Fesselnd und bewegend
Unerhörte StimmenLeila wurde ermordet.
In ihren letzten Momenten lässt sie ihr Leben Revue passieren.
Jahrzehntelang war sie Prostituierte und damit gehörte sie zu einer Minderheit, den unerhörten Stimmen der Türkei.
Leilas ...
Leila wurde ermordet.
In ihren letzten Momenten lässt sie ihr Leben Revue passieren.
Jahrzehntelang war sie Prostituierte und damit gehörte sie zu einer Minderheit, den unerhörten Stimmen der Türkei.
Leilas Reise beginnt 1947 in einem abgeschiedenen Dorf Ostanatoliens, hier herrschen Gottesfurcht und (aus unserer Sicht) absurde Traditionen vor. Sie erlebt Unterdrückung, Missbrauch und wird erdrückt vom Wunsch des Vaters nach einem Sohn. Die zwei Ehefrauen des Vaters sind beide unglücklich, eine kann keine Kinder bekommen, die andere erleidet eine Fehlgeburt nach der nächsten.
Die Ungerechtigkeiten machen dabei extrem wütend, das ganze Familiengefüge ist enorm deprimierend und man macht innere Freudensprünge, als Leila ihrem Zuhause entflieht und in die große, bunte Stadt Istanbul kommt.
Doch der erwartete Wandel bleibt aus, auch hier wartet Schreckliches auf das junge Mädchen: Sie wird verkauft, muss sich von nun an prostituieren, gehört nun zu den Geächteten des Landes. Doch sie ist nicht die einzige Außenseiterin und mit den Jahren findet sie fünf außergewöhnliche Freundinnen, die das Leben lebenswert machen.
Ich bin Leila unheimlich gerne auf Ihrem Lebensweg gefolgt. Trotz all der Grausamkeiten lässt sie sich nicht kleinkriegen, behält stets ihr großes Herz und ihren Humor und steht für sich und ihre Liebsten ein. Elif Shafaks Schreibstil ist dabei sehr locker und pointiert, jedes Erinnerungsfragment Leilas sehr themenschwer und fesselnd, sodass man gar nicht merkt, dass mehrere hundert Seiten bis zur Ermordung 1990 vergehen.
Den kürzeren Teil danach fand ich etwas schwächer. Hier liegt der Fokus auf den zurückgebliebenen Freundinnen, den anderen “unerhörten Stimmen”. Wir lernen sie etwas besser kennen, auch mit ihnen meinte das Schicksal es nicht gut. Man merkt aber, wie die Kraft der Freundschaft sie durchs Leben trägt und wie wertvoll diese ist. Sie schmieden einen Plan, um Leila ein angemessenes Begräbnis zu schaffen. Die Schilderungen dessen waren mir persönlich zu slapstickartig und schwach, es passte absolut nicht zu der vorangegangenen Stimmung.
Dennoch habe ich “Unerhörte Stimmen” wahnsinnig gerne gelesen, habe die Protagonistin ins Herz geschlossen und ihren Lebensweg mit angehaltenem Atem verfolgt und dabei viel über die Türkei, ihre Politik und ihre Traditionen im letzten Jahrhundert gelernt. ⭐️4/5⭐️
*Übersetzt von Michaela Grabinger