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Veröffentlicht am 08.06.2017

Willkommen in Absurdistan

Ein dickes Fell
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Zum ersten Mal in dem ein oder anderen Jahr, das ich jetzt Bücher lese, hat sich ein Klappentext rentiert. Jetzt weiß ich wenigstens, worum es ging in dem Buch. Die Intention hinter der Geschichte kann ...

Zum ersten Mal in dem ein oder anderen Jahr, das ich jetzt Bücher lese, hat sich ein Klappentext rentiert. Jetzt weiß ich wenigstens, worum es ging in dem Buch. Die Intention hinter der Geschichte kann nämlich nach 600 verschwafelten Seiten schon mal verlorengehen. Das fängt gar nicht erst damit an, dass der eigentliche Held zum ersten Mal auf Seite 134 auftaucht, sondern - ich habe jetzt lange darüber nachgedacht - an vielen Gründen. Einer davon ist folgender:

Steinfest hat irgendwann mal ein Buch geschrieben, und alle riefen: Ohhhhh, wie toll du schreiben kannst. (Was übrigens der Wahrheit entspricht.)
Leider riefen sie auch: Du bist der tolllllllllste Schreiber der Welt, bittebittebitte schreib noch gaaaaaaaanz viel. (Sie meinten viele Bücher, doch Steinfest muss das falsch verstanden haben, er dachte, das solle alles in ein Buch.)
Also tat er das. Lest jetzt bitte den Klappentext. Habt ihr? Gut. Denn ich hätte leider keine Zusammenfassung bringen können, weil ich völlig andere Dinge wahrgenommen habe, auch wenn 4711 öfter mal erwähnt wurde. Ein Beispiel für die Art von Steinfests Schreibe? Brace yourself - wir nehmen einen fiktiven Ausgangspunkt: Eine Frau überquert eine Straße, ganz banal.

"Als sie sich anschickte, ihren Fuß auf die Straße zu setzen, die von der Sonne schon aufgewärmt war wie eine alte Hühnersuppe, die seit drei Tagen einem Kranken vor die Nase geschoben wird (ganz wichtig, völlig absurde Vergleiche zu bringen), bemerkte sie, dass diese Straße dunkler war als die hinter ihrem Haus. Obgleich sie kein großes Beobachtungsvermögen besaß, was sicherlich ihrer Mutter zuzuschreiben war, die einen Mann geheiratet hatte, der aus Absurdistan stammte, und von daher immer der Meinung war, eine Frau bräuchte keine unterschiedlichen Farben auf Straßen zu bemerken und dies auch überzeugend darlegte, so ließ sie diese Tatsache einen Moment stutzen und darüber nachdenken. Sollte sie trotzdem die Straße überqueren oder nicht? Nicht, dass ihr irgendjemand einen Vorwurf gemacht hätte, täte sie das nicht, aber es war doch des Nachdenkens wert. Nein, entschied sie sich, sie konnte nicht an dieser Stelle über die Straße gehen, denn solange sie das Rätsel der unterschiedlichen Farben nicht gelöst hatte, gäbe es keine Sicherheit darüber, dass es sich wirklich um die Straße vor ihrem Haus handelte und nicht etwa um ein schwarzes Loch, das sie in eine andere Galaxie reißen würde, wo man sie zwingen würde, eine Frisur wie Trump zu tragen, aber immer die Wahrheit zu sagen."

Ihr behauptet, das sei keine Rezension eines Buches? Warum macht ihr mir einen Vorwurf? Ich behaupte ja auch nicht, dass Steinfest keinen Krimi geschrieben hat. Auch, wenn es die Wahrheit ist. Was der Autor tat, war, in einer Tour brillante und überaus spritzige Sätze zu entwickeln, aber man kann nur so und so viel brillante und spritzige Sätze lesen, die an kein Ziel führen, bevor einem die Augen zufallen und man in einen tiefen Schlaf fällt. Einem Schlaf übrigens, in dem niemand davon träumt, eine Straße zu überqueren ...

Veröffentlicht am 31.05.2017

Sieben Todsünden

Die Morde von Morcone
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In der Nähe von Morcone, im Süden der Toskana, hat sich der Anwalt Robert Lichtenwald ein Rustico gekauft und hierher verkriecht er sich, als er in der Midlifecrisis steckt. Frau weg, Tochter flügge, er ...

In der Nähe von Morcone, im Süden der Toskana, hat sich der Anwalt Robert Lichtenwald ein Rustico gekauft und hierher verkriecht er sich, als er in der Midlifecrisis steckt. Frau weg, Tochter flügge, er will "zu sich selbst finden". Dann findet er zusammen mit dem Conte, dem das Land ringsherum gehört, eine Leiche, in die ein Buchstabe geritzt ist. Sie wird nicht die einzige bleiben, denn jemand hat beschlossen, dass es der Sünden in Morcone genug ist. Für jede Todsünde wird ein Mensch sterben und die anderen aufrütteln, wieder ein gottesfürchtiges Leben zu führen. Lichtenwald und eine einheimische Journalistin beginnen, Ermittlungen anzustellen und stellen dabei fest, dass auch sie eine der Todsünden verkörpern.

Stefan Ulrich liebt Italien, und er will unbedingt jeden dazu bringen, diese Liebe ebenso zu empfinden. Kein Klischee ist dafür zu viel, nicht die sanft rollenden Hügel oder das glitzernde Meer oder der betäubende Duft irgendwelcher Pflanzen, Pasta, Pasta, Pasta, jedes zehnte Wort ist italienisch, die Bullen sind träge, dumm und inkompetent, die Mamas dick und leidenschaftliche Köchinnen, die jungen Frauen explodieren in Wutausbrüchen ... Dabei bleibt der Fall jedenfalls auf der Strecke. Interessant ausgedacht, aber viel zu offensichtlich. Dazu kommt, dass die Helden natürlich in Fallen tappen müssen, die so offensichtlich sind, dass selbst Hühner sie vermieden hätten, und Hühner sind jetzt nicht die schlauesten Geschöpfe unter der Sonne. Komischerweise erkennt auch niemand die Stimme des Täters oder irgendwas an ihm - man sieht dann nur noch ein "Wesen". Was die Polizei die ganze Zeit macht, weiß man nicht, die sind halt präsent, ohne dass es den Täter stört. Der war übrigens schon sehr zeitig klar und somit behielt dieser Krimi keinerlei Überraschungen mehr im Ärmel. Kann man lesen, klar. Kann man aber auch lassen.

Veröffentlicht am 23.05.2017

Parallelwelten

Der Brief
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Marie ist Journalistin in Hamburg, lebt mit Johanna zusammen und ist an und für sich zufrieden mit ihrem Leben. Das ändert sich eines Tages, als sie den Brief einer alten Schulfreundin - Christine - erhält. ...

Marie ist Journalistin in Hamburg, lebt mit Johanna zusammen und ist an und für sich zufrieden mit ihrem Leben. Das ändert sich eines Tages, als sie den Brief einer alten Schulfreundin - Christine - erhält. Die schreibt ihr aus Berlin und in dem Brief geht sie auf Maries Leben ein, das angeblich in Paris stattfindet und wo sie verheiratet ist mit einem Mann namens Victor. Sie spricht von Ereignissen und Lebensumständen, die Marie gänzlich unbekannt sind - und dann wieder doch seltsam vertraut vorkommen. Dieser Brief bleibt nicht der einzige, und so begibt sich Marie auf Spurensuche - in Paris und Berlin und in ihrem eigenen Kopf.

Ich fand die Idee gut, hatte jedoch bedeutend mehr erwartet. Mehr Spannung, mehr Substanz, mehr Hintergrund, mehr Auflösung vor allem. Es ist ein dünnes Buch, eigentlich keine Zeit zum Langweilen, doch fesselnd war es auch nicht. Das lag an der emotionslosen Schreibweise, die wie ein Schüleraufsatz wirkte als eine Novelle. Ab und zu Marie wie einen Teenager in Tränen ausbrechen zu lassen ist keine Grundlage, Gefühle zu vermitteln. Einige Sachen sind auch nicht stimmig - erst kann sich Marie nicht mal richtig erinnern, wer Christine überhaupt ist, dann heißt es, sie waren wie siamesische Zwillinge, niemals einer ohne den anderen. Und dann der Schluss: Was war los, keine Ahnung mehr, wie man das zu einem schlüssigen Ende bringt oder drohte eine Deadline? Das war jedenfalls kein befriedigendes Ende, genauso wie das Buch auch nicht halten konnte, was der Klappentext versprach.

Veröffentlicht am 11.05.2017

Die Helden sind alt und müde

Sherlock Holmes und der Vampir im Tegeler Forst
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Im Jahre 1888 schlachtet ein Mann im Londoner East End Huren ab, bekannt wird er unter dem Namen Jack the Ripper. Weil Lestrade zu spät Holmes und Watson hinzuzieht, kann der Ripper entkommen. Zwei Jahre ...

Im Jahre 1888 schlachtet ein Mann im Londoner East End Huren ab, bekannt wird er unter dem Namen Jack the Ripper. Weil Lestrade zu spät Holmes und Watson hinzuzieht, kann der Ripper entkommen. Zwei Jahre später gibt es eine erneute Chance, den Ripper zu stellen, auf Helgoland, das vom Vereinigten Königreich an Deutschland übergeben wird. Wieder entkommt er und dann wird es Jahrzehnte lang ruhig um ihn. Doch kurz nach dem Ende des 1. Weltkriegs legt es der Ripper auf eine Konfrontation an und Holmes steigt ein. Zusammen mit Watson macht er sich auf den Weg nach Deutschland, zum Filmdreh von Nosferatu und dieses Mal wird sich erweisen, wer dem anderen überlegen ist.

Meine Erwartungen waren hoch. Die Messlatte liegt allerdings auch hoch, denn Conan Doyle hat einen Schreibstil, welcher der Brillanz seines Helden in nichts nachsteht. Den zu treffen, ist schwer. Und hier gelang es so gut wie nie. Das Holmes-und-Watson-Feeling kam so selten auf, dass man schon die berühmte Lupe des Detektivs hernehmen musste, um es zu finden. Das Problem ist wohl, dass es der Autor zu gut gemeint hat. Er hat fleißig recherchiert. Zu Helgoland, zu der Post-WK1-Zeit, zu den Filmemachern in der Zeit. Hätte er einen eigenständigen Roman darüber geschrieben, hätte es was Gutes werden können. So jedoch musste er alles, was er erfahren, erlesen, herausgefunden hatte, irgendwie auf Biegen und Brechen in dem Buch unterbringen, so dass Holmes und Watson die zweite Geige spielten. Der Ton zwischen diesen beiden und im allgemeinen Umgang mit anderen wurde bemüht, aber selten getroffen. Nett war, dass endlich mal alte Leute eine Rolle spielten, ob ich jedoch einen Monolog Watsons über seine Inkontinenz brauchte, bezweifle ich. Und Holmes war so schwerfällig von Begriff, dass es ein Wunder ist, wie sich der Fall zum Schluss auf anderthalb Seiten löste. Dem Buch fehlte alles, was einen Sherlock-Holmes-Roman ausmachte und es kann nur durch seine Recherche und die Infos, die für mich neu waren, punkten. Empfehlen würde ich es dennoch - auf gar keinen Fall an Conan Doyles Fans, aber an geschichtlich Interessierte, die hier ein paar Mal auf ihre Kosten kommen.

Veröffentlicht am 20.04.2017

Faustische Morde

Ragdoll - Dein letzter Tag (Ein New-Scotland-Yard-Thriller 1)
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Der Polizist Wolf (so genannt, weil er einen zusammengestückelten Namen besitzt, deren erste Buchstaben eben Wolf ergeben und weil es wahrscheinlich dem Autor cool vorkam) ist ein aggressiver, cholerischer ...

Der Polizist Wolf (so genannt, weil er einen zusammengestückelten Namen besitzt, deren erste Buchstaben eben Wolf ergeben und weil es wahrscheinlich dem Autor cool vorkam) ist ein aggressiver, cholerischer Typ, der vor vier Jahren im Gerichtssaal einen Verdächtigen fast umgebracht hatte, weil der von der Jury auf "nicht schuldig" gesprochen wurde. Dafür kam er in die Klappse, wo er eigentlich auch am besten aufgehoben war. Durch Ereignisse, die zwar nicht logisch waren, aber dem Autor trotzdem cool vorkamen, wurde er später rausgelassen und sogar wieder in den Polizeidienst übernommen, rechtzeitig, um einem Serienmörder gegenübergestellt zu werden, der eine aus sechs Personen bestehende Flickenpuppe aus Leichenteilen gebastelt hatte. Derselbe Killer hat auch eine Liste seiner zukünftigen Opfer hinterlassen mitsamt Datum, wann sie sterben würden. Und weil der Täter hellsichtig und übermenschlich ist, schafft es ein ganzes Team von Polizisten nicht, ihn an seinem Vorhaben zu hindern.

Ja, ich weiß, schon in der Beschreibung verurteile ich das Buch, aber es ist auch wirklich übelst konstruiert. Mal davon abgesehen, dass keine Behörde der Welt einen Mann wie Wolf jemals wieder eingestellt hätte, auch wenn er noch so Recht hatte mit seiner Vermutung, aber der Typ ist nicht ganz sauber. Alle fünf Minuten geht er hoch wie ein Geysir und prügelt herum, ohne auf Freund oder Feind Rücksicht zu nehmen. Seine Kollegen sind ähnlich irre. Baxter, seine Ab-und-an-Polizeipartnerin dreht ebenso alle fünf Minuten am Rad und fährt so irre, dass eigentlich zehn Leichen ihren Fahrtweg säumen müssten - ist bestimmt auch was, das der Autor für cool hält. Obwohl das der größte Fall ist, den London je erlebt hat, schaffen es die Polizisten nicht, ein vernünftiges Team auf die Beine zu stellen, Profiler scheint es auch nicht zu geben, dafür darf sich ein junger Polizist zum Experten aufschwingen, der eigentlich zum Betrugsdezernat gehört. Von dem Killer will ich gleich gar nicht anfangen. Dessen gottgleiche Fähigkeiten imponierten mir. Der war dank Lappie allwissend und allmächtig und sowieso immer zur Stelle, der konnte auch alles vorhersehen, was passieren würde. Ursprünglich war das Buch als Drehbuch geplant, und ich finde, das merkt man. Jede Logik wurde für Tempo und Spannung (in der Tat habe ich mich auch nicht gelangweilt, nur geärgert) über Bord geworfen. Als Film oder Serie für den Samstagabend 20.15 Uhr funktioniert die Story bestimmt gut. Hirn aus, Fernseher an, Popcorn auf dem Schoß, alles gut.