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Veröffentlicht am 24.07.2020

André Aciman - Find Me/Finde mich

Find Me Finde mich
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Die ruhige Zugfahrt, die Samuel nach Rom zu seinem Sohn Elio führen soll, wird durch die Ankunft einer jungen Frau mit Hund, die sich zu ihm setzt, jäh gestört. Was der Professor nicht ahnt, ist, dass ...

Die ruhige Zugfahrt, die Samuel nach Rom zu seinem Sohn Elio führen soll, wird durch die Ankunft einer jungen Frau mit Hund, die sich zu ihm setzt, jäh gestört. Was der Professor nicht ahnt, ist, dass diese Begegnung sein ganzes Leben auf den Kopf stellen wird. Vorsichtig beginnt das Gespräch mit Miranda, doch bald schon merken sie beide, dass sie sich viel zu sagen haben, ebenso viel aber auch gar nicht gesagt werden muss, weil sie sich blind verstehen, fast so als würden sie sich schon ewig kennen. Sie könnte seine Tochter sein, Zurückhaltung ist geboten, doch am Ende des Tages werden sie gemeinsam durch Rom schreiten. Elio wird gleichermaßen durch eine zufällige Begegnung bei einem Konzert in einer Pariser Kirche von Amors Pfeil getroffen und genau wie sein Vater findet auch er den Mut, scheinbar vorhandene Schranken zu ignorieren und dem Herzen zu folgen.

„Find me/Finde mich“ führt die Geschichte fort, die André Aciman in „Fünf Lieben lang“ begonnen hat. Wieder geht es um die Liebe und wieder sind die einzelnen Kapitel nur lose miteinander verwoben und auch in diesem Roman schreibt der Autor über Grenzen, die die Figuren wahrnehmen, die sie jedoch überschreiten, ohne Rücksicht darauf, wie ihr Umfeld reagieren wird. Die beiden ersten, langen Kapitel sind detailreich, emotional, intensiv und lassen damit die beiden kürzeren etwas verblassen.

„Die Liebe ist einfach“, sagte ich. „Was zählt, ist der Mut zu lieben und der Mut zu vertrauen, und nicht jeder hat beides.

„Tempo“ und „Cadenza“, die beiden ersten Kapitel, weisen viele Parallelen auf: beide Male eine zufällige Begegnung, beide Male eine unmittelbare Vertrautheit, zwei ungleiche Partner, die sich zu einander hingezogen fühlen und merken, dass sie jetzt mutig sein müssen, wenn sie nicht wollen, dass diese einmalige Begegnung verpufft und nur Erinnerung bleibt. Beide Male sind es auch die Beziehungen zwischen Vater und Sohn, die ganz wesentlich für die Entwicklung der Charaktere sind. Samuel gibt Elio das Vertrauen, das er benötigt, um offen mit seiner Liebe umzugehen. Michel hat diese tiefe Verbundenheit zu seinem Vater ebenfalls gespürt, wenn ihre auch durch ein Geheimnis, von dem nicht einmal die Mutter etwas ahnt, für immer besiegelt wurde.

Diese literarisch saubere Struktur wird durch das musikalische „Capriccio“, Kapitel drei, unterbrochen. Das Kapitel folgt dem, was der Titel ankündigt: ein Ausbruch aus der Norm, der erwartbaren Struktur, das eigensinnig das Gegenteil berichtet: Elios früherer Geliebter, Oliver, erkennt plötzlich, dass er sich nicht für die richtige Liebe entschieden hat, dass seine Wahl für ein bürgerliches Leben falsch war und er nur das Leben eines toten Mannes führt. Kapitel vier, „Da Capo“ kehrt zurück an den Anfang, den Moment, als die eigentliche Geschichte begann.

Erzählerisch wie sprachlich schlichtweg wundervoll. Um bei den Metaphern aus der Musik zu bleiben: ein großes Stück, das viele Variationen eines einzigen Themas aufweist, mal beschwingt, mal melancholisch daherkommt, ausbricht und wieder zurückkehrt. Es kommt mit zarten Noten wie sie Streichinstrumente leise produzieren, die einem förmlich die Vibrationen der Saiten erleben lassen, und ebenso mit großem Paukenschlag. Man muss am Ende einen Schritt zurücktreten, um das Ganze in Augenschein nehmen zu können und sich nicht in den einzelnen Teilen zu verlieren und noch den Nachhall dessen, was man gelesen hat, spüren zu können.

Veröffentlicht am 22.07.2020

Lorenz Just - Am Rand der Dächer

Am Rand der Dächer
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1990er Jahre in Berlin. Andrej wächst mit seinen beiden Brüdern und den Eltern in einer Ost-Berliner Altbauwohnung auf. Gemeinsam mit seinem Freund Simon streif der Junge durch das Viertel und beobachtet ...

1990er Jahre in Berlin. Andrej wächst mit seinen beiden Brüdern und den Eltern in einer Ost-Berliner Altbauwohnung auf. Gemeinsam mit seinem Freund Simon streif der Junge durch das Viertel und beobachtet die Veränderungen, die mit der Wende langsam auf bei ihnen ankommen. Häuser stehen leer, Menschen sind einfach gegangen und haben alles so stehen und liegen lassen, wie es gerade war. Dafür kommen jetzt Besetzer, die sich dort einrichten als sei dies das Natürlichste der Welt. Die Jungen werden älter und mutiger, die abendlichen und nächtlichen Streifzüge werden zu Einbrüchen, bei denen sie auch erfahren, dass das Leben in den heimischen vier Wänden ganz anders aussehen kann. Erste Liebe und große Träume. Amerika, das Sehnsuchtsland, aber weniger konkrete Vorstellungen denn mehr Phantasien, ein Land, das sie sich in ihren Gedanken erschaffen. Die Tage, Monate, Jahre fließen gleichförmig dahin und lassen sich bald schon nicht mehr unterscheiden.

Lorenz Just schildert in seinem Debütroman eine recht typische coming-of-age-Geschichte der 1990er Jahre. Die Eltern durch die großen Umwälzungen im Land selbst überfordert und mit sich beschäftigt, tauchen nur am Rande auf. Als die Kinder noch klein sind, gibt es noch die Angst, dass sie einfach verschwinden und in das andere Land gehen könnten, wie so viele andere, dann aber werden sie zunehmend unbedeutend für die Entwicklung. Die Freundschaften sind es, die Andrej und seinen Bruder Anton prägen, sowie der Traum von dem unbekannten Land, der sie immer weiter von den Eltern entfremdet, wie dies ohnehin in diesem Alter der Fall ist.

„Amerika blieb ein Phantom, das sich ewig entzog. Auf Breakdance und BMX folgte ein jämmerlicher Versuch, Graffiti zu sprühen. (...) Unser Amerika, dem wir mit Basketball, zu groß gekaufter Kleidung und Musik näher zu kommen versuchten, war eher der Modus, den wir uns erwählt hatten, um wir selbst zu bleiben.“

Ein Lebensgefühl von Freiheit einerseits, die jedoch auf die wenigen Straßen um die elterliche Wohnung begrenzt bleibt. Die Sehnsucht nach echter Freiheit, die sich in dem diffusen Traum von Amerika und der Hoffnung auf ein Austauschjahr dort scheinbar realisiert. So intensiv die Zeit erlebt wurde, so wenig ist jedoch von ihr hängengeblieben. Einzelne Episoden, darüber hinaus nur mehr ein nicht greifbares Gefühl, das jedoch immer geprägt war von einer großen Ich-Bezogenheit.

Rückblickend stellt der Erzähler fest, dass er quasi nichts von vielen Freunden wusste, obwohl sie Stunden täglich miteinander verbrachten; dass ihn die Magersucht der eigenen Freundin völlig überrascht hat, als wenn diese aus dem nichts auftauchen habe können; dass eine gespielte Coolness sie daran hinderte über das zu reden, was wichtig gewesen wäre. Ein recht resigniertes Fazit, das jedoch für mein Empfinden zu hart ist. Die Teenagerzeit ist nun einmal so, es ist nicht die Zeit, in der Jungs über Gefühle reden oder ihre Träume hinterfragen würden.

Genau hier liegt für mich die Stärke des Romans, er wirkt unglaublich authentisch und ist nah bei den Figuren. Trotz der rückblickenden Distanz des Erzählers urteilt er nicht über sie, sondern lässt sie genau das sein, was sie sind und das hat der Autor hervorragend eingefangen. Der Roman ist nicht urkomisch, wie es Wolfgang Herrndorfs „Tschick“ bisweilen ist, auch nicht so traurig wie Carmen Buttjers Roman „Levi“, der eine ähnliche Geschichte erzählt. Es ist die Geschichte eines Jungen, der in einer Blase lebt, einer Zeit, die es so nie mehr geben wird und die er auch nie mehr erleben kann, die intensiv war, aber von der vieles nur noch bruchstückhaft in Erinnerung geblieben ist – genauso ist es, das Leben. Aber immerhin kann man über literarische Leben nochmals in diese Zeit der Sorglosigkeit und des Glaubens an die eigenen unbegrenzten Möglichkeiten eintauchen und das ermöglicht einem Lorenz Just auf ganz eindrucksvolle Weise.

Veröffentlicht am 22.07.2020

Das Netz

Das Netz
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Ihre Liebe wird ihr zum Verhängnis. Als ihr Mann Adam sie mit Agla zusammen erwischt, ist es ganz aus zwischen ihm und Sonja. Die Ehe war da schon längst gescheitert, aber für ihren Sohn Tómas war sie ...

Ihre Liebe wird ihr zum Verhängnis. Als ihr Mann Adam sie mit Agla zusammen erwischt, ist es ganz aus zwischen ihm und Sonja. Die Ehe war da schon längst gescheitert, aber für ihren Sohn Tómas war sie geblieben. Ein neues Leben ohne ihren Mann und sein Einkommen aufzubauen, ist nicht einfach und bald schon gerät Sonja in arge Schwierigkeiten, aus denen ein Freund ihr anbietet zu helfen. Nur einen Botendienst soll sie erledigen, doch der hat es in sich. Sie soll Kokain nach Island schmuggeln. Unerwarteterweise ist Sonja gut darin, völlig unauffällig bewegt sie sich als Businessfrau auf den Flughäfen und akribisch bereitet sie den Transport vor. Doch genau das wird ihr zum Verhängnis: ihr attraktives unscheinbares Auftreten fällt Bragi Smith auf. Der Zollbeamte hat viele Jahre Erfahrung und erkennt die Schmuggler. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ihm Sonja ins Netz geht.

„Das Netz“ ist Band 1 der Reykjavík Noir Trilogie von Lilja Sigurðardóttir. Mit Sonja Gunnarsdóttir hat die isländische Autorin eine ungewöhnliche Protagonistin geschaffen. Eine Mutter, die nach der Trennung in eine schwierige Lage gerät, die von mächtigen Männern gnadenlos ausgenutzt wird, sich aber dann zunehmend ihrer Stärken bewusst wird und diese für sich einzusetzen weiß. Sie kennt ihre Gegner nicht wirklich, zu unbedarft ist sie noch, doch als sie erkennt, in welchem Netz sie gefangen ist, weckt dies ihre Kämpfernatur.

Die Spannung des Krimis wird gleich durch zwei parallel verlaufende Bedrohungen aufrechterhalten: zum einen ist Sonja den Drogenbossen wehrlos ausgeliefert; sie lebt zwar noch in der Illusion, sich irgendwann freikaufen zu können, dass dies aber eher einem Wunschdenken geschuldet ist, kann man sich als Leser ausrechnen. Auf der anderen Seite ist ihr der Zollbeamte Bragi auf die Spur gekommen, der sie gleichermaßen zu Fall bringen kann und die Aussicht, das Sorgerecht für ihren Sohn zu erhalten damit bedroht. Emotional sitzt sie ebenfalls zwischen den Stühlen. Der nicht enden wollende Kampf mit ihrem Ex-Mann ist genauso zermürbend wie die Beziehung zu Agla, die sich nicht wirklich zu der Beziehung mit einer Frau bekennen kann und will.

Bei all den Sorgen fehlt Sonja der Kopf, um die Ermittlungen, die gegen die Bankmitarbeiterin Agla eingeleitet wurden, ernsthaft zu verfolgen. Diese hat offenbar nicht unwesentlich daran Anteil, dass der kleine Inselstaat in eine finanzielle Katastrophe geraten ist, doch nun soll sie für ihre Spekulationen und Geldwäsche bezahlen.

Man muss den Krimi sicher als Teil einer Serie sehen, denn so ganz glücklich lässt er mich nicht zurück. Viele Fragen bleiben offen und der Cliffhanger zum Ende ist ohnehin etwas, das ich nicht wirklich schätze. Die kurzen Kapitel tragen zu dem schnellen Erzähltempo bei, im Laufe der Handlung nimmt diese auch deutlich an Spannung und Komplexität zu, bevor gleich mehrere Enthüllungen so manches in einem völlig anderen, aber nicht minder interessanten Licht erscheinen lassen. Die Autorin hat eine komplexe Geschichte erschaffen, die von der außergewöhnlichen Protagonistin lebt und mit einigen Überraschungen aufwartet.

Veröffentlicht am 21.07.2020

Santiago Amigorena - Kein Ort ist fern genug

Kein Ort ist fern genug
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1928 verlässt Vicente Rosenberg seine Heimat Warschau Richtung Südamerika. In Buenos Aires gründet er mit Rosita eine Familie und eröffnet ein Möbelgeschäft. Sie bekommen drei Kinder und alles entwickelt ...

1928 verlässt Vicente Rosenberg seine Heimat Warschau Richtung Südamerika. In Buenos Aires gründet er mit Rosita eine Familie und eröffnet ein Möbelgeschäft. Sie bekommen drei Kinder und alles entwickelt sich prächtig in der lebendigen Stadt. Doch dann werden die Briefe der Mutter zunehmend besorgniserregend. Juden hatten es schon lange nicht mehr leicht, aber nun scheint sich die Lage doch zu verschlimmern. Während die Nazis in Europa die Endlösung vorbereiten, sitzt Vicente machtlos 12.000 Kilometer entfernt. Nachrichten erreichen ihn nur spärlich und verzögert, bald schon kann und will er diese nicht mehr ertragen und zieht sich zurück in sein inneres Ghetto. Wie die Mauer, die Warschau umschließt, verschließt er sich vor der Welt und seiner Familie. Fragen nach der Identität – was ist er: Pole, Argentinier, Jude? – und Schuld – hätte er mehr tun müssen, um seine Mutter zur Auswanderung zu bewegen, bevor es zu spät war? – plagen ihn bis er nur noch einen einzigen Ausweg für sich sieht.

Santiago Amigorena schildert die Geschichte seines Großvaters, seiner Familie, die Vertreibung auf beide Seiten des Atlantiks erlebt hat. Viele Sprachen fließen in seinen Adern, Vicente wächst mit dem Jiddischen auf, lernt dann Polnisch für die Schule, ist begeistert von der deutschen Sprache und Kultur und eigentlich sich dann das argentinische Spanisch an, sein Enkel muss später im französischen Exil erneut eine andere Sprache erlernen. Doch alle Sprachen der Welt können nicht das Entsetzen zum Ausdruck bringen, dass mit der Shoa verbunden ist und das am Beispiel Vicentes greifbar wird.

Es sind nur wenige Jahre, die Amigorena schildert, von Ende 1940 bis zum Waffenstillstand 1945, diese jedoch sind entscheidend für Vicente Rosenberg und machen aus dem lebendigen und energischen jungen Vater einen gebrochenen Mann. Der kurze Roman ist dicht und voller essentieller Fragen, die nachdenklich stimmen.

„Wie alle Juden hatte Vicente geglaubt, vieles zu sein, bis die Nazis ihm zeigten, dass ihn tatsächlich nur eines charakterisierte: sein Jüdischsein.“

Weder war er besonders religiös, noch war das Jiddische seine Alltagssprache, in verschiedenen Ländern und Sprachen zu Hause wurde plötzlich etwas zum Distinktionsmerkmal, das Hitler und seine Gefolgsleute brauchten, um sich selbst zu rechtfertigen. Die Definition des Ichs obliegt jetzt nicht mehr dem Individuum, sondern ihm wird zugeschrieben, was er/sie ist und trotz der Entfernung merkt auch Vicente, dass er sich zunehmend als Jude identifiziert und Mitglied der Leidensgemeinschaft wird, ohne jedoch unmittelbar selbst Leid zu erfahren.

Genau dieses treibt ihn in den emotionalen Ausnahmezustand. Er fühlt eine Schuld, fühlt sich als Verräter, denn er ist weit entfernt von der Gräuel, muss nicht erleben, was seine Familie und Freunde durchmachen müssen. Dabei verfügt er nur über wenig Belastbares, was das Ausmaß der Schandtaten angeht. Wie alle anderen ahnt er, dass unbegreifliche Dinge geschehen, aber erst nach der Befreiung wird die Welt begreifen und einen Begriff dafür finden, was die Nazis in Europa angerichtet haben. Doch das wenige Wissen reicht schon, um Vicente zur inneren Migration zu veranlassen und das Reden einzustellen. Nicht dass er nicht wollte, er kann nicht mehr. Das, was er durchlebt, ist sinnbildlich für das, was sich in den Lagern abspielte, und was nicht in Worte zu fassen ist.

Amigorenas Roman war nach Erscheinen 2019 für alle großen französischen Literaturpreise nominiert, was einem nach der Lektüre nicht verwundert. Die Geschichte ist intensiv, jedes Wort passt hier und lässt den Ausnahmezustand des Protagonisten greifbar werden. Der Aufbau in der Parallelität zwischen den inneren und äußeren Vorgängen ist schlicht genial. „Kein Ort ist fern genug“ ist eines dieser ganz wenigen Bücher, die man liest und denkt: so geht große Literatur.

Veröffentlicht am 19.07.2020

Adrian McKinty - Alter Hund, neue Tricks

Alter Hund, neue Tricks
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Teilzeitpolizist Sean Duffy ist schon auf dem Weg zur Fähre zurück zur Familie, als sein Chef ihn bittet, sich um einen Mord zu kümmern. Lawson ist im Urlaub und so bleibt nur Duffy, allerdings ist es ...

Teilzeitpolizist Sean Duffy ist schon auf dem Weg zur Fähre zurück zur Familie, als sein Chef ihn bittet, sich um einen Mord zu kümmern. Lawson ist im Urlaub und so bleibt nur Duffy, allerdings ist es keine große Sache, ein Autodiebstahl, der scheinbar aus dem Ruder lief. Am Tatort wird Duffy jedoch schnell klar, dass der Fall wohl ganz anders gelagert ist, denn der Tote hat in seinem Haus nichts, was auf seine Identität schließen ließe. Die Nachbarn kennen ihn nur als vermögenden Maler, seine Telefonverbindungen lassen jedoch schlimmes ahnen: regelmäßig rief er eine Telefonzelle in der Republik Irland an, die ziemlich eindeutig einem IRA Funktionär zugeordnet werden kann. Duffys Ehrgeiz ist geweckt, auch wenn sich die Zeiten verändern, ein Bulle bleibt ein Bulle und muss nun einmal tun, was er tun muss. Also rennt er wie immer Mitten in die lebensgefährliche Katastrophe.

Auch in seinem achten Fall wird der Detective der nordirischen Polizei nicht müde und kämpf unermüdlich gegen das Böse an, das dieses Mal aus einer völlig unerwarteten Ecke kommt. Erwartungsgemäß bedient der Ich-Erzähler die liebgewonnenen Klischees, ärgert sich über die Veränderungen der modernen Zeit und gelangt mit Scharfsinn, guter Beobachtungsgabe und dem notwendigen Quäntchen Glück auf die Spur der Täter. Ein routiniert erzählter Thriller, der wieder einmal einiges an Action bietet, aber dahinter eine komplexe und überzeugend konstruierte Geschichte zu bieten hat.

Als Reservist hat sich Duffy schon an die gemütlichere Gangart gewöhnt, an den wenigen Tagen im Revier geht er mit Routine seinen Tätigkeiten nach, in der Coronation Road erzählt er mit dem Kater, auch wenn dieser im schottischen Zuhause weilt, genießt seine Plattensammlung und lässt es ruhig angehen. Da ist der Reiz eines echten Mordfalles natürlich groß und so stürzt er sich kopfüber hinein. Wie immer kommentiert er scharfzüngig und selbstironisch sein eigenes Vorgehen, eher selten nach Handbuch und oft sogar weit jenseits der gesetzlichen und moralischen roten Linie. Aber im Nordirland von 1992 herrschen immer noch kriegsähnliche Zustände und die erfordern nun einmal besondere Maßnahmen.

„Und jetzt kommt kein Milchmann mehr?“
„Nein, nie wieder“, sagte sie.
„Und die Flaschen?“
„Flaschen gibt es jetzt nicht mehr, glaube ich. Jetzt gibt es Milch nur noch im Karton.“
„Und was nehmen die Kinder dann für die Molotow-Cocktails?“

Es fällt einem schwer diese Protagonisten nicht zu lieben. Trotz seines, euphemistisch ausgedrückt, unkonventionellen Vorgehens folgt er doch einem gewissen Ehrenkodex und schafft es sogar, übelste Burschen dieser seltsamen Logik folgend ordentlich zu behandeln. Er hat das Herz am rechten Fleck und lässt sich trotz zwanzig Jahre zermürbender Polizeiarbeit nicht von der Idee von einem Minimum an Recht und Ordnung abbringen.

Die Troubles leben in den Büchern der Reihe wieder auf, es ist nur schwer vorstellbar, unter welchen Bedingungen die Menschen lebten, so dass brennende Autos, Gewehrsalven und hin und wieder auch Explosionen nur noch mit einem Schulterzucken quittiert wurden. McKinty gelingt es diese dunkle Seite europäischer Geschichte begreifbar zu machen und daran zu erinnern, wie tief Vorbehalte sitzen und wie fragil womöglich der Friedensprozess aus ist. Das Ganze wird wieder einmal brillant in einen spannenden Kriminalfall mit hohem Tempo eingebettet, der fern eines simplen schwarz-schweiß/Freund-Feind-Schemas in der ganz oberen Liga der Thriller spielt.