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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 18.02.2017

Über Migration und Neuanfang

Der Mann, der Luft zum Frühstück aß
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Als Erzählung lässt sich dieses kurze, 123 Seiten umfassende Büchlein am ehesten einordnen. Bei aller Kürze ist sie ausführlich genug, um einen umfassenden Einblick in das Leben des Protagonisten Walerian, ...

Als Erzählung lässt sich dieses kurze, 123 Seiten umfassende Büchlein am ehesten einordnen. Bei aller Kürze ist sie ausführlich genug, um einen umfassenden Einblick in das Leben des Protagonisten Walerian, dem Ich-Erzähler, zu erhalten. Als Zwölfjähriger wurde er entwurzelt, indem ihn seine Mutter von Polen nach Wien „entführte“. Das sich anschließende Trauma mit Sprachbarrieren, Schulproblemen, Gelegenheitsjobs überwindet er schließlich mit der Erkenntnis, das Boot selbst steuern zu müssen. Damit sind wir auch schon bei der Moral der Geschichte – nicht in der Vergangenheit und bei der Frage verharren, was wäre gewesen, wenn; sondern sein zukünftiges Leben aktiv gestalten. Alles wird uns recht humorvoll und in einem wunderschönen, ganz besonderen Erzählstil dargebracht, so dass es Spaß macht, das Buch zu lesen, zumal bzgl. der Migration ein durchaus aktueller Anlass besteht. Vielleicht gibt dieses Buch sogar eine gute Schullektüre ab.

Veröffentlicht am 16.02.2017

Raus aus der Alterseinsamkeit

Weit weg ist anders
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Zwei 70jährige Frauen, die grantige, stets sehr direkte und das Alleinsein liebende Berlinerin Edith Scholz und die weinerlich veranlagte, esoterische, manipulationsfreudige Christel Jacobi lernen sich ...

Zwei 70jährige Frauen, die grantige, stets sehr direkte und das Alleinsein liebende Berlinerin Edith Scholz und die weinerlich veranlagte, esoterische, manipulationsfreudige Christel Jacobi lernen sich in der Reha kennen. Freundinnen werden sie nicht grade und lassen in der Gedankenwelt ihrer Abneigung gegenüber der anderen nur zu gerne freien Lauf. Dennoch folgt Edith einer Einladung Christels in deren Heimatstadt Husum. Was Edith nicht weiß ist, dass die unheilbar kranke Christel die Besucherin als Mittel zum Zweck einsetzt, um mit ihr eine letzte Reise antreten zu können, die zur Bewährungsprobe der sich allmählich doch entwickelnden zarten Freundschaft wird.

Obwohl die Geschichte immer wieder ernste Themen behandelt – Altersgebrechlichkeit, Krankheit, Einsamkeit, das bevormundet werden im Alter – ist ihr Grundton alles andere als ernst. Das wird schon auf den ersten Seiten offensichtlich, als recht humorvoll der folgenschwere Sturz von Edith Scholz in ihrer Wohnung beschrieben wird. Später bereitet es dann immer wieder Vergnügen, die sich im Kopf der beiden alten Damen abspielenden lästernden Gedanken zu lesen, die an der jeweils anderen kein gutes Haar lassen. Dass sich trotzdem ganz allmählich so etwas wie Freundschaft zwischen den grundverschiedenen Frauen entwickelt, ist umso schöner. Schade nur, dass diese Episode aufgrund äußerer tragischer Umstände so kurz bleiben muss. Obwohl die Geschichte kein Happy End hat, stößt man sich hieran nicht. Ein anderes Ende hätte wohl eher unrealistisch gewirkt. Neben den beiden Protagonistinnen sind auch die Nebenfiguren gelungen dargestellt – vor allem der auf ihm eigene Art einsame Briefträger und der „Witwentröster“. Ein schönes Detail, das allen Bücherfreunden gefallen wird, ist, dass den belesenen Protagonistinnen einige literarische Zitate in den Mund gelegt werden, z.B. „Sturheit ist die Energie der Dummen“ von Mark Twain (S. 226).

Dieses Buch kann ich wärmstens empfehlen.

Veröffentlicht am 14.02.2017

Humorvolle Liebesgeschichte zwischen Fernsehkoch und Anästhesistin

Franz oder gar nicht
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Anlässlich einer Blinddarmoperation haben sich die junge Assistenzärztin Josephine und der bekannte Fernsehkoch Raphael ineinander verliebt. Zu Verwicklungen und Missverständnissen kommt es jedoch, als ...

Anlässlich einer Blinddarmoperation haben sich die junge Assistenzärztin Josephine und der bekannte Fernsehkoch Raphael ineinander verliebt. Zu Verwicklungen und Missverständnissen kommt es jedoch, als sich Jo bei Raphael für einen abgebrochenen Schneidezahn während der OP entschuldigen will und Raphael nicht glauben will, dass einer Ärztin ein einfacher Koch gut genug sei. Beide versuchen jedenfalls immer wieder, sich am anderen zu rächen.

Diese Liebesgeschichte ist recht komisch, ohne dass die spaßigen Textstellen zu aufgesetzt oder künstlich wirken. Sie ist gut als Lektüre für zwischendurch geeignet. Besonders hat mir gefallen, dass das eine oder andere Geheimnis rund ums Kochen oder die ärztliche Behandlung preisgegeben wird und alles von unverständlichen medizinischen Fachbegriffen untermauert wird. Die wechselnden Perspektiven zwischen Jo und Raphael, eingestreute Ausschnitte aus seiner Biografie und ein Rezept im Anhang bieten Abwechslung beim Lesen.

Veröffentlicht am 12.02.2017

Risse hinter der Fassade einer scheinbar perfekten Familienidylle

Perfect Girl - Nur du kennst die Wahrheit
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Im Mittelpunkt steht die Jugendliche Zoe Maisey, talentierte Pianistin, hochintelligent. Einige Jahre zuvor verschuldete sie bei einem Autounfall den Tod dreier Teenager und wurde zu neun Monaten Jugendarrest ...

Im Mittelpunkt steht die Jugendliche Zoe Maisey, talentierte Pianistin, hochintelligent. Einige Jahre zuvor verschuldete sie bei einem Autounfall den Tod dreier Teenager und wurde zu neun Monaten Jugendarrest verurteilt. Daran zerbrach ihre Familie. Ihre Mutter hat erneut geheiratet, das Familienidyll in Zoes „Zweitem Leben“ scheint perfekt. Die Vergangenheit wurde immer totgeschwiegen. Ein Konzert soll Zoes Karriere wieder anschieben, entpuppt sich aber als Fiasko – der Vater eines der getöteten Teenager bedroht Zoe vor dem Publikum, ihre Mutter ist in derselben Nacht tot.

Die Geschichte erstreckt sich über nur 24 Stunden, abgesehen von den wiederkehrenden Rückblenden auf Zoes frühere Tat und ihre Therapiegespräche in der Arrestanstalt. Demgemäß wird fast schon minutiös und sehr geballt von den tragischen Ereignissen beim und nach dem Konzert erzählt. Im Vordergrund steht natürlich die Frage, wer Zoes Mutter getötet hat. Sie ist gekonnt eingebettet in die Schilderungen, welche Auswirkungen ihr Tod auf eine ohnehin schon zerbrechliche Familie hat. Erzählt wird nicht nur durch einen Haupterzähler, sondern abwechselnd aus der Perspektive einer ganzen Reihe von Personen – Zoes, ihrer Tante, deren Ehemanns, ihres Stiefbruders und ihres Anwalts. Geschickt kommt dadurch nach und nach zu Tage, dass jede dieser Personen ein Geheimnis birgt. Es werden Themen angesprochen wie häusliche Gewalt, Untreue, Missbrauch. Die Aufklärung des Todes von Zoes Mutter birgt eine interessante Lösung.

Dieser Psychothriller erhält von mir eine klare Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 05.02.2017

Ungeradlinige Tage am Lebensende

Mein schlimmster schönster Sommer
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Das Oxymoron im Buchtitel macht neugierig auf die Geschichte – wie kann ein Sommer zugleich schlimm und schön sein? Für die Protagonistin Isabel stellt er sich aber exakt so dar. Die Unternehmensberaterin ...

Das Oxymoron im Buchtitel macht neugierig auf die Geschichte – wie kann ein Sommer zugleich schlimm und schön sein? Für die Protagonistin Isabel stellt er sich aber exakt so dar. Die Unternehmensberaterin wird mit einem männerfaustgroßen Tumor im Bauch aus dem Krankenhaus entlassen und muss vierzehn Tage auf den Befund warten. Entgegen ihrer Art mietet sie spontan einen uralten VW-Bulli, um mit ihm in die Provence zu fahren, wo sie die Lavendelfelder aus einem früheren Kinderbuch sehen will. Ankommen wird sie dort nicht. Denn zunächst muss sie mit dem Autobesitzer, dem rastalockigen Bassisten Rasso, im Bus einige Besorgungen erledigen. Die wenigen Tage unterwegs mit ihm werden zu den ungeradlinigsten Tagen in Isabels Leben. Im Bus sind Drogen versteckt, Bankräuber deponieren in ihm die Beute, unfreiwillig werden sie von einem Guru begleitet, sie transportieren die Asche von Rassos verstorbener Mutter, und … Isabel findet die Liebe.
Es handelt sich um eine schöne Roadnovel, deren einzelne Stationen recht amüsant sind, wenngleich alles von Isabels allgegenwärtiger Erkrankung überschattet wird. So wie Isabel immer wieder über ihr bisheriges Leben und ihre Träume nachdenkt, wird der Leser verleitet entsprechendes zu tun. Eigentlich macht Isabels Leben recht betroffen. Denn immer war sie nur durchschnittlich, lebte ausschließlich für ihre Arbeit. Umso schöner ist es, dass sie über ihren Wegbegleiter Rasso andere Aspekte des Lebens kennenlernt und völlig unspontan Dinge tut. Die Lehre, die sich daraus ziehen lässt, ist zu leben nach dem Motto „Carpe diem“, denn jeder Tag könnte de letzte sein. Recht abwechslungsreich wird die Geschichte dadurch gestaltet, dass sie hin und her wechselt zwischen Rückblenden auf Isabels Krankengeschichte, ihrer Tour, den eigenen Reflexionen auf ihr Leben, den Gedanken ihres Lebensgefährten und ihrer neuen Liebe.

Gerne kann ich dieses Buch empfehlen.