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Veröffentlicht am 23.08.2025

Beeindruckender Roman

Rückkehr nach St. Malo
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Laut Klappentext sind die großen Themen der französischen Autorin Helène Gestern „… Fotografiegeschichte und das autobiographische Schreiben“. Das merkt man auf jeder Seite des Buchs. Mit kraftvoller, ...

Laut Klappentext sind die großen Themen der französischen Autorin Helène Gestern „… Fotografiegeschichte und das autobiographische Schreiben“. Das merkt man auf jeder Seite des Buchs. Mit kraftvoller, bildhafter Sprache beschreibt sie die Landschaft und das raue manchmal menschenfeindliche Klima am Ärmelkanal wie auch die Beziehungen der Menschen zueinander.
Yann de Kérambrun, mit seinem Privatleben und seiner täglichen Arbeit unzufriedener Geschichtsprofessor an der Sorbonne in Paris, lässt sich nach dem Tod seines Vaters für ein Jahr beurlauben und zieht in seine geerbte große Villa in St. Malo ein. Dort entdeckt er Unmengen an Kartons mit Dokumenten seines Urgroßvaters Octave de Kérambrun. Obwohl er sich mit seinem Vater überworfen hatte, weil er nicht in vierter Generation in die von Octave 1904 gegründete berühmte Reederei de Kérambrun eingestiegen war, weicht er von seinem eigentlichen Vorhaben ab und stürzt sich mit der dem Historiker eigenen Akribie in diese Dokumente. Er findet Geschäftsunterlagen, persönliche Aufzeichnungen seines Urgroßvaters, Briefe, Fotos und kommt so seiner Familie posthum immer näher.
Helène Gestern beschreibt aus Yanns Sicht die Unfähigkeit der Männer, ihre Gefühle zu zeigen wie auch die Probleme der Frauen und Kinder, mit dieser von ihnen so erlebten Kälte zurecht zu kommen. Geschickt fügt sie Episoden und Briefausschnitte von damals ein, die ebenso wie die von ihr beschriebenen und kommentierten Fotos ein Sittenbild dieser Zeit darstellen. Yann deckt Geheimnisse seiner Familie auf und bewältigt mit seiner Arbeit sein Trauma, von seinem Vater nicht geliebt worden zu sein. Gelungen ist der Wechsel zwischen Vergangenheit und Gegenwart, in der er versucht, seinem Sohn die Freiheiten zu lassen, die er und seine Vorfahren vermissen mussten, auch wenn es ihm schwer fällt.
Eine zentrale Rolle spielt in dem Roman die St. Malo vorgelagerte auf dem schönen Cover abgebildete Insel Cézembre, für Yann eine Art Sehnsuchtsort, obwohl sie in zwei Weltkriegen fast vollständig zerstört wurde.
Hilfreich sind die beiden im Anhang abgedruckten Stammbäume der Familien de Kérambrun und de Saint-Croix, eines Geschäftspartners des Urgroßvaters, die ich mehrfach nachschlagen musste, um bei der Vielzahl an Personen unterschiedlicher Generationen mit ungewohnten bretonischen Namen und Kosenamen den Durchblick zu behalten.
Auch wenn das Buch besonders auf den ersten 100 Seiten einige Längen aufweist, bin ich der Meinung, dass Helène Gestern mit „Rückkehr nach St. Malo“ ein beeindruckender Roman gelungen ist.

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Veröffentlicht am 29.07.2025

Wohlfühlkrimi, sehr gute Urlaubslektüre

Gefährliche Aussicht
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„Gefährliche Aussicht“ ist ein kurzweilig und interessant geschriebener „Wohlfühlkrimi“. Es gibt einige Parallelen zu der Buchreihe von Martin Walker mit Bruno, Chef de Police, die in derselben Region ...

„Gefährliche Aussicht“ ist ein kurzweilig und interessant geschriebener „Wohlfühlkrimi“. Es gibt einige Parallelen zu der Buchreihe von Martin Walker mit Bruno, Chef de Police, die in derselben Region spielt. Anders als Walker verzichtet Dubois aber auf den erhobenen Zeigefinger, außerdem sind die ermittelnden Kommissarin Marie Mercier und Kommissar Richard Martin viel realer als der „übermenschliche“ Bruno.



Eine aus Paris zugezogene Frau, die zusammen mit ihrem Lebensgefährten ein großes altes Haus und das zugehörende Grundstück erworben hat und renovieren lässt, wird ermordet. Julie Dubois beschreibt sehr liebevoll, aber auch kritisch die Region, das familiäre Umfeld von Mercier, Martin und der anderen auftretenden Personen. Neben der Aufklärung des Mordfalls spielen das Essen und das Feiern herausragende Rollen. Immerhin spielt sich alles im Perigord ab. Die Ermittlungen klingen tatsächlich nach Polizeiarbeit, und der Mord wird einigermaßen glaubwürdig geklärt. Das Buch liest sich sehr flüssig. Was mich ein wenig stört, sind die sehr frühe Festlegung der Autorin auf den Charakter der Menschen, besonders der potenziellen Täter. So kann man einige Personen schnell ausschließen, weil sie zu positiv beschrieben werden. Und die Verhaltensweisen mancher Menschen erscheinen mir sehr provinziell und teilweise skurril. Das soll die Leser vielleicht zum Schmunzeln bringen, aber ich halte es für übertrieben.

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Veröffentlicht am 28.07.2025

Nachdenklich und amüsant

Das Geschenk
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Der botswanische Präsident schickt als Reaktion auf das vom deutschen Bundestag beschlossene Elfenbeingesetz 20000 afrikanische Elefanten nach Berlin (wie ihm auch immer das logistisch gelungen sein mag). ...

Der botswanische Präsident schickt als Reaktion auf das vom deutschen Bundestag beschlossene Elfenbeingesetz 20000 afrikanische Elefanten nach Berlin (wie ihm auch immer das logistisch gelungen sein mag).
Auf netto nur etwa 120 Seiten beschreibt Gaea Schoeters amüsant und mit schöner flüssiger Sprache, wie sich die Anwesenheit der Elefanten auf das Land auswirkt. Dabei stehen die Tiere als Metapher für alle denkbaren Probleme und Konflikte, die Deutschland in den vergangenen beschäftigt haben und wohl auch in den folgenden Jahren beschäftigen. Schroeters beschreibt die Reaktionen der überwiegend eitlen Politikerinnen und Politiker auf die von den Elefanten hervorgerufenen Schäden, als ob es sich um eine neue Pandemie oder um Flüchtlinge handelt („wir schaffen das“). Die Angst des fiktiven Bundeskanzlers Winkler, dass sein Kontrahent Fuchs von der rechtspopulistischen Partei die nächste Wahl gewinnt. Die von persönlichen Interessen beeinflusste Konfliktbewältigung. Die Reaktion und den Einfluss der Medien. Das Verhalten der Menschen und der Interessenverbände. Letztlich wird der Gesellschaft der Spiegel vorgehalten.
Eigentlich eine geniale vergnügliche Idee. Aber so absurd, dass mich das Buch irgendwie ratlos zurücklässt und für meinen Geschmack selbst 120 Seiten viel sind.

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Veröffentlicht am 08.06.2025

Ein starker Roman

Die Schrecken der anderen
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Ein starker Roman mit einer faszinierenden bildhaften Sprache, der mich von Beginn an in den Bann gezogen hat. Er spielt in der Schweiz, wobei es die geographischen Bezeichnungen nicht wirklich gibt, er ...

Ein starker Roman mit einer faszinierenden bildhaften Sprache, der mich von Beginn an in den Bann gezogen hat. Er spielt in der Schweiz, wobei es die geographischen Bezeichnungen nicht wirklich gibt, er könnte sich überall im deutschsprachigen Teil der Schweiz abspielen. In einzelnen Kapiteln stellt die Autorin Martina Clavadetscher zunächst die Personen vor, die teilweise skurril wirken und handeln. Im Eis eines zugefrorenen Sees wird ein Toter gefunden, wodurch die Handlung in Gang gesetzt wird. Dessen Name McGuffin hat symbolische Bedeutung, er wurde in den Filmen Hitchcocks als Gimmick benutzt. Obwohl immer wieder darauf hingewiesen wird, dass alles miteinander verbunden ist, wird erst spät klar, was die reiche Familie Kern mit dem Toten zu tun hat. Da ist die fast hundertjährige Mutter, die mit einem Bein im Jenseits steht, mit dem anderen im Vorgestern und die eine Metapher für das Ewiggestrige ist. Sohn und Schwiegertochter werden von ihr tyrannisiert und dominiert. Sie wünschen sich vergeblich ein Kind oder besser, die alte Frau wünscht sich einen Enkel. Herr Kern, ein trotz seiner sozialen Stellung unsicherer Mann mit symbolischen „Sehstörungen“, ist Mitglied in einer obskuren Vereinigung von Honoratioren. Der Archivar Schibbig, die meistens als „die Alte“ bezeichnete merkwürdig erscheinende Rosa und ein „Herr Boll“ beobachten die Geschehnisse wie z.B. das Verhalten von Jugendlichen, Mitglieder einer Bande. Mystische Fabeln von Drachen wirken verstörend. Alles wird abwechselnd mit stakkatoartigen kurzen Sätzen, dann wieder langen Aufzählungen und ruhigen Passagen erzählt. Lange bleibt unklar, ob die Handlung absurd ist und wie alles miteinander verbunden ist. Doch dann werden die Zusammenhänge aufgelöst. Es gibt einen sehr realen aktuellen Hintergrund und die Geschichte nimmt zum dramatischen Ende hin Fahrt auf. Der dezente Humor, die symbolhafte Sprache, im zweiten Teil auch spannende Handlung machen das Buch sehr lesenswert.

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Veröffentlicht am 01.06.2025

Interessante (fiktive) Lebensgeschichte

Das Licht in den Wellen
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The American Dream oder ein modernes Märchen? Die Lebensgeschichte von Inge Matthiesen verläuft zu schön um wahr zu sein. Auch wenn es einen offenbar unschönen Grund dafür gibt, dass Inge ihr geliebtes ...

The American Dream oder ein modernes Märchen? Die Lebensgeschichte von Inge Matthiesen verläuft zu schön um wahr zu sein. Auch wenn es einen offenbar unschönen Grund dafür gibt, dass Inge ihr geliebtes Föhr kurz nach dem Ende des 2. Weltkriegs als 24jährige junge Frau in Richtung New York verlassen hat. Darauf weist der Autor Janne Mommsen gelegentlich hin, aber die Leser werden erst am Ende darüber informiert was geschehen ist.
Die Lebensgeschichte ist sehr interessant und lässt sich leicht und flüssig lesen. Über mehr als 400 Seiten reiht Janne Mommsen chronologisch (selten unterbrochen durch kurze Kapitel über die Schiffsreise der inzwischen 100jährigen Inge im Jahr 2022 mit ihrer Urenkelin nach New York) eine Geschichte bzw. Anekdote nach der anderen aneinander. Wie Inge an die Fahrkarte nach N.Y. kommt, wie sie auf dem Schiff eine Freundin findet, wie sie eine Anstellung in einem Feinkostgeschäft findet, ihren eigenen Kartoffelsalat kreiert, sich mit weiteren Personen anfreundet, die ihr zu einem eigenen Restaurant verhelfen usw. usw. Das fand ich nach den ersten ca. 100 Seiten doch etwas zu monoton erzählt und es kommt mir zu glatt, ja märchenhaft vor. Auch wenn nachvollziehbar ist, wie viel Arbeit (und hier und da Glück) hinter Inges Erfolg steht. Trotz dieser Einwände stelle ich fest, dass ich mich gut unterhalten fühlte.

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