Cover-Bild Ein Mädchen namens Wien
20,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Edition Faust
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 96
  • Ersterscheinung: 29.07.2022
  • ISBN: 9783949774058
Sahar Mandûr

Ein Mädchen namens Wien

Ein Frauenleben. Roman
Hartmut Fähndrich (Übersetzer), Dominique Rossi (Illustrator)

Im Mittelpunkt steht das Kind, das Mädchen und schließlich die Frau mit dem ungewöhnlichen Namen Wien.

„Verflucht der Mann, dem Töchter geboren werden.“ So lautet der erste Satz, den die Neugeborene im Krankenhaus zu hören bekommt. „Traute Nächte in Wien … Das muss ein Stück vom Himmel sein, …“, hört sie vom Vater, der ihr, vergnügt den namengebenden Schlager singend, die Windeln wechselt. 

Seit dem Tag ihrer von Bürgerkriegsbomben begleiteten Geburt im libanesischen Beirut sucht das Mädchen und später die Frau mit dem ungewöhnlichen Namen nach ihrem Platz im Leben und in der Gesellschaft. Eine Suche, die sich zwischen den im Libanon parallel existierenden Welten von Tradition und Moderne abspielt. Ein Leben, das sie atemlos und frei von Denkverboten oder Tabus – vor allem sexuellen – von einem Extrem ins nächste schleudert. Alles probiert sie aus und findet jeweils gute Argumente, es tun zu müssen. 

Sie studiert, wird eine berühmte Fernsehmoderatorin, lässt sich auf eine arrangierte Ehe mit einem Mann ein, der wegen seiner Zeugungsunfähigkeit Selbstmord begeht. Zunächst in den Fängen seiner Familie, die hinter der Fassade von Wohlanständigkeit kleinkariert und dümmlich ist, gerät Wien als Witwe in eine Gruppe frommer Frauen, wo sie sich zunächst angekommen fühlt. Doch schon bald stoßen sie die Koranverse zitierenden Schwestern zutiefst ab und sie verlässt das Land. An ihrer Seite stets ihr erfolgreicher Bruder und vertrauter Komplize, den ihre exzentrischen Ausbrüche amüsieren. 

All das wird in einer meist ironischen und zum Teil auch spöttischen Sprache vorgestellt, die durchaus dem Ton vieler jüngerer Autor:innen in der arabischen Welt entspricht. Es ist eine Erzählung mit zahlreichen Anspielungen, die tief unter die Oberfläche verweisen.

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 26.08.2022

Hintergründig, aber locker geschrieben

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REZENSION – Ist es wirklich der Mühe wert, eine Rezension über ein kleines Büchlein im Taschenbuchformat mit nicht einmal 90 Textseiten zu schreiben? Doch, sie lohnt sich – zumindest im Falle des im Juli ...

REZENSION – Ist es wirklich der Mühe wert, eine Rezension über ein kleines Büchlein im Taschenbuchformat mit nicht einmal 90 Textseiten zu schreiben? Doch, sie lohnt sich – zumindest im Falle des im Juli in der Edition Faust veröffentlichten Kurzromans „Ein Mädchen namens Wien“ der hierzulande völlig unbekannten libanesischen Schriftstellerin Sahar Mandûr. Seit Jahren setzt sich die 45-Jährige in ihrem Beruf als Journalistin in Beirut für die rechtliche, soziale und kulturelle Situation der Frauen in ihrem Heimatland ein. „Ein Frauenleben“ lautet auch der Untertitel dieser Erzählung, die in Auszügen erstmals in dem 2021 veröffentlichten Band „Kleine Festungen“ mit Geschichten über Kindheit und Jugend in arabischen Ländern auf Deutsch erschien, vorzüglich übersetzt vom Islamwissenschaftler und Arabisten Hartmut Fähndrich.
Tatsächlich schafft es Sahar Mandûr auf knapp 90 Seiten das Leben einer modernen, selbstbewussten Frau im heutigen Libanon mit allen Höhen und Tiefen und den sich daraus ergebenden Konflikten umfassend zu schildern. Die Geburt des Mädchen mit dem für Libanesen so ungewöhnlichen Namen Wien – der Vater schwärmte für österreichische Schlagermusik – fällt in die Zeit des libanesischen Bürgerkriegs, mitten in die Auseinandersetzung zwischen arabischen Nationalisten und prowestlichen Christen. Schon damit ist die Basis für die Suche dieser Frau nach dem Sinn ihres Lebens und ihrem Platz darin gelegt. Sie ist ein zwischen Tradition und Moderne, zwischen arabischer und europäischer Kultur hin- und hergerissenes Mädchen, in weiteren Kapiteln eine junge Frau. Nur dadurch, dass sie sich über alle Tabus und Denkverbote frech hinwegsetzt, versucht sie, sich ihren eigenen Platz in der Gesellschaft zu schaffen.
Auf ihrer mehrjährigen Suche probiert sie alle Möglichkeiten aus, die sich ihr jeweils bieten und verfällt von einem Extrem ins andere – sowohl im beruflichen Bereich, im Liebesleben wie auch im Glauben. Als moderne junge Frau lässt sie sich – wenn auch unwillig, aber der Tradition gehorchend – von den Eltern mit einem ihr unbekannten Mann verheiraten. „Die Atmosphäre zwischen ihm und mir ist recht angespannt, die Stunde der Wahrheit rückt bedenklich näher: In zwei Wochen soll die Hochzeit stattfinden, und die Braut ist keine Jungfrau mehr.“ Doch bald stellt sich zur Schande ihres Mannes heraus, das er zeugungsunfähig ist. „Die ersten fünf Ärzte, die wir aufsuchten, nannte er Lügner. Danach, wir hatten damals vier Jahre Ehe hinter uns, beging er Selbstmord. Nun war ich Witwe. Ich war eine lustige Witwe. Da man mich zwang, vierzig Trauertage in der Wohnung auszuharren, ging ich halt bei Nacht aus und kehrte im Morgengrauen zurück.“
Es ist dieser freche, mal ironische, mal sarkastische Stil der Autorin, mit der sie scheinbar locker das Leben der modernen Libanesin in kurzen, oft Jahre überspringenden Episoden erzählt. Doch diese Lockerheit, der Witz und die scheinbare Oberflächlichkeit der Erzählung täuschen nicht über die Tragik dieser zwiespältigen Lebensweise vieler modern eingestellter Libanesinnen hinweg. „Ein Mädchen namens Wien“ weist schon im Titel auf diesen Konflikt hin, sein Leben einerseits der muslimischen Tradition und Kultur verbunden zu sein, andererseits aber ein modernes, westlich orientiertes Leben genießen zu wollen. Frustriert über die offensichtliche Unmöglichkeit, ein ihr genehmes Leben im Libanon führen zu können, verlässt „Wien“ ihre Heimat voll positiver Erwartung in Richtung Paris.
Man darf davon ausgehen, dass Sahar Mandûr eigene Erfahrungen in diesem Büchlein verarbeitet hat, da sie als Libanesin einige Jahre in London Journalismus studiert und dort die westliche Lebenswelt selbst erfahren hat. Vielleicht lassen sich die gesellschaftlichen Konflikte, die sich den jungen Frauen heute im Libanon stellen, von ihnen tatsächlich nur mit einer gehörigen Portion Sarkasmus und selbstbewusster Überheblichkeit ertragen. Dies ist zumindest die Erkenntnis, zu der man als Leser aus dieser witzig-hintergründigen Erzählung kommen kann. Vielleicht scheinen 20 Euro für knapp 90 Seiten Text etwas viel. Aber die Geldausgabe lohnt sich in diesem Fall durchaus – auch für männliche Leser.