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Veröffentlicht am 29.08.2025

Wenn Bruno die Welt neu erfinden könnte

In meiner Welt
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Was wäre, wenn niemand mehr sterben müsste? Oder wenn man die Zeit anhalten könnte? Bruno wäre gerne Welterfinder und würde einiges anders machen. Das jedenfalls erzählt der Junge seinem Opa. Wie würde ...

Was wäre, wenn niemand mehr sterben müsste? Oder wenn man die Zeit anhalten könnte? Bruno wäre gerne Welterfinder und würde einiges anders machen. Das jedenfalls erzählt der Junge seinem Opa. Wie würde die Welt dann aussehen? Und: Kann es sein, dass vieles vielleicht doch gut so ist, wie es ist?

„In meiner Welt“ ist ein Bilderbuch von Sabine Bohlmann und Simona Ceccarelli, das sich an Kinder ab fünf Jahren richtet.

Die Geschichte wird auf zwölf Doppelseiten erzählt. Dabei begleiten wir Bruno und seinen Großvater auf dem Weg durch die Stadt. Das Ziel des Ausflugs, der Friedhof und insbesondere das Grab der Großmutter, offenbart sich erst zum Schluss.

Das Buch lädt zum Philosophieren über das Leben und den Tod ein. Es liefert Gesprächs- und Denkimpulse für die großen Themen. Wie würde eine bessere Welt aussehen? Die Geschichte zeigt Zusammenhänge auf und beantwortet unter anderem die Frage, warum Menschen sterben müssen. Das Thema Religion wird nur indirekt („Welterfinder“) angeschnitten, kann mithilfe des Bilderbuches jedoch ebenfalls thematisiert werden. Zudem bietet die Geschichte einen Anlass über Verlust, Trauer, aber auch Dankbarkeit zu reden. Dabei schafft sie es zu berühren.

Über Bruno, offenbar ein Erstklässler, und seinen namenlosen Großvater erfahren wir kaum etwas. Das schafft aber viel Identifikationspotenzial. Die beiden Protagonisten wirken sympathisch.

Der Text von Sabine Bohlmann ist ausschließlich in Dialogform formuliert. Er ist in altersgerechter Sprache und gut verständlich, für Kinder im Vorschulalter fast schon zu knapp.

Besonders gut gelungen sind die liebevollen, kreativen und detaillierten Zeichnungen von Simona Ceccarelli. Sie sind modern und bunt, aber nicht zu grell. Die Illustrationen bereichern das Buch außerordentlich, weil sie dem Inhalt auf zwei Ebenen Ausdruck verleihen: Zum einen wird in hellgelber Farbe verdeutlicht, wie die von Bruno vorgestellte Welt aussehen könnte. Zum anderen sind in die einzelnen Bilder auch metaphorische Elemente eingearbeitet, die zum jeweiligen Aspekt des geführten Dialogs passen.

Mein Fazit:
„In meiner Welt“ ist ein bewegendes, fantasievolles Bilderbuch, das schon kleinere Kinder zum Nachdenken und Philosophieren anregt. Empfehlenswert!

Veröffentlicht am 29.08.2025

Vom Leben und Überleben

Jenseits der See
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Es ist November an der Küste Mexikos: Bolivar, ein allein lebender Fischer, bricht zu einem Fang mit seinem Boot „Camille“ auf. Er braucht dringend Geld, deshalb ignoriert er alle Warnungen seiner Kollegen ...

Es ist November an der Küste Mexikos: Bolivar, ein allein lebender Fischer, bricht zu einem Fang mit seinem Boot „Camille“ auf. Er braucht dringend Geld, deshalb ignoriert er alle Warnungen seiner Kollegen vor dem aufkommenden Sturm. An Bord ist auch der junge, unerfahrene Hector, den er mit einer erklecklichen Summe zu der Ausfahrt überredet hat. Als der angekündigte Sturm die beiden Männer auf See erwischt, beginnt ein langer, dramatischer Überlebenskampf…

„Jenseits der See“ ist ein Roman von Paul Lynch, der im Original bereits 2019 erschienen ist.

Erzählt wird im Präsens und in chronologischer Reihenfolge in der personalen Perspektive, aus der Sicht von Bolivar. Die Handlung umfasst etliche Monate.

Der Roman beruht lose und in etwas verfremdeter Form auf wahren Begebenheiten. Inspiriert wurde der Autor von den Ereignissen um zwei reale mexikanische Fischer, die im November 2012 zu einer Hochseetour aufbrachen, in einen tagelangen Sturm gerieten und viele Monate auf dem Meer manövrierunfähig trieben.

Vordergründig geht es ums blanke Überleben nach einem Schiffbruch, um den Kampf gegen Hunger, Durst und die Elemente, also um die menschliche Existenz, um Leben und Tod. Darüber hinaus spielen weitere Themen wie Schuld, Verantwortung, Versagen und Versäumnisse eine wichtige Rolle. Auch dem Glauben wird viel Platz eingeräumt. Dabei geht es nicht nur um unterschiedliche Arten der Lebensführung, sondern auch den Sinn des Lebens. Diese großen Thematiken machen den Text einfühlsam, eindringlich und immer wieder philosophisch. Das Setting liefert somit sowohl Stoff für ein spannungsreiches Drama als auch für ein besonderes Kammerspiel.

Doch der Inhalt ist teilweise schwer erträglich, vor allem wenn es um die dargestellte Verschmutzung und Vermüllung der Weltmeere geht und um die Brutalitäten des Überlebenskampfes. Trotz der nur rund 180 Seiten ist der Roman nicht nur tiefgründig, sondern zugleich auch überraschend facettenreich.

Mit zunehmender körperlicher Schwäche verschwimmen die Grenzen zwischen Wahrheit und Trugbildern. Auch die symbolischen Anklänge lassen Spielraum für Interpretationen. Am Ende bleiben leider einige Details offen.

Die beiden Protagonisten wirken glaubwürdig und lebensnah. Ihre unterschiedlichen Charaktere bilden reizvolle Gegenstücke. Allerdings fiel es mir über weite Teile schwer, mit dem eher grobschlächtigen Bolivar mitzufühlen und ihn zu verstehen. Ihn habe ich als sexistischen, ungehobelten, verantwortungslosen und abstoßenden Anti-Helden empfunden, zu dem ich keinen Zugang finden konnte.

Eine große Stärke des Romans ist die Sprache. Der Text enthält ungewöhnliche Bilder und Metaphern, ist poetisch und atmosphärisch. Authentische Dialoge und eindrückliche Beschreibungen wechseln sich ab. Die Übersetzung von Eike Schönfeld ist angenehm unauffällig.

Das reduzierte, aber aussagekräftige und sehr passende Covermotiv ist äußerst gelungen. Gut gefallen hat mir auch, dass der durchaus mehrdeutige Titel des englischsprachigen Originals („Beyond The Sea“) wort- und sinngetreu ins Deutsche übertragen wurde.

Mein Fazit:
Mit „Jenseits der See“ hat mich Paul Lynch zwar weniger stark beeindruckt wie mit seinem späteren Roman „Das Lied des Propheten“, der mit dem Booker Prize 2023 ausgezeichnet worden ist. Dennoch ist auch seine etwas ältere Geschichte um Bolivar und Hector definitiv lesenswert.

Veröffentlicht am 25.08.2025

Die Rollen unseres Lebens

Die Probe
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In einem Restaurant in Manhattan (New York): Eine Schauspielerin (49) ist mit Xavier (25) zum Mittagessen verabredet. Sie steckt mitten in den Proben für ein Theaterstück, er hat sein Studium noch nicht ...

In einem Restaurant in Manhattan (New York): Eine Schauspielerin (49) ist mit Xavier (25) zum Mittagessen verabredet. Sie steckt mitten in den Proben für ein Theaterstück, er hat sein Studium noch nicht beendet und möchte praktische Erfahrungen sammeln. Da wird ein Verdacht geäußert: Könnte es sein, dass die beiden Mutter und Sohn sind?

„Die Probe“ ist ein Roman von Katie Kitamura, der für die Longlist des Booker-Preises 2025 nominiert ist.

Erzählt wird in 13 kurzen Kapiteln in der Ich-Perspektive aus der Sicht der namenlosen Schauspielerin. Dabei spaltet sich der Roman in zwei Teile, zwischen denen sich ein harter Bruch befindet. Eine überraschende wie kreative Struktur.

Der Text ist geprägt von einer klaren, nüchternen Sprache, aber atmosphärisch stark und wortgewandt. Der innere Monolog der Protagonistin wird immer wieder durch Dialoge ununterbrochen. Die Übersetzung von Henning Ahrens ist größtenteils unauffällig.

Auf den weniger als 180 Seiten ist der Text inhaltlich sehr dicht und facettenreich. Der Roman wirft Fragen von allgemeiner Gültigkeit auf: Was ist Realität und was ein Trugbild oder Einbildung? Wie passt unser Selbstbild mit der Wahrnehmung anderer zusammen? Kennen wir unsere Liebsten wirklich? Welche Dynamiken wirken in der Familie? Wie verändert Mutterschaft das Leben? Diese Gedanken schwirren der Protagonistin im Kopf herum.

Dabei greift die Autorin im wörtlichen wie auch im übertragenen Sinn auf die Analogie des Theaters zurück: Wir alle spielen, bewusst oder unbewusst, verschiedene Rollen auf der Bühne des Lebens.

Wie die namenlose Protagonistin bleiben die Leser mit einigen Fragen zurück, denn der Roman ist ein mehrfaches Vexierspiel und liefert viel Raum für Spekulation und Interpretation. Was ist wirklich passiert, was nur Show? Wie hängen die beiden Teile zusammen? In welcher Beziehung stehen die Figuren untereinander? Beim Lesen steigert sich die Verwirrung, verschwimmen die Grenzen zunehmend und schwinden die Gewissheiten. So entsteht ein komplexes Puzzle mit widersprüchlichen Teilen, das sich unmöglich komplett zusammensetzen lässt.

Schon von den ersten Seiten an strahlt die Geschichte eine Faszination aus und entwickelt einen Sog, dem ich mich nur schwer entziehen konnte. Tagelang hat mich der Roman intensiv beschäftigt, immer wieder Denkprozesse ausgelöst und nicht aus seinem Bann gelassen.

Das etwas mysteriöse Covermotiv harmoniert gut mit dem Inhalt. Der deutsche Titel ist nicht so passgenau wie das englischsprachige Original („Audition“), geht für mich aber ebenfalls in Ordnung.

Mein Fazit:
Nach „Intimitäten“ ist Katie Kitamura erneut ein ungewöhnlicher, anspruchsvoller und tiefschürfender Roman gelungen, der mich beeindruckt und auf allen Ebenen überzeugt hat. „Die Probe“ steht verdientermaßen auf der Booker-Liste. Ein Jahreshighlight 2025, das noch lange nachhallen wird.

Veröffentlicht am 12.08.2025

Elas weiterer Weg

Junge Frau mit Katze
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Ela ist ausgezogen und erwachsen geworden. Gerade befindet sie sich im Examensstress. Sie hat Angst zu versagen. Da beginnt ihr Körper zu rebellieren. Zwischen verschiedenen Arztterminen stürmen einige ...

Ela ist ausgezogen und erwachsen geworden. Gerade befindet sie sich im Examensstress. Sie hat Angst zu versagen. Da beginnt ihr Körper zu rebellieren. Zwischen verschiedenen Arztterminen stürmen einige Fragen auf sie ein…

„Junge Frau mit Katze“ ist ein Roman von Daniela Dröscher, der an „Lügen über meine Mutter“ anknüpft.

Die Geschichte wird in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Ela erzählt. Zwischen den insgesamt zwölf Kapiteln stehen Zitate der japanischen Schriftstellerin Yōko Tawada. Kreativ: Die Überschriften der Kapitel sind Titel von Büchern, die ebenfalls vom Körper erzählen oder in anderer Weise zu diesem Roman passen. In kurzen Zwischenkapiteln sind Erinnerungen und Reflexionen an ihre Mutter eingestreut.

Nur auf den ersten Blick wirkt die Sprache unspektakulär. Immer wieder finden sich besondere Bilder und Formulierungen. Der Text steckt voller klugen Gedanken und bleibt gleichzeitig leichtfüßig.

Zwar ist die Kenntnis von „Lügen über meine Mutter“ nicht zwingend erforderlich, um den Roman zu verstehen und genießen zu können. Dennoch ist es zu empfehlen, zunächst die frühere Geschichte zu lesen.

Während es im ersten Ela-Roman vor allem um Übergewicht, Bodyshaming und patriarchale Strukturen ging, spielt der Körper auch in dieser Geschichte eine zentrale Rolle. Gesundheitliche Probleme nehmen breiten Raum im Roman ein, sowohl in Form von physischen Symptomen als auch auf der mentalen Seite.

Auf der inhaltlichen Ebene werden erneut toxische Beziehungen innerhalb der Familie beleuchtet. Darüber hinaus sind die Themen Selbstfindung und Selbstermächtigung von großer Bedeutung. Auch diesmal werden Impulse zum Nachdenken geliefert. Bei diesem Roman hatte ich allerdings weniger Aha-Momente.

Auf den rund 300 Seiten hat die Autorin wiederum autobiografische Elemente mit Fiktion vermischt. Die Figuren sind wieder einmal glaubwürdig und lebensnah gestaltet. Die Geschichte habe ich stellenweise jedoch als zähflüssig und bisweilen sogar etwas redundant gefunden.

Das Covermotiv ist ebenso farbenfroh wie beim ersten Ela-Roman, jedoch weniger abstrakt und daher nach meiner Ansicht gelungener. Allerdings finde ich den Titel diesmal nicht so aussagekräftig und reizvoll.

Mein Fazit:
Mit „Junge Frau mit Katze“ konnte mich Daniela Dröscher nicht so überzeugen wie mit dem ersten Ela-Roman. Obwohl die Geschichte nicht an „Lügen über meine Mutter“ herankommt, habe ich auch dieses Buch gerne gelesen.

Veröffentlicht am 10.08.2025

Bevor die Dunkelheit alles verschlingt

Himmelerdenblau
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20 Jahre ist es her: Seit dem 7. September 2003 ist Julie Eileen Novak, damals 16 Jahre alt, verschwunden. Ihr Vater Theo (74), ein ehemaliger Chirurg, ist zwar mittlerweile dement, möchte aber immer noch ...

20 Jahre ist es her: Seit dem 7. September 2003 ist Julie Eileen Novak, damals 16 Jahre alt, verschwunden. Ihr Vater Theo (74), ein ehemaliger Chirurg, ist zwar mittlerweile dement, möchte aber immer noch nach ihr suchen. Da wird Liv Keller auf den Fall aufmerksam. Sie betreibt mit ihrem Partner Philipp Hendricks den Podcast „Two Crime“ und nimmt Kontakt zu Theo auf. Lässt sich das Verschwinden nach all den Jahren noch aufklären?

„Himmelerdenblau“ ist ein Thriller von Romy Hausmann.

Eingerahmt von einem Pro- und einem Epilog, besteht der Roman aus sechs längeren Kapiteln. Erzählt wird aus wechselnden Perspektiven aus der Sicht verschiedener Personen, wobei die Zuordnung klar ist.

Die Protagonisten sind reizvoll, recht verschieden und interessant ausgestaltet. Sie bleiben mal mehr, mal weniger undurchsichtig und verdächtig. Die Figuren lassen dadurch angenehm viel Raum für Spekulationen.

Vordergründig behandelt der Thriller einen ungelösten Vermisstenfall. Doch die Geschichte ist tiefgründiger: Es geht um menschliche Abgründe, um Liebe und Ängste.

Ein Schwerpunkt der Geschichte liegt zudem auf dem Thema Demenz. Dass es der Autorin bei diesem Element nicht um dramaturgische Effekte ging, sondern darum, die Krankheit auf authentische Weise ins Bewusstsein zu rücken, erläutert sie im Nachwort. Gut gefallen hat mir außerdem der (selbst-)kritische Blick auf die populär gewordenen True-Crime-Formate, mit denen sich die Schriftstellerin aufgrund eigener Erfahrungen sehr gut auskennt.

Auf den fast 450 Seiten verzichtet der Thriller auf blutige Szenen und übermäßige Dramatik, ist dabei dennoch spannend und überraschend. Die unerwarteten Wendungen und die Auflösung habe ich als schlüssig empfunden.

Auch in sprachlicher Hinsicht hat mich der Thriller überzeugt. Der Schreibstil ist sowohl anschaulich als auch atmosphärisch. Gesprächsprotokolle, Briefe, Mails und ähnliche Elemente machen ihn zudem in stilistischer Weise abwechslungsreich. Auch auf der sprachlichen Ebene ist es der Autorin wunderbar gelungen, die Auswirkungen der Demenz zu verdeutlichen, wenn zum Beispiel von „Koryglyphe“ statt „Koryphäe“ oder „Krittel“ statt „Kittel“ die Rede ist.

Trotz des Verlagswechsels wurde die bekannte Optik der bisherigen Hausmann-Thriller mit seinem hellen, reduzierten Design weitestgehend erhalten, sodass das neue Buch gut zu den früheren Werken passt. Auch der knappe, für das Genre ungewöhnliche Titel fügt sich prima ein und ist inhaltlich stimmig.

Mein Fazit:
Wieder einmal hat Romy Hausmann bewiesen, dass sie lesenswerte Thriller mit Tiefgang und hohem Unterhaltungswert schreiben kann. Wer bereits an ihren früheren Geschichten Freude hatte, wird auch von „Himmelerdenblau“ nicht enttäuscht. Große Empfehlung für alle Fans der Spannungsliteratur!