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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 28.05.2020

Solider SciFi-Roman, der sich wunderbar für Einsteiger in das Genre eignet.

Zweite Heimat – Die Reise der Celeste
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Der Klappentext von Madeleine Puljics SciFi-Werk hat mich von Anfang an neugierig gemacht: Die Menschheit hat vor den Mars zu kolonisieren, muss sich aber vorab dem Urteil einer höher entwickelten Spezies ...

Der Klappentext von Madeleine Puljics SciFi-Werk hat mich von Anfang an neugierig gemacht: Die Menschheit hat vor den Mars zu kolonisieren, muss sich aber vorab dem Urteil einer höher entwickelten Spezies stellen. Liest sich ungewöhnlich, und das allein reicht meist schon aus, um mich zu ködern.
Da ich kaum Bücher dieser Art lese, habe ich mir Anfangs etwas Sorgen gemacht, ob ich der Geschichte folgen kann, aber Puljic macht es dem Leser sehr leicht. Technische Details sind gut verständlich und die einzelnen Abläufe nicht zu ausschweifend erklärt. Man merkt, dass die Autorin sich in diesem Genre sehr zu Hause fühlt. Der Schreibstil ist locker, der Plot gut durchdacht und alles in allem hat mir das Bucht gut gefallen, auch wenn der Geschichte die ein oder andere Ecke oder Kante und einige Seiten mehr gutgetan hätten.
Es wird zwar beschrieben, was für Auswirkungen die ständige Beobachtung durch die Außerirdischen auf den Gemütszustand und das Verhalten der Kolonialisten hat, aber das Gefühl bleibt immer irgendwo zwischen den Zeilen hängen und kam nicht richtig bei mir an.
Von den E`Kturi geht oberflächlich betrachtet auch erstmal keine direkte Bedrohung aus, sodass sich kaum Spannung aufbaut, auch wenn den Leser die ein oder andere Wendung erwartet, denen mir insgesamt aber das Unerwartete fehlte und die viel zu schnell abgehandelt wurden.
Auch die Außerirdischen an sich fand ich relativ unspektakulär, auch wenn ich mir vorstellen kann, wie schwer es sein muss, etwas Neues und möglicherweise noch nie Dagewesenes zu erschaffen. Die Gruppe um den Kommandanten Alvar Lajunen fand ich wiederrum sehr stark. Es hat Spaß gemacht seinen strategisch klugen Gedankengängen zu folgen und seine ruhige und besonnene Art stellt einen spannenden Kontrast zu den anderen Kolonialisten dar.
Ich habe Puljic`s Perry Rhodan Romane nicht gelesen, aber gerade bei Alvar ist ihre Erfahrung im SciFi Bereich deutlich spürbar.
In der Summe ist „Zweite Heimat – Die Reise der Celeste“ ein solider SciFi Roman, der sich wunderbar für Einsteiger in das Genre eignet, erfahrene SciFi-Leser werden sich für das Buch aber wahrscheinlich weniger begeistern können.

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Veröffentlicht am 06.05.2020

Wichtiges Thema, packend erzählt

Der Funke des Lebens
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„Gesetze sind schwarz und weiß. Das Leben von Frauen besteht aus tausend Grautönen.“ - Jodi Picoult

"Der Funke des Lebens" hat mich in vielerlei Hinsicht überrascht und beeindruckt. Zum einen hatte ich ...

„Gesetze sind schwarz und weiß. Das Leben von Frauen besteht aus tausend Grautönen.“ - Jodi Picoult

"Der Funke des Lebens" hat mich in vielerlei Hinsicht überrascht und beeindruckt. Zum einen hatte ich nicht erwartet, dass hier das Thema Abtreibung thematisiert wird, denn der Klappentext ließ mich etwas ganz anderes vermuten. Auch die gewählte Erzählweise kam unerwartet, denn der Plot umfasst lediglich einen Zeitraum von nur einem Tag und wird zudem auch noch rückwärts erzählt. Man weiß als Leser somit von vorneherein, was am Ende der Geschichte passieren wird. Wie Jodi Picoult es trotzdem schafft, die Spannung aufrecht zu erhalten und innerhalb der Kapitel, die jeweils eine Stunde besagten Tages beschreiben, nicht zu viel zu den vorhergegangenen Geschehnissen zu verraten, zeigt ihr großes schriftstellerisches Können.

„Wenn du deine und ich meine Geschichte anderen Menschen erzählen würden, sähen selbst die härtesten Abtreibungsgegner meine als eine Tragödie an. Deine ist ein Verbrechen.
Der Logik nach bist du als Minderjährige nicht einwilligungsfähig, weil dir die geistige Kapazität dazu fehlt. Aber in deinem Fall wird dem Fötus der Schutz zugestanden, den du nicht bekommst, als wären seine Rechte mehr wert als deine.“ [S.129]

In der Geschichte tauchen neben dem Geiselnehmer, dem Polizeiunterhändler Hugh McElroy und dessen Tochter Wren, weitere Figuren auf, die sich zum Zeitpunkt der Geiselnahme, aus den unterschiedlichsten Gründen, in der Frauenklinik und der näheren erzählerischen Umgebung aufhalten. Und obwohl die Figuren einander nicht gleichen und von unterschiedlichen Motivationen, Ansichten, Gedanken und Gefühlen getrieben werden, schafft Jodi Picoult es auf beeindruckende Weise, sich in alle hineinzuversetzen und bei dem Leser ein Grundverständnis für die verschiedenen Einzelschicksale zu erzeugen.
Mehr allerdings auch nicht, denn aufgrund der Vielzahl an Charakteren und der Erzählweise fiel es mir zunehmend schwerer mitzufühlen. Auch wenn Gegenteiliges kaum der Grundgedanke der Autorin gewesen sein mag, denn in erster Linie geht es wohl darum, gewisse Zustände aufzuzeigen, aufzuklären, wachzurütteln, Denkanstöße zu liefern und zum disskutieren anzuregen. Dabei hebt Picoult gekonnt den literarischen Zeigefinger, ohne ihn auf jemand bestimmten zu richten.

„Dieser ganze legale Schutz, den ihr für die Ungeborenen einfordert. Toll. Gebt ihn ihnen. Aber nur, wenn ihr eine Möglichkeit findet, mir diesen Schutz nicht wegzunehmen.“ [S.177]

Das Thema "Abtreibung" ist heikel und von einer Komplexität, die ich nicht erwartet hätte, was daran liegen mag, dass in Europa anders mit diesem Thema umgegangen wird als es zum Beispiel in den Vereinigten Staaten der Fall ist.
Ein packender, wichtiger und vor allen Dingen kluger Roman, der mich emotional zwar nicht ganz erreicht, in mir drin aber definitiv einiges bewegt hat.

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Veröffentlicht am 01.07.2019

Starker Schluss, der Rest war mir zu oberflächlich und zu sehr in die Länge gezogen. Zwei Teile hätte es für mich nicht gebraucht...

Falling Fast
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Die Geschichte um Hailee und Chase hat mich leider ziemlich schnell verloren. Die Leseprobe hat mir, Dank des lockeren Schreibstils der Autorin, gut gefallen, sodass ich mich sehr auf "Falling Fast" gefreut ...

Die Geschichte um Hailee und Chase hat mich leider ziemlich schnell verloren. Die Leseprobe hat mir, Dank des lockeren Schreibstils der Autorin, gut gefallen, sodass ich mich sehr auf "Falling Fast" gefreut habe und am liebsten sofort weitergelesen hätte.
Hailee mochte ich auf Anhieb und bei Chase fand ich es sehr angenehm, es ausnahmsweise mal nicht mit einem "Bad Boy" zu tun zu haben. Der Fokus war mir allerdings zu sehr auf die Beiden gerichtet. Sicher, es ist ihre Geschichte, aber mir persönlich fehlt einfach etwas, wenn die Nebenfiguren leblos durch die Seiten huschen; mal hier, mal da auftauchen, sonst aber keinen bleibenden Eindruck hinterlassen.
Ganz ähnlich ging es mir mit dem Setting, der Stadt Fairwood in Virginia, die ebenso leblos bleibt wie die Einwohner. Und auch die Liebesgeschichte an sich hat mich ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr wirklich interessiert, einfach weil es ihr an Besonderheit fehlt und unspektakulär runtererzählt wurde. Ab und an war ich dann sogar schlichtweg gelangweilt, weil zudem auch noch langatmige Passagen dazu kamen, die nur den Zweck zu haben schienen, das Buch unnötig in die Länge zu ziehen. Ich denke, dass die Geschichte besser funktioniert hätte, wenn es kein Zweiteiler wäre, so fehlte es neben allem anderen auch an dem richtigen Timing.
Abgesehen davon mangelt es in meinen Augen an nötigen "Twists". Der Grund für Hailee`s Aufenthalt wird sehr schnell abgehandelt und alle Widerstände mit denen Hailee sich konfrontiert sieht, lösen sich ohne große Mühen in Wohlgefallen auf, einfach weil z.B. die Nebencharaktere zufällig genau das mitbringen, was Hailee braucht.
Auch die Charakterausarbeitung von Hailee und Chase war mir stellenweise nicht stimmig genug, vor allen Dingen bei Hailee, die so gar nicht mit der Person zusammenpasst, die sie am Ende des Buches darstellen soll. Ich hoffe, das wird im Folgeband besser gelöst. Die Erklärung für ihr Verhalten reicht so jedenfalls nicht aus und ehrlich gesagt halte ich es, im Hinblick auf Betroffene, sogar für gefährlich, diese "Message" so stehen zu lassen. Mutig sein ist eine wunderbare Sache aber nicht so!
Auf die Art bekommt die Geschichte zum Ende hin aber natürlich die in meinen Augen dringend notwendigen Ecken und Kanten und daher werde ich "Flying High" eventuell die Chance geben, mich doch noch zum Fan dieser Dilogie zu machen. Am Schreibstil hat es jedenfalls nicht gelegen.

Veröffentlicht am 01.05.2019

Mehr Schein als Sein

Das gefälschte Siegel
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"Tausend Jahre, und niemand hatte die Schriftrolle auch nur angerührt. Sie lag auf ihrem steinernen Podest wie am ersten Tag, als wäre alle Zeit nur Einbildung, und nicht einmal Staub wollte sich auf ...

"Tausend Jahre, und niemand hatte die Schriftrolle auch nur angerührt. Sie lag auf ihrem steinernen Podest wie am ersten Tag, als wäre alle Zeit nur Einbildung, und nicht einmal Staub wollte sich auf ihr niederlassen. Sie beherrschte den Raum, und nichts beherrschte sie. Vielleicht wusste sie, wie bedeutsam sie war. Und vielleicht wusste es auch der, der in ihr saß, für alle Zeit gezwungen, gebannt, gesiegelt. Es gab genug Gründe, die Schriftrolle zu fürchten. Und selbst Staub, Zeit und Zerfall hielten sich daran.
Nur den kleinen Jungen schien nichts davon zu stören."

Inhalt
Seit es Damar und seinen Gefährten mit Hilfe der Zauberin Illiliané gelungen ist, den Krieg gegen die Dämonen zu gewinnen und den Erzdämon "La-Esh-Amon-Ri" in eine Schriftrolle zu bannen, sind über tausend Jahre vergangen. Im Königreich Neraval glaubt man kaum noch daran, dass die Dämonen eines Tages zurückkehren könnten.
Einzig unter den Bewachern der Schriftrolle - den Nachfahren Damars, der königlichen Familie - keimt eines Tages der Verdacht auf, dass der Dämon sich gar nicht mehr in der Schriftrolle befinden könnte.
Die Erschafferin der Schriftrolle wurde seit dem Krieg allerdings nicht mehr gesehen und so sucht sich Tymur Damarel - der jüngste Sohn des Königs - drei Gefährten zusammen, die mit ihm die beschwerliche Reise in das Nebelreich der Alfeyn antreten: den alkoholsüchtigen Fälscher Kevron Florel, die arrogante Magierin Enidin Adramel und den pflichtbewussten Wächter Lorcan Demirel. Die Vier könnten unterschiedlicher nicht sein und doch gibt es eine Sache die sie eint, auch wenn diese letztendlich ihr aller Ende bedeuten könnte. Als ihnen das bewusst wird, scheint es allerdings bereits zu spät.

"Sie waren alles andere als eine fröhliche Reisegruppe. Der Kämpfer war ein grimmiger Kerl, der Kevron nicht ausstehen konnte und daran wenig Zweifel ließ, so große Mühe sich Kevron auch gab, wie ein ehrlicher Mann zu erscheinen. Die Magierin war von zwei Leuten eingenommen, nämlich dem Prinzen und sich selbst, und wenn sie Kevron überhaupt einmal eines Blickes würdigte, war der verächtlich. Und zwischen ihnen allen stand Tymur Damarel, der versuchte, einem jeden ein guter Freund zu sein, was dazu führte, dass sie einander diese Freundschaft neideten."

Meine Meinung
Im Nachhinein kann ich sagen, dass ich mir unter dem Buch etwas ganz anderes vorgestellt habe. Sicher, wenn man das Cover betrachtet, ahnt man, dass es inhaltlich ruhiger zugehen wird, als wenn dort ein Schwert schwingender Kämpfer oder ähnliches abgebildet worden wäre.
Vier schattenhafte Gestalten auf einer Brücke; auf einer Reise. Das umschreibt den Inhalt des Buches eigentlich ziemlich genau, denn viel mehr passiert auf den ersten paar hundert Seiten auch nicht. Insgesamt liest sich das Buch auch eher wie ein ewiglanger Prolog, als der Beginn einer Reihe, denn spätestens wenn man das Ende des Buches gelesen hat, wird klar, dass die eigentliche Geschichte erst jetzt richtig anfängt. Und tatsächlich würde ich jetzt schon gerne wissen, wie es mit Tymur und seinen Gefährten weitergeht, auch wenn ich mich mit dem Buch die meiste Zeit über sehr schwer getan habe.
Der Schreibstil war mir viel zu ausschweifend und ich hatte das Gefühl nur so mit unnützen Informationen überschüttet zu werden. "Too much information", wie es so schön heißt.
Dementsprechend kurz war auch meine Aufmerksamkeitsspanne, sodass ich es nicht geschafft habe, mehr als zwanzig Seiten am Stück zu lesen. Die Geschichte hat mich ab und an einfach regelrecht gelangweilt. Sie kriecht in Schachtelsätzen verpackt schneckentempoartig voran, bewegt sich immer irgendwo zwischen vorhersehbar und unlogisch, ab und an auch wirr, und ich hatte das Gefühl, dass sich die Autorin viel Füllstoff bedienen muss, um das Buch überhaupt zum Ende zu bringen. Selbst jetzt noch wundere ich mich, wie Maja Ilisch es geschafft hat, dass bisschen Handlung auf fasst 500 Seiten zu strecken, denn im Grunde genommen, lässt sich der Plot in wenigen Sätzen zusammenfassen.

"Am Ende lebten sie alle eine Lüge. Als man ihn zu einem steinernen Wächter machte, hatte Lorcan sich gefühlt wie ein Betrüger, wie einer, der sich diesen Titel erschlichen hatte, ohne ihn zu verdienen, als hätte er geschummelt, wo es darum ging, dem Locken einer schönen Frau zu widerstehen, weil er sich im Leben für keine Frau, ob schön oder hässlich, interessiert hatte. Vielleicht war er überhaupt erst ein Steinerner Wächter geworden, um sich selbst seine Männlichkeit zu beweisen - doch all die Jahre über hatte Lorcan sich einreden können, dass er der Einzige unter ihnen war, der noch wirklich an das glaubte, wofür er stand, der auf seinem Posten blieb bis zum bitteren Ende."

Dass Maja Ilisch schreiben kann, lässt sich nicht abstreiten. Abgesehen von ein paar "Ausreißern" drückt sie sich gewählt und stilvoll aus. Man merkt, dass viel gearbeitet und überarbeitet wurde und da liegt wahrscheinlich auch der Hund begraben. Ein bisschen Füllstoff hier, ein bisschen Füllstoff da. Ähnlich wie bei Menschen die viel reden ohne tatsächlich etwas zu sagen. Es gibt so viel Anderes, was mich interessiert hätte. Dinge über Land und Leute zum Beispiel. Wie leben sie? Von was leben sie? Worauf baut sich der Reichtum des Königreichs Neraval auf? Infrastruktur, Militär usw.? Stattdessen gibt es dann halt die obligatorischen Kaufleute, Marktplätze, Bauern und Wirtsleute und selbst der königlichen Familie sind nur ein paar Zeilen vergönnt. Ich kann mich noch nicht einmal daran erinnern, ob das Land überhaupt eine Königin hat.
Alles bleibt blass und rauscht eindruckslos an einem vorbei.
Auch - und das ist wahrscheinlich der eigentliche Knackpunkt- über die Vergangenheit der Gefährten erfährt man nicht sonderlich viel, was überrascht, wenn man weiß, dass die Geschichte abwechselnd aus der Sicht von Enidin, Kevron und Lorcan erzählt wird. Das ist für mich mitunter aber eine der Grundvoraussetzungen wenn es darum geht, dem Leser eine Figur näher zu bringen. Ich kann jemanden erst dann wirklich verstehen und mit ihm mitfühlen, wenn ich seine Vergangenheit kenne. So aber bekommt man hier eben diese vier Fremden präsentiert, die sich aus den fragwürdigsten Gründen zusammentun, die man sich vorstellen kann, um dann hunderte von Seiten lang auf die merkwürdigste Art und Weise umeinander herumzuschawänzeln.
Zumal sie alle Vier ständig von einer Laune in die nächste hechten. Ist Kevron in einem Moment noch bedrückt, ängstlich oder sonst was, lacht er im nächsten Moment schallend los und so geht es eigentlich die meiste Zeit, sodass man ab und an das Gefühl hat, es mit einer Gruppe Irrer, auf Anstaltsurlaub zu tun zu haben. Wenn man sich die Hintergründe ein bisschen zusammenreimt, kann man sich das zwar irgendwie erklären, aber ob diese Erklärung stimmt, wird man wohl erst in den Folgebänden erfahren. Wirklich sympathisch war mir jedenfalls keiner von ihnen. Am ehesten noch die Magierin Enidin, weil sie nicht auf den Mund gefallen ist, sich den Männern gegenüber durchzusetzen weiß und Biss hat.

"Wenn Enidin die Augen schloss, konnte sie die Strukturen der Welt fühlen, die Linien, die alles durchflossen, so ganz anders als in der Stadt: Sie waren freier und wilder, hier gab es weniger, das den Raum krümmte; so wenige Schicksale galt es hier zu beeinflussen, dass die Linien in ihrer ursprünglichen Form blieben und doch aufeinander reagierten, im Kleinen wie im Großen und sogar auf Enidin, die nichts weiter tat, als hindurchzureiten. Jeder Hufabdruck, den ihre Pferde hinterließen, jedes abgekaute Grasbüschel von Herrn Florels Pferd, das trotz all seiner Versuche, es zum Laufen zu bringen, immer wieder stehen blieb und am Straßenrand zu grasen begann, hinterließ seine Spuren in der Wirklichkeit."

Wie Maja Ilisch Enidins Art Magie anzuwenden und ihre Sicht auf die Welt beschreibt, war für mich eines der wenigen Lichtblicke in diesem Buch. Ein Zauberer, der mit den Fingern schnippt oder einen Zauberspruch aufsagt, reicht vielleicht für Kindergeschichten, abgesehen davon darf und sollte es aber gerne etwas mehr sein.
Enidin wirkt Magie auf eine Art, bei der man sich vorstellen kann, dass es so etwas tatsächlich gibt. Ähnlich wie bei "Der Name des Windes" von Patrick Rothfuss. Außerdem waren das einige der wenigen Momente in denen ich das Gefühl hatte, tatsächlich einen Fantasyroman in der Hand zu halten. Es gibt zwar auch eine Stelle an der die Gruppe zur Abwechslung mal einer greifbaren und nicht-menschlichen Bedrohung ausgesetzt ist, aber so schnell wie es kommt, so schnell ist es auch wieder vorbei und hatte wahrscheinlich nur den Zweck einen Punkt auf der "Fantasy-Roman-Checkliste" abzustreichen. Im Nachhinein wurde es dann weder großartig thematisiert noch gibt Maja Ilisch Preis, um was für Wesen es sich handelt. Kein Einzelfall denn das meiste, ob fantastisch oder nicht, bleibt schwammig oder verläuft ins Nichts und wenn es das zur Abwechslung mal nicht tut, dann nur deshalb, weil es auf das Eine hinausläuft, was man von Anfang an erahnen kann. Dementsprechend wenig überraschend fand ich die Enthüllung am Schluss.

"Der Junge war zu klein für Vorsicht, zu dumm oder zu mutig. Es machte ihm nichts, dass die Stufen so alt und krumm waren wie die Gruft selbst, dass die Zeit, die von der Schriftrolle abperlte wie Wasser von einem Blütenblatt, ihren Zahn umso mehr an ihnen ausgelassen hatte. Ausgetreten waren sie aus jenen Tagen, als es noch ein reges Kommen und Gehen gab-, lange vergangene, lange vergessene Zeiten, älter, als sich auch nur die Schriftrolle erinnern konnte - von Füßen, die nicht zu Menschen gehörten. Sie führten in das Reich des Steins, die Welt der Steinernen Wächter, deren Heimat dort unten lag und ihr ganzes Leben, wenn es noch ein Leben war: kein Sinn, kein Zweck, keine andere Aufgabe, als die Schriftrolle zu beschützen, vor der Welt, und die Welt vor der Schriftrolle."

Fazit
Ein überraschend schwacher Auftakt im Stil von "Der Herr der Ringe", den ich so nicht erwartet habe. Erfahrene Fantasyleser sollten eher nicht zu diesem Buch greifen. Ich könnte mir aber gut vorstellen, dass sich dieses Buch wunderbar für diejenigen eignet, die sich mal im Fantasygenre ausprobieren möchten, sich aber bislang nicht getraut haben.

Veröffentlicht am 14.01.2019

Schwer zu verdauen

Was ich euch nicht erzählte
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"Lydia ist tot. Aber das wissen sie noch nicht. Am 03. Mai 1977 um halb sieben Uhr morgens weiß niemand etwas außer der harmlosen Tatsache: Lydia kommt zu spät zum Frühstück." [S. 7]

Inhalt
Lydia Lee ...

"Lydia ist tot. Aber das wissen sie noch nicht. Am 03. Mai 1977 um halb sieben Uhr morgens weiß niemand etwas außer der harmlosen Tatsache: Lydia kommt zu spät zum Frühstück." [S. 7]

Inhalt
Lydia Lee - 16-jährige Tochter von James und Marilyn, Schwester von Nath und Hannah - ist verschwunden. Ob sie weggelaufen oder etwas viel Schlimmeres passiert ist, bleibt erstmal ungeklärt. Lydias Muter ist allerdings schnell davon überzeugt, dass ihre Tochter Opfer eines Verbrechens goworden sein muss. Ihre Lydia: mustergültige Tochter, zurückhaltend, brav, Einserschülerin mit einer vielversprechenden Zukunft, wunderschön, beliebt und immer ein Lächeln auf den Lippen; ihre Lydia würde nicht einfach so weggehen.
Der Rest der Familie teilt Marilyns Überzeugung nicht, denn in jedem von ihnen gibt es dunkle Ecken, kleine dunkle Nieschen, wo sich das Ungesagte wie ein Berg schmutziger Wäsche auftürmt, lawinenartig auf die Familie zurollt und letztendlich alles ins Chaos stürzt.

"Wie hatte es angefangen? Wie alles: mit Müttern und Vätern. Mit Lydias Mutter und Vater, mit deren Müttern und Vätern. Weil vor langer Zeit ihre Mutter verschwunden war und ihr Vater sie zurückgeholt hatte. Weil ihre Mutter sich sehnlichst gewünscht hatte, aus der Menge herauszuragen, und weil ihr Vater sich sehnlichst gewünscht hatte, ein Teil der Menge zu sein. Beides war nicht möglich gewesen." [S. 31]

Meine Meinung
Celeste Ng hat in "Was ich euch nicht erzählte" ein absolut realistisches Szenario erschaffen, von dem ich weiß, dass es innerhalb mancher Familien genauso oder so ähnlich stattfindet. Und dieser Realismus ist es u.a. auch, der dafür gesorgt hat, dass mich beim Lesen von Anfag an ein gewisses Gefühl der Beklemmung begleitet hat; ohne dass ich eigentlich genau sagen konnte wieso. Im ersten Kapitel erfährt man als Leser nämlich nicht viel mehr als das Lydia, Tochter eines chinesischen Einwanderes in zweiter Generation und einer Amerikanerin, verschwunden ist. Aber ähnlich wie Lydias Mutter ahnt man, dass in dieser Familie etwas furchtbar schiefgelaufen sein muss und das nur, weil Marilyn, wie jeden Morgen, einen angespitzten Bleistift und Lydias Physiksachen - sechs Aufgaben markiert mit kleinen Häkchen - neben Lydias Müslischale gelegt hat und James in seinem Büro einen Marienkäfer mit seinem Daumen zerdrückt, weil er sich über einen Kollegen ärgert.
Was ich damit sagen will ist, dass Celeste Ng es schafft, ihre Figuren anhand von Nichtigkeiten zu charakterisieren, die oberflächlich betrachtet kaum Bedeutung zu haben scheinen, im Grunde genommen aber genau auf das Wesentliche hinweisen. Celeste Ngs Talent wenig zu sagen und trotzdem den Kern zu treffen hat mich sehr beeindruckt. Ihre eindrückliche Schreibweise lässt es nicht zu, keine Bedeutung hinter dem scheinbar Bedeutungslosen zu vermuten.
Als Leser spürt man vom ersten Moment an, dass man einen schwer zu verdauenden Roman in den Händen hält und mir kam es sogar ein bisschen so vor, als würde mir die Autorin auf den ersten paar Seiten zuflüstern: "Liebe Leserin, spürst du das? Spürst du, wie es unterschwellig brodelt; das Ungesagte. Noch weißt du es nicht. Noch kannst du dich dafür entscheiden, das Buch nicht zu lesen Noch ist es nicht zu spät."

"Nur wenige Tage zuvor, Hunderte von Meilen entfernt, hatte ein anderes Paar ebenfalls geheiratet - ein Weißer und eine Schwarze, die einen äußerst passenden Namen teilten: Loving. Vier Monate später wurden sie in Virginia verhaftet. Das Gesetz erinnerte sie daran, dass der Allmächtige Gott die Vermischung von Weiß, Schwarz, Gelb und Rot nie vorgesehen hatte, dass es keine Mischlinge geben sollte, keine Zerstörung von Rassenstolz." [S. 59]

Die Geschichte der Familie Lee behandelt viele Themen und wird über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten erzählt. Daher finden in "Was ich euch nicht erzählte" einige Zeitsprünge statt, die aber passend zur Handlung und nicht willkürlich stattfinden.
Da ich ein Kind der 80´er Jahre bin und mich, abgesehen von den Meilensteine der Geschichte, bislang nur oberflächlich mit den Jahren vor meiner Geburt beschäftigt habe, fiel es mir ab und an schwer, das Verhalten von Lydias Eltern nachvollziehen zu können. Es war viel zu leicht, sich in dem Gefühl von Unverständnis und Ärger zu verlieren.
Celeste Ng fordert ihre Leser indem sie vieles unkommentiert lässt und so liegt es an einem selbst zu entscheiden, weiter an der Oberfläche zu plantschen oder tiefer einzutauchen; auch auf die Gefahr hin hohe Wellen zu schlagen.
Mir persönlich ist es sehr wichtig, die Dinge um mich herum zu verstehen und daher war es ab und an notwendig, beim Lesen immer mal wieder innezuhalten und über das Gelesene nachzudenken, um die Geschichte in ihrer Gesamtheit verstehen zu können. Auch wenn ich sagen muss, dass beim Lesen vieles in mir aufgewirbelt wurde und ich selten so mit jemandem mitgelitten habe wie mit Lydia. Aber letztendlich ist ein Buch ja erst dann wirklich gut, wenn es etwas mit einem macht.

"Noch während er die Worte ausspricht, zuckt er zusammen. Tief in seinem Inneren möchte er nichts lieber, als Nath an diesem schrecklichen Tag zu beruhigen, ihm tröstend die Hand auf die Schulter zu legen und ihn zu umarmen. Aber es kostet ihn schon alle Kraft, sein eigenes Gesicht zu wahren und darauf zu achten, dass seine Beine nicht unter ihm nachgeben und er zusammenbricht. Er wendet sich ab und packt Hannah am Arm. Zumindest Hannah macht immer, was man ihr sagt." [S. 27]

Der Roman thematisiert das Ungesagte und dessen Folgen. Die Autorin lässt dem Leser zwar ausreichend Raum für eigene Mutmaßungen, aber da man sich die meiste Zeit über in den Köpfen der Figuren aufhält, bekommt man nach und nach einen immer besseren Eindruck, mit was für Charakteren man es zu tun hat. Wirklich sympatisch war mir letztendlich niemand, aber wenn ich eines Tages plötzlich in der Lage wäre, die Gedanken meiner Mitmenschen verstehen zu können, würde ich wahrscheinlich auch niemanden mehr mögen; und andersherum ebenso. Die eigenen Gedanken sind ein geschützter Bereich und das ist auch gut so.
Trotz allem entwickelt der Roman ab einem bestimmten Zeitpunkt natürlich eine ungemein starke Sogwirkung. Früher oder später will man einfach wissen, was es mit Lydias Tod auf sich hat. Die Auflösung ist ebenso tragisch wie nachvollziehbar und hat mich wiederholt zu Tränen gerührt. Und obwohl ich grundsätzlich kein Freund davon bin, falsches Verhalten mit einer unschönen Vergangenheit zu rechtfertigen, so zeigt diese Geschichte wenigstens doch einmal mehr, wie wichtg es ist, den Kreislauf des vorschnellen Urteilens und gegenseitiger Ignoranz zu durchbrechen und aufeinander Acht zu geben. Denn Nichts ist so wie es scheint. Jeder hat seine eigene Geschichte und wir anderen sind nur die Zuschauer.

"Gefunden und verloren und wiedergefunden, verloren bei voller Sicht, an seinen Rücken gepresst, ihre Füße fest in seiner Hand. Wodurch wurde etwas kostbar? Indem man es verlor und wiederfand. " [S. 269]

"Was ich euch nicht erzählte" ist ein ruhiger, düsterer, facettenreicher, ungemütlicher und tieftrauriger Roman, der im Großen und Ganzen absolut stimmig ist. Man merkt, dass die Autorin viel Zeit und Mühe in die Fertigstellung dieser Geschichte und vor allen Dingen in die Charkterausarbeitung investiert hat. Einzig an der kleinen Hannah hat mich gestört, dass Celeste Ng ihr mehr Tiefgründigkeit zugestanden hat, als Kinder in diesem Alter meiner Meinung nach haben können, aber das ist nur ein kleiner Kritikpunkt über den ich gut und gerne hinwegsehen kann, weil es a) wunderbar mit der allgemeinen Stimmung des Romans harmoniert und b) Ansichtssache ist.
Was ich mit absoluter Sicherheit sagen kann, ist das Celeste Ng mit ihrem Debut eine schriftstellerische Meisterleistung vollbracht hat, die einen festen Platz in jedem Bücherregal haben sollte. Ich ziehe meinen imaginären Hut und freue mich auf weiterer Bücher dieser wunderbaren Autorin.