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Veröffentlicht am 19.03.2023

Novelle mit nachhaltiger Wirkung

zu zweit
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REZENSION – Die belletristischen Werke des Althistorikers und FAZ- Feuilletonisten Simon Strauß sind gewiss keine leichte Kost. Wer sich erstmals an ein Werk des 35-Jährigen wagt, mag Mühe haben, an der ...

REZENSION – Die belletristischen Werke des Althistorikers und FAZ- Feuilletonisten Simon Strauß sind gewiss keine leichte Kost. Wer sich erstmals an ein Werk des 35-Jährigen wagt, mag Mühe haben, an der düsteren Stimmung, die seinen drei Büchern eigen ist, Gefallen zu finden. In Strauß' Debüt, der Erzählung „Sieben Nächte“ (2017), ging es um einen jungen Mann, der einsam und melancholisch über sein künftiges Leben nachdenkt. Auch im zweiten Buch „Römische Tage“ (2019) lässt Strauß einen jungen Mann angesichts unserer modernen Zeit wieder in trister Stimmung über die verlorenen Ideale der Antike und unsere Welt von morgen sinnieren. In seinem nun dritten Buch, der im Januar beim Tropen Verlag erschienenen Novelle „zu zweit“, treffen wir auf einen jungen Mann, der sich mit dem Leben in Einsamkeit abgefunden hat, seine Mitmenschen meidet. Wieder ist es diese Melancholie, die zunächst abschrecken mag. Doch irgendwann ist man dann doch von dieser eigenartigen Stimmung und bildstarken Sprache gebannt.
In Strauß' Erzählung geht es um einen Mann und eine Frau, die - jeder auf eigene Art einsam, doch im Charakter gegensätzlich - nur der Zufall zusammenführt. Der Verkäufer, der missliebig eine vom Vater heruntergewirtschaftete Teppichhandlung übernommen hat, erwacht mitten in einer Regennacht in seiner Dachstube. Beim Rundgang durchs Haus und vor die Tür wird er vom Hochwasser, das die Stadt bereits überflutet hat, überrascht. Er scheint bei der Evakuierung vergessen worden zu sein, zieht sich Stiefel an und geht in die Katastrophennacht hinaus. Die junge Frau, ebenfalls auf sich allein gestellt, hat sich vor dem Hochwasser auf ihr vom Onkel vererbte Floß gerettet und treibt manövrierunfähig auf dem Fluss. Allein auf sich gestellt, hat sie Angst und fühlt sich hilflos. Beim Sprung von der Brücke landet der Teppichhändler, statt in der Flut zu versinken, nun ausgerechnet auf dem Floß der Frau. Jetzt sind sie „zu zweit“, aber deshalb weniger einsam?
Der Reiz dieser Novelle liegt in der Kunst des Autors zu beschreiben, wie sich die beiden so gegensätzlichen Charaktere aneinander herantasten. Statt auf Menschen zuzugehen, hatte sich der Verkäufer immer weiter von ihnen zurückgezogen und sich ersatzweise den materiellen Dingen zugewandt, in ihnen lebende Wesen gesehen, mit ihnen sogar gesprochen. Schon als Kind hatten ihm bei Begegnungen mit Menschen die passenden Worte gefehlt. Ganz anders die junge Frau: Sie hatte sich immer gern mit Menschen umgeben und plapperte bei jeder Begegnung gleich drauflos, verließ sich in ihrem planlosen, improvisierten Leben ganz auf ihr heiteres Wesen. „Wen immer sie traf, ließ sie nur schwer zu Wort kommen. Verordnete Ruhe hielt sie nicht aus.“ Schon von ihrer lebenslustigen Mutter hatte sie den Satz gehört: „'Siehst du, wie schön es ist, nicht allein zu sein.' Der Satz war als Imperativ gemeint.“
Doch jetzt, beim unerwarteten Zusammentreffen auf dem führungslosen Floß, war es ausgerechnet der Verkäufer, der nach langem Schweigen mit Fingerzeig auf die Kajüte den ersten Satz sprach: „'Wollen wir nicht reingehen?', als gäbe es keinen Zweifel daran, dass sie zusammengehören, weil er er ist und sie sie. In dieser Flutnacht, auf diesem Floß – nicht mehr der eine und die andere, sondern eben das: zu zweit.“ Beide suchen am anderen Halt. Doch zu zweit zu sein, bedeutet nicht zwingend das Gegenteil von Einsamkeit oder gar Zweisamkeit.
Gegen Ende der Novelle deutet sich zwar, wenn man es so verstehen will, eine schüchterne, zaghafte Liebesgeschichte an. Doch ob es wirklich eine wird, überlässt Simon Strauß den Lesern. Gerade dieses offene Ende seiner durch tiefgründige Charakterisierung beider Protagonisten so eindrucksvollen und leisen Erzählung mag einen in gewisser Weise unbefriedigt zurücklassen. Doch ist es gerade dieses offene Ende, das die Novelle „zu zweit“ noch lange nachwirken lässt.

Veröffentlicht am 06.03.2023

Ungewöhnliche, tief beeindruckende Island-Saga

Dein Fortsein ist Finsternis
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REZENSION – Ein eindrucksvolles Epos, wie man es heute nur selten zu lesen bekommt, ist der im Januar im Piper Verlag erschienene Roman „Dein Fortsein ist Finsternis“ des isländischen Schriftstellers Jón ...

REZENSION – Ein eindrucksvolles Epos, wie man es heute nur selten zu lesen bekommt, ist der im Januar im Piper Verlag erschienene Roman „Dein Fortsein ist Finsternis“ des isländischen Schriftstellers Jón Kalman Stefánsson (59). Es ist eine bewegende Erzählung gegen das Vergehen und Vergessen, eine kompakte Island-Saga, die aus der Gegenwart weit über 120 Jahre bis ans Ende des 19. Jahrhunderts zurückreicht und am Beispiel einer bäuerlichen Familie und ihres Umfelds über sechs Generationen den Wandel dieser einst überwiegend von armen Schafzüchtern und Fischern fernab jeder Bildung und Kultur bewohnten kargen Insel „am nördlichen Ende der Welt“ zu einem heute extravaganten Ausflugsziel internationaler Touristen beschreibt.
„Dein Andenken ist Licht, dein Fortsein Finsternis“ lautet die Inschrift eines verwitterten Grabsteins auf dem uralten Friedhof an einem entlegenen Fjord, der noch älter als die kleine Kirche ist, in der Stefánssons namenloser Erzähler mit totalem Gedächtnisverlust erwacht. Hinter ihm sitzt ein geheimnisvoller alter Mann, der sich dem Erzähler nicht zu erkennen gibt – ist es Gott, der Teufel, das personifizierte Schicksal? –, ihn aber auf seiner Spurensuche begleiten wird. Auf dem Friedhof trifft der Erzähler Rúna, die ihm die Geschichte ihrer Familie zu erzählen beginnt und ihn zu ihrer Schwester Sóley schickt, Betreiberin des kleinen Dorfhotels am Ufer des Fjords.
Mit Hilfe dieser und anderer Geschichten über Familie, Nachbarn und Freunde in Gegenwart und Vergangenheit setzt der Erzähler eine faszinierende Island-Saga zusammen, geleitet vom geheimnisvollen Alten, dem bärtigen „Busfahrer mit der Lizenz, mich zwischen den Welten und Zeiten, den verschiedenen Bühnen des Lebens hin und her zu kutschieren.“ Wir lernen die Vorfahren des Musikers Eiríkur kennen, der als junger Mann Island verlassen hat und 40 Jahre später auf Drängen seines Vaters Hálldor nach Nes zurückkehrt. Seine Familiengeschichte reicht bis zur Ururgroßmutter Guðríður zurück: „… alles geschah, weil Pétur und Guðríður vor hundertzwanzig Jahren nach Stykkishólmur ritten.“
Aus einzelnen Erzählungen („Manche Leben scheinen so ereignislos zu verlaufen, dass sie sich kaum beschreiben lassen.“) baut sich eine großartige Familiengeschichte auf, in der nicht nur Guðríður und Pétur einst der „Kompassnadel ihres Herzens“ gefolgt sind, sondern auch ihre Nachkommen auf jeweils eigene Art, waren sie sich doch trotz wandelnder Zeiten in Charakter und Mentalität ähnlich: »Die Vergangenheit lebt ewig in uns weiter. Sie ist der unsichtbare, geheimnisvolle Kontinent, von dem du manchmal im Halbschlaf eine Ahnung bekommst.«
Jón Kalman Stefánsson springt in seinen Roman von Figur zu Figur, von Geschichte zu Geschichte, durch Zeiten und Generationen scheinbar beliebig hin und her, so dass man die Übersicht verlieren und sich in den Generationen leicht verirren kann. „Manche nennen es den Spaß der Götter. Karten und Leben durcheinanderzuwirbeln, zu ihrem Vergnügen Knoten zu schürzen, irgendwo eine unerwartete Kurve einzubauen, eine Brücke einzureißen, unsere Herzen in Wallung zu versetzen und dem Dasein einen Stups zu geben, um alles, was fest und sicher scheint, auf den Kopf zu stellen.“ Dann empfiehlt es sich, den Rat des Erzählers anzunehmen: „Halldór und Páll Skúlason. Merk dir die Namen, aber halte dich vorerst nicht länger mit ihnen auf, denn kaum erwähnen wir sie, treten sie auch schon wieder zurück wieder zurück in den Schatten, …. und treten wieder hervor, wenn sie gerufen werden.“ Es sind die kleinen schicksalhaften, wahrhaftigen und berührenden Geschichten, die jede für sich allein schon einem Kurzroman gleicht. Aus dem Gesamtbild aller Einzelschicksale ergibt sich schließlich die literarisch ungewöhnliche Island-Saga, die nicht nur in ihren Menschen- und Landschaftsbeschreibungen atmosphärisch beeindruckt, sondern auch sprachlich – auch ein Verdienst des Übersetzers Karl-Ludwig Wetzig. Für Stefánsson Roman gilt, was dort über den Brief der Großmutter an Eiríkur zu lesen ist: „… zwischen den Zeilen schimmerten Wärme und Zuneigung durch, flossen wie eine mächtige Strömung unter den Sätzen.“ Es ist schon ein paar Jahre her, dass mich ein Schriftsteller mit seinem Buch derart begeistert hat, tief berührt und nachdenklich zurückgelassen hat.

Veröffentlicht am 22.02.2023

Weltkrieg, Mord und IRA-Terror

Die Schatten von Cambridge
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REZENSION – Bei der Vielzahl historischer deutscher Krimis, deren Handlung in den Jahren der Weimarer Republik und des Zweiten Weltkriegs angesiedelt ist, ist bei neuen Romanen kaum Neues zu erwarten. ...

REZENSION – Bei der Vielzahl historischer deutscher Krimis, deren Handlung in den Jahren der Weimarer Republik und des Zweiten Weltkriegs angesiedelt ist, ist bei neuen Romanen kaum Neues zu erwarten. Da bringt ein Blick ins Ausland willkommene Abwechslung – wie die neue Krimireihe des britischen Schriftstellers und Journalisten Jim Kelly (66) um Detective Inspector Eden Brooke. Darin erleben wir, als Rahmen spannender Mordfälle anschaulich und überzeugend beschrieben, Alltagsleben und zunehmende Kriegsangst der Bevölkerung der historischen Universitätsstadt Cambridge ab dem Jahr 1939.
Nach „Die dunklen Stunden der Nacht“ (2021) befinden wir uns im zweiten Band „Die Schatten von Cambridge“, im November 2022 beim Lübbe-Verlag erschienen, bereits im Winter 1940. Wehrfähige Männer sind zum Kriegsdienst eingezogen, Ruheständler als Ersatz in ihre früheren Berufe zurückgeholt. Erste Angriffe der deutschen Luftwaffe auf London sorgen für zunehmende Verunsicherung, Stadtkinder werden in die ländliche Provinz evakuiert. Knapp gewordene Lebensmittel werden nur gegen Bezugsschein abgegeben. Großbritannien rechnet mit der Invasion deutscher Truppen. Doch es gibt nicht nur den Kampf gegen Deutschland. Zugleich terrorisieren die nordirischen Kämpfer der Irisch-Republikanischen Armee das Land mit Bombenanschlägen.
Inspector Eden Brooke, der seit seiner Gefangenschaft im Ersten Weltkrieg, in der er nachts gefoltert und geblendet wurde, an Schlaflosigkeit (Insomnie) und Lichtempfindlichkeit (Photophobie) leidet, läuft in einer dunklen Winternacht ziellos durch die Straßen von Cambridge. Plötzlich hört er Hilferufe vom Fluss: In einem Sack verschnürt, treibt ein kleiner Junge hilflos in eiskalter Strömung. Der Rettungsversuch misslingt, die Leiche des Jungen, der, wie sich später herausstellt, zuvor schwer verletzt worden war, wird später gefunden. Wie die Ermittlungen ergeben, handelt es sich um einen irisch-stämmigen Jungen, der mit Gleichaltrigen aus London evakuiert und auf dem Gelände der St. Alban's Church untergebracht worden war. Tags darauf explodiert auf einem Fabrikgelände, in dem kriegswichtige Radar-Komponenten hergestellt werden, eine kleine Bombe, die auf die IRA hindeutet. Der Inspector vermutet einen Zusammenhang zwischen beiden Fällen. „Aber das Kind war ein Gast, das niemanden hier kannte. Wie konnte dieser kleine Junge eine Gefahr für irgendjemanden dargestellt haben? Unterhielt seine Familie Verbindungen zur IRA?“ Gemeinsam mit Sergeant Edison ermittelt Brooke unter Zeitdruck, denn Prinz Henry, Bruder des britischen Königs Georg VI., will die Universitätsstadt besuchen.
„Die Schatten von Cambridge“ ist ein ruhiger, aber deshalb nicht weniger spannender Krimi. Überraschende Wendungen führen immer wieder zu neuen Erkenntnissen und bringen neuen Schwung. Kellys Hauptfigur, der kriegsversehrte Inspector Brooke, ist wahrlich kein Super Action Hero – seine vielen Wege durch die Stadt muss er bei Schnee und Regen sogar zu Fuß erledigen! –, sondern überzeugt als besonnen und empathisch handelnder Kriminalbeamter sowie als ein mit seinen Leiden kämpfender, lebenserfahrener Familienvater. Doch der Reiz des Romans liegt nicht allein in seiner Handlung. Vor allem die detaillierte Beschreibung der Universitätsstadt mit ihren historischen Gebäuden, engen Straßen und alten Brücken sowie des Alltagslebens der Bevölkerung von Cambridge unter Kriegsbedingung ist für uns Deutsche eine neue und interessante Erfahrung. Man darf auf den dritten Band dieser Krimireihe gespannt sein. Das Original „The night raids“ erschien bereits vor drei Jahren und spielt im Sommer 1940 zu Beginn der berüchtigten Luftschlacht um England.

Veröffentlicht am 14.02.2023

Bekannte Themen, immer wieder neu und spannend erzählt

Die Heimkehr
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REZENSION – Seit Erscheinen seines Romandebüts „Die Jury“ (1989) ist der amerikanische Schriftsteller John Grisham (68) seit fast 35 Jahren für international erfolgreiche Justizthriller bekannt. Fast jeder ...

REZENSION – Seit Erscheinen seines Romandebüts „Die Jury“ (1989) ist der amerikanische Schriftsteller John Grisham (68) seit fast 35 Jahren für international erfolgreiche Justizthriller bekannt. Fast jeder seiner in insgesamt 45 Sprachen übersetzten Romane sicherte ihm Spitzenplätze in den Bestsellerlisten. Mit seinem neuen Buch „Die Heimkehr“, im November 2022 beim Heyne Verlag erschienen, veröffentlichte Grisham nun erstmals drei Kurzromane – „Die Heimkehr“, „Erdbeermond“ und „Sparringspartner“. Hier überzeugt der „Meister des Justizthrillers“ nicht nur durch komprimierte Handlungen und die dadurch erhöhte Spannung, nicht nur durch Beschränkung auf wenige Figuren und dafür deren tiefer gehende Charakterisierung, sondern als einst selbst praktizierender Strafverteidiger und Regionalpolitiker vor allem durch detaillierte Sachkenntnis sowohl des US-Justizwesens als auch des amerikanischen Politikgeschäfts.
Warum der Heyne Verlag für die deutsche Ausgabe ausgerechnet „Die Heimkehr“ als Gesamttitel bevorzugt hat, ist nicht nachvollziehbar, ist dies doch die harmloseste aller drei Geschichten: Rechtsanwalt Mack Stafford ist vor einigen Jahren mit einer halben Million Dollar untergetaucht, veruntreutes Geld seiner Mandanten aus einer schon vergessenen Schadensklage. Damals nachlässig unternommene Ermittlungen wurden ergebnislos eingestellt. Da seine Ex-Frau nun im Sterben liegt, will Stafford heimkommen, um sich seiner beiden heranwachsenden Töchter anzunehmen. Er kontaktiert Anwaltskollegen Jake Brigance, den Grisham-Leser bereits aus frühen Romanen als kleinen Südstaaten-Anwalt für scheinbar aussichtslose Fälle kennen. Er soll für Stafford die juristische Lage prüfen und bei der gefahrlosen Heimkehr behilflich sein. Anfangs scheint auch alles gut zu laufen.
Kaum spannend, dafür aber emotional umso berührender ist „Erdbeermond“ über den letzten Tag des seit 14 Jahren in der Todeszelle einsitzenden 29-jährigen Cody Wallace. Hier liest man das eindeutige Plädoyer des Juristen und Demokraten Grisham gegen die Todesstrafe. Obwohl Cody nicht selbst gemordet hat, wurde der damals erst 15-jährige Mittäter eines Einbruchs mit Todesfolge zum Tod verurteilt. Die Geschichte schildert Codys letzten Tag im Gefängnis, seine Gespräche mit dem Wärter und – dies sind die berührendsten Seiten – mit der alten, im Rollstuhl sitzenden Brieffreundin Iris, die Cody zwölf Jahre lang mit Taschenbüchern versorgt, ihn dadurch zum Erlernen des Schreibens und Lesens motiviert hatte und nun mit ihm nicht etwa über dessen Hinrichtung, sondern über die Macht der Literatur, seine Lieblingsautoren wie Raymond Chandler und seine Lieblingsbücher wie „Früchte des Zorns“ von John Steinbeck spricht. Gar nicht gut kommt dabei Grishams Schriftsteller-Kollege Harold Robbins mit seinem „Schmuddelkram“ und „versauten Geschichten“ weg.
Der dritte, in wachsender Dramatik gut aufgebaute Kurzroman „Sparringspartner“, nach dem die Originalausgabe des Buches ihren Titel hat, handelt von zwei verfeindeten Juristen-Brüdern, gleichberechtigte Inhaber einer großen Familienkanzlei, deren Vater und Kanzlei-Gründer wegen Totschlags der eigenen Ehefrau seit fünf Jahren im Gefängnis sitzt und nun mit illegalen Mitteln für seine Begnadigung sorgt – sehr zum Unwillen beider Söhne. Hier zieht Grisham als ehemals aktiver Politiker nicht nur über das korrupte politische System der USA her, sondern erneut über die ihm vertraute Anwaltsbranche und das gesamte Justizwesen: „Wir sind hier bei Gericht, und seit wann interessiert uns, was fair ist? Hier geht es darum, wer gewinnt und wer verliert.“
Auch in seinem neuen Buch widmet sich Grisham altbekannten Themen, indem er klar und unmissverständlich auf Schwachstellen im amerikanischen Justiz- und Politsystem hinweist, so dass nach 30 Justizthrillern eigentlich alles geschrieben sein sollte. Doch der routinierte Autor findet für seine Geschichten immer wieder neue Ansätze, weshalb auch diese drei Kurzromane wieder spannend zu lesen und eine ausgezeichnete Ablenkung vom Alltag sind.

Veröffentlicht am 07.02.2023

Immer noch nachhaltig berührend

Die Mietskaserne
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REZENSION – Nach Lektüre des bereits 1931 erstveröffentlichten Romans „Die Mietskaserne“ von Ernst Erich Noth (1909-1983) muss man dem Glotzi Verlag für die Neuausgabe als Taschenbuch im Jahr 2021 ausdrücklich ...

REZENSION – Nach Lektüre des bereits 1931 erstveröffentlichten Romans „Die Mietskaserne“ von Ernst Erich Noth (1909-1983) muss man dem Glotzi Verlag für die Neuausgabe als Taschenbuch im Jahr 2021 ausdrücklich danken: Dieser Roman des damals erst 22-jährigen Berliner Schriftstellers ist ein einzigartiges, trotz seines Alters noch unverändert beeindruckendes Zeitdokument über die ärmliche und erbärmliche Lebenssituation des einstigen Großstadt-Proletariats in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg, zusammengepfercht in maroden Hochhäusern ohne jeglichen Komfort. Der junge Autor schildert in seiner eindrucksvollen Erzählung, die im Mai 1933 als „undeutsch und schädlich“ den Bücherverbrennungen der Nazis zum Opfer fiel, den „Überlebenskampf seiner Kindheits- und Jugendjahre mit seinen Gefährdungen und Verwirrungen“ (Nachwort). Es ist zugleich der Kampf eines in der Mietskaserne zwischen engen Mauern, streitenden Eltern und niederem Milieu „eingesperrten“ Oberschülers auf der verzweifelten Suche nach einem besseren Leben in Freiheit.
Der 22-jährige Autor hatte zur Veröffentlichung seines bald nach Erscheinen in sechs Sprachen übersetzten Bestsellers statt seines bürgerlichen Namens Paul Albert Krantz das Pseudonym Ernst Erich Noth gewählt, war er doch drei Jahre zuvor als Angeklagter im Steglitzer Schülermordprozess in die Schlagzeilen geraten: Im Juni 1927 hatte der Oberschüler Paul Krantz mit zwei Freunden verabredet, sich wegen unglücklicher Liebesgeschichten gegenseitig zu erschießen. Die beiden Freunde starben, nur Krantz, der die Pistole besorgt hatte, führte die Tat dann doch nicht aus. Als Gutachter stufte der berühmte Sexualforscher Magnus Hirschfeld den damals 18-Jährigen als „sexuell unterentwickelt und geistig überentwickelt“ ein. Dies scheint zutreffend gewesen zu sein, charakterisiert doch Noth im Roman seinen Protagonisten Albert ebenso. Dieser Selbstmord aus Liebeskummer und Verzweiflung ist im Roman nur verschlüsselt zu finden, weshalb die Kenntnis davon wichtig ist.
Die beiden in der Mietskaserne befreundeten Volks- und späteren Oberschüler Albert und Walter stehen gleichsam für das gespaltene Alter Ego des Autors Noth. Beide fühlen sich als Gymnasiasten nicht mehr dem proletarischen Milieu der Mietskaserne zugehörig, aber ebenso wenig zum Kreis der wohlhabenden Mitschüler aus dem Villen-Viertel. Sie fühlen sich allein gelassen, denn auch im Elternhaus spüren sie statt Liebe nur Gewalt und psychischen Druck („Du sollst es doch mal besser haben.“). Beide wollen ausbrechen: „In die Welt. Dahin, wo es schön ist – wo dieser Dreck nicht ist, diese Menschen.“ Auf ihrer verzweifelten Suche nach einem richtigen Lebensweg finden sie keine Hilfe, da auch die Eltern-Generation nach dem verlorenen Krieg ein hoffnungsloses Dasein fristet, wie der Beamte im Jugendamt gesteht: „Da sitzt man. Schuftet bis zum Weißbluten. Wofür im Grunde? Man hat viel verloren, Albert Krause – sehr viel.“ Auch Alberts Vater gibt seinem Sohn spät – viel zu spät – seine eigene Verzweiflung zu erkennen: „Rauf. Ja, wir wollen alle rauf. … Du darfst uns nicht verachten, Albert, uns alle nicht. Sieh mal, dieses Haus, lauter arme Menschen. Arme Menschen! Wir leben alle hier.“ Und dann fordert er seinen an Literatur begeisterten Sohn auf: „Schreib mal hiervon, von dem Haus.“
Ist der Roman „Die Mietskaserne“ aus dem Jahr 1931 also nur ein historisches Zeitdokument? Keineswegs! Die äußere Kulisse mag verschwunden sein, aber die geschilderten Probleme nicht: Die Kluft zwischen Arm und Reich wird aktuell wieder größer und die Zahl in Armut aufwachsender Kinder wächst. Auch die Probleme Pubertierender werden, gemessen an der Zahl therapeutischer Behandlungen, auffälliger. Im Roman lässt sich Walter von seinen Gefühlen leiten und gibt auf, doch Albert folgt seinem Verstand und macht weiter. Er zeigt uns, dass man den Ausbruch und neuen Aufbruch schaffen kann. So macht der Roman trotz aller damals im Stil der Neuen Sachlichkeit authentisch und in knappen Sätzen eindringlich geschilderten Probleme uns am Ende doch Mut. „Die Mietskaserne“ ist ein beeindruckender, ein berührender, am Ende aber tröstlicher Roman, der nicht nur Erwachsenen, sondern auch Heranwachsenden zur Lektüre empfohlen werden kann – nein, empfohlen werden muss.