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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 20.05.2025

Fesselnd und bewegend

Unerhörte Stimmen
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Leila wurde ermordet.
In ihren letzten Momenten lässt sie ihr Leben Revue passieren.
Jahrzehntelang war sie Prostituierte und damit gehörte sie zu einer Minderheit, den unerhörten Stimmen der Türkei.

Leilas ...

Leila wurde ermordet.
In ihren letzten Momenten lässt sie ihr Leben Revue passieren.
Jahrzehntelang war sie Prostituierte und damit gehörte sie zu einer Minderheit, den unerhörten Stimmen der Türkei.

Leilas Reise beginnt 1947 in einem abgeschiedenen Dorf Ostanatoliens, hier herrschen Gottesfurcht und (aus unserer Sicht) absurde Traditionen vor. Sie erlebt Unterdrückung, Missbrauch und wird erdrückt vom Wunsch des Vaters nach einem Sohn. Die zwei Ehefrauen des Vaters sind beide unglücklich, eine kann keine Kinder bekommen, die andere erleidet eine Fehlgeburt nach der nächsten.
Die Ungerechtigkeiten machen dabei extrem wütend, das ganze Familiengefüge ist enorm deprimierend und man macht innere Freudensprünge, als Leila ihrem Zuhause entflieht und in die große, bunte Stadt Istanbul kommt.
Doch der erwartete Wandel bleibt aus, auch hier wartet Schreckliches auf das junge Mädchen: Sie wird verkauft, muss sich von nun an prostituieren, gehört nun zu den Geächteten des Landes. Doch sie ist nicht die einzige Außenseiterin und mit den Jahren findet sie fünf außergewöhnliche Freundinnen, die das Leben lebenswert machen.
Ich bin Leila unheimlich gerne auf Ihrem Lebensweg gefolgt. Trotz all der Grausamkeiten lässt sie sich nicht kleinkriegen, behält stets ihr großes Herz und ihren Humor und steht für sich und ihre Liebsten ein. Elif Shafaks Schreibstil ist dabei sehr locker und pointiert, jedes Erinnerungsfragment Leilas sehr themenschwer und fesselnd, sodass man gar nicht merkt, dass mehrere hundert Seiten bis zur Ermordung 1990 vergehen.
Den kürzeren Teil danach fand ich etwas schwächer. Hier liegt der Fokus auf den zurückgebliebenen Freund
innen, den anderen “unerhörten Stimmen”. Wir lernen sie etwas besser kennen, auch mit ihnen meinte das Schicksal es nicht gut. Man merkt aber, wie die Kraft der Freundschaft sie durchs Leben trägt und wie wertvoll diese ist. Sie schmieden einen Plan, um Leila ein angemessenes Begräbnis zu schaffen. Die Schilderungen dessen waren mir persönlich zu slapstickartig und schwach, es passte absolut nicht zu der vorangegangenen Stimmung.

Dennoch habe ich “Unerhörte Stimmen” wahnsinnig gerne gelesen, habe die Protagonistin ins Herz geschlossen und ihren Lebensweg mit angehaltenem Atem verfolgt und dabei viel über die Türkei, ihre Politik und ihre Traditionen im letzten Jahrhundert gelernt. ⭐️4/5⭐️

*Übersetzt von Michaela Grabinger

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Veröffentlicht am 20.05.2025

Humoristisch mit Anspruch

Nincshof
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Nincshof ist ein Dorf wie jedes andere. Na ja, fast. Denn während andere Dörfer versuchen Touristen anzulocken, möchten die Nincshofer vergessen werden. Da passt es natürlich überhaupt nicht in den Plan, ...

Nincshof ist ein Dorf wie jedes andere. Na ja, fast. Denn während andere Dörfer versuchen Touristen anzulocken, möchten die Nincshofer vergessen werden. Da passt es natürlich überhaupt nicht in den Plan, dass eine bekannte Filmemacherin einzieht und neugierige Fragen stellt.

Mit humorvollen Büchern ist es ja immer so eine Sache: entweder teilt man den Humor oder eben nicht. Bei mir war größtenteils zweiteres der Fall.
Ich wollte den Roman so gern mögen, doch leider hat er mich nicht wirklich überzeugt.
Der Schreibstil ist sehr angenehm literarisch und so habe ich mich schnell auf die Geschichte eingelassen, bin gern auf Johanna Sebauers Finten hereingefallen und habe sowohl Pusztafeigen als auch Irrziegen gegoogelt.
Die Figuren haben alle ihre skurrilen Eigenarten, dafür fehlt es ihnen etwas an Tiefe. Die Handlung ist teilweise etwas zäh und wird eigentlich durch den Humor getragen - der mich aber wie gesagt nicht erreicht hat. So habe ich mich stellenweise etwas gelangweilt.
Ich empfehle es allen Fans von Büchern, die zum Schmunzeln sind, aber dennoch einen gewissen Anspruch haben. ⭐️3/5⭐️

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Veröffentlicht am 15.05.2025

Unterschwellige Spannung bis zum Schluss

In ihrem Haus
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1961, in einer niederländischen Provinz: Isabel lebt allein in dem großen Haus, in dem sich seit ihrer Kindheit nichts verändert hat.
Dann zieht die Freundin ihres Bruders vorübergehend ein und mit ihr ...

1961, in einer niederländischen Provinz: Isabel lebt allein in dem großen Haus, in dem sich seit ihrer Kindheit nichts verändert hat.
Dann zieht die Freundin ihres Bruders vorübergehend ein und mit ihr Isabels Misstrauen.
Denn es verschwinden immer mehr Gegenstände aus dem Haus und Eva verhält sich immer seltsamer.

“In ihrem Haus” erzählt die Geschichte zweier Figuren, die nicht wirklich sympathisch sind, deren Gefühlswelten dennoch mit voller Wucht auf die Lesenden projiziert werden. Es ist ein Buch, über dessen Inhalt man am besten so wenig wie möglich liest (selbst der Klappentext verrät zu viel), denn die ersten zwei Drittel leben von der unterschwellige Spannung, bei der man sich gemeinsam mit Isabel ständig fragt, was ihre Schwägerin in spe eigentlich vorhat und dutzende Theorien aufstellt. Warum ist sie so interessiert an Isabel, die selbst stets abweisend reagiert? Warum wollte sie unbedingt in diesem Haus leben? Wohin verschwinden die ganzen Gegenstände?
Ich wusste lange überhaupt nicht, wohin die Handlung führt und genau deshalb hatte das Buch eine unheimlich starke Sogwirkung auf mich.
Auch nach dem ersten Twist rätselt man weiter, woher Isabels Wut und Evas Albträume kommen, denn beide scheinen ihre Geheimnisse zu haben.
Yael van der Wouden schafft es, nicht nur für Spannung, sondern auch für jede Menge Emotionen zu sorgen. Man fühlt sehr intensiv mit den Protagonistinnen mit, was auch an den lebendigen Dialogen liegt (wobei das Nicht-Beenden der Sätze hierbei irgendwann sehr überstrapaziert wurde). Ihr kennt das Gefühl, einen Raum zu betreten, in dem zuvor gestritten wurde? Diese greifbare Anspannung in der Luft? Genau diese unentrinnbare Stimmung erzeugt die Autorin nur mithilfe von Worten.
“In ihrem Haus” ist ein Roman über Rache, Vergebung und Liebe. Ein Roman über Familie und das Klammern an Kindheitserinnerungen, über Glück und Verlust. Und zu guter Letzt setzt er sich mit der NS-Zeit in den Niederlanden auseinander. Ich konnte ihn kaum aus der Hand legen und bin nur so durch die Zeilen geflogen. ⭐️4/5⭐️

Dennoch habe ich einen Kritikpunkt, der allerdings SPOILER enthält:
Die Liebesbeziehung zwischen Isabel und Eva weckt zwar viele Emotionen bei den Leser:innen und die ambivalenten Gefühle sind toll beschrieben, dennoch trägt die Autorin teilweise etwas zu dick auf. Gerade am Ende ist es sehr theatralisch und schwülstig und hat mir ein bisschen die Freude am Buch genommen. Auch die Sexszenen sind sehr ausschweifend und detailliert beschrieben, hier hätte weniger gereicht, denn das Begehren der beiden ist auch so spürbar gewesen.

*Übersetzt von Stefanie Ochel


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Veröffentlicht am 13.05.2025

Unheimlich gute erste 3/4, aber enttäuschendes Ende

So ist das nie passiert
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Eine Dinnerparty unter engen Freunden läuft aus dem Ruder, als Willa sich mit ihren Erinnerungen an ihre vor Jahrzehnten verschwundene Schwester auseinandersetzen muss.

Mit dieser spannenden Ausgangssituation ...

Eine Dinnerparty unter engen Freunden läuft aus dem Ruder, als Willa sich mit ihren Erinnerungen an ihre vor Jahrzehnten verschwundene Schwester auseinandersetzen muss.

Mit dieser spannenden Ausgangssituation startet “So ist das nie passiert”. Perspektivwechsel zwischen Willa und ihrer besten Freundin Robyn und Zeitsprünge zwischen Gegenwart und Vergangenheit lassen einen direkt tief in die Geschichte eintauchen und die ersten 300 Seiten konnte ich das Buch nicht aus der Hand legen.
Auch der leichte Schreibstil trug dazu bei, ja es ist kein literarisches Meisterwerk, aber für eine gute Geschichte bedarf es ja nicht unbedingt einer anspruchsvollen Sprache. Nachdem das Thema der verdrängten/ falschen Erinnerungen so prominent in der Eingangsszene platziert wurde, habe ich mit einer raffinierten Auflösung gerechnet, bei der nichts so ist, wie es in Willas Erinnerungen zu sein scheint.
Dahingehend wurde ich leider enttäuscht: Es läuft genau auf die Lösung hinaus, die die ganze Zeit angedeutet wurde, es gibt keinen großen Twist und der ganze Plot drumherum ist so konstruiert, dass ich nur dachte: “SO ist das NIE passiert.”
Das rosarote Ende hat mir dann den Rest gegeben, es fehlten nur noch flauschige Hundewelpen und Glitzerstaub, um das Bild perfekt zu machen.
Ich hatte also 300 Seiten lang ein wirklich tolles Leseerlebnis, die letzten 100 Seiten haben mich dann aber sehr enttäuscht. ⭐️3,5/5⭐️

*Übersetzt von Carola Fischer und Beate Brammertz

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Veröffentlicht am 09.05.2025

Wenig Handlung

Fassaden
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“Fassaden” erzählt die Geschichten zweier Frauen: Anna im Jahr 2019, die mit ihrem Mann David in eine Pariser Wohnung gezogen ist und ihren Beruf als Psychoanalytikerin momentan nicht ausführen kann. Sie ...

“Fassaden” erzählt die Geschichten zweier Frauen: Anna im Jahr 2019, die mit ihrem Mann David in eine Pariser Wohnung gezogen ist und ihren Beruf als Psychoanalytikerin momentan nicht ausführen kann. Sie beschließt, die Küche zu renovieren und freundet sich mit Clémentine an.
Und Florence im Jahr 1972, die damals in derselben Pariser Wohnung gelebt und dieselbe Küche renoviert hat. Sie ist in den letzten Zügen ihres Psychologiestudiums und möchte unbedingt schwanger werden, während ihr Mann nicht dafür bereit ist.

Das alles klingt nach einem vielversprechenden und tiefgehenden Psychogramm zweier Frauen, gerade die Idee der Wohnung als Gemeinsamkeit fand ich sehr außergewöhnlich, aber um ehrlich zu sein: Es passiert kaum etwas.
Die Autorin behandelt ihre beiden Protagonistinnen wie zwei Objekte und untersucht auf 480 Seiten wissenschaftlich genau (und ebenso emotionslos) deren Libido. Es geht nur um weibliche Lust, um sexuelle Beziehungen und darum, wie man die klassische Monogamie ausweiten kann.
Im Klappentext erwähnt wurde zum Beispiel noch Annas Fehlgeburt, die jedoch so gut wie gar nicht thematisiert wird. Clémentine ist Teil einer feministischen Gruppe, die im Kampf gegen Femizide nachts Parolen an Häuser schreibt. Hat das irgendeine Bedeutung für die Handlung? Nein.
Der komplette Erzählstrang rund um Florence und ihren Mann ist so belanglos, dass ich ihn gerade noch einmal nachlesen musste.
Und dass Florence und Anna dieselbe Wohnung bewohn(t)en, spielt auch keine Rolle. So viele Stichpunkte, die mich im Klappentext total angesprochen haben, aber kaum ausgeführt wurden.
Zu den Figuren baut man keine Beziehung auf, versteht ihre Gefühle und Taten nicht. Irgendwann wollte ich nur noch meine Ruhe vor ihnen haben.
Zugleich ist der Roman ein Liebeslied an die Stadt Paris, kann man mögen, mich persönlich haben die Großstadtbeschreibungen eher abgeschreckt.
Kurz: Ich hätte das Buch auf jeden Fall abgebrochen, wäre es kein Rezensionsexemplar gewesen. Ist es deshalb ein schlechtes Buch? Nein. Ich habe aufgrund des Klappentextes nur etwas komplett anderes erwartet - eine richtige Erzählung mit Storyline und Gefühlen eben.

Wer sich mit weiblicher Lust, Beziehungsmodellen und Großstadtliebe auseinandersetzen will, verpackt in einem bildungssprachlichen und sachlichen Schreibstil, wird sicherlich ein Highlight hinter den “Fassaden” finden. ⭐️2/5⭐️

*Übersetzt von Eva Bonné


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