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Veröffentlicht am 01.04.2019

Gepflegter Spürsinn

Der Mann, der Sherlock Holmes tötete
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Zum Inhalt:
Arthur Conan Doyle erträgt den Ruhm seiner Erfindung Sherlock Holmes nicht mehr und lässt sie gemeinsam mit Moriarty im Reichenbachfall verschwinden. Doch auch der vermeintliche Tod der Romanfigur ...

Zum Inhalt:
Arthur Conan Doyle erträgt den Ruhm seiner Erfindung Sherlock Holmes nicht mehr und lässt sie gemeinsam mit Moriarty im Reichenbachfall verschwinden. Doch auch der vermeintliche Tod der Romanfigur kann nicht verhindern, dass gut 100 Jahre später Sherlock-Begeisterte – die Irregulars – diese immer noch verehren. Als die Kunde vom Fund eines verschollenen Tagebuchs Conan Doyles die Runde macht, ist der Club in heller Aufregung. Doch die Freude währt nicht lange, - am nächsten Morgen wird der vermeintlich stolze Besitzer tot aufgefunden und das Tagebuch ist nicht auffindbar. Aber wozu hat man als Sherlockianer einen Kopf?

Mein Eindruck:
Immer abwechselnd in zwei Zeiten gestaltet Graham Moore seine Geschichte um echten und fiktiven Mord und Totschlag. Zum einen lässt er mit Conan Doyle die Zeit um die 1900 aufleben – inklusive Kutschen, Gaslicht und gefährlichen Gegenden im Londoner East-End. Zum anderen befindet sich der Held Harold in der heutigen Zeit und reist damit komfortabler per Taxi und Flugzeug. Doch beiden – Arthur wie Harold – ist eins gemein: Sie versuchen das Rätsel um Todesfälle zu lösen, die eines Sherlock Holmes würdig wären, - und beide trotzen nicht nur einigen Gefahren, sondern erweisen sich als siegreich im Kampf gegen blutrünstige Gegner und die Polizei. Beide haben ihren „Watson“ dabei, wobei dieser sich öfter als der klügere Part des dynamischen Duos herausstellt – Arthur Bram Stoker, den Autor von Dracula und Harold die Journalistin Sarah.
Dieses Spiel mit den Zeiten hält die Leser bei der Stange. Zu gerne möchte man wissen, wie es weitergeht und lässt sich von doppelten Cliffhangern verführen. Gegen die starken vier Hauptcharaktere bleibt der Rest der Figuren leider sehr blass – insbesondere die weiteren Sherlock-Fans hätten durchaus mehr Potenzial gehabt, als Moore ihnen zugesteht. Und auch die kämpferischen Suffragetten und die mörderische Person im Conan-Doyle-Teil werden relativ schnell abgehandelt. Das ist den zwei Büchern in einem geschuldet – 200 Seiten sind für eine gut unterfütterte Ermittlung wohl doch zu wenig, wenn zusätzlich die unvermeidliche Sicht auf das Leben neben dieser Ermittlung fällt.
Aber eins kann man diesem Roman auf gar keinen Fall vorwerfen: Langeweile! Rasant lässt Moore seine Helden rotieren und jeweils ihre Rätsel lösen – unter Lebensgefahr. Die Mischung von echten Gestalten und fiktiven Vorkommnissen bewirkt (insbesondere im „älteren“ Teil) genau den gepflegten viktorianischen Grusel, den heutige Sherlock-Fans so lieben.

Mein Fazit:
Amüsant und trotzdem spannend, - fast wie der moderne Sherlock

Veröffentlicht am 01.04.2019

Poldi im Auftrag des Herrn unterwegs

Tante Poldi und die Schwarze Madonna
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Zum Inhalt:
Poldi ist in heller Aufruhr, als ihr Neffe sie nach einem kurzen Aufenthalt in Frankreich besucht: Graffiti an der Hauswand fordern sie zum Verschwinden von Sizilien auf und eine Besessene ...

Zum Inhalt:
Poldi ist in heller Aufruhr, als ihr Neffe sie nach einem kurzen Aufenthalt in Frankreich besucht: Graffiti an der Hauswand fordern sie zum Verschwinden von Sizilien auf und eine Besessene bei einem Exorzismus scheint mit ihrer Stimme zu sprechen. Eine teilnehmende Nonne wird ermordet, der Papst lässt um ihre Hilfe bitten und Poldi macht sich auf, das Rätsel um den Tod der Nonne, das Verschwinden einer schwarzen Madonna und die Begleitumstände ihrer eigenen Widrigkeiten zu klären.

Mein Eindruck:
What you see is what you get. Oder anders: Wenn Poldi auf dem Cover erscheint, ist auch Poldi drin. Inklusive aller Flüche in einem wunderschönen bairischen Kauderwelsch und die schon aus Vorgängerbänden bekannten Personen, angereichert durch einige enge und weitere Freunde wie Gianna Nannini, Steve Jobs, der Papst und – last but not least – der Sensenmann himself. Diese Konstellationen akzeptiert man entweder (wie ihr Neffe) oder lässt es bleiben, - und damit besser die Finger vom Buch. Denn genau das macht den Charme eines Buches über Tante Poldi aus. Giordano spinnt die Geschichte um diesen Kosmos wieder ein Stückchen weiter, so dass Poldi-Jünger neues Futter zu alten Bekannten erhalten; Neulinge auf diesem literarischen Gebiet können sich aber ohne größere Reibungsverluste in die Story einlesen, die hemmungslos abstrus, weit hergeholt und absolut unglaubwürdig ist – und genau deshalb gefällt, falls man sich mit dieser Figur überhaupt anfreunden kann.
Der Schreibstil ist eher lautmalerisch als eingängig, fast muss man sich mehr einhören als einlesen, die kurzen Einleitungen zu den Kapiteln sind erst im Nachhinein zu verstehen. Die Krimihandlung ist zwar vorhanden (inklusive einiger Morde, Verschwörungstheorien, italienischem Flair und Lokalkolorit), wichtiger sind jedoch die zwischenmenschlichen Handlungen und Überraschungen, die das Leben für die Charaktere bietet. Dabei schießt der Autor an einigen Stellen über das Ziel hinaus, aber „Dezenz ist Schwäche“ und damit schließt sich der Kreis von imaginärer Welt und blumiger Prosa.

Mein Fazit:
Geliebt oder gehasst, aber immer mit eigenwilligem Stil. Das ist die Poldi

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Schreibstil
  • Humor
  • Lesespaß
  • Charaktere
Veröffentlicht am 26.03.2019

Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral

Das Ambrosia-Experiment
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Zum Inhalt:
Jules Leben verläuft zwanghaft, da sie als Kind den Massen(selbst)mord einer Sekt beobachtet hat, bei dem sie ihre Eltern verlor. Deshalb scheut sie erst den Kontakt zur Polizei, als ihr eine ...

Zum Inhalt:
Jules Leben verläuft zwanghaft, da sie als Kind den Massen(selbst)mord einer Sekt beobachtet hat, bei dem sie ihre Eltern verlor. Deshalb scheut sie erst den Kontakt zur Polizei, als ihr eine Leiche vor den Füßen liegt und sie den Mörder beobachtet. Sie möchte sich verkriechen und alles vergessen, muss aber dann bemerken, dass es sich um ein Verbrechen viel größeren Ausmaßes handelt und dieses die Menschen in ihrer Nähe betrifft. Glücklicherweise gerät sie auf ihrer Flucht in den Dunstkreis von Lucas Prinz – als Nestbeschmutzer bei der Polizei geächtet und nur durch die schützende Hand eines aufmerksamen Staatsanwaltes noch im Dienst. Gemeinsam stellen sie sich der Gefahr und bannen dabei die Dämonen ihrer Vergangenheit.

Mein Eindruck:
Ewiges Leben, - der Menschheitstraum. Dass in dieser Hinsicht geforscht wird, ist nicht fernab jedweden Denkens. Und dass am ehesten Leute mit sehr viel Geld in den Genuss eines Mittels kommen, welches die Lebenszeit verlängert, leuchtet Jedermann ein. Dass Ethik unter Umständen das Hauptwort ist, mit dem die Wenigsten etwas anfangen können, wenn es um die eigene Haut geht, ist Fakt. Obwohl es schon einige Filme und Bücher gibt, die sich mit einer ähnlichen Thematik des Ausschlachtens anderer Individuen für das eigene Wohlergehen befassen, schafft der Autor hier eine neue Ausgangslage. Diese ist vor allen Dingen deshalb beängstigend, weil sie - ganz ohne in den Science Fiktion Bereich abzudriften - denkbar scheint. Koblenz als Schauplatz ist ideal, - hübsch klein und übersichtlich und trotzdem Ausgangspunkt für ein unvorstellbares Verbrechen. Seine beiden Ermittler sind zwar vom Leben gezeichnet, jedoch überaus liebenswert und trotz aller Macken echte Sympathieträger. Deshalb verzeiht man die etwas übertriebene Sicht auf das polizeiliche Umfeld von Prinz: Auch Polizisten können gut einschätzen, ob andere Beamte sich im großen Stil gesetzlos verhalten haben. Eine gewisse Treue zu „eigenen“ Leuten könnte man noch voraussetzen, aber dass ein Beamter ÜBERALL geächtet wird, weil er einen Stall ausgemistet hat, ist unglaubwürdig. Der Stil Dützers gefällt, saugt den Leser in die Geschichte ein und hält ihn bis kurz vor Schluss gefangen. Leider spuckt er ihn jedoch in ein nicht ganz rundes Ende aus und lässt ihn rätseln, wie es denn jetzt dazu gekommen ist. Das ist insbesondere deshalb schade, weil die Erklärungen bis dahin ausführlich und folgerichtig waren. Vielleicht könnte man das E-Book noch um fünf Seiten erweitern, es würde der Story nicht schaden.

Mein Fazit:
Bis kurz vor Schluss richtig gut, dann leider kleine Abzüge in der B-Note

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Spannung
  • Charaktere
  • Handlung
Veröffentlicht am 23.03.2019

Klasse, obwohl...

Niemalswelt
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... die Autorin einen dicken inhaltlichen Fehler begangen hat.

Zum Inhalt:
Vor einem Jahr verstarb Jim, der Freund von Beatrice, unter nicht ganz geklärten Umständen, obwohl die offizielle Lesart „Selbstmord“ ...

... die Autorin einen dicken inhaltlichen Fehler begangen hat.

Zum Inhalt:
Vor einem Jahr verstarb Jim, der Freund von Beatrice, unter nicht ganz geklärten Umständen, obwohl die offizielle Lesart „Selbstmord“ lautete. Jetzt hat Beatrice die Einladung zu einem Treffen ihrer alten Clique – zwei Frauen, zwei Männer um die Zwanzig – angenommen und die Gruppe startet zu einem Ausflug, bei dem fast ein Unfall passiert. Doch „fast“ ist nicht richtig, denn kurze Zeit später steht ein älterer Herr vor der Türe und eröffnet den Fünfen, dass sie in einer Zeitschleife gefangen sind, aus der es nur ein Entkommen gibt: Sie müssen denjenigen auswählen, der überleben darf, die anderen vier werden endgültig sterben. Bald wird ihnen klar, dass der Schlüssel zu einem erfüllten Ende in der Aufklärung des Todesfalles liegt und sie beginnen nachzuforschen. Denn: Was können sie schon verlieren?

Mein Eindruck:
Der große Kritikpunkt gleich zu Beginn dieser Rezension des Hörbuchs „Niemalswelt“: Wenn ich doch weiß, dass ich mit dem Tod eines Freundes zu tun habe, stürze ich mich nicht völlig ahnungslos in diese Art von Ermittlung. Aber genau das passiert in der wirklich ansonsten fulminanten Geschichte. Zwar ebbt die Spannung nach der großartigen Eröffnung ab und plätschert bis zum Beschluss, sich mit dem Todesfall zu befassen, ein wenig richtungslos dahin, aber dann zieht das Tempo an und es wird zielstrebig und interessant. Die Autorin hat für jede ihrer Figuren einen durchdachten Hintergrund kreiert und auch im Fast-Jenseits verhalten sich die Charaktere wie in ihrem echten Leben. Zwar wendet Pessl für meinen Geschmack ein wenig zu viele Metaphern an, um ihre Story zu unterfüttern, das ist jedoch Jammern auf hohem Niveau, denn sie ersinnt nicht nur diese Hauptgeschichte, sondern stattet ihre Figuren mit ebenfalls einem exorbitanten Grad an Fantasie und Intelligenz aus: Die eine schreibt Soundtracks zu Filmen, die es nie gegeben hat, die andere erzählt aus einer Geschichte, die ihr Hintergrundwissen zum Funktionieren der Niemalswelt anbietet, der dritte knackt Computercodes. Trotzdem bleiben die Charaktere lebensecht und man leidet mit ihnen allen, wenn sich die dunklen Geheimnisse langsam offenbaren und die Geschichte zum Ende strebt. Zwar gibt es eine Ich-Erzählerin in der Gestalt von Beatrice, durch die Verfolgungen der anderen und die Gespräche mit ihnen sieht man jedoch oftmals durch die Augen der vier Freunde und kann sich in diese hineinversetzen. Schließlich kommt das Buch zu einem Schluss. Einem guten Schluss, der genau so viel erklärt, wie er muss und durch weiße Stellen in der Rückschau nicht nur die Charaktere fragen lässt, was wahr und was falsch war in der Niemalswelt.

Mein Fazit:
Nach holprigem Start tritt eine Suchtphase ein, die der Hörer – am Schluss mit Tränen in den Augen - genießt.

Veröffentlicht am 17.03.2019

Unterkühlt

Die Reinsten
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Zum Inhalt:
Eine künstliche Intelligenz mit Namen „Askit“ beherrscht die Erde im Jahr 2191. Natürlich nur zu derem Besten, den die Menschheit hat durch ihre Maßlosigkeit und Unvernunft die Welt fast ...

Zum Inhalt:
Eine künstliche Intelligenz mit Namen „Askit“ beherrscht die Erde im Jahr 2191. Natürlich nur zu derem Besten, den die Menschheit hat durch ihre Maßlosigkeit und Unvernunft die Welt fast unbewohnbar gemacht, Seuchen und Kriege taten ihr Übriges. Eine Gruppe von Auserwählten, die Reinsten, führen die Belange im Sinne Askits. Doch dann werden die besten des Jahrgangs plötzlich ausgestoßen und müssen ergründen, warum sie in Ungnade gefallen sind. Oder ist alles nur ein genialer Schachzug?

Mein Eindruck:
So klinisch wie die Lebenswirklichkeit der Reinsten ist der Stil Hansens und so bleibt man bei allen Katastrophen, Kämpfen und Schreckensszenarien trotz aller Hitze im Außenbereich unterkühlt. Dazu hat er seinen Figuren oftmals fantastische Namen verpasst, die das Lesen zusätzlich erschweren. Es ist sehr schade, dass ein objektiv absolut wichtiges Thema subjektiv so wenig verstanden und emotional verarbeitet wird, weil Thore D. Hansens Ideen zur Zukunft des Umweltschutzes und der künstlichen Intelligenz wichtig sind und schon in heutiger Zeit Gehör finden sollten. Aber so entwickelt sich ein Roman, den man gerne furchtbar gut finden möchte, weil man intelligent ist, die Intention des Autors versteht und eine fiktionale Geschichte manchmal eher gelesen wird als ein Sachbuch. Doch weil er sich in nur halbgaren Beschreibungen der Vergangenheit verliert (auf die seine Charaktere und Askit immer wieder Bezug nehmen) und Emotionen nur in Form von Wut und Beeinflussung auftreten, bleibt die Geschichte fern und zum Schluss verweht sie irgendwo im Nirgendwo. Das hat der kluge Ansatz eigentlich nicht verdient, aber so wie man als Leser die Vergangenheit nicht verstehen kann, bleibt auch die Zukunft nebulös.
Ein Aspekt macht jedoch richtig Spaß im Ernst: Dass ein Wesen, welches „frag es“ heißt, einfach nicht antwortet, wenn man Antworten am nötigsten hat. Soll noch einer sagen, künstliche Intelligenz hätte nicht manchmal menschliche Anwandlungen. Möglicherweise hatten die Programmierer im Jahr 2040 doch einen gewissen Humor.

Mein Fazit:
Staubtrocken bei aller Brisanz