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Veröffentlicht am 15.04.2023

Gar nicht mal so nett

Der nette Herr Heinlein und die Leichen im Keller
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Herr Heinlein ist ein begnadeter Pastetchenbäcker, Gastgeber und Gourmet. Gleichzeitig auch ein von Altruismus und Demut erfüllter, scheinbar unheilbar netter, aus der Zeit gefallener „Diener“.

Sein zuvorkommendes, ...

Herr Heinlein ist ein begnadeter Pastetchenbäcker, Gastgeber und Gourmet. Gleichzeitig auch ein von Altruismus und Demut erfüllter, scheinbar unheilbar netter, aus der Zeit gefallener „Diener“.

Sein zuvorkommendes, überhöfliches Gebaren den Ladengästen und unliebsamen Zeitgenossen gegenüber erscheint bisweilen hoffnungslos altmodisch. Er hält nämlich auch dann an Werten fest, wenn eigentlich ein „für sich einstehen“ und „Nein-sagen“, auf dem Plan stünde. Um sich nicht seinen Ängsten zu stellen, also quasi erwachsen zu werden gehorcht er dem dementen Vater, verkneift sich seine Bedürfnisse und funktioniert. Immer weiter. Bis es nicht mehr geht. Die Realität bricht über den „Netten“ herein und plötzlich offenbart dieser -aus Versehen- seine weniger devoten Seiten. Er wird mörderisch. Dass er daran sogar irgendwie Gefallen findet, verdrängt er. Darin ist er sowieso ein Meister.

Sein Unbewusstes, sein Zorn, seine Scham, seine Trauer sind im Keller versammelt. So passen denn die Figurennamen aus HG Wells „Zeitmaschine“ hervorragend zur Geschichte. Je mehr sich die Leichen stapeln, desto klarer wird, dass Heinlein das grausame Spiel, an dem er sich wider Willen beteiligt hat, eigentlich nicht gewinnen kann. Für diese Welt ist er nicht gemacht.

Wortwitz und Ironie muss man mögen. Ein gehöriges Mass an Sinn für das Abstruse werden von den geneigten Leser:innen gefordert. Wer so gestrickt ist, ( und somit selbst ein wenig oldfashioned) dem wird die Lektüre zur Freude und guter Unterhaltung gereichen.

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Veröffentlicht am 03.04.2023

Toller Erstling

22 Bahnen
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Tilda ist ein Mathegenie. Aber ihrer kleinen Schwester Ida zuliebe, wagt sie nicht, ein eigenes Leben zu beginnen. Eigentlich wartet eine Promotionsstelle in Berlin.
Aber es geht nicht. Sie kann die Zehnjährige ...

Tilda ist ein Mathegenie. Aber ihrer kleinen Schwester Ida zuliebe, wagt sie nicht, ein eigenes Leben zu beginnen. Eigentlich wartet eine Promotionsstelle in Berlin.
Aber es geht nicht. Sie kann die Zehnjährige nicht mit einem „Monster“ alleine lassen. Denn die Mutter ist alkoholkrank, die Väter nicht existent. Und dann gibt noch Viktor. Der sogar noch schneller schwimmt als Tilda. Seine Familie wohnte im „Russenblock“ ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Tilda nennt ihn den Eisblock. Eine zarte Liebesgeschichte, unerwartete Entwicklungen und viel Herzblut fließen ein in diesen starken Debütroman. Der lakonische Stil und die starken Figuren haben mich an Alina Bronsky erinnert. Ein starker Coming of Age-Roman, den ich gerne weiterempfehle.
Ich mag diese verdichteten Stories, bei denen nicht alles auserzählt wird.
Bin gespannt, was als nächstes von dieser jungen Autorin kommt.

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Veröffentlicht am 19.03.2023

Üppiges Tropenpanorama

Dalee
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Ich war vor 20 Jahren auf den Andamanen, deshalb hat mich der Roman besonders interessiert. Und ich bin fast vom Stuhl gefallen beim Lesen der unglaublich detailreichen Beschreibungen der Elefanten- Mahut- ...

Ich war vor 20 Jahren auf den Andamanen, deshalb hat mich der Roman besonders interessiert. Und ich bin fast vom Stuhl gefallen beim Lesen der unglaublich detailreichen Beschreibungen der Elefanten- Mahut- Beziehung, der plastisch-lebendigen Perspektive des treuen indischen Sohnes, der intensiven Dschungelatmosphäre. Eine wirklich spannende, an eine wahre historische Begebenheit angelehnte Geschichte.
Der Schreibstil ist genauso blumig-üppig, bisweilen märchenhaft, komisch und phantastisch wie die Story. Soll sich das wirklich so zugetragen haben? So abenteuerlich, so schrecklich, so wild ( die Menschenfresser? Die Spinnen? Das fünfte Bein des Elefanten und seine schlimmen Folgen?) Vielleicht ja, vielleicht nein. Mir ist es auch ganz egal. So erschlagen, überwältigt, hingerissen und manchmal auch überfordert, war ich von der Lektüre. Unfassbar ausführlich recherchiert, bildgewaltig- kollossal geschrieben. Wie es sich für ein Elefantenbuch gehört.
Fast nicht zu glauben, dass es ein deutscher Autor verfasst hat. Es wirkt auf mich so durch und durch indisch. Ein starkes Stück Literatur!

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Veröffentlicht am 13.03.2023

Über das Schreiben

Wir hätten uns alles gesagt
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Mein erstes Buch von Judith Hermann, aber bestimmt nicht das Letzte. Ein perfektes Cover, vielleicht vom beschriebenen „Haus am See“, autobiographische Geschichtsfetzen, wie willkürlich zusammengefügt ...

Mein erstes Buch von Judith Hermann, aber bestimmt nicht das Letzte. Ein perfektes Cover, vielleicht vom beschriebenen „Haus am See“, autobiographische Geschichtsfetzen, wie willkürlich zusammengefügt und doch sorgsam geordnet. Der depressive, alles-überschattende Vater, die abwesende Geld-verdienen-müssende Mutter, die vage, verlassene Freundin Ada, der unvermutet aus der Hutschachtel auftauchend und wieder verschwindende Psychoanalytiker, der einen so schönen Rezensionstext formuliert: „alles so geschickt zu verfremden, dass am Ende nichts mehr richtig ist , aber alles wahr“. Der Text wimmelt von wunderbaren Formulierungen: „für da Wort Glück musste Gott um Verzeihung gebeten werden“, „ sie sagte auch, du bist das Licht in unsrer Dunkelheit, was mich verwirrte, denn niemand verhielt sich so, als wäre ich ein Licht“.
Die Autorin verhüllt und enthüllt so geschickt, dass am Ende Autobiographisches mit Traumhaft- Assoziiertem verschmilzt und doch glasklar ein Lebensgefühl beschreibt. Gleichzeitig bemüht sich Judith Hermann, ernsthaft zu ergründen, was ihr Schreiben bezweckt und worüber sie, die doch womöglich gar nichts zu erzählen hat, wie sie einmal ein Kritiker schmähte, eigentlich schreibt.
Und das ist, wie bei den meisten Autoren, die Kindheit, die erlittenen Traumata, die erfahrene Liebe und das, was nicht mehr ist und immer noch wirkt.
Ein bewundernswert schönes Buch.

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Veröffentlicht am 08.03.2023

Atemberaubend

Fünf Winter
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Kaum ist es März, habe ich schon ein Jahreshighlight. Fünf Winter ist ein Krimi, aber was für einer! Joe Mc Grady ist Polizist in Honolulu 1941. Wortkarg, abgebrüht, sensibel und mit eisernem Ehrenkodex. ...

Kaum ist es März, habe ich schon ein Jahreshighlight. Fünf Winter ist ein Krimi, aber was für einer! Joe Mc Grady ist Polizist in Honolulu 1941. Wortkarg, abgebrüht, sensibel und mit eisernem Ehrenkodex. Als er einen Mordfall aufklären soll, bei dem ein junges Paar auf schreckliche Weise ermordet wurde, findet er Unstimmigkeiten. Der Onkel, des jungen Mannes, ein amerikanischer General, gibt ihm den Auftrag den Mörder zu suchen, obwohl sein Direkter Vorgesetzter ihm den Fall nicht überlassen will. Die Spur führt nach Wake Island und von dort nach Hongkong mitten in den Angriff Japans auf Pearl Harbour.
Die Geschichte geht tief unter die Haut, ist atemlos spannend und lakonisch-dicht erzählt, ohne jeden Schnörkel. Die deutsche Übersetzung durch Stephan Lux finde ich großartig gelungen. Die Personen sind so glaubhaft, dass ich bisweilen glaubte, beim Lesen den Film zu sehen.
Der Roman hat den Edgar Award 2022 völlig zurecht gewonnen.
Lesen!

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