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Veröffentlicht am 27.10.2023

Rassismus hat viele Gesichter

Sekunden der Gnade
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Es ist das Jahr 1974, es gibt Unruhen in Boston, nachdem Richter W. Arthur Garrity Jr. aufgrund einer Sammelklage entschieden hat, dass künftig schwarze Kinder mit Bussen in weiße Schulen gebracht werden ...

Es ist das Jahr 1974, es gibt Unruhen in Boston, nachdem Richter W. Arthur Garrity Jr. aufgrund einer Sammelklage entschieden hat, dass künftig schwarze Kinder mit Bussen in weiße Schulen gebracht werden sollen und weiße Kinder in schwarze Schulen. Als die 17jährige Jules Fennessy nach einem Treffen mit ihren Freunden nicht nach Hause kommt, setzt ihre Mutter Mary Pat alle Hebel in Bewegung, um sie zu finden. In ihrem irischen Viertel stößt Mary Pat auf eine Mauer des Schweigens und ist außer sich vor Schmerz, als ihr klar wird, dass Jules nicht mehr heimkommt. Sie macht sich auf, die Schuldigen zu finden, um sie zu bestrafen. Zu verlieren hat sie nichts mehr.

„Sie erinnert sich nicht an dieses Mädchen, aber sie spürt es noch in sich. Sie spürt seine Verblüffung und sein Entsetzen. Über den Lärm und die Wut. Den Zornessturm, der sie umtobte und im Kreis herumwirbelte, bis ihr so verdammt schwindlig davon war, dass sie für den Rest ihres Lebens lernen musste, darin zu laufen, ohne hinzufallen.“ (Seite 203)

Dennis Lehane war im Sommer des Jahres 1974 neun Jahre alt, als er mit seinem Vater mitten in die Unruhen geraten ist. Dieses Erlebnis war so erschreckend und angsteinflössend, dass er sich entschlossen hat, die geschichtlichen Fakten mit einer fiktiven Geschichte zu verbinden. Mir waren die historischen Fakten unvollständig bekannt, dieses Buch hat dazu beigetragen, dass ich mich mit dem Thema näher beschäftigt und einiges dazugelernt habe. Wer ebenfalls interessiert ist, mehr darüber zu erfahren, dem empfehle ich, sich das Urteil Morgan gegen Hennigan anzusehen und durchzulesen. Ergänzend verweise ich darauf, dass die damalige Sprache nicht zeitgemäß ist und das N-Wort durchgehend im Gebrauch, was der Story eine Authentizität verleiht, die ansonsten fehlen würde.

Die vorliegende Geschichte fing ganz harmlos an, es gab einen Vorfall, der zunächst von mir als nebensächlich eingestuft wurde, bis eine Wendung kam, die dazu führte, dass die geschilderten Ereignisse plötzlich mit im Vordergrund standen. Die raffinierte Verknüpfung erstaunte mich, gab der Erzählung ab da einen ganz anderen Sinn, als ich vermutet habe. So kam es, dass ich mich unerwarteterweise in einem irischen Krimi wiederfand, der vor Spannung platzte, bis es wieder einen Twist gab, der mich sprachlos machte.

„Einmal blickt er zur Seite, als sie ihn gerade mit einem verstohlenen Lächeln ansieht, und erwägt die Möglichkeit, dass das Gegenteil von Hass nicht Liebe ist. Sondern Hoffnung. Denn Hass braucht Jahre, um sich zu entwickeln, aber Hoffnung kann um die Ecke gefegt kommen, wenn man nicht mal hinsieht.“ (Seite 170)

Ich schwankte zwischen Mitleid, Verständnis und Zorn, fühlte mich machtlos, gefangen in der Spirale von Hass. Ich litt zusammen mit Mary Pat, hielt den ermittelnden Beamten die Daumen, weinte mit trauernden Eltern, schrie mit der Menge, erlebte die Gewalt und platzte vor Wut. Manchmal musste ich innehalten und das Buch zur Seite legen, zu groß waren meine Emotionen; sie überfluteten meinen Körper und Tränen verschleierten meinen Blick. Was für ein Drama, welch eine Tragödie, grandios in Worte gefasst, erzählerisch eine große Wucht. Dieses Buch wird mir lange im Gedächtnis bleiben! Ein Highlight für mich, das fünf Sterne mit Sternchen bekommt und eine Leseempfehlung dazu.

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Veröffentlicht am 25.10.2023

Wenn der Ernstfall eintritt

Wenn ich nicht mehr ich bin
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Der Untertitel zum vorliegenden Buch lautet: „Ein Nachschlagewerk für alle, die wissen wollen, wer ich war“; womit wir mitten im Thema wären. Was passiert, wenn es uns aus Krankheits-, Alters- oder sonstigen ...

Der Untertitel zum vorliegenden Buch lautet: „Ein Nachschlagewerk für alle, die wissen wollen, wer ich war“; womit wir mitten im Thema wären. Was passiert, wenn es uns aus Krankheits-, Alters- oder sonstigen Gründen nicht mehr möglich ist, uns mitzuteilen, unsere Gedanken und Wünsche zu äußern? Wenn andere Menschen für uns entscheiden oder sich um uns kümmern müssen. Woher wissen diese Personen, woher wir kommen, wer wir sind, was wir möchten und was nicht? Wohl dem, der von der Familie umsorgt wird, die im Regelfall zu seinen oder ihren Gunsten entscheidet und Rücksicht nimmt. Dieses Ausfüllbuch soll eine Hilfe sein, es bietet die Möglichkeit, mehr von sich zu erzählen, Fakten zu schaffen und dafür zu sorgen, dass unsere Wünsche respektiert und durchgesetzt werden sollen. Es gibt Platz für Fakten, Fotos, Anregungen, Gedanken und vieles mehr. Ein Buch zum selbst ausfüllen, ausfüllen lassen, behalten oder verschenken. Ein großartiges Werk! Volle Punktzahl gibt es dafür von mir.

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Veröffentlicht am 24.10.2023

Vertraut und doch fremd

Auf dem Nullmeridian
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Der Ich-Erzähler ist ein ägyptischer Immigrant, allerdings kein Muslim, sondern ein koptischer Christ. Zehn Jahre ist seine eigene Flucht her, auf seiner Suche nach einem sicheren und besseren Leben landete ...

Der Ich-Erzähler ist ein ägyptischer Immigrant, allerdings kein Muslim, sondern ein koptischer Christ. Zehn Jahre ist seine eigene Flucht her, auf seiner Suche nach einem sicheren und besseren Leben landete er schließlich in London, wo er, mittlerweile eingebürgert, in der Wohnraumbehörde tätig ist, in einem für seinen hohen Anteil an Migranten bekannten Bezirk. Eine Tätigkeit, die an der Bürokratie verzweifelt, denn Sozialwohnungen, die man vermitteln könnte, existieren schlicht und ergreifend nicht. Eines Tages bittet ihn sein Onkel, das Begräbnis eines jungen Syrers zu organisieren, der nach seiner Flucht plötzlich und unerwartet in London verstarb.

Shady Lewis kam selbst 2006 als Einwanderer nach London und war mehr als zehn Jahre im sozialen Dienst der Stadtverwaltung tätig, hat also genug eigene Erfahrungen gemacht, um dieses Thema in seinem Buch aufgreifen zu können. Der namenlose Erzähler plaudert quasi aus dem Nähkästchen und dies tut er manchmal so beiläufig, dass man fast vergessen könnte, wie tragisch das Erzählte eigentlich ist. Das Leben der Geflüchteten ist schon schwer genug, diese Umstände gepaart mit der diesen Menschen gegenüber erfolgenden Willkür, dem stetigen Rassismus und der erfolglosen Suche nach einer Wohnung, sind stellenweise an Absurdität und Tragik kaum zu überbieten.

„Die erstaunliche Lektion, die ich in meinem damals sehr jungen Alter lernte, war die, dass uns Unrecht häufig dann weniger schlimm vorkommt, wenn wir erfahren, was das Motiv dafür war. Schlimm ist nur Unrecht, das man sich nicht erklären kann.“ (Seite 19)

Manchmal wurde mir die Erzählung zu phantastisch, Träume wechselten sich ab mit Situationen, die ich nur als surreal beschreiben kann. Darauf muss man sich als Leser einlassen können, ich jedenfalls habe dafür ein paar Seiten gebraucht. Hierbei gefiel mir besonders gut, dass die Gesellschaftskritik zwar offen, aber nicht aggressiv erfolgte; die Ironie vieler Ereignisse entging mir dabei nämlich nie. Ein interessanter Blick, der mir einiges aufzeigte, über das ich mir keine Gedanken gemacht habe, der mich gut unterhalten und manchmal sogar zum schmunzeln gebracht hat. Gerne vergebe ich vier Sterne und empfehle diesen Roman weiter.

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Veröffentlicht am 21.10.2023

Großartiges Debüt

Kattekerwalden
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Telja wohnt in Kattekerwalden, sie hat sich ein kleines Häuschen gekauft und lebt dort mit ihrem Hund und zwei Islandponys, von denen eines ihrer besten Freundin gehört. Im Paddock der Pferde finden die ...

Telja wohnt in Kattekerwalden, sie hat sich ein kleines Häuschen gekauft und lebt dort mit ihrem Hund und zwei Islandponys, von denen eines ihrer besten Freundin gehört. Im Paddock der Pferde finden die Freundinnen die Reste eines alten Skeletts und versuchen, auf eigene Faust herauszufinden, wie dieses dahingekommen sein könnte. Mit Hilfe von Nachbarn und Freunden kommt Telja einer Geschichte auf die Spur, die ihr mehr über Kattekerwalden der 1950er Jahre verrät, als sie zu hoffen gewagt hätte.

Das vorliegende Buch mit dem ungewöhnlichen Titel Kattekerwalden ist das Debüt von Sy Husmann, die unter einem Pseudonym schreibt. Ich habe eine interessante Geschichte erwartet, aber nicht, dass diese so spannend erzählt würde, dass man fast von einem Kriminalroman sprechen kann. Die gegenwärtige Erzählung wird unterbrochen durch Tagebucheinträge einer in den 1950ern lebenden jungen Frau, was dazu führt, dass die heutigen Ereignisse unter einem ganz anderen Licht erscheinen. Erst nach und nach ergibt sich ein Gesamtbild, kommen ungeheuerliche Umstände zutage, und ich bin gespannt, ob ich erfahre, was vor so langer Zeit geschehen ist. Hierbei finde ich die Tagebucheinträge aufregender, als die Geschehnisse in der Gegenwart; das Schicksal der jungen Frau berührt mich sehr.

Ich habe mitgefiebert und mitgeraten, habe Theorien entworfen und festgestellt, dass meine Vermutungen in die falsche Richtung gehen. Kurz war ich sicher, der Lösung nahegekommen zu sein, nur um feststellen zu müssen, dass alles anders war, als gedacht. Dies hat mir sehr viel Spaß gemacht und spannend war es auch. Es gab ein paar eigenartige Satzstellungen und der Fehlerteufel schlug ebenfalls ein paar Mal zu, aber alles in allem gab es keinen Grund zum meckern. Gerne vergebe ich vier Sterne und spreche eine Leseempfehlung aus.

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Veröffentlicht am 17.10.2023

Bildgewaltig, aber seelenlos

So weit der Fluss uns trägt
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Victoria ist siebzehn Jahre alt, als sie Wilson Moon begegnet, einem indigenen jungen Mann, welcher auf der Suche nach Arbeit in die Kleinstadt Iola in Colorado gekommen ist. Von Anfang an fühlen sich ...

Victoria ist siebzehn Jahre alt, als sie Wilson Moon begegnet, einem indigenen jungen Mann, welcher auf der Suche nach Arbeit in die Kleinstadt Iola in Colorado gekommen ist. Von Anfang an fühlen sich beide voneinander angezogen, was aufgrund der Herkunft von Wil problematisch ist. Besonders Victorias gewalttätiger Bruder Seth hat mit Wil ein großes Problem und tut alles dafür, ihn loszuwerden. Als Wil unter dramatischen Umständen ums Leben kommt, sieht die schwangere Victoria keine andere Möglichkeit, als in die Wälder zu fliehen, um dort ihr Kind zu bekommen.

Ich hatte leider große Probleme damit, ins Buch zu kommen, die ausschweifende Erzählweise hat mich nicht so begeistert, wie gewünscht. Wo die Landschaften überschwänglich und ausführlich beschrieben wurden, blieben die meisten Menschen für mich farblos und blass. Erst nach gut einem Drittel konnte ich mich ein wenig auf Victoria einlassen, verfolgte ihren Werdegang und ihr Erwachsenwerden, wollte mich so gerne mitreißen lassen von ihrer Stärke und ihrem Mut. Dennoch blieben für mich die großen Emotionen aus, bis zuletzt war Victoria mir fremd.

Dieser Roman blieb weit hinter meinen Erwartungen zurück und auch die Ich-Erzählerin hinterlässt kaum Eindruck bei mir. Manchmal passt es zwischen Buch und Leser nicht und dies scheint hier bedauerlicherweise der Fall zu sein. Ich bin aber sicher, dass das Buch seine LeserInnen findet. Ich entscheide mich es die goldene Mitte und vergebe solide drei Sterne.

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