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Veröffentlicht am 09.06.2020

Viel mehr als "nur" eine Hochzeit

Die sardische Hochzeit
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Im Jahr 1922 gerät Italien mehr und mehr in die Fänge Mussolinis. Leo, ein junger Mann aus Ligurien, erschlägt im Streit einen Anhänger des "Duce" und wird von seinem Vater nach Sardinien geschickt, um ...

Im Jahr 1922 gerät Italien mehr und mehr in die Fänge Mussolinis. Leo, ein junger Mann aus Ligurien, erschlägt im Streit einen Anhänger des "Duce" und wird von seinem Vater nach Sardinien geschickt, um einer Bestrafung zu entgehen und gleichzeitig eine neue Olivensorte für die heimische Zucht ausfindig zu machen. Während seiner Suche trifft er auf Gioia und obwohl diese bereits in wenigen Tagen heiraten soll, verlieben die beiden sich.

Die sardische Hochzeit ist ein wirklich feiner historischer Roman, denn obwohl die titelgebende Feier der Dreh- und Angelpunkt der Handlung ist, geht es in der Erzählung umso viel mehr als nur um eine Liebesgeschichte. Als Leser lernt man durch dieses Buch ganz nebenbei unfassbar viele Dinge. So hat sich die Autorin minutiös und umfassend in alles eingearbeitet, was mit Sardinien zu tun hat (Land, Leute, Kultur, Essen, Legenden, Brauchtum) und ihre große Zuneigung zu der Insel ist im gesamten Roman spürbar. Zusätzlich zeichnet sich Die sardische Hochzeit durch unglaublich viele Informationen zu der politischen Situation Italiens 1922 oder auch zur Jazzmusik der Zeit aus, die man ebenfalls en passant vermittelt bekommt. Der Kenntnisreichtum, der hier deutlich wird, führt zu einem authentischen historischen Kontext, der dem Leser ein völliges Abtauchen in das Sardinien der 20er ermöglicht. Das Beste für mich ist jedoch, dass die Autorin den Ersten Weltkrieg und die schrecklichen Erfahrungen der Soldaten während dieses verheerenden Ereignisses (meist durch Rückblicke) berücksichtigt - so etwas könnte in deutschsprachigen Romanen ruhig häufiger als Thema Einzug halten. Trotz all dieser Details und des vermittelten Wissens ist der Roman jedoch in keiner Weise überfrachtet, sondern unterhält den Leser bestens - aber eben mit historischer Tiefe.

Die Figuren sind sehr gut konzipiert. Leo ist kein strahlend schöner Held, sondern ein Mann mit gebrochener Vergangenheit. Gioia ist eine junge Frau, die sich ein gewisses Maß an Unabhängigkeit wünscht, dieser Wunsch bleibt aber im stimmigen Rahmen mit dem Jahr 1922. Der Fokus des Romans liegt deutlich auf Leo; ich hätte mir vielleicht insgesamt mehr Gioia-Teile erhofft. Mehrere Perspektivenwechsel und Briefe sorgen für Abwechslung in der Erzählstruktur und ermöglichen Einblicke in die Denkweise der Figuren. So sind die "bösen" Figuren (und an diesen herrscht im Roman kein Mangel) zwar schon sehr böse, aber sie alle sind mit für den Leser verständlichen Motiven ausgestattet. Eine simple Schwarz-Weiß-Zeichnung wird so weitestgehend vermieden.

Die Handlung an sich fesselt und weist verschiedene Stränge auf, die man als Leser gern weiterverfolgt. Ein ganz großes Plus ist, dass der Fortgang des Romans von einigen Überraschungsmomenten geprägt ist, die für den Leser nicht vorherzusehen sind (bis auf eine Ausnahme, mit der ich noch immer hadere, und die einen Bewertungsstern kostet). Insgesamt könnte man vielleicht feststellen, dass der Liebesgeschichte an sich noch etwas mehr Raum hätte gegeben werden können - sie wird zeitweise zu sehr zur Nebenhandlung.

Die sardische Hochzeit ist ein gut geschriebener, historischer Roman der einen mit nach Sardinien nimmt und Lust auf Cocktails, Jazz und Oliven macht. der Lehrreich und unterhaltsam zugleich, bietet er sehr gut gezeichnete Figuren und einige überraschenden Wendungen.

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Veröffentlicht am 27.05.2020

Max und Pauline

Der zerrissene Brief
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Der zerrissene Brief von Hanns Zischler wandelt auf den Spuren eines außergewöhnlichen Frauenlebens im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, das von Reisen, Abenteuer und vor allem von einem Mann geprägt ...

Der zerrissene Brief von Hanns Zischler wandelt auf den Spuren eines außergewöhnlichen Frauenlebens im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, das von Reisen, Abenteuer und vor allem von einem Mann geprägt war.

Wer sich auf diesen Roman einlässt, sollte Zeit mitbringen – damit meine ich „Zeit am Stück“, denn der Text verträgt größere Lesepausen nicht gut. Dies liegt daran, dass Der zerrissene Brief Gespräche zwischen Pauline, um deren Leben es in dem Roman geht, und der jungen Elsa, die die ältere Dame schon lange kennt und bei dieser zu Besuch ist, nachzeichnet. Diese Unterhaltungen sind meisterhaft authentisch umgesetzt, inklusive aller Gedankensprünge, Themenwechsel, Ablenkungsmanöver, Digressionen und Fadenverluste. Allerdings führt die Erzähltechnik unweigerlich zu einem fragmentarischen Leseerlebnis, welches beherrschbarer wird, wenn man sich dem Text uneingeschränkt widmet. Der Roman fordert den Leser und verlangt ihm aufgrund der nicht chronologischen Darstellung von Erinnerung einiges ab, da man (auch bewusste) Lücken füllen und die Reihenfolge der Geschehnisse für sich selbst ausloten muss. Dies ist anstrengend, aber auch bereichernd, da man so die Gelegenheit bekommt, sich allmählich immer mehr an Pauline und ihren Lebensweg heranzuarbeiten. Was die Handlung anbelangt, hatte ich mir aufgrund des Klappentexts eigentlich erhofft, dass den Expeditionen oder der Zeit allein in New York mehr Aufmerksamkeit gewidmet würde. Diese doch ungewöhnlichen Erlebnisse für eine Frau der damaligen Zeit sind aber eher Nebenereignisse in den Erinnerungen, was jedoch im Kontext des Romans schlussendlich Sinn macht. Sprachlich ist der Roman ein Genuss, abseits von allem Gewöhnlichen und dazu mit einigen Sätzen, die für mich eine tiefe Wahrhaftigkeit ausstrahlen.

Der Titel deutet es schon an: Der zerrissene Brief ist ein auf beste Weise in seiner Erzählstruktur zerrissener Roman. Er ist gelungene Literatur für anspruchsvollere Leser, die sich auf den Pfad von Erinnerungen begeben möchten. Auch wenn der Roman inhaltlich nicht dem entsprach, was ich erwartet hatte, habe ich gerne in Paulines Gedächtnis ge“graben“.

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Veröffentlicht am 25.05.2020

Zwischen Gelting und Kappeln liegt ein ganzes Leben

Zwei Wochen im Juni
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Adas und Tonis Mutter ist gestorben. Die beiden Schwestern treffen sich in Angeln in Schleswig-Holstein, um den Nachlass zu sichten und das Haus für den Verkauf vorzubereiten. Diese Aufgaben sind nicht ...

Adas und Tonis Mutter ist gestorben. Die beiden Schwestern treffen sich in Angeln in Schleswig-Holstein, um den Nachlass zu sichten und das Haus für den Verkauf vorzubereiten. Diese Aufgaben sind nicht nur ein Ausflug in die Vergangenheit, sondern auch eine Reise in die Untiefen einer Geschwisterbeziehung.

Was für ein schöner Roman - er spielt in meiner Heimat - "dem wunderbaren Fleckchen Erde da oben", wie Anne Müller es so absolut treffend formuliert. Und er ist ganz viel Schleswig-Holstein (das Cover ist übrigens in den Farben der Stadt Schleswig gehalten, ganz viel Angeln, ganz viel Sommer, ganz viel Kindheit, hoher Himmel, frischer Wind und Ostsee. All dies hat in mir ein Heimwehgefühl erzeugt, denn der Roman feiert und zelebriert die Welt dort oben auf eine sanfte und einfühlsame Art mit (für mich) hohem Widererkennungswert.

Die idyllische Kulisse des echten Nordens bildet den Hintergrund für die Auseinandersetzung der beiden Schwestern Ada und Toni mit Lebensentwürfen, falschen Entscheidungen, zu hohen Erwartungen, Missverständnissen und der Vergangenheit. Erzählt wird all dies aus Adas Perspektive, die als Fokalisierungsinstanz sehr gut gewählt ist, da ihr Leben sehr viel weniger "gefestigt" ist und daher mehr Unsicherheiten birgt, die der Reflexion bedürfen. Das in ihren Ausführungen über die Maßen präsente Gefühl ist das der Nostalgie, der Schmerz über den Verlust der Mutter, der gleichzeitig auch ein Verlust des "Kind sein" und des bekannten Familienverbunds ist - und dies ist auch der Grund, warum dieser Roman so bittersüß ist, denn neben der Schönheit der Erinnerung und der Kindheitswelt steht hier auch die Erkenntnis, dass das Leben weiter gelebt werden muss. Für den Leser ist das Leseerlebnis denn auch bittersüß, denn hier wird Sommer-Wohlfühlatmosphäre mit Trauer kombiniert - beides zusammen ergibt eine sehr gelungene Mischung.

Zwei Wochen im Juni ist ein absolut lesenswerter Roman, der ein besonderes Stück Deutschland feiert und sich liebevoll und auch mit Schmerz von einer wundervollen Kindheit verabschiedet. Das Thema berührt und betrifft letztlich jeden.

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Veröffentlicht am 19.05.2020

Der Liebe auf der Spur

Der Kuss
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Zu Kurzgeschichten haben viele Leser/innen (und auch ich) ein eher zwiegespaltenes Verhältnis: man muss sich auf die verdichtete Art der Erzählung einlassen und kaum ist man in der Geschichte und bei der ...

Zu Kurzgeschichten haben viele Leser/innen (und auch ich) ein eher zwiegespaltenes Verhältnis: man muss sich auf die verdichtete Art der Erzählung einlassen und kaum ist man in der Geschichte und bei der Figur angekommen, naht auch schon das Ende. Dieses sollte den Leser im Idealfall nicht so schnell wieder loslassen und zum weiteren Nachdenken anregen. Genau diese Enden sind es, die den Reiz von Kurzgeschichten für mich ausmachen.

Umso glücklicher bin ich, dass Tina Harf in Der Kuss dies in fast allen Fällen wirklich ausgezeichnet gelingt. Egal ob Pauline, Amelie, Marlene, Josephine oder Marie: wenn der letzte Satz der jeweiligen Geschichte gelesen ist, hat sich der Blick nicht nur für die Protagonistin, sondern auch für die Leserin geweitet.

Alle in diesem Band veröffentlichten Geschichten befassen sich mit Aspekten weiblicher Liebeserfahrung, die sehr unterschiedlich sind, aber dennoch Anknüpfungspunkte für eigene Erfahrungen bieten und so zum Mitfühlen einladen. Meine Lieblingsgeschichten sind die erste und die letzte des Bandes, da in beiden Erzählungen etwas Märchenhaftes mitschwingt. Den stärksten Nachhall hat bei mir jedoch Amelies Liebe, ihr Lieben und ihre Gedanken bilden eine richtig gute Kurzgeschichte mit viel Diskussionspotential.

Allen Geschichten gemeinsam ist, dass sie zeitweise Momente und Themen beschreiben, die mir unangenehm sind und ein Gefühl von „lieber nicht“ auslösen, aber wunderbarer Weise sind alle Erzählungen durch einen optimistischen Grundton verbunden, der nicht zuletzt durch Tina Harfs treffsichere und stilistisch ansprechende Prosa zur Geltung kommt. Hier wird eine wirklich gute Sprache passend eingesetzt.

Der Kuss ist eine lohnenswerte und kurzweilige Geschichtensammlung über die Liebe aus der Sicht von Frauen für Frauen, die ich so schnell nicht vergessen werde. Das Cover gehört für mich jetzt schon zu den schönsten des Jahres und die Widmung der Sammlung ist die beste, stimmigste und klarste, die ich je gesehen habe. Ein Buch, das „Für die Liebe“ geschrieben wurde, sollte man lesen.

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Veröffentlicht am 15.05.2020

Dating-Potpourri mit kurzer Wirkungsspanne

Thirty
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Die 29-jährige Bella Edwards (ja, die Figur heißt wirklich so – man kann sich kaum gegen Twilight-Assoziationen wehren) hat nicht nur Pech im Job, sondern auch in der Liebe. Vor lauter Verzweiflung flieht ...

Die 29-jährige Bella Edwards (ja, die Figur heißt wirklich so – man kann sich kaum gegen Twilight-Assoziationen wehren) hat nicht nur Pech im Job, sondern auch in der Liebe. Vor lauter Verzweiflung flieht sie aus London und reist zu ihrer Freundin nach New York, die ihr eine Dating-Aufgabe stellt: dreißig Verabredungen in den letzten dreißig Tagen bis zu Bellas dreißigstem Geburtstag.

Was thematisch als gute Grundidee für einen Chick Lit-Roman beginnt, lässt leider ziemlich schnell nach. Die vielen Dates, die im Medium einer Mail an die beste Freundin geschildert werden, verlieren rasch an Reiz, zumal auch einige Begegnungen darunter sind, die man nur mit sehr viel gutem Willen überhaupt als „Date“ bezeichnen würde. Hinzu kommt, dass leider einige dieser Verabredungen sprachlich und inhaltlich recht zielgenau aufs Ordinäre zusteuern. Von diesen Passagen abgesehen, habe ich oftmals herzlich lachen müssen, denn einige Szenen glänzen durch hervorragende Situationskomik und sind höchst unterhaltsam. Doch auch wenn mir der Humor zeitweise gut gefallen hat, funktioniert der Roman insgesamt (bis auf die ersten beiden Kapitel) nicht für mich. Das Problem ist, dass die Handlung sich letztlich nicht wirklich entscheiden kann, was sie sein will. Zum größten Teil ist der Roman Chick Lit, wenn auch recht durchschnittliche. Als sich schließlich der Traummann als verheiratete Enttäuschung entpuppt, muss man als Leser bangen, dass nun sämtliche Chick Lit-Konventionen über Bord geworfen werden. Diese Angst erweist sich zwar glücklicherweise als unbegründet, gerettet wird die Lage jedoch nur über eine sehr krude Kehrtwende zur Selbstfindungsthematik, die in Anbetracht der Figurenkonzeption von Bella nicht überzeugt und auch nur wenige Seiten anhält.

Thirty bietet komische und unterhaltsame Momente in einem nicht wirklich ausbalancierten Chick Lit-Roman und ist sicherlich ein netter Zeitvertreib. Aber: Chick Lit geht deutlich besser.

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