Profilbild von Caillean

Caillean

Lesejury Star
offline

Caillean ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Caillean über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 07.08.2021

Eine wunderschöne Liebeserklärung an Afrika

Löwenherzen
0

„Second gear low – go go go!“ Ja, mit so einem alten Landrover muss man eben bestimmte Regeln beachten. Dafür bringt „Ellie“ unsere beiden Afrika-Reisenden aber auch (meist) zuverlässig durch das oft unwegsame ...

„Second gear low – go go go!“ Ja, mit so einem alten Landrover muss man eben bestimmte Regeln beachten. Dafür bringt „Ellie“ unsere beiden Afrika-Reisenden aber auch (meist) zuverlässig durch das oft unwegsame Gelände. Und zwischenzeitlich sind Gesa und ihr Lebenspartner Frank ja auch keine Anfänger mehr – nach ihrer Ausbildung zu Safari-Guides und diversen Zusatzkursen kennen sie sich aus in Afrika und fühlen sie sich gut vorbereitet auf ihre Reise quer durch 3 Staaten – Botswana, Namibia und Sambia.

Und uns nehmen sie mit! Das ist nicht einfach so dahingesagt, nein, ich meine das wörtlich – denn als Leserin fühlt man sich wirklich mittendrin statt nur dabei! Gesa hat eine wunderbare Art ihre Erlebnisse zu schildern (das war mir schon bei „Frühstück mit Elefanten, ihrem Erstlingswerk, aufgefallen). Und so ist es, als würde man neben ihr am Lagerfeuer sitzen, mit ihr im schmalen Boot das Okavango-Delta erkunden und sich mit ihr zusammen fast in die Hose machen, als sie sich plötzlich von Löwen umzingelt sieht. Und das macht dieses Buch so unheimlich lebendig!

Gesa und Frank bevorzugen die einfache Art, Afrika zu bereisen. Nicht von 5-Sterne-Lodge zu 5-Sterne-Logde, sondern in ihrem alten Landy mit Dachzelt von Campingsite zu Campingsite. Interessante Begegnungen auf zwei und vier Beinen inklusive. Ein wirkliches Abenteuer – aber für die beiden einfach ein Traum, den sie konsequent und trotz gelegentlicher Rückschläge leben.

Die Liebe zum afrikanischen Kontinent und seiner Tierwelt spricht aus jeder Zeile dieses Buches. Gesa betont, wie wichtig ein bewusster und nachhaltiger Umgang mit der Natur ist und klärt nebenbei über die Probleme von Wilderei, unsachgemäßem Safari-Tourismus und die Folgen der Corona-Krise in den Safari-Regionen auf. So entsteht neben einem Reisebericht auch ein Plädoyer für umweltbewusstes Handeln. Gesas Argumente sind nachvollziehbar (etwas anderes hätte ich aber auch nicht erwartet, da sie die Situation vor Ort seit Jahren aus eigener Erfahrung kennt) und so kann sie mit Sicherheit auch ihre Leser
innen zum Nachdenken anregen.

Übrigens, auch Gesa gendert mit * in ihrem Buch – es ist das erste Mal, dass ich sowas über ein längeres Werk hinweg gelesen habe – aber ich muss sagen, man gewöhnt sich sehr schnell dran und mich hat es auch im Lesefluss nicht gestört, zumal sie es nur dort tut, wo es auch hinpasst – nämlich dort, wo verallgemeinert wird. Ein schöner Ansatz, den ich gern öfter in Büchern sehen würde.

Ich könnte noch stundenlang in Lobeshymnen schwelgen, weil ich einfach wieder völlig begeistert und absolut versunken in die Schilderungen war. Aber ich denke, das ist auch im bisherigen Text schon rübergekommen ;) Und so beschränke ich mich darauf, dieses Buch nicht nur wärmstens, sondern heißestens weiterzuempfehlen. Bitte, bitte, bitte lesen! Nicht nur ist es, als wäre man selbst auf Safari, sondern es schärft auch die Sinne für die Probleme in den drei genannten afrikanischen Ländern, ohne belehrend zu wirken. Eine wunderschöne Liebeserklärung an Afrika!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 04.08.2021

Mehr als ein „Prinzessinnenmärchen“!

Der Prinz an ihrer Seite
0

Wer erinnert sich an das berühmte Zitat aus „Notting Hill“, als die berühmte Schauspielerin zu dem unbekannten Buchhändler sagt: „Ich bin doch auch nur ein Mädchen, das vor einem Jungen steht und ihn bittet ...

Wer erinnert sich an das berühmte Zitat aus „Notting Hill“, als die berühmte Schauspielerin zu dem unbekannten Buchhändler sagt: „Ich bin doch auch nur ein Mädchen, das vor einem Jungen steht und ihn bittet es zu lieben.“? Dieser Satz kam mir in den Sinn, als ich diesen Roman zuklappte und meine Gedanken noch einmal zu den beiden Protagonisten wanderten.

Mit einer glamourösen Liebesgeschichte hat die Beziehung zwischen der jungen Thronfolgerin Elizabeth und dem Marineoffizier Philip zunächst wenig zu tun. Zwar ist „Backfisch“ Elizabeth sehr empfänglich für seinen schroffen Charme und ein bisschen in ihn verschossen. Aber ihr ist sehr wohl bewusst, dass von ihr vor allem eine standesgemäße Heirat erwartet wird, die ihrem Land zu Gute kommt. Diese Kriterien erfüllt Philip nur teilweise. Zwar ist er ein Prinz aus höchst adeligen Kreisen, aber seine Familiengeschichte ist nicht gerade dazu geeignet, die britische Krone gut dastehen zu lassen. Die Mutter nach einem Nervenzusammenbruch vor der Welt versteckt in einem griechischen Kloster, die Schwestern verheiratet mit Deutschen – in der Zeit des zweiten Weltkriegs eigentlich ein No go für die Monarchie. Und dann die Manieren dieses Rüpels! Die Eltern von Elizabeth sind alles andere als angetan von der Schwärmerei ihrer Ältesten und hoffen, dass sich die Wogen glätten, wenn sich die jungen Leute nur möglichst wenig treffen.

Elizabeth wiederum ist bewusst, dass Philip ihr keine glühende Liebe entgegen bringt, sondern „nur“ ihre überlegte und zurückhaltende Art schätzt. Aber sie weiß auch, dass eine Hochzeit mit ihr für Philip immense Vorteile bringen würde – sie ist nüchtern betrachtet einfach das Beste, was ihm passieren könnte. Und so tut sie bereits in sehr jungen Jahren das, was wir bis heute von der Queen kennen und an ihr schätzen: sie trifft eine wohlüberlegte Entscheidung und schlägt Philip eine Vernunftehe vor – als Partner, wenn schon nicht als Liebende. Für Philip ein immenser Aufstieg in seiner Position, für sie ein Mann, der sie als einziger nicht als (künftige) Königin sieht, sondern einfach nur als Elizabeth. Philip zögert, denn er weiß, dass er sich nur schwer in die Hofetikette einfinden wird. Das wird dann sein Leben sein – ob er das wirklich auf Dauer durchhalten würde?

Aber er wagt es (auch mit sanftem Druck seines Onkels Lord Mountbatten, der den gesellschaftlichen Aufstieg kaum erwarten kann). Nun gilt es vor allem Elizabeths Eltern davon zu überzeugen, dass diese Ehe Bestand haben kann. Philip gibt sich alle Mühe – und scheitert doch des Öfteren am strengen Protokoll. Wie wir alle wissen, heirateten die beiden schließlich tatsächlich und die Ehe hielt über 70 Jahre bis zu Philips Tod.

Die Ehe von Königin Elizabeth und Philip wird in der Öffentlichkeit sehr unterschiedlich bewertet. Von Prestigeheirat bis Liebesglück sind alle Sichtweisen vertreten. Flora Harding schreibt im Nachwort selbst, sie habe versucht, die wahrscheinlichste Geschichte dieser Beziehung zu rekonstruieren. Da es sehr viele Aufzeichnungen zu Elizabeth und Philip in jungen Jahren gibt, begann sich früh eine Version herauszukristallisieren, die den Hergang bis zur Hochzeit ziemlich glaubhaft wiedergibt. Es ist nicht wirklich ein „Prinzessinnenmärchen“, aber Flora Hardings warmherzige Darstellung von Elizabeth sorgt dafür, dass sie sehr menschlich und nahbar wirkt. Hier ist sie nur ein Mädchen, das gern den Jungen heiraten möchte, bei dem ihr Herz höher schlägt. Von ihrer Seite waren definitiv von Anfang an Gefühle im Spiel. Und dieses eine Mal lässt sie sich von ihren Eltern nicht einschüchtern oder mit der Mahnung abspeisen, sie müsse zu allererst an ihr Land denken. Denn Elizabeth weiß, dass sie eine bessere Königin sein würde mit einem Mann an ihrer Seite, der ihr Herz berührt.

Als Fan von Queen Elizabeth habe ich diesen Roman unheimlich genossen, mich aber auch des Öfteren über geschilderte Situationen mit Philip amüsiert. Denn sein unangepasstes Wesen, das er sich bis zum Schluss im Königshaus bewahrt hat und für das er von seinen Fans immer wieder gefeiert wurde, kommt hier an vielen Stellen zum Ausdruck. Man ahnt, wie schwer es ihm gefallen sein muss, sich dem königlichen Protokoll anzupassen und umso lieber verzeiht man ihm seine zahlreichen „Ausrutscher“, die ja gern in der Presse verbreitet wurden. Er war und blieb ein Rebell im Königshaus und ich glaube, das schätzte Elizabeth trotz aller Schwierigkeiten, die sich dadurch ergaben, an ihm.

Wer eine glaubwürdige Version der Kennenlern-Geschichte eines der bekanntesten Paare des 20. Jahrhunderts lesen möchte, liegt mit diesem Roman goldrichtig!




  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 04.08.2021

Die Wildnis vor der Haustür

Wo die wilden Tiere wohnen
0

Karsten Nitsch ist für ein Leben mit und in der Natur gemacht. Das wird immer wieder deutlich, wenn man sein Buch liest. In diesem hat er Anekdoten aus seinem Leben als Naturführer in der Lausitz zusammengetragen. ...

Karsten Nitsch ist für ein Leben mit und in der Natur gemacht. Das wird immer wieder deutlich, wenn man sein Buch liest. In diesem hat er Anekdoten aus seinem Leben als Naturführer in der Lausitz zusammengetragen.

Er berichtet von Wolfsbegegnungen und anderen Tierbeobachtungen, von der Handaufzucht verwaister Vögel und der Natur im Lauf der Jahreszeiten – und überall wird seine Verbundenheit zur Natur deutlich.

Als Leser folgt man ihm in die Stille der Lausitz, in die Teichlandschaften, die Flussauen, die Tagebau-Folgelandschaft. Einerseits vermittelt er in diesem kompakten Buch interessante Fakten zur Natur in seiner Heimat, andererseits bieten 4 kurze Kapitel mit Übungen zum Nachmachen in Schüler-/Studenten- oder auch Erwachsenengruppen die Möglichkeit, spielerisch das Naturerlebnis zu intensivieren. Diese Übungen kann man auch als Familie mit den Kindern machen, um ihnen die Natur und ihre Vielfalt näher zu bringen.

Auch ich habe viel gelernt beim Lesen dieses Buches. So weiß ich jetzt zum Beispiel, wie eine Blauracke aussieht und dass der Ruf eines Wiedehopfes wie ein sehr preiswerter Wecker klingt. Ich weiß, warum es wahrscheinlicher ist, einem Jungwolf zu begegnen als einem älteren Tier – und wie man sich in so einem Fall am besten verhält.

In einigen Kapiteln werden auch rührende – und zum Teil sehr witzige - Tiergeschichten erzählt. Zweimal hat Karsten Nitsch Jungvögel aufgenommen. Einmal hat er ein Gänseei auf Drängen der Kinder ausgebrütet (und den Prägungseffekt seines Anblicks bei der frisch geschlüpften Frieda unterschätzt) und einmal bot er einer Nebelkrähe namens Max ein Zuhause. Max schießt mit seinen Aktionen echt den Vogel ab – er ist eine Intelligenzbestie, die bald schon im ganzen Dorf als Meisterdieb bekannt ist. Egal ob er Zigaretten für den „Vogelpapa“ klaut oder bei der Nachbarin die frisch aufgehängte Wäsche wieder „abnimmt“ – mit Max ist immer was los. Ein herrliches Kapitel und für mich das Highlight des Buches!

Ich hatte den Eindruck, dass der Schreibfluss zu Beginn des Buches noch nicht so ganz entstanden war (es ging für meine Begriffe ein wenig steif und holprig los), aber im Laufe des Buches wurden die Beschreibungen immer bildhafter und nahbarer, so dass sich schließlich ein leicht lesbares und interessantes Sachbuch entfaltete.

Ich empfehle dieses Buch allen, die ihre Naturverbundenheit stärken und die etwas über die Lausitz und ihre Bewohner lernen möchten. Wer sein Bewusstsein für Tiere, Pflanzen und Naturschutz erweitern will, ist bei diesem Buch goldrichtig. Die 4 jahreszeitlichen Praxisübungen runden das Werk ab und machen Lust auf „Draußensein“!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
Veröffentlicht am 23.07.2021

Was sollen denn die Leute sagen?

Wildtriebe
0


Der Satz, der das Leben auf dem Land kurz und bündig zusammenfasst: „Was sollen denn die Leute sagen?“ Schon im Kindesalter wird Menschen auf dem Land beigebracht, dass da immer jemand ist, der beobachtet, ...


Der Satz, der das Leben auf dem Land kurz und bündig zusammenfasst: „Was sollen denn die Leute sagen?“ Schon im Kindesalter wird Menschen auf dem Land beigebracht, dass da immer jemand ist, der beobachtet, bewertet, drüber spricht. Und dass es ungeschriebene Gesetze gibt, die man einhalten sollte, um ins Schema zu passen.

 

Lisbeth wächst in diesem Gefüge auf, zu einer Zeit, als es kaum Alternativen zum althergebrachten Bauerndasein gibt. Sie lernt von ihren Eltern, wie ein Hof zu führen ist, dass die Tiere und der Acker vorgeben, was wann zu tun ist. Für Selbstentfaltung ist da kein Platz. Als ihre beiden Brüder im Krieg umkommen, wird Lisbeth zur Hoferbin. Aber letztlich ändert das nichts – sie ist und bleibt Bäuerin. Es findet sich ein Mann, Karl, der mit ihr den Hof bewirtschaftet. Dann wäre Zeit für Nachwuchs, doch der stellt sich nicht ein. (Achtung, Spoiler in den nächsten Zeilen!) Lisbeth und Karl nehmen schließlich ein Kind an: Konrad. Dass er nicht ihr leibliches Kind ist, sagen sie ihm nicht. Er tritt natürlich in ihre Fußstapfen, wird Bauer. Und soll möglichst eine passende Schwiegertochter auf den Hof bringen. Doch er kommt mit Marlies, gelernte Verkäuferin, die sich nur schwer in die Bauernwirtschaft einfindet und ihrer Arbeit, die sie liebt, hinterhertrauert. Dass sie sich nur schwer für ein Kind entscheiden kann, nimmt Lisbeth ihr übel, wie auch so manch anderes, was sie in ihrer althergebrachten Lebensanschauung nicht verstehen kann.

 

So leben schließlich drei Frauengenerationen auf dem Hof – Lisbeth, Marlies und Joanna, die als junge emanzipierte Frau noch einmal ganz andere Vorstellungen vom Leben hat. Man kann jede der Frauen irgendwie in ihrem Denken verstehen, aber man merkt auch, wie sich daraus viele Konflikte entwickeln, die man eigentlich nur lösen kann, wenn man von Grund auf ehrlich zueinander ist.

 

Die Beschreibungen der Lebensvorstellungen in den unterschiedlichen Generationen treffen aus meiner Sicht punktgenau. Da ich selbst Dorfkind und in einem Mehrgenerationenhaus aufgewachsen bin, kam mir vieles sehr bekannt vor. Die Sprache und das sehr gediegene Erzähltempo passen zum Landleben – hier geht eben immer alles mit der Ruhe und nicht mit Hektik.

 

Dennoch enthält die Geschichte aus meiner Sicht grundlegenden Logikfehler, der ausschlaggebend für die Entwicklung der gesamten Geschichte ist (Achtung, hier folgen wieder Spoiler – anders ist es aber nicht erklärbar).

 

Im Buch wird immer wieder betont, dass jeder jeden kennt und das Dorf vom „Tratsch über dem Gartenzaun“ lebt (siehe eingangs: „Was sollen die Leute sagen?“) Es ist einfach nicht realistisch, dass Lisbeth Konrads Geschichte über 50 Jahre geheim hält und Konrad nie erfährt, dass er kein leibliches Kind ist. Das ist in so einem Dorf schlichtweg nicht möglich, wenn alle seit Jahren darüber sprechen, dass auf dem Hof der Nachwuchs ausbleibt und plötzlich ein Kind da ist, ohne dass die Bäuerin schwanger war. Das gibt doch ordentlich Gerede! Und spätestens in der Schule, durch eine unbedachte Bemerkung der Nachbarskinder o. ä. hätte Konrad es erfahren. Etwas anderes ist einfach nicht vorstellbar, so wie die Autorin das Dorf und ihre Bewohner beschreibt. Und dann hätte Konrad vielleicht seine Herkunft hinterfragt und die ganze Geschichte wäre völlig anders verlaufen…

 

Deshalb fällt es mir sehr schwer, das Buch für mich in ein Sterne-Ranking zu bringen. Einerseits mochte ich diese treffenden Beobachtungen zum Dorfleben, andererseits fand ich diese eine (für das Buch wichtige) Entwicklung absolut nicht nachvollziehbar… daher entscheide ich mich für den Mittelweg und 3,5 Sterne.

 

 

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 20.07.2021

Freiheit oder Heimat?

Dreieinhalb Stunden
0

Wenn du nur 3 ½ Stunden Zeit hast zu entscheiden, wie dein weiteres Leben aussehen soll – was würdest du tun? Wählst du die Freiheit und gibst dein bisheriges Leben komplett auf oder kehrst du in dein ...

Wenn du nur 3 ½ Stunden Zeit hast zu entscheiden, wie dein weiteres Leben aussehen soll – was würdest du tun? Wählst du die Freiheit und gibst dein bisheriges Leben komplett auf oder kehrst du in dein vertrautes Umfeld zurück und opferst deine Selbstbestimmung?

 

Eine schwierige Entscheidung, die die Passagiere des Interzonenzuges München – Berlin am 13.08.1961 treffen müssen. Während sie aus den unterschiedlichsten Gründen in München gewesen sind und nun die Rückreise angetreten haben, sickert langsam ein Gerücht im Zug durch: die bauen eine Mauer! Wenn wir jetzt im Zug bleiben, können wir die DDR vielleicht nie wieder verlassen… nie wieder die Schwester, den Sohn, die Eltern im Westen besuchen. Was soll man nun tun? Noch 3 Stopps trennen den Zug von der Überfahrt in die DDR. Noch 3 Gelegenheiten, um eine Entscheidung zu treffen. Die Lage im Zug und die inneren Kämpfe der Passagiere spitzen sich mit jedem Halt zu. Und dann steht der Zug vor der Grenze und wartet auf die Lokführerin aus der DDR, die den Zug übernehmen und nach Berlin fahren soll. Die allerletzte Chance, sich für die Freiheit zu entscheiden…

 

Robert Krause hat mit diesem Buch (und dem dazugehörigen Film, für den er das Drehbuch verfasst hat) den Mauerbau aus einer sehr interessanten Perspektive beleuchtet: der Zug ist ein Mikrokosmos von Schicksalen, die alle eine gewisse Beziehung zum westlichen Deutschland haben. Und jede dieser Personen hat nur diese 3 ½ Stunden, um eine Entscheidung zu treffen. Wobei es nicht nur um denjenigen selbst geht, sondern immer auch um die Menschen, die er/sie liebt.

 

So stellen sich die Mitglieder einer Band die Frage, ob sie aussteigen sollen – jeder für sich. Aber bringt es etwas, wenn sie nicht alle gemeinsam gehen? Denn nur als vollständige Band könnten sie auch im Westen versuchen durchzustarten. Eine Familie mit zwei Kindern droht an der Entscheidung zu zerbrechen. Eine junge Sportlerin hinterfragt die Beziehung zu ihrer mitreisenden Trainerin – und deren Methoden. Und nicht zuletzt hört auch die junge Lokführerin aus der DDR, die den Zug an der Grenze übernehmen soll, von den Plänen der Regierung. Auch für sie wäre der Grenzübertritt die letzte Chance, sich für ihre persönliche Freiheit zu entscheiden.

 

Das Buch lebt von der Spannung des Zeitmangels und der sich verdichtenden Handlung, je näher der Zug der deutsch-deutschen Grenze kommt. Das ist sehr clever konstruiert und sorgt dafür, dass es keinen Durchhänger gibt, keine Seite, die langweilig wäre. Dazu werden von den Figuren die Argumente für und gegen eine Flucht abgewogen, so dass man merkt, wie schwierig diese Entscheidung wirklich war. Ich denke, den meisten war schon bewusst, dass die Errichtung der Mauer einen Wendepunkt darstellen würde. Dass Zugfahrten in den Westen, Verwandtenbesuche usw. vielleicht künftig gar nicht mehr möglich sein würden. Aber die Unsicherheit wiegt bei vielen schwer – soll man im Westen wirklich noch einmal von Null anfangen?

 

Am Ende trifft jede und jeder eine Entscheidung. Ob die gut oder schlecht war, wird sich wohl erst lange Zeit später zeigen. Aber in diesem Buch geht es weniger ums Ergebnis als vielmehr um den schweren Prozess der Entscheidungsfindung. Ein mitreißender, aufwühlender Roman, der uns zeigt, dass auch frühere Generationen abseits von Corona und Co. unheimliche Herausforderungen zu bewältigen hatten. Und dass wir darauf mit viel Respekt schauen sollten.

 
 

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere