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Veröffentlicht am 13.10.2022

Ein Jahrhundertbauwerk

Zwischen den Meeren
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Ende des neunzehnten Jahrhunderts verdichten sich die Pläne einen Kanal von der Nordsee zur Ostsee zu bauen. Vier Frauen sind auf unterschiedliche Weise mit dem Bauwerk verbunden. Beu Mimi Dahlström handelt ...

Ende des neunzehnten Jahrhunderts verdichten sich die Pläne einen Kanal von der Nordsee zur Ostsee zu bauen. Vier Frauen sind auf unterschiedliche Weise mit dem Bauwerk verbunden. Beu Mimi Dahlström handelt es sich um die Tochter des Planers. Sanne ist eine junge Frau mit großen Träumen, sie möchte die Entwürfe für den Kanal fertigen und eigentlich auch mitbauen. Justine dagegen zieht es zu Handel und Wandel, ihr Großvater eröffnete einen liebevoll eingerichteten Trödelladen, den Justine gleichzeitig modernisieren und in Ehren halten möchte. Regina ist gezwungen eine Ehe einzugehen, die sie nicht wollte. Dennoch bleibt sie immer geradlinig und ehrlich.

Der Bau einer künstlichen Wasserstraße ist auch heute noch ein großes Projekt, schon der Neubau einer Schleuse kann Jahre dauern. Wie muss es da erst vor mehr als hundert Jahren gewesen sein. Da ist es beinahe selbstverständlich, dass sich die Geschichte eines solch riesigen Bauwerks nicht in ein Buch zwängen lässt. Bei dem vorliegenden Band handelt es sich um den ersten Teil einer Trilogie. Hier geht es zum einen um den Beginn von Planung und Bau des Kanals. Gleichzeitig lernt man die vier Frauen kennen, deren Schicksale auf unterschiedliche Weise mit dem Bau verbunden sind. Vier junge Frauen, die etwas erreichen wollen im Leben, denen die Zeit und das Leben etliche Steine in den Weg legen.

Dieses Hörbuch wird sehr lebendig vorgetragen von Svantje Wascher. Auch wenn man vorher ahnte, dass hinter Planung und Bau eines solchen Bauwerks eine Menge Arbeit steckt, so wird einem beim Lesen/Hören dieses Romans erst richtig bewusst, wie viel Herzblut die Beteiligten in das Projekt gesteckt haben müssen. Und es tritt auch hervor, dass durchaus nicht alle mit dem Bau einverstanden waren oder mit seinem Verlauf. Es gab nicht nur etwas zu gewinnen, man konnte auch Grundstücke verlieren oder seine Geschäftsgrundlage. Manche haben sich vielleicht auch einfach verkalkuliert. Auch wenn es hier erst um den Beginn der Entstehung des Kanals geht, deutet sich dies schon an. Bestens verpackt ist der geschichtliche Hintergrund in die Lebensläufe der vier Protagonistinnen. Ihre Lebenswege, auf denen sie mal mehr und mal weniger leichtfüßig schreiten, sind wirklich lebensecht und mit Empathie geschildert, so dass man gerne wissen möchte, wie es mit Mimi, Regina, Justine und Sanne weitergeht.

Veröffentlicht am 11.10.2022

Hardcastle

Mord im Gewächshaus
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Mit ihren zwölf Jahren ist Myrtle Hardcastle ganz schön forsch. Im viktorianischen England ist das nicht selbstverständlich. Doch leider ist ihre Mutter schon verstorben und ihr Vater, der als Staatsanwalt ...

Mit ihren zwölf Jahren ist Myrtle Hardcastle ganz schön forsch. Im viktorianischen England ist das nicht selbstverständlich. Doch leider ist ihre Mutter schon verstorben und ihr Vater, der als Staatsanwalt tätig ist, lässt ihr so manches durchgehen. Zwar sieht sich Myrtle ein wenig in der Rolle der Frau des Hauses. Insgeheim wäre sie jedoch froh, wenn ihre Gouvernante Ada Judson diese Rolle übernehmen würde. Noch ist es aber nicht soweit. Inzwischen beschäftigt sich Myrtle mit ihren Studien, wobei sie ihrer verstorbenen Mutter nacheifern möchte. Dann verstirbt die ältere Nachbarin. Was allen wie ein natürlicher Tod vorkommt, wirkt auf Myrtle irgendwie seltsam.

Dies ist der erste Band einer Reihe von Krimis um die zwölfjährige Halbwaise Myrtle Hardcastle und ihre Gouvernante Ada Judson. Ein wenig älter als sie eigentlich ist wirkt Myrtle schon. Vielleicht liegt es eben daran, dass sie schon so früh auf ihre Mutter verzichten muss. In der Schule hat Myrtle keine wirklichen Freunde, doch das stört sie nicht weiter. Ihre Studien sind ihr sowieso wichtiger. Und mit dem Tod der Nachbarin, der sich als Mord erweist, hat sie ihren ersten Fall. Mit klugen Schlüssen geht sie auch manchmal in die Irre, doch sie gibt nicht auf. Sie wird denjenigen finden, der den Tod der Blumen züchtenden Nachbarin verursacht hat.

Man merkt schon, dass es sich bei dem Buch um ein Jugendbuch handelt. In diesen schwierigen Zeiten macht es das Leben für eine Weile etwas leichter, wenn man ein heiteres Buch zu lesen hat, das mit einem interessanten Setting und sympathischen Charakteren aufwartet. Vielleicht erinnert Myrtle etwas an Flavia, vielleicht wirkt die eine oder andere Szene etwas überzeichnet, aber vielleicht darf man da als älteres Semester keine übermäßigen Ansprüche stellen. Insgesamt jedoch überzeugt dieser Roman mit seinen lebendigen Personen, einem Fall, bei dem es einige Überraschungen gibt und einer guten Portion Humor, was man wie schon erwähnt in dieser Zeit besonders gut gebrauchen kann. Wenn es sich also ergibt, dann soll dieses nicht das letzte Treffen mit Myrtle bleiben.

Veröffentlicht am 09.10.2022

Nachgespürt

Der Apfelbaum
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In seiner Kindheit im Berlin musste Otto lernen sich durchzusetzen, zunächst gegen die stärkeren Kinder und später auf der höheren Schule. Sein leiblicher Vater kam im ersten Weltkrieg um. Später lernt ...

In seiner Kindheit im Berlin musste Otto lernen sich durchzusetzen, zunächst gegen die stärkeren Kinder und später auf der höheren Schule. Sein leiblicher Vater kam im ersten Weltkrieg um. Später lernt er die junge Sala kennen und beide verlieben sich sofort. Ein Happyend ist ihnen jedoch nicht beschieden. Die Nazis stehen vor der Machtergreifung und Salas Mutter ist Jüdin. Auch wenn sie Deutschland verlassen hat und ihr Vater als Intellektueller zunächst nichts zu befürchten hat, so machen die Nazi-Gesetze eine Heirat unmöglich und je länger die Herrschaft des Regimes dauert, desto gefährlicher wird es für Sala. Sie soll zu ihrer Mutter nach Madrid.

Was hat die Mutter ihrem Sohn erzählt, der erst nach diesen scheren Jahren geboren wurde. Nach der Trennung, die ihnen die Zeit auferlegte, haben sie wieder zusammengefunden. Doch was war davor. Der Sohn versucht, sie zum Erzählen zu bringen, obwohl sie schon einiges vergisst. Nur an wenige Dinge erinnert er sich selbst. Doch er will der Vergangenheit und dem Leben seiner Mutter auf die Spur kommen. Wieso war sie so? Wieso ist er so? Er will ganz sein, wie jeder. Das Leben von Sala erweist sich als dramatisch, sie ist eine Überlebende und das war nicht immer gesichert.

Der Autor hat dem Leben seiner Eltern und Großeltern nachgespürt und bei seinen Recherchen hat er Lebensgeschichten gefunden, die durchaus ungewöhnlich, bunt, dramatisch, aber auch mit vielen Gefahren und Bitternis behaftet sind. Das erinnert vielleicht an die eigenen Eltern, die auch nicht alles erzählt haben, auch wenn es sich bei deren unbekannten Lebenswelten eher um normale Geheimnisse handelt. Gut beschrieben hat der Autor die Wechsel zwischen den Gesprächen mit der Mutter, die an ihrem Lebensabend nicht mehr ganz Frau ihrer Sinne ist, und dem Eintauchen in die Vergangenheit, die er sich aus Erzählungen und Recherchen zusammenreimte. Auch wenn die Erzählung wohl da aufhört, wo die eigene Erinnerung anfängt und damit etwas unvollständig wirkt, so gibt es doch mitreißende Szenen über die Grausamkeit der Vorkriegs- und Kriegszeit, die nicht leicht zu ertragen sind und die auch nicht schnell vergessen werden.

Veröffentlicht am 08.10.2022

Der Brief

Mon Chéri und unsere demolierten Seelen
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Ihre Briefe kann sie nicht öffnen, Weihnachten verbringt sie bei Notfallessen und ihre Arbeit im Marketing einer Berliner Firma für hippe Lebensmittel macht sie gut. Allerdings klappt es bei Charlie Benz ...

Ihre Briefe kann sie nicht öffnen, Weihnachten verbringt sie bei Notfallessen und ihre Arbeit im Marketing einer Berliner Firma für hippe Lebensmittel macht sie gut. Allerdings klappt es bei Charlie Benz mit Beziehungen nicht so gut. Am ehesten tauscht sie sich mit ihrem Brieföffner Herrn Schabowski oder ihrer Schwester Sybille aus. Ein Brief von einem Anwalt aus Wien sorgt bei Charlie für große Aufregung. Von einem Anwalt kann nichts Gutes kommen. Charlie mag den Brief noch nicht mal zu Schabowski mitnehmen. Und dann trifft sie bei einer Familienaufstellung, die ihr helfen soll, die Probleme zu verstehen, ausgerechnet einen Schulkameraden wieder, der damals schon ihr Leben durcheinander brachte.

Mit Anfang vierzig hat Charlie Benz noch nicht ganz viel erreicht. Der Vater hat die Familie früh verlassen, ist wieder in das Leben der Kinder getreten, nur um wieder zu verschwinden. Charlies Geschwister sind auch etwas speziell. Zu dem 60jährigen Herrn Schabowski, der ihr die Briefe abnimmt und bei dem es immer einen guten Kaffee gibt, hat sich im Laufe der Zeit eine Art Freundschaft entwickelt. Und dennoch kann Charlie Schabowski nicht alles erzählen oder eher nach und nach. Ein wenig konfus ist sie schon manchmal und wenn sie mit jemandem ins Gespräch kommt, dann kann es eine Weile dauern, bis sie fertig ist.

Vielleicht hat man diesen Roman im Frühjahr im Laden gesehen und gedacht, das ist aber umfangreich. Und ist das Buch auf der Longlist des Österreichischen Buchpreises gelandet und es ergab sich die Gelegenheit, sich die Leseprobe zu Gemüte zu führen und das Interesse an dem Buch wurde dann doch geweckt. Dann ist es am Beginn so, dass man sich an Charlies konfuses Verhalten und ihren Depri-Talk gewöhnen muss. Es schleicht sich die Überlegung ein, dass der Roman möglicherweise nicht ganz der richtige ist. Doch nach und nach verlässt Charlie ihr Schneckenhaus, ihre Freundschaft vertieft sich und endlich öffnet sie den Brief. Und man merkt garnicht, wie sie und Schabowski sich einem ins Herz schleichen und man sie nicht mehr missen möchte. Es passiert dann erstaunlich viel in Charlies ereignislosem Leben und der Depri-Talk ist irgendwann nicht mehr Depri, sondern lebensbejahend, humorvoll und positiv. Nur chaotisch bleibt er, was Charlie und ihre Lieben umso sympathischer macht. Meist lohnt es sich, sich für die Bücher auf den Buchpreislisten etwas Zeit zu nehmen. Hier gewiss.

Veröffentlicht am 07.10.2022

Das Kapitänshaus

Zur See
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Die Mitglieder der Familie Sander kommen und gehen im Kapitänshaus auf der Insel. Nun wohnt Hanne dort, zwei Jungs und ein Mädchen hat sie großgezogen. Ihr Mann Jens fuhr lange Zeit zur See. Irgendwann ...

Die Mitglieder der Familie Sander kommen und gehen im Kapitänshaus auf der Insel. Nun wohnt Hanne dort, zwei Jungs und ein Mädchen hat sie großgezogen. Ihr Mann Jens fuhr lange Zeit zur See. Irgendwann hat Hanne das Warten nicht mehr ausgehalten und Jens die Ehe. Nun beobachtet er die Vögel. Die Tochter Eske hätte die Insel verlassen können, doch ist als Altenpflegerin im einzigen Altenheim der Insel tätig. Ryckmer, der Älteste, hatte auch das Kapitänspatent, allerdings verlor er es und hilft nun auf der Fähre aus. Eine Bedingung gibt es, er muss nüchtern bleiben. Hendrik, der jüngste, ist Künstler.

Auf der kleinen Nordseeinsel kennt man sich. Zwar braucht die Fähre nur eine Stunde bis zum Festland, jedoch ist das Inselleben ein anderes. So viele Einheimische leben nicht mehr dort, dafür kommen schon die Touristen, erst eher im Sommer und nun fast während des ganzes Jahres. Früher war es im Sommer anders. Alles drehte sich um die Gäste, selbst die Kinder mussten ihren Platz räumen. Hanne war im Sommer eine andere. Inzwischen sind ihre einfachen Gästezimmer nicht mehr so gut besucht. Dafür lebt Ryckmer wieder daheim, nachdem er seinen Posten verlor. Und auch im Leben das Inselpastors ergeben sich Veränderung, die ihn nicht unbedingt begeistern.

Und wieder schenkt Dörte Hansen ihren Lesern einen fesselnden Roman. Das Buch atmet Nordseeluft, wobei neben der Sehnsuchtszeit des Urlaubs und des Sommers auch das Grau der anderen Jahreszeiten nicht ausgespart wird. Das Inselleben verändert sich ebenso wie das Leben im Kapitänshaus. Auch wenn sich die Beschreibungen, sehr norddeutsch dauert es eine Weile bis das erste Wort gesprochen wird, auf die Familie Sander fokussieren, so werden auch kleine Begebenheiten um die anderen Insulaner geschildert. Es ist so normal und doch so anders. Wortkarg sind sie und doch reich an Empfindungen. Kein leichtes Buch, doch sehr beeindruckend. Der Wind, die Brise, das Geschrei der Möwen, die Charaktere der Menschen sind perfekt und liebevoll gezeichnet, ohne irgendetwas zu beschönigen. Es herrscht eben nicht nur Urlaubsfeeling, sondern eben auch mal Wind und Wetter. Wenn sich Dörte Hansen eines Themas annimmt, kann man sicher sein, dass man eine anrührende Geschichte lesen darf.