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Veröffentlicht am 21.05.2025

Eine Fassade bröckelt

Die Nachbarin
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„Und nun musste sie der Wahrheit ins Auge sehen, dass das Glück dieser Beziehung sich nie mehr vergrößern würde, sondern von nun an nur noch verblühen konnte.“

Imogen ist mit dem deutlich älteren Anwalt ...


„Und nun musste sie der Wahrheit ins Auge sehen, dass das Glück dieser Beziehung sich nie mehr vergrößern würde, sondern von nun an nur noch verblühen konnte.“

Imogen ist mit dem deutlich älteren Anwalt Evelyn Gresham verheiratet. Die Ehe ist keine romantische, aber gesellschaftlich durchaus passend. Für beide offenbar das schlagende Argument; der Rest ist mit dem Einhalten gesellschaftlicher Konventionen und Höflichkeitsfloskeln gut getan.
Das Aufrechterhalten der Fassade - inklusive dem notwendigen Verschließen der Augen und Selbstbetrug - geht lange gut; bis die Nachbarin Blanche sich immer weiter zwischen die Eheleute drängt.
Blanche spricht Evelyn auf einer Ebene an, zu der Imogen niemals Zugang gefunden hätte. Denn die beiden Frauen sind sehr unterschiedlich.
Blanches skrupellose Einmischung in das Familienleben der Greshams und Evelyns uneinsichtiges Verhalten sind schrecklich mitzuerleben. Das stille Übereinkommen, dass doch alles in Ordnung ist, solange man gegen keinerlei gesellschaftliche Konvention verstößt, nehmen Evelyn und Blanche als unantastbaren Beweis für ihre Unschuld. Das ist eine abstoßend selbstgerechte Falschheit, die vor allem ein Opfer fordert: Imogen. Sie ist es, die unter der Einhaltung der Zwänge gute Miene zu bösem Spiel machen muss und die emotional völlig nieder gemacht wird.

Die Leser*in geht in dieser langsam erzählten, sich in der Dramatik kontinuierlich steigernden Geschichte völlig auf. Ich habe selten ein so intensives Buch gelesen, bei dem ich so stark mitgefühlt und gelitten habe. Die Geschichte ist unglaublich fein erzählt, man spürt die menschlichen Abgründe in den Zwischentönen.

Eine gute Entscheidung, das 1954 erschienene Buch nun auf Deutsch zu übersetzen. Es geht in meine Top 10 ein.

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Veröffentlicht am 15.05.2025

Lotta at her best

Mein Lotta-Leben (21). Sei kein Trottel, Axolotl
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„Also, Artikel für die Schülerzeitung schreiben, meine ich. Nur weil ich ein Tagebuch führe, heißt das ja nicht, dass ich auch Schülerzeitung kann. Wahrscheinlich waren die anderen viel bessere Artikelschreiber ...

„Also, Artikel für die Schülerzeitung schreiben, meine ich. Nur weil ich ein Tagebuch führe, heißt das ja nicht, dass ich auch Schülerzeitung kann. Wahrscheinlich waren die anderen viel bessere Artikelschreiber als wir.“

Lotta und Cheyenne bekommen Halbjahreszeugnisse und beschließen, dass sie ihre Deutschnoten verbessern müssen. Frau Kackert empfiehlt ihnen die Teilnahme an einer AG. So landen die beiden - mittelmäßig motiviert - bei der Schülerzeitung. Durch Recherchearbeiten erfahren sie vom Axolotl - ein skurriles und possierliches Tierchen, das vom Aussterben bedroht ist. Außerdem stehen Interviews mit Lehrern auf der Agenda und es ergibt sich ein aufregender Fall, in dem sie journalistisch zu ermitteln versuchen…

Die Reihe „Mein Lotta-Leben“ ist seit einiger Zeit aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Mein Sohn (9) liebt die skurrilen und charmanten Tagebücher von Lotta. Die Figuren sind allesamt nicht die klassischen Heldinnen, sie haben Ecken und Kanten und stolpern auch mal durchs Leben. Das ist es auch, was die Bücher (und das Leben) so liebenswert und spannend macht.
Die wunderbaren Illustrationen machen die Comic-Romane sehr leicht zugänglich und zu perfekten Selbstlesebüchern für junge Leser
innen.
„Sei kein Trottel, Axolotl“ ist direkt zu einem unserer Lieblingsbände geworden. Dieses Abenteuer ist nämlich besonders spannend, weil Lotta und Cheyenne einen vermeintlichen Kriminalfall zu lösen versuchen und wir Einblicke in die Redaktion der Schülerzeitung bekommen. Auch Cheyennes Flachwitze sind ein Highlight.

Die Lotta-Reihe wird häufig mit Greg‘s Tagebüchern verglichen und als „weibliches“ Pendant dazu bezeichnet. Das ist in mehrerlei Hinsicht unpassend. Lotta ist so viel humorvoller und offener als Greg. Das amerikanisch-oberflächliche der Greg-Bücher ist hier ein feiner, aber saukomischer Humor. Lotta ist tatsächlich eine Figur, die Identifikationspotential für Kinder hat. Ihr Alltag und ihre Probleme sind die eines ganz normalen Kindes, überspitzt und mit ein bisschen Magie. Und es ist dabei völlig egal, welches Geschlecht die Leser*in hat.

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Veröffentlicht am 06.05.2025

Impulsgeber zum Thema Feminismus

Liebe Jorinde oder Warum wir einen neuen Feminismus des Miteinanders brauchen
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„Vom Feminismus wird so viel Einheitlichkeit und Klarheit verlangt. Dass es keine Veränderung geben könne, solange sich die Feministinnen nicht einig seien, hören wir. Aber ich bin anderer Meinung: lasst ...


„Vom Feminismus wird so viel Einheitlichkeit und Klarheit verlangt. Dass es keine Veränderung geben könne, solange sich die Feministinnen nicht einig seien, hören wir. Aber ich bin anderer Meinung: lasst uns streiten, lasst uns grübeln, lasst uns unsicher sein.“

Mareike Fallwickl schreibt einen Brief an ihre Freundin Jorinde, mit der sie sich zum Thema Feminismus regelmäßig auszutauschen scheint. Sie wählt, so sagt sie selbst, die Briefform für ihren Essay, da sie in anderer Form zu belehrend aufgetreten wäre. Und gerade das ist der falsche Umgang mit dem Thema. Der Feminismus splittet sich in verschiedene Strömungen. Wer für den Feminismus eintritt, sich für Frauenrechte stark macht, wird häufig sofort ausgebremst, auf Unvereinbarkeiten verwiesen und um konkrete, einfache Lösungsansätze gebeten. „Einigt euch doch erst mal, was ihr genau wollt, danach sprechen wir weiter…“

Der Feminismus ist mit vielen gesellschaftlichen und politischen Themen wie Adultismus, Ableismus, toxischer Männlichkeit, Sexismus, Gewalt, der Klimakrise und dem Erstarken rechter Parteien verwoben.

Niemand überblickt das aus dem Stegreif. Man spürt die Ungerechtigkeit und möchte sich dagegen auflehnen. Das ist ein Prozess, der Offenheit, ständige Lernbereitschaft und den Mut zur Anpassung von Ideen und Meinungen mit sich bringt.
Wir sollten uns in diesem Prozess nicht gegeneinander aufbringen lassen, sondern den Diskurs einfordern und die Offenheit zur gemeinsamen Entwicklung.

Fallwickls Essay ist ein guter Einstieg in die Thematik. Sie spricht viele gesellschaftliche Themen an, benennt ihren eigenen Weg in den Feminismus, lässt Fragen offen, gibt aber auch Antworten.

Das Hörbuch ist wunderbar eingelesen von der Autorin selbst. Es ist ein Impulsgeber und bietet viele Denkansätze.

„Wir Frauen dürfen erst seit so kurzer Zeit öffentlich darüber sprechen, wer wir sein wollen, wie wir leben wollen. Wir dürfen erst seit so kurzer Zeit überhaupt laut über unsere Position in dieser Welt nachdenken. Wir müssen nicht für alles sofort eine Lösung haben.“

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Veröffentlicht am 08.04.2025

Den Adultismus bekämpfen

Wie wir die Rechte unserer Kinder stärken in einer Welt, die für Erwachsene gemacht ist, und warum das die Sache für alle besser macht
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„Als schwächste Gruppe erleben Kinder Diskriminierung in allen Lebensbereichen — von reformbedürftigen Schulen über steigende Kinderarmut bis hin zu Wahlsystemen, in denen ihre Stimme nicht zählt. Doch ...

„Als schwächste Gruppe erleben Kinder Diskriminierung in allen Lebensbereichen — von reformbedürftigen Schulen über steigende Kinderarmut bis hin zu Wahlsystemen, in denen ihre Stimme nicht zählt. Doch all das ist kein Naturgesetz.“

Wenn man auf Adultismus hinweist, wird man oftmals nur belächelt. Die Diskriminierung von Kindern wird häufig gar nicht erst wahrgenommen oder erkannt, so selbstverständlich hat sie sich über die Jahrhunderte in unsere Gesellschaft eingeschlichen. Anders als andere Gruppen, die Diskriminierung ausgesetzt sind, können sich Kinder allerdings nicht selbst zur Wehr setzen oder auch nur auf Ungerechtigkeiten hinweisen.
Die Problematik ist komplex, sind Kinder doch auch unbedingt auf den Schutz Erwachsener angewiesen. Sie können Verantwortung nur in eingeschränkter Form übernehmen. Gleichzeitig ist das kein Grund, Kindern ihre Rechte abzusprechen, sie auszuschließen, zu maßregeln, lächerlich zu machen oder ihre Bedürfnisse zu missachten. Erwachsene setzen sich häufig in einer Selbstverständlichkeit und Arroganz über Kinder hinweg, mit der sie einer anderen erwachsenen Person nicht begegnen würden.
 
Eloise Rickman öffnet uns in ihrem Buch die Augen. Sie zeigt die Ungerechtigkeiten auf, denen Kinder täglich ausgesetzt sind, und analysiert auch die Systematiken hinter der Problematik des Adultismus. Als britische Autorin bezog sich ihr Buch ursprünglich auf Phänomene in Großbritannien. Diese sind in weiten Teilen übertragbar auf die Situation in Deutschland. Rickman hat allerdings für die deutsche Ausgabe auch Recherchen zum Adultismus in Deutschland betrieben und kann Forschungserbnisse und Situationsanalysen präsentieren, die die Leser unmittelbar in Deutschland betreffen.
 
Man kann die Wichtigkeit dieses Themas gar nicht genug betonen und ich freue mich sehr, dass Rickman sich der Thematik professionell und wissenschaftlich fundiert angenommen hat. Sie offeriert uns einige Ideen im konkreten Umgang mit Kindern, die dem täglichen Adultismus entgegenstehen.

„Wir können nicht gegen Adultismus vorgehen, wenn wir nicht gleichzeitig versuchen, Klassismus, Rassismus, Misogynie, Fremdenfeindlichkeit und andere Unterdrückungssysteme aufzulösen — genau wie es unmöglich ist, diese anderen Formen der Unterdrückung loszuwerden, wenn wir nicht auch den Adultismus bekämpfen.“

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Veröffentlicht am 26.03.2025

Lasst uns Cyclebreaker*innen werden

Emotional Load
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„Auch wenn wir die Welt verändern wollen, dürfen wir dabei Spaß haben und lachen.“

In den letzten Jahren haben wir immer mal wieder vom Mental Load gehört, und dass der vor allem auf Frauen lastet. Als ...

„Auch wenn wir die Welt verändern wollen, dürfen wir dabei Spaß haben und lachen.“

In den letzten Jahren haben wir immer mal wieder vom Mental Load gehört, und dass der vor allem auf Frauen lastet. Als ich von Susanne Mieraus neuem Buch das erste Mal hörte, dachte ich, dass mit „Emotional Load“ dasselbe gemeint ist.

Die Lektüre hat mich eines Besseren belehrt. In diesem Buch geht es um so viel mehr und der Fokus liegt auf Emotionen und Gefühlen und unserem Umgang damit. Mierau macht den Rundumschlag und zeigt auf, wo die Wurzeln unseres Umgangs mit Gefühlen liegen, wie diese unverarbeitet und toxisch ausgelebt zu einer Last werden und welche Rolle das Patriarchat dabei spielt. Sie gibt Tipps, wie wir im Alltag mit unserem Emotional Load umgehen können und wie wir unseren Blick schärfen und in der Gesellschaft zu Cyclebreaker*innen werden.
Die Autorin beschreibt Übungen, die sie auch in ihrem Therapiealltag umsetzt. Und sie hat einen sehr freundlichen und liebenswerten Ton, gerade wenn es um die Beschreibung von „Altlasten“ geht, die wir ggf. aus unserer eigenen Kindheit und Familie mitbringen.

Da ich Mieraus Bücher immer gerne lese, war ich schon im Vorfeld überzeugt, dass auch dieses gut wäre. Nach der Lektüre bin ich nun umso begeisterter, weil das Buch wie gesagt so viel mehr beinhaltet.

Es ist ein Starkmacherbuch, das Lust auf Veränderung macht.

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