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Veröffentlicht am 02.10.2025

Schuld und Schweigen im Sumpfland

Unsere letzten wilden Tage
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Jacknife am Atchafalaya-Becken im US-Bundesstaat Louisiana: Die Journalistin Loyal May hat ihre beste Freundin Cutter Labasque verloren. Doch nach dem Fund der Leiche im matschigen Sumpf scheint sich niemand ...

Jacknife am Atchafalaya-Becken im US-Bundesstaat Louisiana: Die Journalistin Loyal May hat ihre beste Freundin Cutter Labasque verloren. Doch nach dem Fund der Leiche im matschigen Sumpf scheint sich niemand sonst um die Aufklärung der Sache zu scheren. Der Tod der Außenseiterin wird als Suizid abgetan. Doch Loyal glaubt nicht daran. Sie stößt bei ihrer Suche nach Antworten auf ein Netz aus Schweigen, Lügen und Schuld…

„Unsere letzten wilden Tage“ ist ein literarischer Spannungsroman von Anna Bailey.

Die Geschichte besteht aus 46 Kapiteln, die von einem Prolog eingeleitet werden. Erzählt wird im Präsens aus der Perspektive von Loyal, aber auch denen weiterer Personen, wobei es immer wieder zeitliche Sprünge gibt. Obwohl die Struktur des Romans durchaus komplex ist, lässt sich die Geschichte sehr gut nachverfolgen.

Der Schreibstil ist sehr atmosphärisch und bildstark. Besonders die Naturbeschreibungen sind eindrucksvoll. Die Dialoge, teilweise der Gegend entsprechend etwas vulgär, wirken authentisch.

Die Figuren machen ebenfalls einen lebensnahen Eindruck. Loyal ist eine interessante und glaubhafte Protagonistin. Sie wird mit psychologischer Tiefe dargestellt. Aber auch die anderen Charaktere sind nicht zu stereotyp geraten.

Wie schon beim Debütroman von Anna Bailey liegt ein Schwerpunkt auf Gewalt gegenüber Frauen. Auch darüber hinaus ist der Inhalt recht düster. Es geht um Armut, um Perspektivlosigkeit, um Korruption und dergleichen mehr.

Auf den etwa 38 Seiten ist das Erzähltempo zwar nicht zwar schnell. Die Handlung kommt nur langsam voran. Dennoch erzeugt die Geschichte einen Lesesog, denn sie bleibt durchgängig spannend und ausreichend undurchsichtig.

Das hübsche, recht harmonische Covermotiv ist ein wenig irreführend, denn es lässt eher auf ein anderes Genre schließen. Der deutsche Titel ist wortgetreu aus englischsprachigen Original übersetzt und passt zum Inhalt.

Mein Fazit:
„Unsere letzten wilden Tage“ von Anna Bailey ist ein gelungener Roman, der mehr als nur einen rätselhaften Todesfall behandelt. Eine vielschichtige und definitiv lesenswerte Geschichte, die sowohl inhaltlich als auch sprachlich überzeugen kann.

Veröffentlicht am 28.09.2025

Die Wichtigkeit von Nichts

Dr. No
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Wala Kitu, der eigentlich Ralph Townsend heißt, ist Mathematiker und Professor an der Brown University in Providence (USA). Er hat sich auf das Nichts spezialisiert. Der Wissenschaftler ist Mitte 30, als ...

Wala Kitu, der eigentlich Ralph Townsend heißt, ist Mathematiker und Professor an der Brown University in Providence (USA). Er hat sich auf das Nichts spezialisiert. Der Wissenschaftler ist Mitte 30, als John Milton Bradley Sill, ein Multimilliardär, auf ihn aufmerksam wird. Der reiche Schurke macht ihm ein unmoralisches Angebot, das der Experte kaum ablehnen kann. Sill hat es auf den Goldspeicher in Fort Knox abgesehen, genauer gesagt: auf das Nichts, das er im großen Tresorraum vermutet. Aber wie schafft man dieses fort? Bei dieser und anderen Fragen soll ihm Wala Kitu für drei Millionen Dollar behilflich sein…

„Dr. No“ ist ein Roman von Percival Everett.

Der Roman ist eher kleinteilig aufgebaut. Erzählt wird in elf Teilen, die jeweils aus mehreren Kapiteln bestehen, in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Wala.

In sprachlicher Hinsicht sind vor allem die lustigen, exzessiv genutzten Wortspielereien auffällig. Das betrifft in erster Linie das Wort „nichts“. Aber auch eine Menge sprechender Namen, Mehrdeutigkeiten, Metaphorik und Symbolik steckt in dem herausfordernden Text, übersetzt von Nikolaus Stingl. Dabei wechselt der Roman zwischen flotten, umgangssprachlichen Dialogen und Gedankengängen im Fachjargon.

Auf den nur wenig mehr als 300 Seiten mutet die Handlung teilweise etwas nach Klamauk an. Nicht alle Szenen und Wendungen wirken realistisch, vieles hat sogar skurrile oder absurde Züge. Die Figuren sind recht schräg und überspitzt dargestellt. Das liegt auch daran, dass die Geschichte als eine Satire oder Persiflage auf die James-Bond-Filme zu lesen ist. Das lässt bereits der trefflich gewählte Titel erahnen, der 1:1 aus dem englischsprachigen Original übernommen wurde. Auch zu weiteren Filmen gibt es Referenzen.

Dennoch hält der Roman einige ernste Themen bereit. Insbesondere nehmen philosophische Gedanken und mathematische Exkurse viel Raum in der Geschichte ein, allen voran das Nichts. Obwohl nicht alle theoretischen Ausführungen für Laien in Gänze nachvollziehbar sind oder zum Teil sogar verwirren, haben mich diese Passagen nur geringfügig gestört.

Darüber hinaus enthält die Geschichte immer wieder Verweise auf bedenkliche Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit: Verschwörungstheorien, Machtmissbrauch, das Erstarken rechter, radikaler und faschistischer Ideologien, die Auflösung der Gewaltenteilung und ähnliche politische Tendenzen. Darin fügt sich eine latente Kapitalismuskritik ein. Zudem ist ein weiterer Aspekt früherer Romane auch in dieser Geschichte zu finden: der Alltagsrassismus gegenüber der schwarzen Bevölkerung, der hier erneut pointiert geschildert und angeprangert wird.

Mein Fazit:
Wie bei „Die Bäume“ ist Percival Everett eine ungewöhnliche, verrückte Geschichte gelungen, die von Wortwitz, absurden Szenen, einer speziellen Komik, aber auch gesellschaftskritischen Elementen geprägt ist. Mit „Dr. No“ hat mich der Autor wieder einmal auf intelligente Art sehr gut unterhalten und zugleich überraschen können. Definitiv lesenswert!

Veröffentlicht am 10.09.2025

Puzzleteile aus Erinnerungen

Onigiri
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Ihre Großmutter Yasuko ist 102 Jahre alt geworden, bevor sie starb. Doch weder Aki noch ihre Mutter Keiko haben sie in deren letzten Jahren gesehen. Die Nachricht vom Tod Yasukos bringt Aki auf eine Idee. ...

Ihre Großmutter Yasuko ist 102 Jahre alt geworden, bevor sie starb. Doch weder Aki noch ihre Mutter Keiko haben sie in deren letzten Jahren gesehen. Die Nachricht vom Tod Yasukos bringt Aki auf eine Idee. Die Ehefrau und dreifache Mutter möchte es der dementen Keiko ermöglichen, noch einmal in deren alte Heimat Japan zu reisen. Das weckt viele alte Erinnerungen.

„Onigiri“ ist der Debütroman von Yuko Kuhn.

Erzählt wird die Geschichte in zwölf Kapiteln im Präsens und in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Aki. Dabei gibt es zwei Stränge: zum einen die gegenwärtigen Ereignisse rund um die Reise nach Japan, zum anderen die Rückblicke auf Akis Kindheit und Jugend. So umspannt die Geschichte mehrere Jahrzehnte.

Zwei Frauen sind die Protagonistinnen des Romans: Aki und Keiko, psychologisch sauber ausgearbeitete Charaktere, die mit ihren Fehlern und Schwächen sehr realitätsnah erscheinen. Vor allem Akis Gedanken und Gefühle sind gut greifbar. Auch ihre Entwicklung im Laufe der Zeit wirkt schlüssig und nachvollziehbar. Dennoch blieben mir die Figuren immer noch ein Stück weit fremd.

Das Thema Familie nimmt breiten Raum in der Geschichte ein. Es geht um familiäre Dynamiken und Verhältnisse, insbesondere um die Beziehung zwischen Töchtern und ihren Müttern. Ein weiterer Schwerpunkt ist das Leben und Aufwachsen zwischen verschiedenen Kulturen und Identitäten. Die innerliche Zerrissenheit zeigt sich vor allem bei Keiko. Aber auch Aki sitzt zwischen den Stühlen, was ihr als Kind und Jugendliche besonders zu schaffen macht. Glaubwürdig werden außerdem die Demenz und ihr Fortschreiten geschildert, das dritte große Thema. Das alles macht die nur 200 Seiten umfassende Lektüre überraschend facettenreich.

Auf unterhaltsame Weise liefert die Geschichte immer wieder kleine Einblicke in die japanische Kultur. Hier und da werden japanische Wörter und Namen eingestreut, die im Glossar erklärt werden.

Dass der Roman autobiografische Züge erhält, ist ihm an mehreren Stellen anzumerken. Er wirkt authentisch, klischeefrei und ungeschönt. Der sprunghafte, oft abrupte Wechsel zwischen einzelnen Erinnerungsfragmenten hat meinen Lesefluss allerdings immer wieder unterbrochen.

Der Titel des Romans bezieht sich auf die japanischen Reisbällchen, die die Protagonistin sehr gerne isst, ihr Soulfood. Sie sind zugleich eine Metapher und auf dem Cover auf künstlerisch ansprechende Weise abgebildet, sodass beides gut miteinander und mit der Geschichte harmoniert.

Mein Fazit:
Mit „Onigiri“ ist Yuko Kuhn ein vielschichtiges und glaubhaftes Debüt gelungen.

Veröffentlicht am 05.09.2025

Auf der Suche mit Eichhörnchen und Vogel

Wo ist der Blätterdieb?
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Nanu, wo ist das Laub hin? Eichhörnchen ist ratlos. Zusammen mit Vogel sucht es nach dem Blätterdieb. Wo kann er nur sein? Hinter dem Vogelhäuschen, dem Stein oder dem Busch?

„Wo ist der Blätterdieb?“ ...

Nanu, wo ist das Laub hin? Eichhörnchen ist ratlos. Zusammen mit Vogel sucht es nach dem Blätterdieb. Wo kann er nur sein? Hinter dem Vogelhäuschen, dem Stein oder dem Busch?

„Wo ist der Blätterdieb?“ ist ein Pappbilderbuch für Kleinkinder ab zwei Jahren.

Auf fünf Doppelseiten wird die kurze Such- und Findegeschichte erzählt. Jeweils auf der rechten Seite befindet sich eine große und stabile Filzklappe. Die hübschen Klappen sind mit unterschiedlichen intensiven Farben und verschiedenen Formen versehen. Das eignet sich hervorragend für die Zielgruppe.

Die modernen Illustrationen von Nicola Slater sind wunderbar bunt, aber den tatsächlichen Farben der Natur nachempfunden. Die Bilder sind detailliert, jedoch nicht zu kleinteilig oder überladen, was absolut altersgemäß ist.

Wie schon bei der Bilderbuchreihe für ältere Kinder beschränkt sich der Text von Alice Hemming auf Dialoge. Sie sind kurz und dank des kindgerechten Vokabulars leicht verständlich.

Die bekannten Protagonisten der Blätterdieb-Reihe tauchen auch in diesem Pappbilderbuch auf. Die Charaktere wirken niedlich und sympathisch. Ein Pluspunkt ist für mich, dass die Tiere keine komplizierten Namen haben, sondern einfach nach ihrer Art benannt sind. Das macht es für die kleinen Zuhörer beim Vorlesen eingängiger.

Mit den versteckten Motiven hinter den Klappen sorgt das Buch für Überraschungsmomente. Zwar ist die Kombination von Filzklappen und einer Suchgeschichte keineswegs einzigartig. Die Umsetzung des bewährten Konzepts ist hier allerdings sehr gelungen. Auf unterhaltsame Art lernen Kleinkinder dabei einige tierische Waldbewohner kennen. Zudem bietet die Geschichte einen Anlass, den Jahreszeitenwechsel und insbesondere den Herbst zu thematisieren. So kann die Blätterdieb-Geschichte schon die Jüngsten erreichen.

Mein Fazit:
„Wo ist der Blätterdieb?“ ist ein schöner Einstieg in die Blätterdieb-Reihe für die Kleinsten und lässt sich auch ohne Vorwissen prima nachvollziehen. Definitiv empfehlenswert!

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Veröffentlicht am 03.09.2025

Pumpen, pushen, posen

Gym
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Sie braucht den Job im „Mega Gym“ dringend, will es ihrer Bewährungshelferin beweisen. Und lügt nicht jeder einmal im Vorstellungsgespräch? Um ihren Erdnussflipbauch und ihr unsportliches Aussehen zu rechtfertigen, ...

Sie braucht den Job im „Mega Gym“ dringend, will es ihrer Bewährungshelferin beweisen. Und lügt nicht jeder einmal im Vorstellungsgespräch? Um ihren Erdnussflipbauch und ihr unsportliches Aussehen zu rechtfertigen, behauptet sie gegenüber Ferhat, dem Betreiber des Fitnessstudios, dass sie erst vor Kurzem entbunden habe. Doch nicht nur das wird ihr zum Verhängnis…

„Gym“ ist ein Roman von Verena Keßler.

Der Roman ist stark strukturiert: Er besteht aus drei Teilen, die jeweils mit einem Prolog eingeleitet werden und insgesamt fast 40 Kapitel umfassen. Erzählt wird in der Ich-Perspektive aus der Sicht der namenlosen Protagonistin.

Die Sprache ist ungekünstelt, bisweilen reduziert, aber anschaulich, atmosphärisch, bildstark und keineswegs platt. Die flotten, umgangssprachlichen Dialoge wirken authentisch.

Die Protagonistin wird interessant und mit psychologischer Tiefe dargestellt. Dass sie ihre Fehler und Schwächen hat und wahrlich nicht perfekt ist, wird bereits auf den ersten Seiten ersichtlich. Dennoch oder gerade deswegen ist sie für mich ein reizvoller Charakter.

Der Roman vereint viele Themen. Es geht einerseits um Mutterschaft, Misogynie und andere feministische Aspekte. Andererseits übt die Geschichte Kritik am Selbstoptimierungswahn, Leistungsdruck, ungesunden Obsessionen, den Auswüchsen und Absurditäten des Fitnesskults, der permanenten Selbstdarstellung, Scheinwelten, der zelebrierten Oberflächlichkeit und ähnlichen Problemen. Das macht den Roman sehr facettenreich.

Auf weniger als 200 Seiten ist die Geschichte nicht nur inhaltlich vielseitig und dicht, sondern auch unterhaltsam. Zudem konnte sie mich mit einer unerwarteten Wendung überraschen.

Das ungewöhnliche Covermotiv weckt Aufmerksamkeit und passt hervorragend zum Inhalt. Auch der knappe, prägnante Titel sticht hervor und harmoniert mit der Geschichte.

Mein Fazit:
Nach „Eva“ ist Verena Keßler erneut ein wichtiger, erhellender und kurzweiliger Roman gelungen, den ich gerne weiterempfehlen kann. Mit „Gym“ hat sie einen ungewöhnlichen und in mehrfacher Hinsicht überzeugenden Text geschaffen. Ein Lesehighlight im Sommer 2025!