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Veröffentlicht am 16.12.2022

Die bekannteste Frau des Mittelalters

Aquitania
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Eleonore von Aquitanien, die wohl schillerndste weibliche Persönlichkeit des Mittelalters, steht im Mittelpunkt des Romans von Eva García Sáenz, der sie durch ihre jungen Jahre begleitet. Der Leser erlebt ...

Eleonore von Aquitanien, die wohl schillerndste weibliche Persönlichkeit des Mittelalters, steht im Mittelpunkt des Romans von Eva García Sáenz, der sie durch ihre jungen Jahre begleitet. Der Leser erlebt Eleonore als willensstarke, sehr entschlossene, berechnend planende und hochintelligente Frau, die sich ihres Erbes und Standes in jeder Sekunde bewusst ist und verpflichtet fühlt. Tiefere Einsichten in ihre Gedanken und Motive werden durch die Wahl der Erzählweise ermöglicht, die zwischen der Ich-Perspektive Eleonores und der ihres Gemahls Louis wechselt. Bezeichnenderweise befassen sich auch die Kapitel, die aus der Sicht von Louis geschildert werden, hauptsächlich mit Eleonore, ihrem Wirken und vor allem ihrer Wirkung. Unterbrochen wird diese sich abwechselnde Erzählweise von Rückblicken, in denen sich nach und nach ein Geheimnis entfaltet, das eng mit der gesamten Handlung verbunden ist.

Der Roman ist ausgezeichnet recherchiert und mit viel Begeisterung für Eleonore geschrieben, davon zeugt der wirklich vorzügliche Anhang, der umfassende, weiterführende Literatur aufführt und von die Liebe der Autorin zum Detail zeigt. Leider spiegelt sich dieses Herzblut nur bedingt im Text wieder. Zwar versucht der durchaus anspruchsvolle Roman sich auf jeder Ebene Eleonore anzunähern, aber die Geschichte und Figuren bleiben doch seltsam blutleer und ist auch nicht so üppig und detailliert ausgestaltet wie der Rechercheaufwand vermuten lässt. Auch wenn ich den Roman mit großem Interesse gelesen habe und seine Erzählweise für kurzweilige und faszinierende Lesemomente sorgte, konnte er mich leider nicht vollends mitreißen. Bisweilen entstand für mich der Eindruck, dass die Aufklärung des Geheimnisses sowie die Erläuterung und Einbindung realer historischer Figuren und Ereignisse Vorrang vor einer schlüssigen und nachvollziehbaren Charakterentwicklung und einem fesselnden Erzählfluss hatte. So hielt mich der Text doch stets auf Distanz, da hätte ich mir einfach ein packenderes Leseerlebnis gewünscht. Insgesamt ist „Aquitania“ dennoch ein lehrreicher historischer Roman, der sich für alle eignet, die sich eine gut recherchierte Romanbiografie zu Eleonore von Aquitanien wünschen.

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Veröffentlicht am 05.12.2022

Scharfsinniges und bissiges Familiengemälde

Meine bessere Schwester
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Rebecca Waits frecher, humorvoller und bedrückender Roman “Meine bessere Schwester” enthüllt toxische Familiendynamiken und belastete Geschwisterbeziehungen. Schonungslos und mit sehr feiner Beobachtungsgabe ...

Rebecca Waits frecher, humorvoller und bedrückender Roman “Meine bessere Schwester” enthüllt toxische Familiendynamiken und belastete Geschwisterbeziehungen. Schonungslos und mit sehr feiner Beobachtungsgabe werden die Rivalitäten zwischen Kindern und die einzigartigen, sehr unterschiedlichen Beziehungsgeflechte zwischen Eltern und Kindern ausgelotet. Die Autorin schreckt nicht vor unangenehmen Wahrheiten zurück. Es gelingt ihr hervorragend sich in jede ihrer Figuren ausgiebig einzufühlen, herauszuarbeiten, warum diese so fühlt und wieso sie sich nur so verhalten kann. Bezeichnenderweise wirbt sie bei aller Empathie nicht um die Sympathie des Lesers für ihre wirklich sehr beladenen Figuren. So gelingt ihr eine faszinierende Balance zwischen scharfsinnigen Einzelporträts und einem umfassenden Familiengemälde, beherrscht von starken Charakteren mit sehr unterschiedlichen Einzelinteressen. Durch die zwischen neutral und ironisch-distanziert schwankende Erzählweise werden hochdramatische Momente vermieden, dafür gibt es zahlreiche humorvolle Beschreibungen und lustige Situationen, die den Leser zum Lachen bringen.
Handlungstechnisch ist der zeitliche Verlauf bisweilen etwas verwirrend, die Handlung springt zwischen Gegenwart und Rückblicken munter hin und her, es gibt sehr viele Personen, die die Handlung bevölkern, insgesamt hätte sicherlich etwas gestrafft werden können, auch wenn die Rückbliche natürlich absolut unerlässlich sind, um z.B. das Verhalten und die Handlungsoptionen der Mutter Celia zu verstehen.
Im Übrigen hätte ich mir im Klappentext einen deutlichen Verweis darauf gewünscht, dass dieser Roman als wesentliches Thema psychische Erkrankungen/Störungen behandelt (u.a. Schizophrenie und Psychosen). Ich weiß, dass dies Bereiche sind, mit denen viele Leser auch nicht konfrontiert werden möchten, selbst ich fühlte mich da etwas überrumpelt, als der leichte Ton in die Untiefen von Paranoia und Wahnvorstellungen glitt.
Insgesamt ist „Meine bessere Schwester“, dessen Originaltitel „I’m Sorry You Feel That Way“ eigentlich sehr viel besser umschreibt, worum es in diesem Roman geht – um Dominanz, Desinteresse, Ausnutzen von Beziehungen zum eigenen seelischen Vorteil, Oberflächlichkeit und falsches Mitgefühl – eine unterhaltsame, bissige, psychologisch detaillierte und überzeugende Familiengeschichte, in der wir alle etwas von uns wiederfinden können.

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Veröffentlicht am 17.11.2022

Keep it simple

Kopenhagen mon amour
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Trotz der Tatsache, dass der Roman zum größten Teil in einer meiner Lieblingsstädte spielt, hat er sich als große Enttäuschung entpuppt. Ich hatte mir eine witzig-anspruchsvolle RomCom mit Hygge-Flair ...

Trotz der Tatsache, dass der Roman zum größten Teil in einer meiner Lieblingsstädte spielt, hat er sich als große Enttäuschung entpuppt. Ich hatte mir eine witzig-anspruchsvolle RomCom mit Hygge-Flair gewünscht, bekommen habe ich eine grenzenlos alberne Slapstick-Komödie mit infantilen Figuren, die an Simplizität fast nicht zu überbieten ist.
Die Französin Brune, die Protagonistin, bekommt Torschlusspanik und will im Wettlauf mit ihrer biologischen Uhr sicherstellen, noch Mutter zu werden. Als Single bleibt ihr da nur der Weg nach Dänemark – was natürlich kein Problem ist, denn in Dänemark sind ja alle Männer vom Aussehen her quasi Götter und das ist ja offensichtlich das, was bei der Samenspender-Auswahl zählt.

Unterstützt wird die grenzenlos unentschlossene, blauäugige und unerträglich naive Brune von ihrer idealistischen Freundin Justine, einer Klimaaktivistin, die am liebsten mit Pferd und Wagen nach Dänemark reisen würde, und in ihrem Eifer so gnadenlos überzeichnet ist, dass die Klimadiskussion fast zur Lachnummer verkommt. Wer glaubt, dass zu dem Zeitpunkt, an dem das einfältige Duo endlich Kopenhagen erreicht, auch die eigentliche Liebeshandlung endlich (es dauert nämlich unheimlich lang bis die beiden schließlich im doch Flieger landen) beginnen würde, sieht sich getäuscht.

Stattdessen wandeln Justine und Brune durch ein Kopenhagen, das es so wohl nur bei Instagram gibt, und das ausschließlich aus Tivoli und Nyhavn, einer schnuckeligen AirBnB-Unterkunft wie aus dem Bilderbuch und freundlichen, gutaussehenden dänischen Männern besteht, die sich in urigen Kneipen aufhalten und natürlich allesamt fließend Französisch sprechen. Neben der Tatsache, dass diese Darstellung selbstredend der dänischen Hauptstadt wohl kaum gerecht wird, empfand ich auch die komplette Stereotypisierung der Dänen als zunehmend anstrengend, mal ganz abgesehen von der haarsträubend schlichten Intelligenz der Hauptfiguren.

Über all dies hätte ich aber eventuell noch hinwegsehen können, wenn der Roman darauf verzichtet hätte, Brune durch allerlei Lebensweisheiten zu jagen, mit denen sie bei Zufallstreffen mit Wildfremden konfrontiert wird. Neben einem Pfarrer im Flugzeug, bringen sie auch eine ältere französische Touristin und der Besitzer einer Schlittschuhbahn (soweit das bei einer Figur wie Brune überhaupt möglich ist) zum Nachdenken. Die Handlung stolpert von Episode zu Episode und wirkt unzusammenhängend, was auch den zahlreichen konstruierten Momenten und Logiklöchern geschuldet ist. Erzählt wird der Roman in einer zur Tumbheit von Brune und Justine passenden Sprache, die zwischen gewollt humoristisch und simpel schwankt. Leider keine Leseempfehlung, auch wenn ich das Cover und den Titel sehr gelungen finde.

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Veröffentlicht am 28.10.2022

Die vertraulichen Ebenen der Kommunikation

Intimitäten
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„Intimitäten“ – ein Wort, das wie eine leicht verniedlichende Beschönigung daherkommt, entwickelt in Katie Kitamuras ruhigem und faszinierenden Roman eine besondere Dynamik. Denn auch wenn „echte“ Intimitäten ...

„Intimitäten“ – ein Wort, das wie eine leicht verniedlichende Beschönigung daherkommt, entwickelt in Katie Kitamuras ruhigem und faszinierenden Roman eine besondere Dynamik. Denn auch wenn „echte“ Intimitäten durchaus eine Rolle spielen, wird Intimität in diesem feinen und stilistisch vorzüglichen Roman durch Kommunikation und – ganz besonders –Sprache erzeugt. Die Protagonistin, Dolmetscherin am Strafgerichtshof in Den Haag, fühlt sich fremd in der Stadt, fremd in der niederländischen Sprache, die sie aber zu entschlüsseln versucht, fremd in der Beziehung zu Adriaan, einem verheirateten Mann, dessen Frau ihn verlassen hat. In ihrer Arbeit wird ihr die komplexe Bedeutung des Wortes ebenso jeden Tag vor Augen geführt, wie die intime Bindung des Wortes an Aussprache und Intonation. Als Übersetzerin ist sie stets auf der Suche nach der geeigneten Entsprechung, muss aber die Herausforderung der Nuancen und der Intonation täglich anerkennen.

So wird der Roman zu einem Meisterstück der Ausleuchtung von Möglichkeiten und Grenzen der Übersetzung, Sprache und Kommunikation, wobei mit zunehmendem Handlungsverlauf immer deutlicher wird, wie außerordentlich intim und beredt vor allem die nonverbalen Signale sind. Während der Roman immer stärker ins Ungesagte gleitet, das Schweigen immer prominenter wird, werden Gesten, Blicke, die ersten zehn Sekunden einer Begegnung, ein Kopfnicken und das äußere Erscheinungsbild zu unüberhörbaren , sehr persönlichen und vertraulichen Signalen – und man stellt fest, wie viel Information (und Wahrheit) auch jenseits der verbalen Äußerungen liegt, wie viel Nähe und Intimität auf dieser Ebene vergeben wird. Der Text wird so zur überaus intelligenten Reflexion über das Zwischenmenschliche, das Beobachtbare. Während der Roman auf der Handlungsebene äußerst ruhig und zurückhaltend durch die nicht sonderlich spektakuläre Handlung gleitet, lauert doch stets unter Fassade eine intensive Spannung, die einen gebannt den Fortgang des Geschehens verfolgen lässt. Dabei entzieht sich der Roman weitestgehend der Politisierung, die man vielleicht bei dem Setting des Strafgerichtshof erwarten würde, es geht vielmehr um Themen wie Heimat, Entwurzelung, Beziehung, Freundschaft und Zugehörigkeit – auch hier bezeichnend, dass schon eine kommunizierte Geschichte Wurzeln und Nähe schaffen kann.

„Intimitäten“ ist ein äußerst kluger Roman, faszinierend, einnehmend und fesselnd, der mit seinen ruhigen Zwischentönen Intimität mit dem Leser schafft. Sprachlich sehr beherrscht und stilistisch hervorragend konsequent schlägt er in seinen Bann und wirbt für mehr Aufmerksamkeit in Bezug auf Sprache und Kommunikation.

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Veröffentlicht am 06.10.2022

Das weibliche Mittelalter

Matrix
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In „Matrix“ überstrahlt die junge, unansehnliche Marie alles. Von ihrer angeheirateten Halbschwester Eleonore von Aquitanien (die Familienverhältnisse werden von Lauren Groff alles andere als nachvollziehbar ...

In „Matrix“ überstrahlt die junge, unansehnliche Marie alles. Von ihrer angeheirateten Halbschwester Eleonore von Aquitanien (die Familienverhältnisse werden von Lauren Groff alles andere als nachvollziehbar dargelegt, sodass es in mir immer wieder rief „Falsch!“ bis in der zweiten Hälfte des Romans schließlich doch deutlich gemacht wurde, dass die Verwandtschaft über Eleonores Ehemann, den Plantagenet-König Henry II. gegeben war) mit siebzehn Jahren in ein heruntergekommenes Nonnenkloster verbannt, macht sich Marie daran, ihre (Führungs-)Qualitäten zu entdecken und das Leben und die Gemeinschaft der frommen Frauen zu einer neuen Blüte zu führen. Im Fokus ihrer Bemühungen steht der maximale Schutz der ihr anvertrauten Frauen und die größtmögliche Unabhängigkeit und Autonomie von der männlich dominierten Kirche und Außenwelt. Geleitet von Visionen, in denen die Jungfrau Maria ihr den Weg zeigt, erschafft sie fantastisch anmutende Bauten, erdenkt strategische Winkelzüge und entwickelt sich zur allseits von Frauen verehrten Lichtgestalt des weiblichen Mittelalters. Prägend für ihren Lebensweg bleibt die komplexe Liebe für Königin Eleonore.

Der Roman erzählt die Geschichte eines weiblichen Traums von Selbstbestimmung, fern von männlichen Hierarchien, patriarchalischer Unterdrückung und Bevormundung. Lauren Groff setzt mittelalterliches female empowerment mitreißend und in einem ganz eigenen Stil in Szene – ich habe den Roman verschlungen und mit sehr viel Freude gelesen, denn das Klosterleben ist bei Groff alles andere als langweilig und alltäglich, eine Gemeinschaft von Frauen birgt so manche Herausforderung. Die Figuren, die den Roman bevölkern, werden häufig eher stereotyp charakterisiert, ihre Rolle (Priorin, Infirmarin, Herbergsmutter etc.) steht über einer eigentlichen Auseinandersetzung mit ihrem Wesen, nicht zuletzt weil die Protagonistin Marie alles überstrahlt – sie dient als Fokalisierungsinstanz und kommt in ihren Berichten über ihre Visionen auch selbst zu Wort. Großartiger Weise befasst sich der Roman über weite Strecken mit Maries mittleren Lebensjahren, also ihrem persönlichen „Mittelalter“ - auch das eine sehr besondere, gute Leseerfahrung. Männerfiguren, die tatsächlich als solche bezeichnet werden können, sucht man in diesem Roman vergeblich. In einem feinen Kniff, der die Message ihres Romans unterstreicht, verbannt Groff alle Männer an den Rand des Geschehens. Mir fällt keine einzige männliche Figur ein, die namentlich erwähnt wird oder überhaupt einen Satz sagen dürfte – hier wird die Marginalisierung des Mannes auf die Spitze getrieben und dies auf eine unfassbar elegante und feine Art, dass der Roman in keiner Weise plakativ und hyperfeministisch (wie andere Werke der jüngeren Zeit) daherkommt, sondern auf sehr subtile Art deutlich macht, wie eine Welt, die von (mehr) Frauen geführt werden würde, aussehen könnte. Nicht ganz so gelungen sind die immer wieder aufkommenden Kommentare des Romans zum Klimawandel, sie wirken doch leicht anachronistisch und übertrieben visionär in ihrer offensiv didaktischen Absicht. Darauf hätte ich leichten Herzens verzichten können.

Sprache und Stil des Romans passen hervorragend zur Materie, der Roman wurde ganz ausgezeichnet von Stefanie Jacobs übersetzt. Man fliegt trotz der sehr niveau- und gehaltvollen Sprache nur durch die Seiten, an keiner Stelle knirscht es und der Text hat seinen ganz eigenen Klang. Ein großes Kompliment an die Übersetzerin!

Insgesamt ein absolut empfehlenswerter Blick auf das weibliche Mittelalter, den Anfang einer neuen Ära und eine faszinierende Frau, deren Schicksal Lauren Groff auf bravouröse Weise ausmalt und erlebbar macht.

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