Profilbild von AmiLee_82

AmiLee_82

aktives Lesejury-Mitglied
offline

AmiLee_82 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit AmiLee_82 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 21.11.2020

Über Schwabbelbäuche und Lebenslügen..

War’s das jetzt?
0

„Ganz ehrlich. Heiraten heißt nicht, dass man glücklich ist. Besonders, wenn man plötzlich einfach denjenigen heiratet, mit dem man mit dreißig eben zusammen ist, nur weil es alle anderen auch tun." [S. ...

„Ganz ehrlich. Heiraten heißt nicht, dass man glücklich ist. Besonders, wenn man plötzlich einfach denjenigen heiratet, mit dem man mit dreißig eben zusammen ist, nur weil es alle anderen auch tun." [S. 46]

Tori Bailey ist auf dem besten Weg eine mustergültige, von der Gesellschaft anerkannte 30+ Frau zu werden: sie ist erfolgreich in ihrem Job, hat eine langjährige Beziehung mit einem gutaussehenden Mann, einen tollen Freundes- und Familienkreis und ist eine "große Nummer" bei Instagram und Co. Einziges Problem: der Mann will nicht. Weder heiraten, noch Kinder in die Welt setzen. Aber darauf kommt es im Leben letztlich doch an oder etwa nicht?

So "locker-flockig" wie sich das im ersten Moment anhört, ist das Buch bei Weitem nicht. Unsere liebe Tori muss einige tiefe Täler durchschreiten und durch viel Brackwasser waten bevor sich das berühmt berüchtigte Licht am Ende des Tunnels zeigt.
Ich persönlich mag solche Bücher, kann aber sehr gut verstehen wenn Leute schreiben, dass ihnen das Buch zu realistisch war oder bestimmte Inhalte sie "runtergezogen" haben. Auch mit Holly Bournes kritischem Blick auf "social media" wird sich der ein oder andere sicherlich schwertun, weil es zwar realitätsnah, stellenweise eben auch sehr überberspitzt dargestellt wurde.

„Ich drücke auf Veröffentlichen und lasse mich ins nasse Gras sinken, warte auf die ersten Likes. Darauf, dass mein Handy zum Leben erwacht. Mir gefällt, wie ich auf diesem Foto aussehe. Ich mag, wie diese Tori ist. Diese Tori hat Freundinnen und ein Leben, und sie schert sich um nichts, und sie hat Spaß, und wünschst du dir nicht, du könntest sie sein?“ [S. 61]

Mich hat das Buch auf eine Art und Weise angesprochen und bewegt, wie ich es selten erlebt habe. Holly Bournes Schreibstil hat spitze Ecken und selbst diese Ecken haben noch weitere Ecken. Und auch ihren direkten, trockenen und schonungslosen Humor liebe ich sehr; typisch britisch und schneidend scharf.

"Ich vergesse immer wieder, dass die Leute es nicht mögen, wenn man ihnen die Wahrheit ins Gesicht sagt. Sie mögen die Wahrheit im Fernsehen oder niedergeschrieben, damit sie sie in ihrem eigenen Tempo konsumieren und verdauen können. Aber wenn man im Gespräch aufrichtig ist, verhalten sich alle, als hätte man im überfüllten Bus gefurzt und dabei herzhaft in ein Eiersandwich gebissen." [S.156]

Inhaltlich vereint "War´s das jetzt" in erster Linie alles, was eine Frau in den Dreißigern bewegt, an-, umtreibt und quält. Ich habe mich so oft in Tori wiedererkannt; habe mit ihr gelacht, geweint und mitgelitten. Das Buch ist wie ein Gespräch mit der besten Freundin, die dich an den Schultern packt, anbrüllt und kräftig durchschüttelt, weil du dein Leben einfach nicht auf die Reihe kriegst.
Also definitiv kein Wohlfühlbuch in das man, mit einer Tasse heißen Tee auf dem Schoß und Schokolade an den Fingern, gepflegt hineintauchen kann. Ganz im Gegenteil. Holly Bourne orientiert sich am wahren Leben und das schmeckt ab und an nunmal bitter und kann hin und wieder auch kräftig zubeißen. Das Entscheidende ist, dass wir zurückbeißen und nicht unter die Räder kommen, und genau das vermittelt dieses Buch. Dass wir alle Helden anstatt Opfer sein können, vorausgesetzt wir haben den Mut dazu.

„Lieber verloren als gefangen…“ [S. 35]

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 14.10.2020

Eines der besten Jugendbücher was ich jemals gelesen habe.

Zwei Leben in einer Nacht
0

!! Triggerwarnung !!

"Zwei Leben in einer Nacht", oder kurz "ZLieN" von Carolin Wahl hat mich stellenweise sehr gefordert, da ich mit einigen Themen, die dieses Buch behandelt, auf die ein oder andere ...

!! Triggerwarnung !!

"Zwei Leben in einer Nacht", oder kurz "ZLieN" von Carolin Wahl hat mich stellenweise sehr gefordert, da ich mit einigen Themen, die dieses Buch behandelt, auf die ein oder andere Art schon mal in Berührung gekommen bin. Ein dementsprechend tränenreiches und bitter-süßes Leseerlebnis, was ich aber trotzdem nicht missen möchte, denn diese Art von Büchern können sehr heilsam sein. Abgesehen davon halte ich es für ungemein wichtig, Themen wie Depressionen, Suizid u.a. anzusprechen. Auch wenn heutzutage im Vergleich offener damit umgegangen wird, so sind es nach wie vor Tabu-Themen, die gerne mal unter den "lasst uns lieber darüber schweigen" - Teppich gekehrt werden: nicht gesellschaftsfähig, zu düster, zu deprimierend.
Aber sie finden eben statt, gehören zum Leben dazu und daher ist es auch unsere Pflicht, sich mit ihnen auseinander zu setzen; mit offenen Augen durchs Leben zu gehen und auch mal anderen Menschen ins Gesicht zu schauen anstatt unsere Smartphones anzustarren und unsere Zeit mit der Frage nach dem passenden Filter für unsere "social media bubble" zu verschwenden.
Ich halte es für sehr mutig, solch ein Buch zu veröffentlichen. Nicht nur wegen der Themen, sondern auch weil das Buch mit Sicherheit nur einen bestimmten Personenkreis und weniger die "breite Masse" ansprechen wird.
Ein Buch zu schreiben, weil man wirklich etwas zu sagen hat und nicht blos unterhalten will, das macht oftmals den Unterschied aus.
Carolin Wahl hat einen großartigen Schreibstil und ein beeindruckendes Talent dafür die Schwere anzunehmen und ihr den Schrecken zu nehmen. Feinfühlig und klug führt sie die Leser*Innen an Casper und Sam heran; lässt verstehen, weckt auf, lässt mitfühlen, macht aufmerksam, lässt miterleben. Ein ganz besonderes und vor allen Dingen intensives Leseerlebnis und eine große Empfehlung von meiner Seite.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 11.10.2020

In jeder Kurzgeschichte steckt ein kleiner Schatz, den es zu entdecken gilt.

Mit Blick aufs Meer
0

Ich bin ohne große Vorkenntnisse an dieses Buch herangegangen, dementsprechend überrascht war ich von dem Erzählstil, der sich wahrscheinlich am ehesten mit dem Wort "Kleinstadtprosa" beschreiben lässt. ...

Ich bin ohne große Vorkenntnisse an dieses Buch herangegangen, dementsprechend überrascht war ich von dem Erzählstil, der sich wahrscheinlich am ehesten mit dem Wort "Kleinstadtprosa" beschreiben lässt. Viele kleine Kurzgeschichten über das Lieben, Leben und Leiden der Bewohner von Crosby, einer Kleinstadt an der Küste von Maine. Der einzige rote Faden ist Olive Kitteridge, der einige Kurzgeschichten gewidmet sind und die auch sonst zwischendurch immer mal wieder auftaucht. Kein einfacher Charakter: sie flucht zu viel, ist vorlaut, düster, zynisch, haut jedem ihre Meinungen ins Gesicht, ob man es nun hören will oder nicht und hat ihren ganz eigenen Blick auf die Welt, den man nicht unbedingt als gesellschaftsfähig bezeichnen kann. Aber "Hunde die bellen, beißen bekanntlich nicht", und so ist auch in Olive Kitteridge eine wertvolle Seele verborgen, die es mit aller Macht zu beschützen gilt.
"Mit Blick aufs Meer" ist ein ganz besonderes Buch; voller Wärme, Klugheit und Tiefe. Elizabeth Strout scheut sich auch nicht davor, die Schattenseiten des Lebens anzusprechen; Themen wie suizidale Gedanken, Ehebruch und Depression. Themen, mit denen nicht jede/r Leser/in gleichermaßen gut zurecht kommt, obgleich sie zum Leben dazugehören, wie Regentage eben zum Wetter.
Auf mich wirkte das Buch gut ausbalanciert, auch wenn mich nicht jede Kurzgeschichte für sich einnehmen konnte. Aber ich habe es trotzdem sehr genossen das Buch zu lesen. Die perfekte Herbstlektüre; ein Gefühl wie wohlig warme Socken, oder der Geschmack von warmem Vanillepudding.
Ein Buch indem man immer mal wieder blättern kann, denn jede Geschichte enthält einen besonderen Schatz, den es zu entdecken gilt, man muss sich nur darauf einlassen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 26.06.2020

Ich hätte es so gerne gemocht

Das sternenlose Meer
0

Selten ist mir die Bewertung eines Buches so schwer gefallen wie bei diesem hier. "Das sternenlose Meer" ist ohne Frage ein Meisterwerk: kreativ, schräg, außergewöhnlich, tiefgründig, komplex, fantasievoll, ...

Selten ist mir die Bewertung eines Buches so schwer gefallen wie bei diesem hier. "Das sternenlose Meer" ist ohne Frage ein Meisterwerk: kreativ, schräg, außergewöhnlich, tiefgründig, komplex, fantasievoll, wirr, poetisch und noch vieles vieles mehr. Ich kann mir gut vorstellen, was für ein kreativer, zeitintensiver Kraftakt es für die Autorin gewesen sein muss, dieses Buch fertigzustellen, und das hätte ich auch von Herzen gerne, in Form einer entsprechenden Sternebewertung, gewürdigt. Normalerweise liebe ich außergewöhnliche Geschichten und daher hätte ich im Leben nicht gedacht, dass mir tatsächlich mal ein Buch in die Hände fallen würde, das zu außergewöhnlich für mich ist, aber bei diesem Buch hier war es dann wohl so. Vor allen Dingen die verschachtelte Erzählweise hat es mir so schwer gemacht, dass meine Aufmerksamkeit argst in Schieflage geraten ist und ich nie wirklich in die Geschichte gefunden habe, auch wenn es schon ein paar Dinge gab, die ich mochte. Wie sehr und auf welch besondere Art und Weise dieses Buch die Literatur, die Poesie, den Genuss, das geschriebene und gesprochene Wort feiert, um ein Beispiel zu nennen. Wäre nicht diese "matrjoscka" - artige Erzählweise gewesen. Ab irgendeinem Zeitpunkt hat mich das Buch dann leider komplett verloren. Die ganzen ausführlichen Beschreibungen, die Irrungen und Wirrungen, mir war das alles zu viel, sodass in meinem Kopf eine Art Fluchtreflex ausgelöst wurde und ich mich ständig dabei erwischt habe, wie meine Gedanken beim Lesen abgedriftet sind oder ich (noch schlimmer, nahezu unverzeihlich!!) zum Handy gegriffen habe. Einzig und allein der wunderbare Protagonist Zachary Ezra Rawlins und die feine Liebesgeschichte haben es letztendlich dann doch irgendwie geschafft, mich bis zum Ende zu tragen. Hat leider nicht sollen sein, aber da ich generell sehr mag, wie Erin Morgenstern schreibt, werde ich es auf jeden Fall mit dem "Nachtzirkus" probieren. Außergewöhnliche Bücher müssen gekauft, gelesen und im besten Fall gefeiert werden, das Gewöhnliche feiern wir schon oft genug.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 17.06.2020

Ein unbedingt nötiges literarisches Aufbegehren gegen den Egoismus unserer heutigen Gesellschaft

Wie die Schweine
0

„Schließlich essen wir uns schon seit Anbeginn der Zeiten gegenseitig auf. Und nicht nur symbolisch, sondern wortwörtlich. Der Übergang hat uns nun die Möglichkeit beschert, nicht mehr so heuchlerisch ...

„Schließlich essen wir uns schon seit Anbeginn der Zeiten gegenseitig auf. Und nicht nur symbolisch, sondern wortwörtlich. Der Übergang hat uns nun die Möglichkeit beschert, nicht mehr so heuchlerisch zu sein.“ [S. 164]

Zugegeben, wäre ich noch regelmäßige Fleischkonsumentin, hätte ich mich mit diesem Buch nicht auseinandergesetzt. Essen bedeutet nicht nur Nahrung, sondern eben auch Genuss, und mit dem Genuss haben viele von uns ein sehr spezielles, komplexes aber eben auch fragwürdiges Verhältnis, was wir aber aller Widrigkeiten zum Trotz nicht so einfach aufzugeben bereit sind. Da rollen wir uns lieber den steinigen ausgetretenen Pfad der Ignoranz hinauf, anstatt das zu hinterfragen, was sich direkt vor unseren Augen oder eben in unseren Körpern abspielt.
Aber genau das lässt „Wie die Schweine“ nicht zu: Ignoranz. Agustina Bazterrica holt den literarischen Spiegel und Vorschlaghammer raus, und haut dem Leser ihre Wahrheiten ins Gesicht, immer und immer wieder, bis man am Ende mit offenem Mund dasitzt und sich am liebsten mit einer Kuscheldecke in irgendeiner sicheren Ecke seines Zimmers einrollen und leise „Alle meine Entchen“ vor sich hinsummen möchte. Das Buch ist unbequem, anstrengend und emotional herausfordernd, und das ist auch gut so. Was den Inhalt angeht, sagt der Klappentext eigentlich alles, was man wissen muss. Für mich ein sehr mutiges Gedankenexperiment, und aktueller denn je.
„Wie die Schweine“ ist eine Dystopie durch und durch. Voller Hoffnungslosigkeit, schrecklicher Taten, Gedanken und Fakten, Düsternis und Verzweiflung. Bazterrica`s Schreibstil ist von einer schonungslosen Poesie, die ich in der Form noch in keinem anderen Buch gelesen habe. Kritisch und klug führt sie dem Leser menschengemachte Grausamkeiten vor Augen und lässt dabei nichts aus. Das Schlachten, das Töten, das Fressen, und das gefressen werden. „Wie die Schweine“ rüttelt auf, macht fassungslos und wütend und ist ein unbedingt nötiges literarisches Aufbegehren gegen den Egoismus unserer heutigen Gesellschaft.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere