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Veröffentlicht am 05.03.2023

Die Geschichte einer Familie

Malvenflug
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Das Dritte Reich war eine harte Zeit. Egal ob im annektierten Brünn, im “Heim ins Reich" gezwungene Graz oder im freien Davos. Ursula Wiegele webt ein spannendes Bild der Familie Prochazka während des ...

Das Dritte Reich war eine harte Zeit. Egal ob im annektierten Brünn, im “Heim ins Reich" gezwungene Graz oder im freien Davos. Ursula Wiegele webt ein spannendes Bild der Familie Prochazka während des Dritten Reiches und in der Zeit danach.
Denn in Davos, wo Emma Prochazka als Köchin in diversen Hotels, Sanatorien aber auch privat arbeitet, kann sie jederzeit ausgewiesen werden, als “Reichsdeutsche”, obwohl sie eigentlich Österreicherin ist. In Brünn geht es einige Jahre gut, als Deutscher zu leben, bis die Bombardements anfangen und danach, nach Kriegsende, kommt für die Sudetendeutschen eine schreckliche Zeit, bis sie nach Österreich oder Deutschland flüchten können. (Böse Zungen könnten behaupten, sie zahlen nun die Zeche für die Herrenjahre während des Protektorats.)

Dem Buch vorangestellt ist eine Liste der handelnden Personen, das erleichtert den direkten Einstieg in die Handlung. Und man kann immer wieder darauf zurückkommen, wenn man sich nicht sicher ist, wie die Verbindung zur Familie Prochazka besteht.
Im ersten Teil wechselt die Handlung zwischen Davos, Brünn und Graz und die jeweils dort lebenden Personen erzählen die Familiengeschichte aus ihrer Sicht. Eine Mutter die weit weg, in der Schweiz schuftet, um die Schulden abzubezahlen und ihre Kinder in der Obhut mal ihrer Eltern, mal ihrer Schwiegereltern lassen muss, ein kleines Mädchen, dass sich nach der Mutter sehnt und immerzu an sie denkt, die große Schwester, die in einen Kirchenorden eintritt, danach in einer Blindenanstalt arbeitet, der große Bruder der auf eine Napola-Schule gehen muss, der jüngste Bruder der ganz indoktriniert zu sein scheint, die Gehirnwäsche der Nazis hat auf ihn voll gewirkt. Und dazwischen der Vater, Pavel Prochazka, der sich mit diversen Liebschaften und Gelegenheitsjobs über Wasser hält. Und über allem droht das Hakenkreuz, droht der Krieg, der einen jederzeit einholen und den Boden unter den Füßen wegreißen kann. Diese dunkle Bedrohung, mal weiter weg, mal näher, spürt man während der Lektüre ganz deutlich.
Der zweite Teil des Buches, in der Zeitspanne nach Kriegsende bis in die Gegenwart, erzählt in kurzen Rückblenden von der Vertreibung der sudetendeutschen Großeltern, wie die anderen Familienmitglieder ihr Leben meistern. Alles aus der Sicht Helgas, der ehemaligen Ordensschwester, die nach dem Krieg nicht mehr in den Orden eintreten wollte. Der Krieg ist vorbei und das spürt man. Der Weg der Familienmitglieder ist weiterhin nicht leicht, aber der Schatten des Krieges ist verschwunden. Helga lebt mit ihrem Sohn und Partner im Veneto. Einmal im Jahr organisiert sie ein Familientreffen, zu dem sie alle kommen, oder es zumindest versuchen. Der Zusammenhalt aus den Kriegsjahren ist immer noch da, das Wiedersehen ist wichtig für alle.
Malvenflug? Wieso der Titel? Helga liebt Malven, auch Stockrosen genannt. Sie hat sie in einem Urlaub während des Krieges kennengelernt. Sie war 1944 für zehn Tage mit der blinden und tauben Irene in den Bergen, in Seckau. Die Malven waren so bunt und schön, Helga ist beeindruckt und erklärt: “Nur könne ich angesichts all dieser Blüten nicht glauben, dass auf der ganzen Welt ein unheilvoller Krieg tobe. Und dass die Nazis die Herren seien.” (S. 124) Helga nimmt Malvensamen mit und seither verschenkt sie allen Menschen, die sie mag, Malvensamen und sät sie überall dort aus, wo sie lebt. Die Malven begleiten sie durch all ihre Lebensstationen seither.
Dies ist ein Buch ohne Pathos, ohne offensichtliches Drama. Es sind die leisen Töne, die einem zu Herzen gehen, die einen im Buch festhalten, bis zum versöhnlichen Ende.

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Veröffentlicht am 27.02.2023

Warum heißt eigentlich das Buch “Roxy”?

Roxy
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Jetzt mal im Ernst, Herr von Bülow, weshalb Roxy? Die Edeldisko wird höchstens zwei oder dreimal im Buch erwähnt. Da trifft sich die Jeunesse Dorée der Münchner Schickeria und die, die gerne dazugehören ...

Jetzt mal im Ernst, Herr von Bülow, weshalb Roxy? Die Edeldisko wird höchstens zwei oder dreimal im Buch erwähnt. Da trifft sich die Jeunesse Dorée der Münchner Schickeria und die, die gerne dazugehören würden, Aber sie steht nicht im Vordergrund. Das ist eher die komplizierte Beziehung zwischen Marc und Roy. Der eine aus einem “kleinkarierten” Haus, der andere aus großbürgerlichen Verhältnissen. Marc ist sich schon aus seiner Jugend her bewusst, “... nie ein richtiges Gefühl dafür gehabt, [zu haben] wer er eigentlich war. Er wusste, was seine Eltern, Lehrer, Freunde von ihm erwarteten, und er war geschickt genug, diese Erwartungen zu bedienen. …Aber er hatte schlicht keine Ahnung, wer er selbst eigentlich sein wollte. er wusste nur, dass er jemand anderes sein wollte als der, der er bisher gewesen war.” (S. 73) Dies wirft Roy ihm letztendlich auch vor.
Und da ist auch Carolin, die beide attraktiv finden, Marc liebt sie, ist aber zu scheu, zu unsicher, um zu seiner Liebe zu stehen. Marc hat “Angst sich zu bekennen. Angst vor dem Risiko. War das ein Wunder, bei all den ängstlichen Leuten um ihn herum, mit denen er aufgewachsen war?” (S. 320-321) Roy versucht Marc aus diesem ständigen Zustand der Ängstlichkeit herauszuholen, ihn dazu zu bringen, zu sich selbst zu stehen, sich dem Leben offen zu stellen. Auch Marcs Liebe zu Carolin steht unter diesem schweren Schatten, über den er nicht springen kann. Nur ganz zum Schluss, sozusagen aus dem Grab heraus, kann Roy seinen Freund so weit bringen, Carolin anzurufen und die Weichen in seinem Leben umzustellen. Und so endet das Buch auf einer positiven Note.
Deshalb wiederhole ich meine Frage: Weshalb Roxy? Roy gehört zu dem Glamour, den Roxy ausstrahlt, Marc würde gerne dazu gehören, fühlt sich aber nicht stark genug dafür und als nicht dazugehörig. Ganz anders als Schober, der Hochstapler. Mit aller Gewalt will er zum Glamour-Kreis im Roxy dazugehören, nur um letztendlich grausam zu scheitern.
Roys Eltern sind reich. Sehr reich. Eine Yacht, ein Ferienhaus an der Cote d’Azur, ein Ferienhaus am Gardasee, in München ein riesiges Haus mit Park und Garten, Luxusautos, usw. Aber man hat den Eindruck, Roy ist in all dem Luxus nicht glücklich. Manchmal wünscht er sich die Stabilität und Gediegenheit von Marcs Elternhaus. Marc kann das nicht glauben. Er kann sich nicht vorstellen, dass jemand wie Roy, ein Sonnyboy wie er im Buche steht, ihn um sein Elternhaus beneidet.
Die Leichtigkeit mit der von Bülow erzählt täuscht nicht hinweg über den ernsten Tenor, der das Buch durchzieht. Leben und Freundschaft und Liebe sind die Grundthemen des Romans. Man hat fast den Eindruck, dass Roy erst sterben musste, damit Marc endlich zu sich selbst findet und zu seiner Liebe zu Carolin. Und wenn ein Buch mit dem Gedanken an die Liebe endet, lässt es ein angenehmes Gefühl zurück, so als hätte Marcs Leben endlich einen Sinn. Und dadurch wird unser eigenes Leben auch ein wenig heller.

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Veröffentlicht am 05.02.2023

Schwere Kost

Gleißendes Licht
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Eine türkisch-deutsche Familie, kann ich mir vorstellen. Eine türkisch-armenische Familie kann ich mir auch vorstellen, aber nur bis Atatürk. Danach ist so viel Blut und Grauen und unsägliches Elend geflossen, ...

Eine türkisch-deutsche Familie, kann ich mir vorstellen. Eine türkisch-armenische Familie kann ich mir auch vorstellen, aber nur bis Atatürk. Danach ist so viel Blut und Grauen und unsägliches Elend geflossen, dass diese Familien Kombination fast unmöglich geworden ist. Und doch, das Leben schreibt die verrücktesten Romane. Ich habe diesen Roman gelesen.
Kaan ist in eine sehr interessante Familie hineingeboren worden. Seine Großmutter ist Armenierin, wurde aber als kleines Mädchen, als sie verwaist in einem Schulinternat lebte, von einer türkischen Familie adoptiert, hat einen neuen Namen bekommen, Vahide, und hat ein gutes Leben gehabt. Sie heiratet einen Türken, hat drei Söhne und eine Tochter. Die Tochter reist nach Deutschland aus, heiratet einen Deutschen, hat einen Sohn, Kaan. Der Sohm verbringt die Sommerferien in der Türkei, an der Schwarzmeerküste, das restliche Jahr über ist er in Deutschland bei seinen Eltern.
Alles scheint in Ordnung zu sein, wären da nicht dunkle Schatten in seiner Familiengeschichte in Kleinasien. Mit zunehmendem Alter kann seine geliebte Großmutter, Anneanne, wie er sie nennt, nicht mehr verdrängen, welch Unrecht ihr und ihren Eltern, ihrem Bruder und ihrem gesamten Volk angetan wurde. Sie ist Armenierin, mit einem Türken verheiratet, der später den Grund und Boden durch Spekulationen gekauft hat, der ihrer Familie gehört hat, um eine Haselnussplantage zu pflanzen und zu bewirtschaften. Die Armenierin erfuhr nie, dass ihr Mann, Hüseyin, sie praktisch um ihr Erbe betrogen hat. “Alles an Hüseyins Existenz war falsch gewesen, nur seine Liebe zu Vahide, die war echt. Und an Vahide, an der erwachsenen Ani, war seine Ruchlosigkeit gescheitert, zerfallen zu Staub wie ein Falter im gleißenden Licht.” (S. 230) Vahide verlangt von Kaan, er solle einen “Ausgleich schaffen in der Welt” (S.186), um zu lösen, was den Armeniern widerfahren ist. Er möge einen anderen Weg wählen, als den der Grausamkeit. Dieser Auftrag zehrt an Kaan: “Meine Anneanne, die hatte das alles im Gepäck, den Genozid,die Einsamkeit, die Traurigkeit. Diese unbedingte Verknüpfung von Selbstwert und Arbeit. Und den Rucksack muss ich jetzt tragen.” (S. 231-232)
Kaan erkennt, dass die Türken, die den Genozid verneinen, schuldig sind: Sein Großvater, genannt Dede, der Gärtner des Präsidentangartens in Istanbul, der Präsident selbst, alle sind sie mitschuldig. In seinen (Alb)Träumen werden diese drei Türken zu einem Mann, mit gemeinsamen Gesichtszügen. Und als er beschließt, den Präsidenten zu töten, tötet er “...den Präsidenten, den Gärtner, den Tepegöz, den Dede” (S. 261).Es ist eine apokalyptische und surreale Szene, in der das Attentat geschieht.
Die Folgen des Attentats sind bizarr, werden ironisch geschildert: Alp Kurtoglu, ein “geisteskranker Faschist” (S. 260), erstickt an einem Hühnerknochen, der Verteidigungsminister kriecht in einen Raketenbehälter und wird durch die Rakete pulverisiert. der Oppositionsführer der kemalistischen Demokraten erliegt einem Schlaganfall, “der ihn nicht umbringt, ihn jedoch auf die intellektuellen Fähigkeiten einer Schwarzmeerqualle reduziert. Seinen Wählern fällt dies zunächst kaum auf, aber er verliert in den folgenden Wochen doch überraschend schnell an Einfluss. (S. 263). Klingt vertraut diese Beschreibung? Trifft auch auf manche Politiker hierzulande zu.
Die Schlussszene des Buches, die Explosion des Frachters beladen mit Schweröl in der Bosporus-Meerenge könnte Kismet sein, könnte aber auch späte Rache der ermordeten Armenier sein, hundert Jahre zuvor. wer weiß?

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Veröffentlicht am 22.01.2023

Hans mit den vielen Beinamen

Der Inselmann
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Nach den ersten Seiten im Buch, dachte ich, es handele sich um eine moderne
Robinsonade, eine Familie zieht sich auf eine einsame Insel inmitten eines Sees zurück,
weil die Eltern von der Gesellschaft ...

Nach den ersten Seiten im Buch, dachte ich, es handele sich um eine moderne
Robinsonade, eine Familie zieht sich auf eine einsame Insel inmitten eines Sees zurück,
weil die Eltern von der Gesellschaft enttäuscht sind. Aber dem ist nicht so. Das Leben auf
der Insel steht nicht im Vordergrund, sondern Hans’ Beziehung zur Insel. Solange sie noch
in der Stadt wohnten, fühlte Hans sich nicht wohl. Unbemerkt von den Eltern konnte ihn
Manni, ein Junge aus der Nachbarschaft schlagen, quälen, ihm sein Taschengeld
abnehmen. Von anderen Nachbarn wurde Hans beschuldigt, Äpfel von einem Baum im Hof
gegessen zu haben, dabei war es Manni. Und derlei Schikanen mehr. Die Eltern kümmert es
nicht, sie sind so sehr mit ihrer eigenen Misere beschäftigt, dass sie nichts davon
mitbekommen. Das Leben auf der Insel erscheint Hans wie eine Erlösung von seinen
Qualen in der Stadt. Die Insel wird sein Reich, der Hund des ehemaligen Schäfers wird zu
seinem Kameraden, mehr braucht er nicht. Auch die karge Kost ist für Hans willkommen.
Hans wird auf der Insel zu “Hans, der Erste. Hans, der Große. Hans, Herrscher von
Amerika” (S. 15) und zu “Hans, der Gewaltige. Hans, der Kirchen zermalmt. Hans, der das
Festland verstößt” (S. 53) und “Hans, der Starke. Hans, der einen Schafbock bezwingt,
Hans, der König der Tiere.” (S. 82)..
Doch nach einigen glücklichen Jahren schwerer Arbeit und totaler Freiheit tritt das Schicksal
ihm wieder in den Weg. Hans muss zur Schule gehen. Und in der Schule beginnt sein altes
Leid erneut, in Form eines starren Schulmeisters, der die Not und innere Verzweiflung des
Jungen nicht erkennt und in Form von Manni, der ihn gleich in der ersten Woche brutalst
zusammenschlägt. Hans weigert sich daraufhin noch in die Schule zu gehen. Er versteckt
sich tagsüber im Schilf der Insel, taucht nur nach Schulschluss wieder auf. Und der
Schulmeister taucht auf, überredet die Eltern, Hans auf die Festung zu schicken, da werden
schwer erziehbare Jungen zu guten Menschen herangezogen. In Wirklichkeit lebt Hans da
wie in einem Gefängnis, sieben lange Jahre mit harter Arbeit, Prügelstrafe für die kleinste
Pause und karge Kost. Die Weihnachtspäckchen, die die Kinder von daheim erhalten futtert
der Anstaltsleiter genüsslich selber auf, nicht einmal die Weihnachtskarten dürfen die
Jungen bekommen. Hans wird zu: “Hans, der Verlorene. Hans der Schwache. Hans, der
sich nicht mal mehr ertränken kann” (S. 107) Und auch zu: “Hans, einer von vielen. Hans,
Knecht unter Knechten. Hans, der nicht mehr Hans ist.”(S. 112). Und weiter: “Hans, der
Verwundete. Hans der Unverwundbare. Hans, der unter Hieben leidet” (S. 119). Schließlich,
nach sieben endlosen Jahren darf Hans die Festung verlassen, er ist nun: “Hans der
Gezeichnete. Hans, der Vernarbte. Hans, der Unverwechselbare.” (S. 126). Hans wandert
unermüdlich, acht oder neun Tage lang, bis er endlich zur Insel seiner glücklichsten Kindheit
zurückkehrt. Der Hund erkennt ihn und Hans fühlt sich wie: “Hans, der König im Exil. Hans,
der endlich heimkehrt. Hans, der das Zepter wieder an sich reißen will.” (S. 141)
Doch sein Vater will ihn nicht da haben. Er empfängt ihn mit der Axt in der Hand und erklärt
barsch “Hier ist kein Platz für Dich.” (S. 145) Die nächsten Jahre arbeitet Hans als
Erntehelfer und sonstige Gelegenheitsjobs. “Er tat, was anfiel, nahm den Lohn entgegen und
zog weiter” (S. 153) Es vergehen wieder einige Jahre ins Land, bis Hans wieder auf die
Insel hinaus rudert. Und da kann er endlich bleiben. Der Vater ist gestorben, er kümmert sich
um seine Mutter, um die Schafe, um die Insel. Es vergehen die Jahre, die Jahrzehnte. Hans
wird zu “Hans, der Verblassende. Hans, den die Zeit einst vergaß. Hans, der Erste und
Letzte” (S. 171).
In so kurzen Sätzen lässt sich ein Menschenleben erfassen. Mit all seinen Höhen und
Tiefen, mit dem Guten und dem Schlechten.
Der Sprachstil - aus der Sicht eines Kindes "mit alter Seele" - ist ergreifend schön und
melancholisch, knappe und karge Sätze, die doch alles ausdrücken, was die Sprache
herzugeben vermag, lassen das Buch trotz der Düsternis, zu einem lesevergnügen werden.
Es sind diese leisen Töne, die im Gesagten mitschwingen, die zu Herzen gehen, die uns
über Hans und sein schweres Leben nachdenken lassen.

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Veröffentlicht am 20.01.2023

Bitterer Nachgeschmack

Frankie
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Ein ehemaliger Häftling und sein Enkel müssen sich erst kennenlernen, sich näherkommen. Ziemlich schwierig, wenn der Großvater wortkarg und bestimmend ist und der Enkel in der Pubertät. Erzählt wird aus ...

Ein ehemaliger Häftling und sein Enkel müssen sich erst kennenlernen, sich näherkommen. Ziemlich schwierig, wenn der Großvater wortkarg und bestimmend ist und der Enkel in der Pubertät. Erzählt wird aus der Perspektive des Enkels. Mit den pragmatischen Augen des Heranwachsenden sieht und kommentiert er die Taten und Aussagen des Großvaters. Die befleckte Hose, die neue Wohnung für den Großvater, sein gutes Einvernehmen mit der Mutter. Frank wertet nicht, er urteilt nicht, er stellt die Tatsachen nur klar und nüchtern dar. Und auch spannend. Frank hat ein sehr gutes Einvernehmen mit seiner Mutter, er kocht gerne für sie beide, geht aufs Gymnasium, hat keine engeren Freunde in der Schule oder in der Nachbarschaft. Der Vater existiert so gut wie gar nicht in seinem Leben, erst nach seinem 14. Geburtstag taucht er plötzlich auf und will Verbindung zu seinem Sohn aufnehmen.
Die Begegnungen mit dem Großvater verändern Frank. Oder, anders gesagt, sie lösen in ihm etwas aus, das vielleicht schon immer in ihm drin war und Großvater wird zum Katalysator. Wir erfahren nicht, was der alte Mann verbrochen hat, dass er 20 Jahre bekam, die letzten beiden Jahre dann wurden ihm wegen guter Führung erlassen. Wir wissen nur, dass es so schwerwiegend war, dass seine Tochter, Franks Mutter, eine Namensänderung bewilligt bekam und, im Gefängnis, hatte der Großvater auch seinen Namen ändern lassen.
Großvaters “Verbrecherphilosophie” lautet: …”Wir tun etwas. Fertig. Wir tun es, weil wir es tun. Und sogar das ist falsch. Weil und Warum gehören zusammen wie Trinken und Durst. Also kannst du beide Wörter streichen. Wir tun. Fertig. Eine wirklich gescheite Justiz würde sagen: Er hat getan. Fertig. Ab ins Loch mit ihm. Kein Warum, kein Weil. Er hat getan. Fertig, aus.” (S. 87). Und am Ende des Buches stellen wir fest, Frank hat eine ähnliche Denkweise. Ob erst durch den Großvater oder war das schon immer latent in ihm?
Anfangs wohnt der Großvater noch bei seiner Tochter und Enkel, erhält jedoch bald vom Staat eine kleine Wohnung, in die er umzieht. Und von da an werden seine Treffen mit Frank immer verstörender für den Jungen, immer brutaler, ausufernder. Bis Frank reagiert.
Spaß gemacht hat die Wiederbegegnung mit der österreichischen Sprache: der Kasten, in dem die Kleider versorgt werden, die Erdäpfel für den Gulasch, Auch die kurzen einfachen Sätze klingen “wianerisch”, fast vermeint man, den Tonfall zu hören, wie die Vokale leicht gedrückt ausgesprochen werden.
Das Buch hat mir einen bitteren Geschmack hinterlassen. Ich habe mir immer vor Augen gehalten, das Buch ist pure Fiktion, das hat sich Köhlmeier nur so ausgedacht, Frank handelt nach Köhlmeiers auktorialem Willen. Und doch, der bittere Geschmack ist geblieben. Der nüchterne, trockene Stil der Erzählung, aber auch der Dialoge reißen den Leser zwar mit, aber es ist kein “Lesevergnügen” dabei. Das Buch hallt noch lange nach, aber eben bitter.

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