Cover-Bild Weltalltage
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23,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Kiepenheuer & Witsch
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 320
  • Ersterscheinung: 08.02.2024
  • ISBN: 9783462003369
Paula Fürstenberg

Weltalltage

Roman

Mit Wärme, Wucht und Witz erzählt Paula Fürstenberg in »Weltalltage« von einer besonderen Freundschaft und deren Zerreißprobe. Davon, was es heißt, nicht zu funktionieren in einer Welt, in der alles funktionieren muss; vom Körper und wie wir mit ihm umgehen; von der Kraft der Worte und davon, wo Empathie beginnt – und wo sie enden muss.

Sie sind beste Freunde seit der Schulzeit. Jetzt, mit Anfang dreißig, teilen sie sich eine Wohnung. Max ist Architekt, sie ist Schriftstellerin und seit ihrer Kindheit chronisch krank. Immer wieder wird sie von heftigen Schwindelanfällen heimgesucht und ist auf Max angewiesen. Er ist der  Gesunde , sie die Kranke . So war es schon immer. Doch dann erfährt Max vom Tod seines Onkels, und in ihm wächst eine Finsternis. Er muss ins Krankenhaus. Mit einem Mal gerät alles ins Wanken.

Was der Schriftstellerin im aufkommenden  Freundschaftskummer hilft, ist das Schreiben, das versuchsweise Ordnen der Vergangenheit in Listenform. Also erzählt sie ihre Geschichte, und damit auch die von Max, von der Nachwendekindheit im Osten bis in die schwankende Gegenwart. Sie denkt über die gesellschaftlichen Verhältnisse nach, die sie zu denen haben werden lassen, die sie sind, über das Kranksein – und die Sprache der Körper.

Doch durch Denken und Schreiben allein lässt sich einem Kummer nicht beikommen. Dafür muss sie aufstehen und tanzen gehen, muss sie loslassen und alles vergessen. Ein paar Stunden nur, ein paar Tage. Und dann steht Max plötzlich wieder in der Tür …

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 13.02.2024

Sprachlich ungewöhnlich gestaltet und tiefgründig geschrieben

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Im ihrem Roman „Weltalltage“ lässt Paula Fürstenberg eine unbenannte Du-Erzählerin, im Folgenden von mir als Freundin bezeichnet, die Geschichte der langjährigen Freundschaft mit ihrem besten Freund Max ...

Im ihrem Roman „Weltalltage“ lässt Paula Fürstenberg eine unbenannte Du-Erzählerin, im Folgenden von mir als Freundin bezeichnet, die Geschichte der langjährigen Freundschaft mit ihrem besten Freund Max erzählen. Die enge Beziehung kommt an einen Punkt, bei dem sich die darin eingenommenen Rollen wesentlich verändert haben. Die Du-Form wird über die gesamte Geschichte hinweg beibehalten und spiegelt die inneren Konflikte der Freundin wider, sozusagen in einem nicht endenden Dialog mit sich selbst. Weltalltage nennt die Freundin die Tage, an denen ihr Körper von Kindheit an scheinbar über den Dingen schwebt. Die Schrift auf dem Titel verdeutlicht, wie schwankend die Welt sich für die Freundin an solchen Tagen verstellt. Max ist ihr am Rand eine Stütze, doch als er krank wird, kommt die von ihm gebotene Strebe in Schräglage.

Die Freundin und Max kennen sich seit der siebten Klasse. Beide sind nun Anfang Dreißig, ohne feste Partnerschaft und teilen sich eine Wohnung. Max hat eine Festanstellung als Architekt. Als Redaktionsassistentin erhält die Freundin den Auftrag, Max zu porträtieren, doch das Ergebnis ist umfasst viel mehr Seiten als gewünscht. Dadurch kommt sie auf die Idee, aus dem Geschriebenen einen Roman zu gestalten. Sie kündigt ihren Job, aber es fällt ihr schwer, einen Anfang für ihre Geschichte zu finden. Eines Tages teilt Max ihr mit, dass er im Krankenhaus behandelt werden soll. Im Nachhinein wird ihr bewusst, dass sich Max über längere Zeit verändert hat. Sie war stets die chronisch Kranke, der Max bestimmte Hilfeleistungen anbot. Nun beginnt die Freundin zu grübeln, ob ihre Worte und ihr Tun für eine Heilung nützlich sind.

Aus der Suche nach einem Anfang für die Geschichte von Max wird eine Suche nach der passenden Sprache. Das Engagement der Protagonistin als Schriftstellerin bringt Max zum Nachdenken und plötzlich steht die berechtigte Frage im Raum, wem eine zu veröffentlichende Lebensgeschichte gehört. Für die Freundin ist es wichtig, dass ihre Welt Ordnung und Struktur hat, was vor dem Schreiben nicht Halt macht. Daher besteht der Roman aus ausgeführten Listenpunkten. Mal ist es das Alphabet, mal sind es Zahlen, aber auch Monate und Jahre oder ein aufgeworfenes Thema, die die Abschnitte der jeweils abzuarbeitenden Liste bilden.

Die eigenwillige Kunstform funktioniert im Roman par excellence! Paula Fürstenberg fokussiert ihre Protagonistin, die im gleichen Alter ist wie sie selbst, immer wieder auf wichtige Themen und schneidet dabei so manches Auffällige an, manchmal mit dem Finger auf der Wunde, auch mal mit ironischer Ergebenheit. Eigene Erfahrungen und Beobachtungen fand ich bestätigt. Dabei fragte ich mich, in weit die Autorin eigene Erlebnisse einfließen lässt, weil sie sehr einfühlsam, nachvollziehbar und wahrhaftig schreibt. Immer wieder zitiert sie Persönlichkeiten. Ein Literaturverzeichnis befindet sich am Ende des Buchs.

Die Krankheit von Max wird für beide Protagonisten unfassbar und stellt ihre Freundschaft auf eine harte Bewährungsprobe. Anhand von Rückblicken versucht die Freundin das Verhältnis zu klären. Sozusagen als Bonus findet sich auf der Innenseite des hinteren Einbands eine Abrechnung. Erst die Probleme in der Freundschaft bieten der Freundin die Chance, die gewohnte Routine zu verlassen, sich im vorsichtigen Rahmen über ärztliche Verbote hinwegzusetzen und dabei neue Möglichkeiten für sich und ihren Körper zu erkunden. Empfindsame Lesende sollten wissen, dass in der Geschichte neben Symptomen des Schwindels, unter anderem auch Depression und Endometriose thematisiert werden.

Das Denken an die Vergangenheit führt die Freundin in den Osten Deutschlands, das Studium in den Westen, wodurch sich in ihre Erinnerungen Überlegungen zur gesellschaftspolitischen Lage mischen. Die Großmutter von Max, die im Ostenlebt, ist sich sicher, dass die deutschen Verhältnisse zum Ableben einiger Familienmitglieder beigetragen haben. Diese interessante These wird im Laufe der Erzählung geklärt.

Gerne vergebe ich für den sichtbar außergewöhnlich gestalteten, tiefgründig geschriebenen und mich begeisternden Roman „Weltalltage“ von Paula Fürstenberg eine Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 12.02.2024

Eine Annäherung über Listen

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Ich sitze hier und versuche mir einen schmissigen Titel für die Rezension zu diesem großartigen Buch einfallen zu lassen. Da „Weltalltage“ von Paula Fürstenberg aber so vielschichtig und im wahrsten Sinne ...

Ich sitze hier und versuche mir einen schmissigen Titel für die Rezension zu diesem großartigen Buch einfallen zu lassen. Da „Weltalltage“ von Paula Fürstenberg aber so vielschichtig und im wahrsten Sinne des Wortes „unbeschreiblich“ ist, fällt es mir schwer, einen solchen Titel zu finden.

Auf der aller obersten, oberflächlichen, inhaltlichen Ebene dreht sich der Roman um die Freundschaft der Erzählerin mit Max. Beide in der DDR kurz vor der Wende geboren und gefühlt schon immer befreundet. Dabei war Max immer der Aufpasser für die Erzählerin, denn diese ist chronisch krank seit der Kindheit, leidet unter anderem an einem medizinisch nicht erklärbaren Schindel, der sie häufig in die Knie zwingt und für sie lebensgefährlich wird, wenn sie z.B. schwimmen gehen will. Das Gefüge zwischen den beiden: Sie die Kranke, Er der Gesunde; bleibt bis sie Dreißig sind so bestehen, bis Max langsam in eine Düsternis abrutscht, die beide nicht schnell genug als eine Depression erkennen. So einfach, so profan. Aber dann kommen noch die anderen Ebenen zum Vorschein.

So betrachtet Fürstenberg auch den Zusammenhang von Biografien und Erkrankungen mit gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Auf einer soziologischen Ebene begleiten wir Kinder, die in der strukturlosen Nachwendezeit aufwachsen, deren alleinerziehende Mütter überfordert sind und um die existenziellen Grundlagen ihrer Familien kämpfen müssen, wodurch sie fast keine Kapazitäten für die Bedürfnisse ihrer Kinder mehr haben. Diese retten sich durch das Klammern aneinander.

Und eine Ebene weiter ist Fürstenbergs Roman eigentlich gar kein „richtiger“ Roman, denn er besteht ausschließlich aus Listen. Listen, welche nicht aus reinen Stichpunkten bestehen, aber nach denen der Zettelkasten dieser Freundschaftsgeschichte geordnet ist. Das Buch beginnt mit der „Liste möglicher Anfänge dieser Geschichte“. Wir finden bald heraus, warum hier ertastet werden muss, wie der Anfang der Freundschaft zustande gekommen ist. Denn die Erzählerin ist Schriftstellerin, Max ist Architekt. Die Schriftstellerin versucht ein Buch zu schreiben und muss ihre Ideen und Gedanken irgendwie zusammenbringen. Dies gelingt ihr durch Listen. So kommt die „Chronik einiger Verletzungen, die ihr euren Müttern zufügt“ ebenso vor wie ein „Amtliches Verzeichnis einiger Gespräche zwischen Max und dir, die im Nachhinein betrachtet nicht so optimal gelaufen sind“. Anhand dieser übergeordneten Punkte ergibt sich mehr und mehr ein tiefgründiges Bild nicht nur dieser besonderen Freundschaft, sondern auch der Biografien der Figuren, deren Befindlichkeiten und Sorgen.

Weiterhin enthält dieses Buch fast essayistische Passagen, in denen Krankheitsentstehung, die Wahrnehmung von Krankheit in der Gesellschaft, Diagnoseodysseen, die misogyne Medizingeschichte, Krankheit als Metapher in literarischen Texten usw. erforscht werden. Hier werden viele konkrete Zitate eingebunden, die im Anhang des Buches durch ein entsprechendes Literaturverzeichnis unterlegt werden.

Und auf einer Metaebene beobachten wir auch die Figur der fiktiven Schriftstellerin dabei, wie sie diesen Roman, den wir hier in Händen halten, überhaupt erst entwirft. Wie sie gegen Wände rennt, wie sie mit Max verhandeln muss, ob Passagen über ihn im Buch vorkommen dürfen, wie sie eine erzählerische Stimme findet: „Dies ist auch die Geschichte eurer Freundschaft und die begann 1999 in der siebten Klasse. Da hast du noch keine Selbstgespräche in der zweiten Person geführt, da hast du noch ich gesagt, wenn du ich meintest.“ Denn der Text ist vollständig in der Du-Form verfasst. Da muss man sich erst einmal zu Beginn des Buches hineinfinden, aber nach der Eingewöhnungszeit passt diese etwas distanzierte Form perfekt, wird mensch beim Lesen doch dadurch auch immer mit angesprochen.

Und auch wenn das alles jetzt unglaublich überkonstruiert klingt, ist es das dann bei der Lektüre gar nicht so sehr. Alles fließt wunderbar dahin, alles greift ineinander und ergänzt sich, lässt sich wunderbar lesen. Der Text ging mir an vielen Stellen ganz nah, entlockte mir immer wieder Tränen. Dieses Buch ist ein „Ja genauso ist/war es“-Buch für Menschen mit chronischen Erkrankungen, mit Ärzt:innenodyssee, mit „Migrationshintergrund“ aus dem nicht mehr existenten Staat DDR, eine Migration, für die man nicht einmal umziehen musste, und mit vielem mehr in ihrem Erlebnishorizont. Und es ist ein Buch für Menschen, die zwar all diese Erfahrungen nicht gemacht haben, aber die es besser verstehen wollen, wie es sich damit anfühlen kann.

Für mich persönlich stellt dieses Werk von Paula Fürstenberg ein wahres Highlight dar. Ein Roman, den ich in dieser kreativen Form und mit so eindringlich und authentisch vermittelten Inhalten noch nie gelesen habe. Ich bin restlos begeistert und ich weiß, egal, was ich hier schreibe, es wird sowieso weder dem Roman noch meiner Begeisterung gerecht, die ich beim Lesen empfunden habe.

Deshalb:

10/5 Sterne… nein natürlich 5/5 Sterne, geht ja nicht anders. ;)

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