Wundervoll feinfühlige Unterhaltung
Die vierzigjährige Eva ist desillusioniert. Ihre Tochter Charly ist längst aus dem Haus und meldet sich alle Jubeljahre. Evas Mann Alexander lebt für seinen Dorfladen, in dem die überreifen Frauen ihm ...
Die vierzigjährige Eva ist desillusioniert. Ihre Tochter Charly ist längst aus dem Haus und meldet sich alle Jubeljahre. Evas Mann Alexander lebt für seinen Dorfladen, in dem die überreifen Frauen ihm für den Erwerb von zwei Geburtstagskarten schöne Augen machen. Eva selbst arbeitet bei der siebzigjährigen Gerda, Wirtin der abgeranzten Dorfkneipe „Die alte Buche“.
Nach ihrer Schicht läuft sie noch gerne durch die Sträßchen, dabei versucht sie dem Dorfklatsch aus dem Weg zu gehen. Meist wartet Alexander schon vor der Haustüre auf sie, die Arme vor der Brust verschränkt: „Du hättest mich anrufen sollen, dann hätte ich dich abgeholt!“ Er hält das für Liebe, sie für Kontrolle. Oft hat er dann schon gekocht. Nudeln mit Rahmsoße oder Gorgonzola im Wechsel. Sie setzen sich vor den Fernseher, Alexander mit Kartoffelchips, deren Geruch Eva hasst. Sie werden wieder kaum reden, worüber auch?
Am Morgen steht sie erst auf, wenn Alexander das Haus verlässt. Sie kocht sich Kaffee und sitzt an dem alten verschrammten Küchentisch. Jede Kerbe erzählt eine Geschichte, der sie manchmal lauscht. Wie sie mit dem positiven Test, der Charly ankündigte dasaß, ein Albtraum. Mit neunzehn Hausfrau und Mutter, das Leben vorbei, dachte sie. Evas Eltern waren schon vierzig, als sie geboren wurde, sie schenkten ihr kaum Beachtung.
Als sie die Karte von einem Klassentreffen öffnet, ist sie sich sicher, dass sie dort nichts verloren hat. Die anderen werden sich mit ihren Erfolgen schmücken und sie hat nichts vorzuweisen. Doch Alexander versucht ihr das Treffen auszureden und ihr Interesse wächst. Sie weiß noch nich, dass sie dort auch Agnès treffen wird.
Fazit: Martina Berscheid hat eine fiktionale Geschichte über eine Frau geschrieben, die vom Leben frustriert ist. Der immer gleiche absehbare Alltag, ihr Mann, der sie kontrolliert und bevormundet, die Kleingeistigkeit ihrer Nachbarn, verleiden ihr jede Entfaltungsmöglichkeit. Sie trifft auf ihre ehemals unscheinbare Klassenkameradin, die sich radikal verändert hat. Mit Charisma und Leichtigkeit mischt sie die gedrückte Eva auf. Ich mag den atmosphärischen Schreibstil der Autorin sehr. Die Geschichte beginnt langsam und melancholisch und gewinnt dann an Schwung. Beide Frauencharakter sind stark und überzeugend gezeichnet. Während Eva nähesuchend und empathisch ist, spielt die Kontrahentin das nur und ist in Wirklichkeit emotional distanziert. Obwohl die ganze Zeit auch durch leichte Andeutungen klar ist, dass etwas nicht stimmt, sind die Wendungen überraschend. Der Schluss ist sehr gelungen. Mit großem Feingefühl und ohne Wertung verbindet Martina Berscheid, indem sie die andere Seite der Medaille zeigt und ich kann auf niemanden böse sein, weil niemand einfach nur böse ist, wie im wirklichen Leben. Dieses Buch hat mich, trotz der Tiefe, wundervoll leicht unterhalten.