Zwei Brüder und viel Schmerz
AuēNachdem ihre Eltern verschwunden sind, will der bereits erwachsen gewordene Taukiri (Tauk) seinen jüngeren Bruder loswerden. Daher setzt er den achtjährigen Ārama (Ari) bei Tante Kat und Onkel Stu im Süden ...
Nachdem ihre Eltern verschwunden sind, will der bereits erwachsen gewordene Taukiri (Tauk) seinen jüngeren Bruder loswerden. Daher setzt er den achtjährigen Ārama (Ari) bei Tante Kat und Onkel Stu im Süden Neuseelands ab. Anschließend flieht er auf die Nordinsel. Doch er muss feststellen, dass er seine Sorgen und Probleme nicht hinter sich lassen kann. Auch sein kleiner Bruder muss vieles ertragen…
„Auē“ ist das literarische Debüt von Becky Manawatu.
Der Aufbau des Romans ist auf mehrfache Weise komplex und erschließt sich erst Stück für Stück. Erzählt wird im Wechsel aus der Perspektive von Taukiri, Ārama und weiteren Figuren. Unterschiedliche Zeitebenen und verschiedene Örtlichkeiten machen es zudem nicht leicht, sich in der Geschichte zu orientieren.
Auch die Charaktere und ihre Beziehungen zueinander sind zunächst undurchsichtig. Neben den beiden Brüdern, die klar im Zentrum des Romans stehen, geht es um weitere Mitglieder der Familie sowie einige Nebenfiguren. Dem Innenleben der Hauptcharaktere wird viel Raum gegeben, sodass die Personen sehr gut ausgearbeitet sind.
Der Inhalt des Romans ist auf rund 430 Seiten berührend und aufrüttelnd, allerdings durch die dargestellten Gewaltszenen und seine ernsten Themen schwer verdaulich. Es ist einerseits die Geschichte einer Familie, andererseits so viel mehr. Geheimnisse spielen eine zentrale Rolle. Vor allem aber geht es immer wieder um Schmerz und Verluste, um Schuld und Scham, um Einsamkeit und Verzweiflung.
In die Geschichte eingeflossen ist das äußerst traurige Schicksal eines Cousins der Autorin. Diese persönliche Komponente trägt vielleicht dazu bei, dass der Roman trotz aller Dramatik sehr authentisch wirkt.
Der Brutalität und der Gewalt steht die feinfühlige Sprache des Romans gegenüber. Mit seinen ungewöhnlichen Metaphern, den atmosphärischen Beschreibungen und den beinahe poetischen Untertönen hat mich die Autorin beeindruckt.
Der Text des Romans ist jedoch durchaus anspruchsvoll, was unter anderem mit der häufigen Verwendung von Wörtern und Formulierungen aus der Māori-Sprache zusammenhängt. Hilfreich beim Verständnis ist das hinten abgedruckte Glossar, das auch Hinweise zur Aussprache enthält. Dabei muss allerdings erwähnt werden, dass sich nicht alle Wörter ins Deutsche übersetzen lassen, ohne dass sämtliche Nuancen und kulturelle Implikationen erhalten bleiben. Um die Geschichte in Gänze mit ihren Andeutungen und der kompletten Symbolik zu verstehen, sind vermutlich Vorkenntnisse über Neuseeland und seine Besonderheiten von Vorteil.
Letzteres gilt wahrscheinlich auch für den außergewöhnlichen Māori-Titel des Romans, der von der englischsprachigen Originalausgabe übernommen wurde. Eine gute Entscheidung des deutschen Verlags, das Wort auf der Rückseite des Hardcovers gleich zu erklären. Auch die reduzierte Gestaltung mit dem Vogelmotiv wird dem Inhalt gerecht.
Mein Fazit:
Mit „Auē“ verlangt Becky Manawatu ihrer Leserschaft in mehrfacher Hinsicht viel ab. Wer sich auf die fordernde und sehr bewegende Geschichte einlassen kann, wird aber mit einem ungewöhnlichem Literaturerlebnis belohnt. Ein definitiv empfehlenswertes Debüt, das neugierig auf die Fortsetzung macht!