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Veröffentlicht am 23.07.2025

Fall und Aufstieg der Hayley Sinclair

Standing Ovations
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Schauplatz: Das Fringe Kulturfestival in Edinburgh. Protagonisten: Die Stand-up Comedian Hayley Sinclair, am Anfang ihrer Karriere und der renommierte, aber gnadenlose Kritiker Alex Lyons, Sohn einer Schauspiellegende.
Alex, ...

Schauplatz: Das Fringe Kulturfestival in Edinburgh. Protagonisten: Die Stand-up Comedian Hayley Sinclair, am Anfang ihrer Karriere und der renommierte, aber gnadenlose Kritiker Alex Lyons, Sohn einer Schauspiellegende.
Alex, Anfang 30, besucht für seine überregionale Zeitung zahlreiche Theateraufführungen und Shows des Festivals. Seine Kritiken sind radikal, 3 Sterne findet er nichtssagend und langweilig, er verteilt entweder einen Stern oder aber (eher selten) fünf Sterne. Hayleys Performance erntet von ihm einen harten Verriss, was ihn aber nicht daran hindert, mit Hayley die Nacht zu verbringen, als sie sich später in einer Kneipe begegnen. Nur erwähnt er nicht, wer er ist. Als Hayley es am nächsten Tag herausfindet, ist sie zuerst am Boden zerstört, geht dann aber in die Offensive. Sie arbeitet ihr Programm um und stellt Alex und sein Verhalten in den Mittelpunkt. Durch die Enthüllung ihrer Demütigung demütigt sie wiederum ihn. Und es funktioniert, viele Frauen mit ähnlichen Erfahrungen sind auf ihrer Bühne zu Gast, das Publikum kommt in Strömen, die nächsten Vorstellungen sind alle ausverkauft, in den sozialen Medien prasselt ein Shitstorm auf Alex nieder.
Erzählt wird uns das alles durch eine dritte Person, Alex’ Kollegin Sophie, die seinerzeit mit ihm zusammen bei der Zeitung angefangen hatte, nun aber nach einer Babypause wieder im Beruf Fuß zu fassen versucht. In der Hierarchie hat Alex sie längst überrundet. Mir hat dieser Kunstgriff der Autorin gut gefallen, dass uns alles aus Sophies ambivalenter Perspektive geschildert wird. Denn sie empfindet einerseits Loyalität für Alex, ist aber andererseits auch auf Hayleys Seite und bewundert ihre Initiative. Sophies private Situation als berufstätige junge Mutter und das nicht ganz unkompliziert verlaufende Verhältnis zu ihrem Ehemann spielen auch in ihre Gedankengänge hinein und dadurch gibt es keine eindeutige Schwarz-Weiß-Zuordnung.
Charlotte Runcie hält der heutigen Gesellschaft mit scharfer Beobachtungsgabe einen Spiegel vor – das regt zum Nachdenken an und liest sich außerdem sehr amüsant und unterhaltsam, bissig und witzig. Speziell die Ambivalenz von Sophie hat mir gefallen, die nicht nur einseitig Alex zum Buhmann macht. Sophie kämpft mit ihrer eigenen Haltung zu allem, was da passiert, sie stellt sich viele Fragen zu ihrer Rolle als Frau, Ehefrau, Mutter, Journalistin und Kritikerin. Ein gelungenes Debut, sehr zu empfehlen.

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Veröffentlicht am 22.07.2025

Vielversprechende Grundidee - enttäuschende Umsetzung!

Das Ministerium der Zeit
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Mit großer Vorfreude bin ich an die Lektüre dieses Buches herangegangen, am Anfang hat es mir auch sehr gut gefallen.
Im England der nahen Zukunft gelingt einem ominösen Ministerium der Zeit etwas nie ...

Mit großer Vorfreude bin ich an die Lektüre dieses Buches herangegangen, am Anfang hat es mir auch sehr gut gefallen.
Im England der nahen Zukunft gelingt einem ominösen Ministerium der Zeit etwas nie Dagewesenes: Einige Menschen aus anderen Jahrhunderten per Zeitreise in die Gegenwart zu holen. Die Icherzählerin, eine junge Frau, deren Name nie genannt wird, mit einem britischen Vater und einer aus Kambodscha geflohenen Mutter (also ein Alter Ego der Autorin), bewirbt sich innerhalb des Ministeriums auf eine andere, erheblich lukrativere Arbeitsstelle, bei der sie einem sogenannten Expat aus einer anderen Zeit an die Seite gestellt wird, um ihm als „Brücke“ die Eingewöhnung in das heutige Leben zu erleichtern. Der Expat an ihrer Seite ist der 1847 verstorbene Commander Graham Gore, der als Kapitän eines Schiffes einer Polarexpedition verschollen war.
Wie die beiden sich aneinander herantasten wird sehr humorvoll geschildert. Er muss sich an die vielen technischen Neuerungen und an völlig andersartige Denkweisen gewöhnen und sie muss ihm erklären, dass der Fortschritt auch negative Seiten hat. Was dieses Regierungsprojekt bewirken soll, ist mir bis zum Ende nicht klargeworden. Wie gesagt, der Culture Clash von Personen aus unterschiedlichen Epochen liest sich sehr amüsant, wir lernen auch noch einige andere der Zeitreisenden kennen, die als interessante Charaktere skizziert werden, jedoch ließ der Reiz der neuen Idee schnell nach, die Lektüre gestaltete sich zum Teil sehr zäh. Und die Zusammenhänge des Plots erschlossen sich mir nicht. Das Buch wechselte des öfteren das Genre, versuchte sich z.B. auch an Romance, als sich eine Liebesbeziehung zwischen Gore und seiner Brücke anbahnt, die allerdings hauptsächlich durch grafische Sexszenen dargestellt wird, was auf mich im Kontext der sonstigen Handlung eher befremdlich und unpassend wirkte. Dann wird plötzlich eine Art Thriller daraus, dessen Handlung mir aber zu verworren war. Auch das Ende war unbefriedigend.
Es gibt durchaus gute Stellen in diesem Roman, aber als Gesamtwerk hat er mich nicht überzeugt und der ausufernde Schreibstil, die Sprache der Autorin, hat mich teilweise genervt. Oft lese ich solche Genre-Mixe sehr gern, finde das hier aber nicht gelungen, das Buch ist irgendwie nicht aus einem Guss.
Schade, die Inhaltsangabe klang sehr reizvoll, jedoch musste ich mich nach einer Weile förmlich durch diesen Roman quälen und kann dieses Buch nicht empfehlen. Deshalb erstaunt mich auch die teilweise sehr positive Resonanz, die es hervorrief.

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Veröffentlicht am 18.07.2025

Ein ungleiches Gesoann

Ein Mord im November - Ein Fall für DI Wilkins
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Bei der Thames Valley Police in Oxford gibt es einen neuen DI, R. Wilkins sein Name. Doch unseligerweise gibt es im Revier schon einen anderen DI R. Wilkins, Verwechslungen sind da geradezu vorprogrammiert. ...

Bei der Thames Valley Police in Oxford gibt es einen neuen DI, R. Wilkins sein Name. Doch unseligerweise gibt es im Revier schon einen anderen DI R. Wilkins, Verwechslungen sind da geradezu vorprogrammiert. Und so landet versehentlich der Neue, DI Ryan Wilkins am Tatort im vornehmen College, nicht - wie geplant - DI Ray Wilkins, selbst Oxford-Absolvent. Ryan, zwar geboren in Oxford, ist aber in eher bildungsferner Familie mit gewalttätigem Vater in einem Trailer-Park aufgewachsen, wohingegen Ray aus gehobenen Verhältnissen stammt, er ist der Sohn einer wohlhabenden, nigerianisch-britischen Familie.
Die beiden müssen nun zusammenarbeiten, woraus der Krimi seinen Reiz zieht. Die beiden können zuerst gar nicht miteinander, doch allmählich lernen sie die Fähigkeiten des jeweils anderen zu schätzen und werden zwar nicht gerade Freunde, raufen sich aber einigermaßen zusammen.
Ryan ist zwar ungebildet, aber hochintelligent und ein scharfer Beobachter. Obwohl der Autor ausführlich seine eher abstoßenden Manieren und seine ungehobelte Sprechweise darstellt, schafft er es irgendwie doch, dem Leser diesen jungen Mann ans Herz wachsen zu lassen, der außerdem ein äußerst liebevoller, alleinerziehender Vater ist.
Von dem Culture-Clash zwischen den Welten der beiden Protagonisten lebt dieser Krimi, aber auch von der Schilderung der schnöseligen Oxforder Gesellschaft vor dem Hintergrund dieser altehrwürdigen Universitätsstadt. Und natürlich auch von einem spannenden Kriminalfall, obwohl die Einführung der beiden Ermittler im ersten Band dieser Reihe naturgemäß einen großen Raum einnimmt. Mir hat's gefallen und ich bin sehr gespannt, wie es mit diesem Ermittlerduo weitergeht. Inspector Morse ermittelte ja auch in Oxford, vielleicht sind Wilkins & Wilkins seine zeitgemäßen Nachfolger. Wie die Krimiautorin Val McDermid meinte: Move over Morse!

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Veröffentlicht am 16.06.2025

Kindheit und Jugend im China nach der Kulturrevolution

Himmlischer Frieden
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Die Ich-Erzählerin berichtet zu Beginn ihres Romans von ihrer Kindheit, ihrer Familie und ihren Spielkameraden. Der sehr gut lesbare Schreibstil ihrer Erzählung, schaffte es sofort, mich zu fesseln. Es ...

Die Ich-Erzählerin berichtet zu Beginn ihres Romans von ihrer Kindheit, ihrer Familie und ihren Spielkameraden. Der sehr gut lesbare Schreibstil ihrer Erzählung, schaffte es sofort, mich zu fesseln. Es gelingt ihr mit wenigen Pinselstrichen, dem Leser das Leben in dieser Zeit in China nahezubringen. Gekonnt charakterisiert sie die erwachsenen Familienmitglieder und lässt uns das Beziehungsgeflecht zwischen Vater, Mutter und Großmutter verstehen.
In ihrem autofiktionalen Roman erzählt Lai Wen eine persönliche Coming of Age Geschichte, die aufs engste mit der Politik und der gesellschaftlichen Entwicklung im damaligen China verwoben ist. Deng Xiao Ping, der als politischer Erneuerer auf Reformkurs antrat, offenbarte sich im Endeffekt bei den Ereignissen von 1989 - den Studenten-Unruhen auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking - als ein genauso harter und menschenverachtender Führer, wie seine Vorgänger.
Lai Wen ist nur eine Randfigur, eine Mitläuferin, die uns die Ereignisse aus ihrem Blickwinkel schildert.
Bis es am Ende des Romans zum Tian'anmen-Massaker kommt, vergehen noch viele Seiten, in denen Lai Wen uns an einem Kinderstreich mit bösem Ende teilnehmen lässt, an ihrer ersten Liebe, ihrer Bekanntschaft mit einem alten Buchhändler, der sie an die Literatur heranführt, die Hintergründe der Geschichte ihres Vaters, und vieles mehr, u.a. ihren neuen Freundeskreis, angeführt von der unberechenbaren, wilden Freundin Anna, die Lais Weltbild gehörig durcheinander schüttelt. Das ist hin und wieder etwas zu weitschweifig, packt einen am Ende bei der Schilderung des Studenten-Aufstandes aber doch wieder und hat mich sehr berührt. Diese eindringliche Beschreibung des Heranwachsens einer jungen Frau geht weit über das Persönliche hinaus und lässt uns teilhaben an der damaligen Aufbruchsstimmung und der darauf folgenden tiefen Enttäuschung.
Ein toller Roman, besonders für alle die sich für die neuere chinesische Geschichte interessieren!

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Veröffentlicht am 14.05.2025

Am Gardasee auf Churchills Spuren

Was am Ufer lauert
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Anfangs ein wenig zäh, aber etwa ab der Mitte dann doch recht spannend. Ein Regionalkrimi mit viel Lokalkolorit, bei dem allerdings das Krimithema weniger Gewicht hat als die Familiengeschichte der Pittis.

Aber ...

Anfangs ein wenig zäh, aber etwa ab der Mitte dann doch recht spannend. Ein Regionalkrimi mit viel Lokalkolorit, bei dem allerdings das Krimithema weniger Gewicht hat als die Familiengeschichte der Pittis.

Aber der Reihe nach: Im Auftrag ihres totgeglaubten aber wieder aufgetauchten Vaters (des Starjournalisten Arnaldo Pitti) will die junge Journalistin Gianna Pitti einen Informanten treffen, findet stattdessen aber eine weibliche Leiche. Danach passiert erst einmal nicht viel. Gianna meldet den Leichenfund nicht (?) bei der Polizei sondern fährt erst eimal nach Hause. Im weiteren beschäftigt sich die Handlung erst einmal mit den zumeist schon aus Band 1 bekannten Protagonisten (Giannas Chefin beim Messagero, Giannas Onkel den Marchese - Lebenskünstler und der Einzige der Familie der seinen Adelstitel nicht abgelegt hat, Giannas Mutter und ihren neuen, jüngeren Freund, der Historiker ist, und Giannas Vater). Die Geschichten aus der Familie sind durchaus kurzweilig, hätten aber vielleicht etwas weniger ausführlich sein dürfen. Nebenbei geht es auch immer um die momentan prekäre Lage der Printmedien, denn drei der Hauprfiguren sind ja Journalisten.

Im Kriminalfall geht es um angeblich verschollene Briefe von Churchill an Mussolini, die wenn sie tatsächlich existieren mit ihrem Auftauchen den guten Ruf des Antifaschisten Churchill beflecken könnten. Dieser war in den 1920er und dreißiger Jahren häufig am Gardasee und auch gut bekannt mit dem Großvater der Pittis, der ihn des öfteren in seinen Tagebüchern erwähnte. Die Krimigeschichte geht zuerst sehr langsam voran und als Leser bekommt man neue Informationen nur in homöopathischen Dosen, und kann sich nicht wirklich ein Bild machen. Allerlei verdächtige Personen werden kurz erwähnt, aber es bleibt unklar welche Rolle sie spielen. Dann gegen Ende beschleunigt sich das Tempo rapide, und nun prasseln die Infos auf einen ein. Der Fall mit historischer Verbindung ist interessant, das Setting am See ist reizvoll, die Protagonisten sind sympathisch (besonders der Marchese), der Schreibstil ist humorvoll, flott und gut lesbar und der Fall wird zufriedenstellend aufgelöst.

Insgesamt hat mir der erste Band vom Aufbau her zwar etwas besser gefallen, aber auch dieser zweite Band ist durchaus unterhaltsam und gegen Ende auch spannend. Da mir die Hauptfiguren schon etwas ans Herz gewachsen sind, werde ich wohl auch den nächsten Band wieder lesen und hoffe, dass die Krimihandlung dann wieder etwas stringenter erzählt wird. Nichts für Fans von harten und actionlastigen Krimis, aber für Cosy und Regionalkrimifreunde unbedingt zu empfehlen.

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