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Veröffentlicht am 18.05.2023

Ein Leben in leiser Würde

Maud Martha
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Chicago in den 1940er- und 1950er-Jahren: Maud Martha Brown wächst in bescheidenen, aber behüteten Verhältnissen auf. Als Heranwachsende träumt sie von Wohlstand, fremden Großstädten und der großen Liebe. ...

Chicago in den 1940er- und 1950er-Jahren: Maud Martha Brown wächst in bescheidenen, aber behüteten Verhältnissen auf. Als Heranwachsende träumt sie von Wohlstand, fremden Großstädten und der großen Liebe. Doch ganz so gut meint es das Leben nicht mit ihr. Trotz aller Widrigkeiten und Hindernisse ist sie stets darauf bedacht, ihre Würde zu behalten.

„Maud Martha“ ist der einzige Roman der verstorbenen Autorin Gwendolyn Brooks, der bereits im Jahr 1953 entstanden und nun erstmals auf Deutsch erschienen ist.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus 34 kurzen Episoden. Er spielt in Chicago und begleitet Maud Martha von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter, mit Unterbrechungen in Form von kleineren und größeren Zeitsprüngen. Erzählt wird aus einer personalen Perspektive aus der Sicht der Protagonistin.

Die Sprache hat mich begeistert und schnell für den Roman eingenommen. Sie ist atmosphärisch und bildstark. Die Autorin beweist mit diesem Werk, dass sie mit nur wenigen Wörtern und Sätzen, sehr viel transportieren konnte. Der Stil ist zugleich reduziert und dennoch poetisch. Nur die Übersetzung von Andrea Ott weist kleinere Schwächen auf.

Wie der Titel richtigerweise vermuten lässt, steht die Figur Maud Martha im Vordergrund des Romans. Sie wird realitätsnah und mit psychologische Tiefe dargestellt. Beim Lesen kommt man der Figur nahe. Weil die Protagonistin Gemeinsamkeiten mit der Autorin aufweist, ist davon auszugehen, dass autobiografische Elemente eingearbeitet sind.

Inhaltlich ist der Roman ein Porträt einer jungen Schwarzen und gleichzeitig eine Art Gesellschaftsstudie, denn die Biografie Maud Marthas zeigt exemplarisch, wie es ist, als nicht-privilegierte Person in dieser Zeit zu leben. Einerseits nehmen der Rassismus und seine Folgen breiten Raum ein. Andererseits wird die Protagonistin nicht nur wegen ihrer Hautfarbe, sondern auch wegen ihres Geschlechts, ihres Aussehens insgesamt und ihrer gesellschaftlichen Stellung diskriminiert und abgewertet. Vor allem Situationen, in denen diese Aspekte zutage treten, werden schlaglichtartig beleuchtet. Diese Szenen sind es, die mich am meisten berührt und gedanklich beschäftigt haben. Betroffen macht die Feststellung, dass sich so manche Begebenheit auch in der heutigen Zeit so ereignet haben könnte. Obwohl die Erfahrungen sehr persönlich sind, sind sie zum Teil eben zugleich universell, was dem Roman auch in der Gegenwart Bedeutung verleiht.

Auf den knapp 140 Seiten werden die Erlebnisse verdichtet und aufs Wesentliche beschränkt. Einen klassischen Spannungsbogen und größere Überraschungen gibt es nicht. Dies tut dem Lesevergnügen jedoch keinerlei Abbruch.

Als gelungen empfinde ich auch das Nachwort von Daniel Schreiber („Eine Ballade gelebten Lebens“). Er ordnet den Roman ins Gesamtwerk von Gwendolyn Brooks ein, skizziert die Biografie der Autorin und legt ihr Anliegen dar.

Die unaufdringliche, aber ansprechende, zeitgemäße und durchdachte Aufmachung des Hardcovers passt sehr gut. Erfreulicherweise hat der Manesse-Verlag beim deutschen Titel auf Experimente verzichtet und sich am Original orientiert.

Mein Fazit:
Mit „Maud Martha“ hat Gwendolyn Brooks ein sprachlich beeindruckendes und inhaltlich intensives Leseerlebnis geschaffen. Ein Roman, der an Relevanz leider nicht eingebüßt hat und daher uneingeschränkt empfehlenswert ist.

Veröffentlicht am 14.04.2023

Wenn eine Mädchenleiche eine Kleinstadt beschäftigt

Dinge, die wir brennen sahen
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Die australische Kleinstadt Durton im Jahr 2001: Erst ist die zwölfjährige Esther Bianchi plötzlich verschwunden, dann wird ihre Leiche gefunden. Was ist passiert? Und wer hat etwas mit dem Tod des Mädchens ...

Die australische Kleinstadt Durton im Jahr 2001: Erst ist die zwölfjährige Esther Bianchi plötzlich verschwunden, dann wird ihre Leiche gefunden. Was ist passiert? Und wer hat etwas mit dem Tod des Mädchens zu tun? Schnell werden Verdächtigungen angestellt.

„Dinge, die wir brennen sahen“ ist der Debütroman von Hayley Scrivenor.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus 38 Kapiteln. Fünf verschiedene Erzählperspektiven wechseln sich ab. Die Handlung spielt vorwiegend im November und Dezember 2001, wobei nicht streng chronologisch erzählt wird. Dennoch lässt sich das Ganze auch dank der Angaben zu Beginn der Kapitel gut nachverfolgen.

Der Schreibstil ist schnörkellos und unauffällig, aber anschaulich und atmosphärisch. Stellenweise dominieren Dialoge. Die Übersetzung von Andrea O‘Brien wirkt rund.

Die Figuren sind interessant gestaltet und machen größtenteils einen realitätsnahen Eindruck. Die Charaktere sind nicht komplett durchschaubar. Dennoch kommt man ihnen nahe.

Inhaltlich geht es einerseits um die Hintergründe von Esthers Tod und andererseits um Dynamiken in einer Kleinstadt. Der Roman enthält nicht nur Krimi- beziehungsweise Thrillerelemente, sondern ist auch eine Gesellschaftsstudie. Zugleich ist die Geschichte emotional bewegend und regt zum Nachdenken an.

Auf den rund 350 Seiten bleibt die Story lange undurchsichtig, unterhaltsam und fesselnd. Die Auflösung ist schlüssig und hat mich überzeugt.

Der englischsprachige Originaltitel („Dirt Town“) geht in eine andere Richtung, ist aber nicht mehr oder weniger passend als der deutsche Titel. Das stimmungsvolle, modern anmutende Cover ist ebenfalls stimmig.

Mein Fazit:
Mit „Dinge, die wir brennen sahen“ ist Hayley Scrivenor ein spannender Roman gelungen, der sich positiv von 08/15-Krimis abhebt. Eine ungewöhnliche und eindrückliche Lektüre.

  • Einzelne Kategorien
  • Handlung
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Cover
  • Spannung
Veröffentlicht am 16.03.2023

Wenn dich die Vergangenheit nicht loslässt

Liebewesen
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Ihre Mitbewohnerin Mariam hat es sich zur Aufgabe gemacht, Lio zu verkuppeln. Tatsächlich lernt die junge Biologin über eine Dating-App den Radiomoderator Max kennen. Sie gehen eine Beziehung ein, ziehen ...

Ihre Mitbewohnerin Mariam hat es sich zur Aufgabe gemacht, Lio zu verkuppeln. Tatsächlich lernt die junge Biologin über eine Dating-App den Radiomoderator Max kennen. Sie gehen eine Beziehung ein, ziehen sogar zusammen. Doch beide haben psychische Probleme, die nicht behandelt werden. Und dann wird Lio ungewollt schwanger…

„Liebewesen“ ist der Debütroman von Caroline Schmitt.

Meine Meinung:
Der Aufbau ist schlüssig und funktioniert prima. Der Roman umfasst 30 kurze Kapitel, wobei sich diese auf zwei Teile erstrecken. Die Handlung bezieht sich auf einen Zeitraum von etwa drei Jahren. Es gibt zwischendurch jedoch einen großen Zeitsprung. Vor allem in der ersten Hälfte sind einige Rückblenden zu finden. Erzählt wird in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Lio.

Die Sprache des Romans hat mich komplett überzeugt. Sie ist bildstark, eindringlich und sehr direkt, aber weder vulgär noch blumig. Der Schreibstil ist modern, ein wenig lakonisch und kreativ, jedoch nicht zu experimentell oder gar gewöhnungsbedürftig. Vor allem in den Dialogen und in Lios Gedanken blitzt immer wieder Wortwitz hervor. Die Beschreibungen sind auf den Punkt, manchmal schonungslos. Die Autorin versteht es, in ihrer teils verdichteten Erzählweise mit wenigen Sätzen viel Inhalt und Stimmung zu vermitteln.

Die Figuren wirken außerordentlich authentisch und sind psychologisch sorgfältig ausgestaltet. Obwohl Protagonistin Lio keine klassische Sympathieträgerin ist, lassen sich ihre Gedanken und Emotionen wunderbar nachvollziehen. Man kommt ihr sehr nahe und entwickelt Verständnis für ihr Verhalten. Auch Max ist kein ganz einfacher Charakter, wird aber lebensnah und glaubhaft dargestellt.

Inhaltlich ist die Geschichte erschütternd und aufwühlend. Es geht um weit mehr als eine ungewollte Schwangerschaft. Das Thema Liebe spielt durchaus eine Rolle, allerdings keine zentrale. Die Beziehung zwischen Lio und Max fördert mehrere Traumata zutage, die ich an dieser Stelle nicht vorwegnehmen möchte. Eindrücklich wird geschildert, wie sich Erfahrungen aus der Kindheit und Jugend bis ins Erwachsenenalter auswirken, welche Folgen das Aufwachsen in dysfunktionalen Familien hat und wie sich erlebte Strukturen fortsetzen können. Mich hat die Geschichte sehr bewegt.

Einen klassischen Spannungsbogen gibt es nicht. Dennoch hat der Roman auf mich einen großen Lesesog ausgeübt. Die Geschichte ist keineswegs durchsichtig, sondern bietet immer wieder überraschende Enthüllungen und Entwicklungen.

Das Cover, das ein Kunstwerk abbildet, erregt Aufmerksamkeit. Es gefällt mir optisch, passt thematisch aber höchstens im übertragenen Sinn. Ganz glücklich bin ich damit daher nicht. Auch der Titel und das Marketing sind meiner Ansicht nach etwas irreführend und damit nicht optimal. Darüber kann ich jedoch hinwegsehen.

Mein Fazit:
Mit „Liebewesen“ ist Caroline Schmitt ein beeindruckendes und ergreifendes Debüt gelungen, das ich wärmstens empfehlen kann. Ein inhaltlich wie sprachlich starker Roman, der auf weitere Werke hoffen lässt und schon jetzt zu meinen Lesehighlights 2023 zählt.

Veröffentlicht am 23.02.2023

Gefährliche Männlichkeit

Young Mungo
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Die Stadt Glasgow in den 1990er-Jahren: Der protestantische Mungo Hamilton und der katholische James werden in zwei unterschiedlichen Welten geboren. Beide eint jedoch ein soziales Umfeld, das ihnen übertriebene ...

Die Stadt Glasgow in den 1990er-Jahren: Der protestantische Mungo Hamilton und der katholische James werden in zwei unterschiedlichen Welten geboren. Beide eint jedoch ein soziales Umfeld, das ihnen übertriebene Männlichkeit abverlangt. Eigentlich sollten sie sich als Feinde fühlen. Doch sie werden Freunde…

„Young Mungo“ ist ein Roman von Douglas Stuart.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus 28 Kapiteln und zwei Teilen, wobei der erste davon recht kurz ist. Erzählt wird auf zwei Ebenen.

Der Schreibstil ist atmosphärisch, eindringlich und bildstark. In sprachlicher Hinsicht fällt auf, dass es immer wieder dialektale Einschübe aus dem Schottischen gibt. Das trägt nicht zur besseren Lesbarkeit bei, macht die Geschichte aber authentisch.

Die Figuren sind mit psychologischer Tiefe ausgestattet. Sie wirken realitätsnah. Im Mittelpunkt steht Mungo, ein vielschichtiger und sympathischer Charakter.

Mit seinem Debüt „Shuggie Bain“ hat der neue Roman von Douglas Stuart eine Gemeinsamkeit: Er liefert eine umfassende und anschauliche Sozialstudie und schafft es, über einzelne Schicksale hinweg, gesellschaftliche und politische Umstände aufzuzeigen. Die Probleme, die in der Geschichte auftauchen, wiederholen sich zum Teil: beispielsweise Armut und Alkoholismus. Die wiederkehrenden Motive haben mich jedoch keineswegs gelangweilt. Sie werden durch weitere Themen ergänzt, allen voran der Schwerpunkt Homophobie.

Trotz der knapp 400 Seiten bleibt die Lektüre kurzweilig und fesselnd. Dramatische Sequenzen werden gut dosiert eingefügt. Anders als bei Stuarts Debüt hat mich die Geschichte um Mungo zwar ebenfalls bewegt, allerdings emotional weniger stark mitgenommen.

Die Ästhetik des deutschen Covers, insbesondere die Farbwahl, sagt mir leider nicht zu. Das Motiv ist dennoch sehr passend. Der Titel wurde wörtlich aus dem englischsprachigen Original übernommen. Er könnte allerdings falsche Assoziationen wecken.

Mein Fazit:
Auch mit „Young Mungo“ ist Douglas Stuart ein lesenswerter und beeindruckender Roman gelungen.

Veröffentlicht am 19.02.2023

Ansprüche auf die englische Krone

Der eiserne Herzog
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Europa im 11. Jahrhundert: Guilhem, der Herzog der Normandie, hatte es als Halbwaise nicht leicht, sich zu behaupten. Nachdem er erfolgreich um Matilda, die Tochter des Grafen von Flandern, geworben hat, ...

Europa im 11. Jahrhundert: Guilhem, der Herzog der Normandie, hatte es als Halbwaise nicht leicht, sich zu behaupten. Nachdem er erfolgreich um Matilda, die Tochter des Grafen von Flandern, geworben hat, erwartet ihn die nächste Herausforderung: Der englische König, sein Onkel, erklärt ihn zum Thronerben. Darauf hat es allerdings auch Harold Godwinson, ein mächtiger Gegner, abgesehen…

„Der eiserne Herzog“ ist ein historischer Roman von Ulf Schiewe.

Meine Meinung:
Der Roman ist in drei Bücher unterteilt, wobei diese wiederum aus mehreren Kapiteln bestehen. Vorangestellt sind eine Liste alter Ortsnamen und deren heutiger Entsprechung sowie eine umfangreiche Personenübersicht, die historische Persönlichkeiten als solche ausweist. Zwei sehr hilfreiche Extras.

Die Handlung beginnt im Jahr 1049 und reicht bis ins Jahr 1066. Sie spielt an wechselnden Orten, vor allem in Frankreich, England und Belgien. Orts- und Zeitangaben zu Beginn der Kapitel erleichtern die Orientierung. Auch die optisch ansprechende Landkarte in den Innenklappen unterstützt das Verständnis.

In sprachlicher Hinsicht ist der Roman nicht zu modern und dennoch anschaulich. Lediglich die historisch bedingte Ähnlichkeit von Namen ist am Anfang etwas verwirrend. Der Schreibstil ist ausreichend detailliert und bildhaft. Auf ausufernde Gewaltdarstellungen wird erfreulicherweise jedoch verzichtet.

Im Vordergrund stehen Guilhem und sein Widersacher Harold. Obwohl die Quellenlage zu beiden Charakteren nicht sehr üppig ist, hat es der Autor geschafft, seine Protagonisten mit psychologischer Tiefe auszugestalten und glaubhaft darzustellen. So entsteht der Eindruck, dass die zwei Männer tatsächlich so gewesen sein könnten. Positiv fällt zudem auf, dass auch Frauenfiguren, frei von Klischees, zentrale Rollen im Roman spielen.

Inhaltlich geht es um die Schlacht bei Hastings und deren Vorgeschichte. Die „Anmerkungen des Autors“ belegen die fundierte und ausführliche Recherche und trennen Tatsachen von Fiktivem. Dem Schriftsteller gelingt es auf unterhaltsame wie interessante Weise, historische Entwicklungen und Ereignisse eindrucksvoll zu schildern. Auch ohne jegliche Vorkenntnisse wird Geschichte somit verständlich und wieder erfahrbar.

Auf den mehr als 500 Seiten bleibt die Handlung kurzweilig und abwechslungsreich. Die Spannung steigert sich - fast kontinuierlich - bis zum berühmten Kampf.

Das Cover eignet sich thematisch gut und gefällt mir optisch. Der prägnante Titel passt meines Erachtens ebenfalls sehr gut.

Mein Fazit:
Mit „Der eiserne Herzog“ ist Ulf Schiewe erneut ein historischer Roman gelungen, den ich uneingeschränkt empfehlen kann.