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Veröffentlicht am 06.04.2018

Mehr als nur Reisebericht

Couchsurfing in Russland
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Putin - ein Präsident von enormer Beliebtheit bei seinem Volk? Was steckt dahinter, was denken die Leute?
Information durch Medien ist gut, sagt sich Stephan Orth, aber sich selbst ein Bild machen ist ...

Putin - ein Präsident von enormer Beliebtheit bei seinem Volk? Was steckt dahinter, was denken die Leute?
Information durch Medien ist gut, sagt sich Stephan Orth, aber sich selbst ein Bild machen ist besser. Und so macht er sich auf den Weg in den Osten, um zehn Wochen lang durch das riesige Russland zu reisen und einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Als „Couchsurfer“ ist er unterwegs; er steigt nicht in Hotels ab, sondern ist zu Gast bei Leuten, die ihm für einige Tage eine Couch, ein Bett oder auch nur eine Matratze zum Übernachten anbieten. Auf diese Weise kommt er mit einer Vielzahl unterschiedlicher Menschen in Kontakt, die - mehr oder weniger hilfsbereit, doch stets aufgeschlossen - ihm Eindrücke in ihre Heimat vermitteln und Einsichten in ihre Lebensart und -ansichten gewähren. Auf einer Landkarte kann der Leser verfolgen, welche unglaubliche Strecke von mehr als 21.000 Kilometern Orth per Flugzeug, Bahn und Bus zurücklegt; von Moskau ausgehend über Tschetschenien und Sibirien gelangt er bis in den Fernen Osten des Landes und beendet seine Reise in Wladiwostock. Zahlreiche Fotos illustrieren seine Begegnungen und halten Landschaft und Stimmung fest.
Ohne eine gute Portion an Optimismus und Humor ist eine solch beschwerliche Reise kaum vorstellbar; denn ein Erholungsurlaub ist das wahrlich nicht. Und so ist Orths Reisebericht, den er in flottem Schreibstil verfasst, auch mit reichlich Humor und (Selbst-)Ironie gewürzt. Mit viel Empathie schildert er seine Gastgeber und ihre Eigenheiten. Es sind „normale“ wie auch recht skurrile Typen darunter; die meisten sind neugierig auf andere Länder und offen für neue Erkenntnisse. Doch es gibt auch Menschen wie Igor, der sich seine Meinung über die Welt vom Wohnzimmer aus „ergoogelt“ und auf die Berichterstattung der Medien verlässt - solche kann man in jedem Land der Erde finden. Vielleicht wäre es nicht die schlechteste Ide
e, wenn sich mehr Menschen auf der ganzen Welt aufmachten, um andere Nationen tatsächlich aus „erster Hand“ kennenzulernen und so Vorurteile abzubauen.
Eine informative, launig geschriebene Reiselektüre!

Veröffentlicht am 31.03.2018

Genial im Duett

Durch Nacht und Wind (Goethe und Schiller ermitteln)
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„Mag die Nachwelt uns verdammen - jedoch hätten wir erneut die Wahl, wir würden ein 2tes Mal genauso handeln.“ Ein kryptischer Satz, mit dem Friedrich Schiller sein Vorwort zu seiner im Jahr 1799 verfassten ...

„Mag die Nachwelt uns verdammen - jedoch hätten wir erneut die Wahl, wir würden ein 2tes Mal genauso handeln.“ Ein kryptischer Satz, mit dem Friedrich Schiller sein Vorwort zu seiner im Jahr 1799 verfassten Niederschrift beendet! Was mag wohl dahinter stecken?
Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe wird beauftragt, den äußerst mysteriösen Mord an Großherzog N., der sich mit seiner Familie im Schloss Belvedere nahe Weimar aufhält, zu klären. Sein Freund Schiller, der später die Ereignisse aufzeichnet, begleitet und unterstützt ihn bei den Nachforschungen. Dabei scheint ein kostbarer, jedoch mit einem schrecklichen Fluch beladener Ring eine entscheidende Rolle zu spielen.
In nostalgischer Aufmachung präsentiert sich Stefan Lehnbergs Buch über „die criminalistischen Werke des Johann Wolfgang von Goethe“ ; das Cover zeigt die Silhouetten des Ermittler-Duos, und der Titel ist in alter Frakturschrift wiedergegeben. Einen kleinen Touch Altertümlichkeit verleiht Lehnberg auch seinem Stil: In seinen flüssigen und gut verständlichen Schreibstil mischt er eine Andeutung an historische Schreibweise. Humorvoll-ironisch nähert sich Lehnberg den großen Literaten, holt sie von ihrem Dichterpodest und stellt sie mit ihren menschlichen Vorzügen und Schwächen dar. Schillers Kommentare, die kleinen Sticheleien und Zwistigkeiten zwischen den Poeten sowie die bunte Mixtur aus historischen und fiktiven Personen beleben den Kriminalfall und machen ihn „anders“. Und wer schon immer einmal wissen wollte, woher Goethes Roman „Hermann und Dorothea“ seinen Namen hat, erhält hier eine Erklärung.
Ein wirklich sehr unterhaltsames Büchlein!

Veröffentlicht am 31.03.2018

Wenn der Schiller mit dem Goethe...

Die Affäre Carambol (Goethe und Schiller ermitteln)
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Wieder einmal wandeln zwei berühmte Literaten auf fremden Pfaden: Geheimrat von Goethe und sein Freund Hofrat Schiller ermitteln in einem äußerst delikaten Fall in Goethes Geburtsstadt Frankfurt. Jemand ...

Wieder einmal wandeln zwei berühmte Literaten auf fremden Pfaden: Geheimrat von Goethe und sein Freund Hofrat Schiller ermitteln in einem äußerst delikaten Fall in Goethes Geburtsstadt Frankfurt. Jemand scheint ein großes Interesse an einem Krieg zwischen der Stadt und Frankreich zu haben; denn er provoziert Bonaparte auf vielerlei Art. Der Stadtrat jedoch will eine kriegerische Auseinandersetzung auf jeden Fall verhindern - mit Goethes Hilfe. Und so geraten die zwei Poeten, die eigentlich nur Goethes Mutter besuchen wollten, unversehens mitten hinein in ein turbulentes Abenteuer - und mehr als einmal in Lebensgefahr.
Goethe als studierter Advokat und Schiller als ehemaliger Militärarzt ergänzen sich bestens als Ermittlerteam. Erfindungsreich, aber manchmal auch tollkühn, stürzen sie sich in das Unternehmen, die Stadt Frankfurt vor einer drohenden Belagerung Napoleons zu bewahren.
Wie bereits im ersten Teil seiner Goethe-Schiller-Krimis mischt Lehnberg mit größtem Vergnügen geschichtliche Fakten und Fiktion, historische Personen und Fantasiefiguren. Er lässt das „Franckfurth“ zu Beginn des 19. Jahrhunderts auferstehen und sorgt für Lokalkolorit, mit der unvollendeten Paulskirche, dem Carambolspiel (eine Art Billard mit nur drei Kugeln in rot, weiß und gelb) in der Taverne „Zum schwarzen Eber“ oder einer wilden Verfolgungsjagd durch die alten Gassen.
Augenzwinkernd gibt der Autor menschliche Schwächen der Dichter preis; das Geplänkel der beiden Großen untereinander und Schillers spitze Bemerkungen über Goethes Amouren geben dem Roman zusätzlich Würze. Flott geschrieben und - so finde ich - spannender als im ersten Band entrollt sich der Plot, immer wieder ironisch untermalt von kleinen Indiskretionen und Respektlosigkeiten. Eine sehr amüsante Freizeitlektüre!

Veröffentlicht am 31.03.2018

"Da. So seid ihr."

Leere Herzen
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Ein Blick in die nahe Zukunft: 2025 ist der Pegida-Slogan „Merkel muss weg“ Wirklichkeit geworden, und die rechte Besorgte Bürger Bewegung stellt mit Regula Freyer als Kanzlerin die Regierungspartei. ...


Ein Blick in die nahe Zukunft: 2025 ist der Pegida-Slogan „Merkel muss weg“ Wirklichkeit geworden, und die rechte Besorgte Bürger Bewegung stellt mit Regula Freyer als Kanzlerin die Regierungspartei. Eher gleichgültig betrachten die meisten Menschen die „Effizienzpakete“ der Regierung, die nach und nach die Grundrechte abschaffen sollen.
In diesem düsteren Szenario lebt Britta Söldner mit Ehemann Richard und Tochter Vera komfortabel im eigenen Haus in der Braunschweiger Gegend. Während Richards Unternehmen nicht recht floriert, ist Britta sehr erfolgreich mit ihrem Projekt „Brücke“, das sie gemeinsam mit Babak Hamwi leitet. Offiziell als Heilpraxis für Psychotherapie deklariert, verbirgt sich dahinter jedoch wesentlich mehr als „Life-Coaching, Self-Managing, Ego-Polishing“; Britta betreibt auch ein lukratives Geschäft mit dem Tod - bis ihr eines Tages gefährliche Konkurrenz in die Quere kommt.
In schlichtem Schreibstil schildert die Autorin Brittas Alltagsleben und ihren Kampf gemeinsam mit Babak um das Fortbestehen ihrer Firma. Es ist ein durchaus spannender Krimi zu verfolgen, in welche Intrigen sie gerät, inwieweit ihre Familie mit hineingezogen wird. Juli Zehs Kritik und moralische Belehrungen (so angebracht sie sein mögen) sind allerdings nicht sehr geschickt verpackt. Zynisch wirkt es, wie die Autorin die Bevölkerung beurteilt: ich-bezogen, gleichgültig dem Leid anderer gegenüber, politisch passiv.
„Full hands, empty hearts“ heißt daher nicht nur ein erfolgreicher Hit des Jahres 2025, sondern ist zugleich eine passende Bezeichnung für Brittas Mitmenschen, und vor allem für sie selbst. Oder sind es nicht eigentlich wir Leser, denen Juli Zeh den Spiegel vorhalten will? Nicht umsonst beginnt sie ihren Roman mit einem Statement: „Da. So seid ihr.“

Veröffentlicht am 27.03.2018

Fünf Tage im Leben des Dr. Schmied

Der Lügenpresser
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"Man glaubt gar nicht, wie naiv Politiker oft sind, wie die sich ihre Welt basteln in ihren Köpfen und die Wirklichkeit nicht sehen!"
Ob Dr. Karl Schmied, tätig als Journalist für den Lokalteil eines ...

"Man glaubt gar nicht, wie naiv Politiker oft sind, wie die sich ihre Welt basteln in ihren Köpfen und die Wirklichkeit nicht sehen!"
Ob Dr. Karl Schmied, tätig als Journalist für den Lokalteil eines Wiener Boulevardblattes, mit seinem Statement recht hat? Wir Leser bekommen an fünf Werktagen des Reporters Einblick in die fantasiereichen Überlegungen des promovierten Historikers und erleben seine „…Gedankenwelt, in der es zugeht wie in der großen.“ Da mischt sich Privates - der 62jährige ist frisch verliebt in Sonja aus Moldawien - mit Beruflichem, Vergangenheit mit Gegenwart und Zukunftsplänen. Die Autorin Livia Klingl, selbst im Journalismusbereich tätig, versteht es wunderbar, einen vielfältigen Strauß an Themen nahtlos miteinander zu verknüpfen. Auf hintergründig witzige, ironische Weise lässt sie Schmieds Ansichten zu aktueller Politik unbekümmert in seine ganz intimen Gedanken über seine Geliebte Sonja übergehen; Alltagsthemen reihen sich assoziativ an seine Kindheitserinnerungen.
Dass er vor einiger Zeit aus seinem Ressort Außenpolitik in den Lokalbereich wechseln musste, schmerzt ihn noch immer, und so spart er nicht mit Kommentaren über die Themenwahl der Medien, das Sortieren von Nachrichten, besonders in der Online-Redaktion: „Und irgendwann sind dann die Realität und die öffentliche Meinung durch die veröffentlichte Meinung zwei vollkommen verschiedene Angelegenheiten.“
Dr. Karl Schmieds Arbeitswoche scheint ganz normal zu verlaufen, bis zwei völlig unerwartete Ereignisse ihn aus dem Konzept bringen.
In gepflegter Umgangssprache und mit lebendigen Elementen Wiener Mundart schafft Klingl es, Schmieds innere Monologe spannend und immer wieder überraschend zu gestalten. Augenzwinkernd gelingt ihr ein sehr unterhaltsamer Roman, in dem sie - wie nebenbei - reichlich Kritik unterbringt. Porträtiert sie hier wirklich nur die österreichische Seele? Wir erkennen: Auch wer zur Bildungsschicht gehört, ist nicht vor Vorurteilen gefeit.