichtiges Verhalten sind schrecklich mitzuerleben. Das stille Übereinkommen, dass doch alles in Ordnung ist, solange man gegen keinerlei gesellschaftliche Konvention verstößt, nehmen Evelyn und Blanche als unantastbaren Beweis für ihre Unschuld. Das ist eine abstoßend selbstgerechte Falschheit, die vor allem ein Opfer fordert: Imogen. Sie ist es, die unter der Einhaltung der Zwänge gute Miene zu bösem Spiel machen muss und die emotional völlig nieder gemacht wird.
Die Leser*in geht in dieser langsam erzählten, sich in der Dramatik kontinuierlich steigernden Geschichte völlig auf. Ich habe selten ein so intensives Buch gelesen, bei dem ich so stark mitgefühlt und gelitten habe. Die Geschichte ist unglaublich fein erzählt, man spürt die menschlichen Abgründe in den Zwischentönen.
Eine gute Entscheidung, das 1954 erschienene Buch nun auf Deutsch zu übersetzen. Es geht in meine Top 10 ein.