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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 18.09.2018

Wut

Jenseits von Wut
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An ihre ersten beruflichen Erfahrungen bei der Polizei denkt Eddie Beelitz nur sehr ungern zurück. Deshalb war sie ganz froh, als sie sich durch ihre Schwangerschaft in eine Ehe flüchten konnte. Das war ...

An ihre ersten beruflichen Erfahrungen bei der Polizei denkt Eddie Beelitz nur sehr ungern zurück. Deshalb war sie ganz froh, als sie sich durch ihre Schwangerschaft in eine Ehe flüchten konnte. Das war aber nicht die richtige Entscheidung, die Ehe ist grandios gescheitert und Eddie steht mit ihrer 5jährigen Lottie quasi auf der Straße. Außerdem bringt die finanzielle Not für Eddie auch einen sozialen Abstieg mit sich. Was für ein Glück, dass die Personalnot bei der Kripo ihr eine unkomplizierte Rückkehr in Teilzeit ermöglicht.
Doch der Schreibtischjob ist nicht ganz so unkompliziert wie vorgestellt. Die knappe Besetzung bringt es mit sich, dass Eddie auch zu einem Außeneinsatz mit muss. Eine junge Frau wurde vor dem Jobcenter brutal erschlagen. Das Opfer war keine sympathische Person, sie klammerte sich an Freunde und stalkte auch ihren ehemaligen Freund, der im Jobcenter arbeitete. Die Ermittlungen bringen Eddie fast an ihre Grenzen.
Dieser Krimi ist ganz aus der Sicht von Eddie geschildert, die sich plötzlich in allen Bereichen mit Schwierigkeiten konfrontiert sieht. Eine fordernde berufliche Situation, die ungeklärte finanzielle Situation und dazu noch die Auseinandersetzungen mit ihrem Ex-Mann bringt sie an ihre Grenzen. Aber sie erkennt auch, dass sie daran wachsen kann. Diese Perspektive hat mir den Krimi sehr sympathisch gemacht. Lucie Flebbe schildert den Polizeialltag sehr realistisch und zeigt eben nicht den üblichen Helden, sondern eine Beamtin, die Familie und Beruf unter einen Hut bringen muss. Eddie schließt Freundschaften, wo sie sie nie erwartet hätte: nämlich in einem trostlosen Bochumer Viertel, wo in tristen Wohnblocks eher die Verlierer der Gesellschaft anzutreffen sind.
Zwischen den Kapiteln sind immer wieder kurze Einblendungen, die die Gedankenwelt von „Zombie“ schildern, einem offensichtlich jungen Mann, der kaum seine Aggression in Zaum halten kann und sich in Gewalt-und Vergewaltigungsfantasien verliert. Diese Einblenden geben zwar im Verlauf der Handlung einen Sinn, trotzdem fand ich sie übertrieben.
Aber insgesamt hat mich der frische Erzählstil von Lucie Flebbe überzeugt und ich fand diesen Krimi aus dem Grafit Verlag einen gelungenen Einstieg in die geplante Serie um Eddie Beelitz.

Veröffentlicht am 04.09.2018

Eingeschneit

Königskinder
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Die unvorsichtige Fahrt über die gesperrte Passstraße endet im Graben. Das Schneetreiben wird dichter und vor dem nächsten Morgen ist keine Hilfe in Sicht. Um seiner Frau die Zeit zu vertreiben, beginnt ...

Die unvorsichtige Fahrt über die gesperrte Passstraße endet im Graben. Das Schneetreiben wird dichter und vor dem nächsten Morgen ist keine Hilfe in Sicht. Um seiner Frau die Zeit zu vertreiben, beginnt Max ihr eine Geschichte zu erzählen. Bei jedem Aufwachen spinnt er sein Garn ein wenig weiter.
Mit dieser Rahmenhandlung umgibt Alex Capus eine kleine Geschichte aus der Vergangenheit des Tals. Er beginnt bei einem armen Sennerbuben, der als Waise allein in der Melkhütte haust, jahrein, jahraus, bis er eines Tages beim Viehabtrieb die Tochter des Bauern sieht. Mit dem Blick, den Jakob und Marie tauschen, beginnt eine abenteuerliche Liebesgeschichte. Wobei mit der Rahmenhandlung und der immer skeptisch den Wahrheitsgehalt der Erzählung anzweifelnden Ehefrau auch der Leser immer wieder überlegt, was ist wahr, was Fantasie. Je mehr Fakten aus Kirchenbüchern und Melderegistern Max zitiert, umso weniger scheint Ehefrau Tina überzeugt.
Für beide Erzählstränge findet Capus seinen ganz eigenen Ton. Es ist eine unterhaltsame Reise, die den Leser bis zur Französischen Revolution und an den Hof von Versailles führt und doch immer wieder auch Bezug zu den zwei Menschen im eingeschneiten Auto nimmt. Der Autor lässt die Leser mit seiner Fabulierkunst in die Geschichte eintauchen, lässt Märchen und Realität mit einander verschmelzen. Es ist kein umfangreicher Roman, eher Lektüre für einige Stunden, aber gelungen aufgebaut und erzählt.
Wenn dann der Morgen graut und die Signallampen der Straßenwacht aufleuchten, taucht auch der Leser wieder aus der Geschichte auf. Mit den Schlussworten entlässt uns Capus und wir dürfen uns dann die Geschichte gern weiterspinnen.

Veröffentlicht am 04.09.2018

A grausliche Leich

Walter muss weg
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Von der Dorfidylle zum Vorhof der Hölle ist es nur ein kurzer Weg. Und in Glaubenthal, dem Dörfchen zwischen grünen Wiesen und sanften Hügeln scheint er besonders kurz.
Hannelore Huber, die Huberin, darf ...

Von der Dorfidylle zum Vorhof der Hölle ist es nur ein kurzer Weg. Und in Glaubenthal, dem Dörfchen zwischen grünen Wiesen und sanften Hügeln scheint er besonders kurz.
Hannelore Huber, die Huberin, darf endlich nach 53 mehr oder weniger qualvollen Ehejahren ihren Walter zu Grabe tragen. Aber einem Sargträger rutscht das Seil aus der Hand, der Sarg poltert senkrecht in die Grube, springt auf und da liegt kein friedvoller Walter drin.
Selbst ein ausführlicher Leichenschmaus bringt kein Licht in die Angelegenheit, nur einige Leute, die sich die Hanni Huber schon verwundert anschaut. Da weint sich eine Frau die Augen aus, ein Stück von Walters Prothese taucht in einer Hundeschnauze auf und Dorfarzt und Pfarrer verwickeln sich in seltsame Widersprüche.
Diese Dorfroman ist schwarzhumorig und bitterböse. Die Huberin als Mittelpunkt dieses Rätsels um den verschwunden Toten ist eine gallige, verbittert gewordene Alte. Aber dumm ist sie nicht, auch wenn man sie gern so hinstellt. Es braucht eine ganze Menge skurriler Wendungen und Anspielungen bis sie das Spiel durchschaut, aber dann ist sie am Zug.
Thomas Raabs Krimis um den Wiener Restaurator Metzger waren immer ein Muss für mich. Deshalb war ich auf den Start einer neuer Serie schon sehr gespannt. Vielleicht waren meine Erwartungen zu hoch. Dieser Dorfkrimi hat mich jedenfalls nicht überzeugen können. Er wirkte mit seinen vielen skurrilen Einfällen zu überzogen und den feinen Humor, den ich bei Raab sonst so schätze, kommt hier eher brachial daher. Auch sprachlich konnte mich das Buch nicht überzeugen, die Sätze sind verschachelt und dennoch abgehackt. Nebensätze bleiben in der Luft hängen und ich hatte das Gefühl, das auch hier Raab unbedingt ganz besonders skurril und urig sein wollte und deshalb diesen Sprachstil wählte. Mir fehlt die Leichtigkeit und der österreichische Charme, der für mich immer ein Markenzeichen des Autors war.
Die Figurenzeichnung ist dick aufgetragen und erinnert mich an ein Bauerntheater. Es gab komische Szenen, aber auch die Auflösung erinnerte mich eher an eine Dorfgroteske, als an einen Krimi.
Schade, ich hatte mich so sehr das neue Buch von Thomas Raab gefreut.

Veröffentlicht am 02.09.2018

Tödlicher Weihnachtsabend

Der Schmetterling
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Johan Rokka kehrt nach Jahren in der schwedischen Hauptstadt zurück in seinen Heimatort Hudiksvall in Nordschweden zurück. Er hat noch eine Rechnung offen mit seiner nordschwedischen Heimat. Aber bevor ...

Johan Rokka kehrt nach Jahren in der schwedischen Hauptstadt zurück in seinen Heimatort Hudiksvall in Nordschweden zurück. Er hat noch eine Rechnung offen mit seiner nordschwedischen Heimat. Aber bevor er offiziell seinen Dienst antritt, wird er schon gerufen. Henna Sandin, die Frau des berühmten Fußballstars Måns wurde an Heiligabend getötet. Ein fast unwirkliches Szenario, sie erwartete ihren Mann als Weihnachtsmann verkleidet für die Bescherung der Kinder und dieser Weihnachtsmann brachte ihr den Tod.

Keine einfache Ausgangslage für Rokka, fast alle in den Fall involvierten Personen sind Jugendfreunde, er hat selbst mit ihnen in einer Fußballmannschaft gespielt, aber nur Måns hatte das Zeug zum Star. Einige Spuren führen nach Italien und da gibt es immer wieder Gerüchte um manipulierte Pferdewetten. Auch die Frauen haben in dieser Geschichte eine entscheidende Rolle, Måns war kein Kostverächter und auch Henna hatte ihre unbekannten Seiten.

Wie bei einem Skandinavien Krimi zu erwarten, spielt das Innenleben der Ermittler und ihre Interaktionen untereinander eine große Rolle. Die Figuren sind deshalb auch psychologisch ausgefeilter angelegt, als in anderen Thrillern. Das hat mir gefallen, es gibt dem Buch außer der erwarteten Spannung durch den Plot, auch eine Spannung durch die Charaktere der Protagonisten. Dennoch ist es nicht damit überfrachtet. Auf die sonst oft in skandinavischen Krimis ausgiebig behandelte Sozial- und Gesellschaftsproblematik verzichtet die Autorin, trotzdem ist der Thriller realistisch und nah an der Lebenswirklichkeit. Damit hat sie bei mir schon gepunktet. Die Geschichte ist anspruchsvoll aufgebaut, ein Handlungsfaden besteht aus alten Tagebucheinträgen. Auch den Rokka ist bald klar, dass die Lösung des Falls in der Vergangenheit zu suchen ist.

Ich war von der ersten Seite an gefesselt, auch wenn ich den Typ Rokka erst näher kennenlernen musste. Dann hat mir die Figur wirklich gefallen und mit seiner Kollegin Janna wurde ein gelungener Gegenpart eingeführt. Ich könnte mir gut weitere Fälle aus Hudiksvall vorstellen.

Veröffentlicht am 01.09.2018

Shylock & Strulovitch

Shylock
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Strulovitch, ein reicher englischer Kunsthändler trifft zufällig auf einem Friedhof Shylock, der dort vor dem Grab seiner Frau trauert. Er lädt Shylock spontan zu sich ein und zwischen den beiden Männern ...

Strulovitch, ein reicher englischer Kunsthändler trifft zufällig auf einem Friedhof Shylock, der dort vor dem Grab seiner Frau trauert. Er lädt Shylock spontan zu sich ein und zwischen den beiden Männern entwickeln sich viele Dialoge. Es geht um ihre Gläubigkeit, das Judentum allgemein und den Antisemitismus, der ihnen seit Jahrhunderten unverändert entgegenschlägt. Strulovitch ist nicht sonderlich religiös, er missachtet die Speisegesetze, begeht keine Feiertage, ja, er war sogar eine kurze Zeit mit einer christlichen Frau verheiratet.
Ähnlich wie Shylock, hat er ein gespanntes Verhältnis zu seiner frühreifen Tochter. Er beschützt sie über alle Maßen, man könnte fast sagen, er überwacht sie und terrorisiert ihre Freunde. Trotzdem kann er nicht verhindern, dass sie mit einem Nichts von einem Goj, einem zweitklassigen Fußballspieler durchbrennt. Diese Liebschaft wurde gefördert durch Plurabelle, einem hirnlosen Society-Girl und ihrem väterlichen Freund D’Anton. Strulovitch fordert, dass sich Gratan, der Lover seiner Tochter, beschneiden lässt um seinem Anspruch als Schwiegersohn zu genügen.
Genau wie im Vorbild, Shakespeares „Kaufmann von Venedig“, dreht sich die Handlung des Romans um das Judentum und um die Einlösung eines Schuldpfands und um die Ablehnung, die dem Volk der Juden seit Jahrhunderten unverändert entgegenschlägt. Vielleicht möchte Jacobson zeigen, dass sich in all der Zeit nichts an der Situation der Juden geändert hat.
Ich fand, trotz der geschliffenen Sprache des Autors und manch wunderbaren Sprachbilder, die er findet, das Buch anstrengend und ermüdend. Es ist eine dauernde, sich im Kreis drehende Diskussion um das Verständnis des Judentums und des immerwährenden Antisemitismus. Dabei lehnt sich Jacobson an Shakespeares Komödie an, das Buch ist ja auch ein Teil des „Shakespeare Project“ der Hogarth Press. Die Figuren tauchen in modernen Ausbildungen auf und man kann leicht die einzelnen Personen erkennen.
Ich hatte mit diesem Roman Schwierigkeiten, zu sehr beschränkte es sich auf das Thema der erzwungenen Beschneidung. Dass diese Forderung Strulovitchs am Ende für die große Überraschung sorgt, ist ein letzter Coup des Autors.