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Veröffentlicht am 31.07.2020

Die negative Darstellung von Josephine konnte mich als Muse Beethovens in keinster Weise überzeugen

Frau Beethoven
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1799 wird Josephine Brunsvik, Tochter eines ungarischen Adelsgeschlechts, zusammen mit ihrer älteren Schwester Therese von ihrer Mutter nach Wien gebracht, um dort einen geeigneten Heiratskandidaten zu ...

1799 wird Josephine Brunsvik, Tochter eines ungarischen Adelsgeschlechts, zusammen mit ihrer älteren Schwester Therese von ihrer Mutter nach Wien gebracht, um dort einen geeigneten Heiratskandidaten zu finden. Um Fuß in der Wiener Gesellschaft zu fassen, nehmen die beiden Töchter zudem Klavierunterricht bei dem Virtuosen Ludwig van Beethoven. Beethoven erkennt das Talent beider musikalischer Töchter und unterrichtet sie täglich unentgeltlich. Josephine schwärmt für Ludwig und möchte am liebsten ihn heiraten. Als Bürgerlicher, der selbst auf die finanzielle Unterstützung von Gönnern angewiesen ist, ist eine Heirat mit ihm nicht standesgemäß. Josephine wird daraufhin gezwungen, einen mehr als doppelt so alten Grafen zu ehelichen, mit dem sie vier Kinder bekommt. Joseph von Deym stirbt bereits 1804, übertrug ihr jedoch noch die Vormundschaft für die Kinder.

Auch wenn die Hochzeit arrangiert war, trauert Josephine um ihren Ehemann und zieht sich zurück. Das Klavierspiel weckt ihre Lebensgeister und sie nimmt fortan wieder Klavierstunden bei Beethoven. Durch das Wiedersehen flammen die Gefühle wieder auf. Wegen Bedenken um ihr gesellschaftliches Ansehen treffen die beiden sich nur heimlich. Aus Angst, die Vormundschaft für ihre Kinder zu verlieren, erscheinen Heirat und damit auch eine gemeinsame Zukunft letztlich unerreichbar.

"Frau Beethoven" erzählt eine fiktive Geschichte um Ludwig van Beethoven und seine vermutlich "unsterbliche Geliebte", eine Anrede, die er in einem überlieferten Brief an seine große Liebe verwendete.

Zu Beginn habe ich mich sehr schwer mit dem Roman getan. Die weiblichen Protagonisten wirkten einfältig, alle Figuren verhielten sich künstlich, die Dialoge erschienen platt und hölzern. Im weiteren Verlauf ließ sich die Geschichte zwar flüssiger lesen, allerdings waren die Klavierstunden ermüdend, denn die Abläufe wiederholten sich, ohne dass Entscheidendes zwischen Josephine und Beethoven passierte. Die Leidenschaft für die Musik ist spürbar, nicht aber für einander. Josephine inspiriert Beethoven für neue Sinfonien, sie wird zu seiner Muse, geht aber mit zunehmendem Alter auf Distanz zu Beethoven. Als 20-Jährige himmelte Josephine ihn an, später sind Geld, der gesellschaftliche Stand und die Versorgung der Kinder wichtiger als die Liebe zu Beethoven.

Die Geschichte hatte Potenzial für spannungsvolle Momente, da sie auf mehreren Zeitebenen handelt und mit Zeitsprüngen gearbeitet wird. Im Jahr 1821 blickt Josephine zurück und spricht mit ihrer ältesten Tochter über ihre Liebe zu Beethoven. Leider werden dabei wichtige Entscheidungen und Ereignisse aus ihrem Leben, die nachfolgend erst noch erzählt werden, vorweggenommen, was der Handlung nicht nur die Spannung nahm, sondern auch noch völlig unnötig war. Diese Einschübe waren mir als Stilmittel nicht nachvollziehbar.

Auch wenn der Roman "Frau Beethoven" heißt, hatte ich mir dennoch eine größere Rolle von Ludwig van Beethoven gewünscht als den des verliebten Klavierlehrers. Sein Werk und sein privates Leben fanden kaum Erwähnung, auch bekam ich keine Vorstellung von ihm als Rebell oder Sozialrevolutionär. Warum er nie geheiratet hat und was der Grund für seinen Hörverlust war, fand keine Erwähnung.
Josephine macht es dem Leser wahrlich nicht leicht, sie zu mögen. Sie begeht so viele Fehler, trifft eine falsche Entscheidung nach der anderen, was regelrecht an ihrem Verstand zweifeln lässt. Sie mag vielleicht tatsächlich eine Inspiration für den Ludwig van Beethoven gewesen sein, letztlich wiegen in meinen Augen aber die Enttäuschungen, die sie ihm immer wieder bereitet hat, schwerer.

Insgesamt bin ich enttäuscht, denn ich hatte mir von dem Roman viel mehr erwartet - starke Charaktere, die trotz Standesdünkels um ihre Liebe kämpfen und ein weltberühmter Klaviervirtuose, der durch eine fiktive Geschichte lebendig und nahbar wird. Stattdessen empfand ich sowohl die Liebesgeschichte als auch die Darstellung von Ludwig van Beethoven als Person als inhaltlich zu oberflächlich und stilistisch unbeholfen. Zudem fragte ich mich aufgrund der sehr negativen Darstellung von Josephine, warum ausgerechnet ihr durch diesen Roman Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte.

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Veröffentlicht am 29.07.2020

Vier unterschiedliche Frauen in den 1950er-Jahren und ihre Suche nach Glück - lebendiger Roman über Emanzipation und Freundschaft

Die Wunderfrauen
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1953 eröffnet Luise Dahlmann in Starnberg nach dem Tod ihrer Schwiegermutter einen Tante Emma-Laden. Die herrische Mutter ihres Mannes Hans hatte ihr überraschend eine größere Summe Geld vermacht. Sie ...

1953 eröffnet Luise Dahlmann in Starnberg nach dem Tod ihrer Schwiegermutter einen Tante Emma-Laden. Die herrische Mutter ihres Mannes Hans hatte ihr überraschend eine größere Summe Geld vermacht. Sie träumte lange von ihrer Eigenständigkeit und einer Aufgabe, die sie wirklich erfüllt. Die Anfänge sind schwierig, doch mit neuen Ideen und einer herzlichen Kundenfreundlichkeit lockt die gelernte Köchin auch mit kulinarischen Köstlichkeiten die Bewohner der Umgebung in ihren Laden.
Dabei knüpft sie Freundschaft zu der rebellischen Helga Knaup, die aus ihrem reichen Elternhaus aufs Land geflüchtet ist, um in der Seeklinik eine Ausbildung als Krankenschwester zu machen. Sie wollte sich nicht standesgemäß zwangsverheiraten lassen und hatte sich geschworen, sich nicht zu verlieben und von einem Mann abhängig zu werden. Doch dann lernt sie den amerikanischen GI Jack kennen, ihre Vorsätze ins Wanken bringt.
Annabelle von Thaler ist Luises Nachbarin und die Ehefrau des Inhabers der Seeklinik. Sie ist Mutter eines Sohnes, darüber hinaus aber nur "die Frau von". Sie ist eifersüchtig auf jede Frau, die ihrem Mann zu nahe kommt und ihr fällt es schwer, Freundschaft zu anderen Frauen zu schließen.
Marie Wagner ist aus Niederschlesien vertrieben worden und sucht in Starnberg eine Anstellung als Bereiterin. Als Frau hat sie beim bayerischen Adel keine Chance und findet stattdessen Arbeit und auch ein Zuhause am Hof von Luises Bruder Martin.

Der Roman handelt in den Nachkriegsjahren 1953/ 1954 von vier ganz unterschiedlichen Frauen, die alle einen Wunsch haben: Endlich wieder glücklich sein. "Die Wunderfrauen - Alles, was das Herz begehrt" ist der Auftakt der Wunderfrauen-Trilogie von Stephanie Schuster.
Die Geschichte ist lebendig geschrieben, so dass man sich als Leserin sehr anschaulich in die 1950er-Jahre versetzen kann. Abwechselnd taucht man in das Leben der vier Frauen ein, die allesamt glaubwürdig gezeichnet sind und ihre Ecken und Kanten haben. Sie haben unterschiedliche Sorgen und Träume und machen im Verlauf des Romans eine charakterliche Weiterentwicklung durch. Selbst die verschlossene Annabelle wirkt am Ende nahbarer und auch die rebellische Helga wird erwachsener und übernimmt Verantwortung.

Der Roman ist flüssig geschrieben, wobei die Geschichte durch Auszüge aus "Luises Ladenkunde-Album" oder "Luises Notizbuch" und die bayerische Mundart, die nicht übertrieben oder gar störend ist, noch authentischer wird. Er handelt von Liebe, Familie, Freundschaft und der Emanzipation der Frauen. Alle vier kämpfen auf ihre Weise für ihre Unabhängigkeit und ihre Träume, hoffen auf einen Neuanfang nach dem Zweiten Weltkrieg, der bereits einige Jahre vorbei ist, aber seine Spuren hinterlassen hat.
Der erste Band endet nicht mit einem Cliffhanger, die Geschichten um die vier Frauen sind jedoch auch nicht abgeschlossen. Alle vier bieten für den nachfolgenden Band genügend Stoff für Familiendramen, die sich anbahnten und die Suche nach Glück.

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Veröffentlicht am 27.07.2020

Berührende Liebesgeschichte mit ganz viel Musik, die beweist, dass man die erste Liebe nie vergisst und dass die wahre Liebe Zeiten und Grenzen überdauert.

Das war die schönste Zeit
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Alison und Dan verlieben sich als Jugendliche Ende der 1970er-Jahre in einander. Sie teilen die Leidenschaft für Musik, leben aber ansonsten in getrennten Welten. Während Dan wohlbehütet bei seinen Eltern ...

Alison und Dan verlieben sich als Jugendliche Ende der 1970er-Jahre in einander. Sie teilen die Leidenschaft für Musik, leben aber ansonsten in getrennten Welten. Während Dan wohlbehütet bei seinen Eltern aufwächst, kommt Alison aus einer zerrütteten Familie, was sie vor Dan verbirgt. Und so kann sie auch nicht mit ihm darüber reden, weshalb sie Hals über Kopf ihre Heimat Sheffield verlassen muss.
Über dreißig Jahre später ist Ali, die mittlerweile in Adelaide/ Australien wohnt, ein Bestseller gelungen und Dan entdeckt zufällig ihr Profil bei Twitter. Er kann nicht umhin, Ali zu kontaktieren und schickt ihr den Link zu einem Musiktitel, der sie beide mit Sheffield 1979 verbindet, als sie zusammen glücklich waren und Dan Alison ihr erstes Mixtape geschenkt hat. Über die Kontinente und Zeitzonen hinweg tauschen sie heimlich vor ihren Ehepartnern verborgen ihre Songs aus, bis Dan beschließt, Ali in Adelaide zu besuchen.

"Das war die schönste Zeit" ist eine Liebesgeschichte, die auf zwei Zeitebenen und abwechselnd aus der Perspektive von Ali und Dan erzählt wird. Die jugendliche Liebe Ende der 1970er-Jahre wird in Rückblenden geschildert und ist vor allem von den schwierigen familiären Verhältnissen von Alison geprägt, die im krassen Gegensatz zu Dans unbeschwertem Leben ist. Die Gegenwart in den Jahren 2012/ 2013 zeigt, was aus den beiden geworden ist - Dan verheiratet, Vater eines Sohnes und gefragter Musikjournalist, Ali verheiratet, Mutter zweier Töchter und erfolgreiche Bestseller-Autorin. Beide haben sich ein komfortables Leben aufgebaut und über dreißig Jahre nichts mehr voneinander gehört. Nach der Kontaktaufnahme durch Dan sind die innigen Gefühle auf beiden Seiten wieder da, als wären sie all die Jahre nur unterdrückt worden. Diese erzeugen eine tiefe Sehnsucht, die fast zur Besessenheit wird.
Die Charaktere sind authentisch und nahbar, so dass man ihr Gefühlschaos eindrücklich nachempfinden kann. Der Konflikt zwischen der Reue und dem Verrat gegenüber den gegenwärtigen Partnern und der innigen Liebe, der Vertrautheit und Seelenverwandtschaft zueinander ist auf beiden Seiten spürbar und ergreifend.
Ihr verbindendes Element, die Musik, ist ein Stilmittel, das die Autorin geschickt in die Geschichte einbettet und zeigt, wie Songs Brücken der Erinnerung bauen und in vergangene Zeiten, schöne und hässliche Erinnerungen, zurückversetzen kann. Ich kannte nicht alle Interpreten und selbst von bekannten Musikern nicht die Songs, die Ali und Dan so viel bedeuteten, wurde jedoch neugierig und habe parallel zum Buch die Spotifly-Playlist gehört. Die Musik dürfte vor allem für Leser interessant sein, die im Alter von Ali und Dan sind und selbst zu David Bowie, Nick Drake oder Rory Gallagher getanzt und geküsst haben.
Es ist eine berührende Liebesgeschichte, die beweist, dass man die erste Liebe nie vergisst und dass die wahre Liebe Zeiten und Grenzen überdauert. Die Erzählung ist gefühlvoll, aber nicht kitschig, voller Musik, und bietet dem Leser eine wunderschön nostalgische Zeitreise in die 1970er-Jahre.

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Veröffentlicht am 25.07.2020

Emotional packender Thriller - eine kraftvolle Geschichte über den einsamen Kampf eines Mädchens in einer schier ausweglosen Situation

After the Fire - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2021
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Father John ist der von Gott gewählte Prophet, der die Leitung der Gotteslegion in der Wüste in Austin/ Texas übernommen hat. Dort leben mehrere gottesfürchtige Erwachsene und Kinder, die sich streng an ...

Father John ist der von Gott gewählte Prophet, der die Leitung der Gotteslegion in der Wüste in Austin/ Texas übernommen hat. Dort leben mehrere gottesfürchtige Erwachsene und Kinder, die sich streng an die Regeln von Father John halten, die dieser mit Hilfe von vier Zenturios durchsetzt. Father John ist unfehlbar, seine Beschlüsse indiskutabel, sein Wort ist Gesetz, denn es stammt direkt von Gott. Er sieht seine Gotteslegion als Soldaten Gottes, die nur noch darauf warten, dass ihr Tag gekommen ist, um gegen die böse Schlange zu kämpfen.
Als Father John zur Demonstration seiner Macht mehrere unpopuläre Entscheidungen trifft, ein designierter Zenturio die Gotteslegion verlässt und "Ketzer" verbannt werden, entsteht Unruhe. Vor allem die 17-jährige Moonbeam, die ihren Freund Nate und ihre Mutter in Folge der Ereignisse verloren hat, beginnt zu reflektieren und an Father John und Gottes Willen zu zweifeln. Mutig und verzweifelt zugleich versucht sie, die Außenwelt auf die Situation der Gotteslegion aufmerksam zu machen.

"After the Fire" ist inspiriert von realen Ereignissen, von einem selbsternannten Propheten, der in den 1990er-Jahren eine Sekte totalitär führte, bis de Gemeinschaft unter Einsatz von Waffengewalt aufgelöst wurde.

Die Geschichte entfaltet sich durch zwei Handlungsstränge, einem "davor" und einem "danach". Nach dem Feuer ist Moonbeam eine von wenigen Überlebenden, die in einer psychiatrischen Einrichtung in Texas behandelt wird und sukzessive von ihrem Leben in der Gotteslegion erzählt. In Rückblenden erfährt man aus ihrer Sicht von den Geschehnissen, die sich dort hinter hohen Mauern ereignet haben. Dem Therapeuten und dem FBI-Ermittler erzählt sie jedoch längst nicht alles, denn sie hat Angst und fühlt sich schuldig. Moonbeam ist ein vielschichtiger Charakter, der viel durchgemacht hat und je tiefer sie in ihre Geschichte eintaucht, desto mehr erschütternde Details offenbaren sich über das sektirische, abgeschottete Leben in der Wüste.
Zunächst mag man sich fragen, warum Menschen ihre Freiheit aufgeben, um in einer solchen Gemeinschaft zu leben und sich einem selbsternannten Propheten unterordnen. Doch ihr Glaube an den Willen Gottes und an ein Leben nach dem Tod an seiner Seite ist stark, die Brüder und Schwestern geben als Gemeinschaft Halt und die Abgeschiedenheit und das weitgehend autarke Leben schützt sie vor den dunklen Mächten der Außenwelt.

"After the Fire" ist eine gelungene Mischung aus Drama und Thriller, die fesselnd erzählt ist. Durch den Wechsel aus "davor" und "danach", den Erlebnissen innerhalb der Gotteslegion, die peu à peu aufgedeckt werden und der Therapie der Jugendlichen und Kinder, die Großteils gar kein anderes Leben kennen, als das in der Gotteslegion, entstehen durch die Unterbrechungen immer wieder neue Spannungsmomente. Es ist zudem spürbar, wie sehr Moonbeam darunter leidet, sich zu erinnern und darüber sprechen zu müssen. Doch gleichzeitig fühlt sie einen inneren Druck, darüber sprechen zu müssen, um letztlich ihr Gewissen zu erleichtern.
Es ist einerseits eine kraftvolle Geschichte über den einsamen Kampf eines Mädchens in einer schier ausweglosen Situation und andererseits eine Geschichte über Gewalt, Manipulation und einen verirrten Gottesglauben, die den Kult um einen unfehlbaren Propheten, die Gehirnwäsche und eine Atmosphäre der permanenten Angst und Überwachung sehr eindringlich darstellt.
"After the Fire" ist ein emotional packender Thriller, den ich nicht nur jugendlichen Lesen sehr empfehlen kann.

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Veröffentlicht am 24.07.2020

Eine bewegende Geschichte um einen tragischen Verlust und die Suche nach Wahrheit

Zwei fremde Leben
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Im März 1973 bringt Ricarda Raspe in einem Krankenhaus in Dresden ein Kind zur Welt. Während der Geburt kommt es zu Komplikationen, das Baby überlebt nicht.


Der Polizist Thomas Rust hält sich zum selben ...

Im März 1973 bringt Ricarda Raspe in einem Krankenhaus in Dresden ein Kind zur Welt. Während der Geburt kommt es zu Komplikationen, das Baby überlebt nicht.


Der Polizist Thomas Rust hält sich zum selben Zeitpunkt im Krankenhaus auf, denn seine Frau wurde hochschwanger stationär aufgenommen. Im Gespräch mit Ricardas Freund erfährt er von der angeblichen Totgeburt. Die Umstände sind allerdings so undurchsichtig, dass Thomas - wie auch Ricarda - nicht glaubt, dass das Baby gestorben, sondern tatsächlich entführt worden ist. Er betreibt daraufhin Nachforschungen, sieht sich jedoch mit einer Mauer des Schweigens konfrontiert, was ihn noch misstrauischer werden und tiefer graben lässt. Mit seiner Hartnäckigkeit gefährdet er nicht nur sich und seine eigene Existenz.


Auch Ricarda, die später eine gesunde Tochter zur Welt bringt, kommt all die Jahre nicht zur Ruhe. Sie kann nicht um ein Kind trauern, das ihrer Meinung nach gar nicht gestorben ist. Das schürt Konflikte zu ihrem Mann, der sich letztlich von ihr scheiden lässt, und zu ihrer Tochter Ines, die sich nur als Ersatz für die Erstgeborene fühlt. Als Ricarda ganz allein auf sich gestellt ist, beginnt sie nach der Wende erneut mit der Aufarbeitung der Geburtsnacht, bis mit Stasimethoden versucht wird, sie einzuschüchtern und an der Suche nach der Wahrheit zu hindern.


"Zwei fremde Leben" handelt auf mehreren Zeitebenen. Die Vergangenheit handelt im Jahr 1973 und wird aus der Perspektive von Thomas Rust geschildert, der versucht, die mysteriösen Todesumstände der Neugeborenen von Ricarda Raspe aufzuklären bzw. zu beweisen, dass das Baby gar nicht gestorben ist. Die Gegenwart handelt nach einer kurzen Rückblende 1990 in den Jahren 1993/ 1994 und stellt die Sicht von Ricarda dar. Nach einem Zeitsprung ins Jahr 2018 wird Ricarda von einer Frau aufgesucht, die 1973 geboren und adoptiert wurde und bringt daraufhin wieder einen Stein ins Rollen.
Es ist eine tragische Geschichte voller Geheimnisse und Vertuschungen, die den Unrechtsstaat DDR ganz massiv anprangert. Es ist schütternd zu lesen, wie sehr Ricarda all die Jahre gelitten hat und die Umstände der Geburt ihres ersten Kindes nie verarbeitet hat. Ihr Leben ist geprägt von Unglaube, Wut, Hilflosigkeit und Einsamkeit. Die Ungewissheit hindert sie daran, den Verlust des Kindes zu akzeptieren und zu betrauern.

Der Roman versetzt den Leser durch die lebendigen Beschreibungen der Lebensumstände der Protagonisten sehr anschaulich in die Jahre 1973 und die Nachwendejahre. Die Angst vor Bespitzelung und der Verdacht, niemandem, nicht einmal Freunden oder Nachbarn vertrauen zu können, ist 1973 allgegenwärtig. Auch willkürliche Zwangsmaßnahmen des allmächtigen Staats sind jederzeit zu befürchten und schüren Ängste.
1993, wenige Jahre nach der Wende, scheint sich die Situation für die Einwohner der neuen Bundesländer nur unwesentlich verbessert zu haben. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, der Neid und Wut auf die Besserwessis groß, die ganze Städte aufkaufen und die Bürger der ehemaligen DDR von oben herab behandeln. Auch das Gefühl, unter Druck gesetzt und verfolgt zu werden, lässt Ricarda auch nach dem Ende von DDR und MfS nicht los.

Der Roman fesselt auf beiden Zeitebenen durch die unklaren Todesumstände der erstgeborenen Tochter von Ricarda und dem Verdacht, dass etwas vertuscht werden sollte. Trotz der sehr detaillierten Schilderungen ist der Roman durchweg spannend geschrieben und bewegt den Leser zudem emotional. Das Schicksal von Ricarda, ist nur eines von vielen, was fassungslos und unheimlich wütend macht. Es erscheint unglaublich, wie in den 1970er-Jahren mit Müttern, jungen Eltern und hilflosen Kindern umgegangen wurde, um für eine regimetreue, sozialistische Erziehung zu sorgen.

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