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Veröffentlicht am 08.07.2019

Tragische Familiengeschichte aus Danzig

Wenn wir wieder leben
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Wanda wächst im Nachkriegs-Berlin in einem reinen Frauen-Haushalt auf. Der Vater ist im Krieg geblieben - und über ihn wird auch nicht gesprochen. Das Geld verdient Lore, die Schwester der Mutter. Und ...

Wanda wächst im Nachkriegs-Berlin in einem reinen Frauen-Haushalt auf. Der Vater ist im Krieg geblieben - und über ihn wird auch nicht gesprochen. Das Geld verdient Lore, die Schwester der Mutter. Und "Matti", die Mutter, kümmert sich liebevoll um Wanda und ihre beiden Schwestern.


Als Wanda in den 60er Jahren in Berlin studiert, lernt sie Andras kennen, Sohn jüdischer Eltern. Und er stellt die Frage nach der Vergangenheit, nach der Schuld. "Davon, dass wir es totschweigen, geht es nicht weg. Es geht überhaupt nicht weg. Es ist immer da, in allem, was wir tun" (S. 39). Und so stellt Wanda die Frage, was die Eltern in der Nazizeit gemacht haben. Und diese Frage hat dramatische Folgen. Und wird Wanda bis nach Danzig und Zoppot führen, an ihren Geburtsort.

Dies ist die eine Erzähl-Ebene des Buches. Die andere beginnt im Danzig und Zoppot der 30er Jahre. Gundi und Ihre drei Freunde sind unzertrennlich und genießen die Sonntage am Strand von Zoppot, das damals ein mondänes Seebad war. Die Lebensumstände der Freunde sind zwar alles andere als mondän - aber sie sind glücklich. mit ihrer Freundschaft und mit ihrer Musik. Die vier bilden ein Quartett und hin und wieder treten sie auf. Im berühmten Grandhotel würden sie sehr gerne einmal auftreten und etwas abbekommen vom Glanz. Aber dafür brauchen Sie ein Lied. Ein gutes Lied, das sie berühmt macht. Aber Gundi kann das Lied nicht schreiben - zunächst nicht. Aber dann geht es doch..... und so wird eine Kette von Ereignissen und Abhängigkeiten in Bewegung gesetzt, die sowohl einen berühmten Nazi als auch polnische Freunde betreffen und die das Leben der Freunde langfristig beeinflussen werden.

Und dann kommt der Krieg....

Ich habe mir die Lektüre des Buches extra für meinen Urlaub in Polen aufgehoben. Und es hat mich sehr berührt, das Buch am Strand von Zoppot und in der Altstadt von Danzig zu lesen.

Danzig wurde im Krieg zu fast 90% zerstört - und ist inzwischen wieder sehr schön restauriert worden. Man kann durch die Gassen schlendern und sich vorstellen, wie es damals war. Danzig verleugnet weder seine deutsche noch seine polnische Vergangenheit und Gegenwart. Zoppot wurde im Krieg kaum zerstört und die schönen alten Häuser wurden renoviert. So kann man dort heute wieder das Grand Hotel bewundern und den Strand genießen. Und den berühmten "Blauen Pudel" (eine Kneipe) gibt es auch. Die kommt im Buch auch vor (wobei es die Kneipe lt. Autorin im alten Zoppot noch gar nicht gab... aber das macht nix).

Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen. So sehr hat mich die Geschichte berührt. Und am Ende gab es noch eine unerwartete Wendung, die mich sehr überrascht hat.

Von meiner Seite also eine unbedingte Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 28.06.2019

Indischer Epos im Shakespeare Stil

Wir, die wir jung sind
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Dies ist ein Buch über Indien heute - bunt, grausam, tragisch, auf der Suche nach einen Gewinnerplatz in der Welt. Gleichzeitig ist es ein Buch über die ganze Welt - die Suche und Sucht nach ...

Dies ist ein Buch über Indien heute - bunt, grausam, tragisch, auf der Suche nach einen Gewinnerplatz in der Welt. Gleichzeitig ist es ein Buch über die ganze Welt - die Suche und Sucht nach Erfolg, nach Anerkennung. Und dann ist es noch ein Buch in der Tradition von Shakespeare - eine moderne Adaption von King Lear.

Ein wenig zu viel? Ja, sicherlich.
Aber gut geschrieben, anspruchsvoll, bildhaft, ein gefühlt sehr "indischer" Stil, da viele Hindi-Worte genutzt werden, viele Bilder, vieles blumig und bildhaft beschrieben wird. Schon am Anfang spürt man die Hitze Indiens, die Gegensätze zwischen dem Kampf ums bloße Dasein und der überspannten Lebensweise der reichen Inder. Und die noch sehr dünne Trennwand, die die moderne Lebensweise der reichen Inder von der Lebensweise ihrer Vorfahren trennt - und ganz schnell ist es wieder wie früher: Patriarchat - und die Mädchen werden von den Eltern verheiratet. Und die Diener werden körperlich misshandelt.

In diese ganze explosive Mischung gerät Jivan, also er nach vielen Jahren in den USA und als Harvard Absolvent nach Indien zurückkehrt. Jivan ist der uneheliche Sohn des Geschäftspartners des Inhabers einer großen indischen Firma, nur "Company" genannt. Es gibt noch einen ehelichen Sohn, Jeet. Und der Inhaber der Firma, Devraj, hat drei Töchter. Und fertig ist das Tableau für das Shakespearsche Drama. Eine der Töchter verweigert sich dem vorgegebenen Weg. Eine will unbedingt an die Spitze. Eine sucht nach der Liebe und ihrem eigenen Weg. Und der legitime Sohn hat ganz andere Probleme.

Devraj wird sich zur Ruhe setzen - und der Kampf um die Nachfolge beginnt. Schon bei Shakespeare geht das nicht gut aus.

Und so entwickelt sich ein tragisches, verstricktes Drama um Liebe, Hass, Familienbande. Und um Geld. Denn wie sagt Jivan am Anfang: Es geht nicht um Land. Es geht um Geld.

Ich selbst war schon zweimal in Indien. Und genauso, wie mich dieses Land jedesmal mit seiner Hitze, Komplexität, Buntheit und Grausamkeit gegenüber dem Leben des Einzelnen erschlägt, so hat mich auch dieses Buch immer wieder quasi erschlagen. Obwohl sehr gut und sehr bildhaft erzählt, so ist es doch anstrengend zu lesen. Es gibt zwar ein Glossar - doch die vielen Hindi-Wörter verwirren. Dazu kommt eine Vielzahl an Andeutungen, die andere Bücher betreffen. Natürlich könnte man das überlesen und es einfach als Bollywood-Tragödie lesen - das schlägt die Übersetzerin im Anhang vor - und vielleicht wäre das gar nicht die schlechteste Idee. Ansonsten kann es sein, dass man (wie ich) monatelang mit der Lektüre beschäftigt ist. Weil man (zu) viel interpretiert, zu viel nachdenkt und damit einfach den Faden verliert.

Aber wenn man in der richtigen Stimmung für anspruchsvolle Lektüre ist, Shakespeare nicht abgeneigt ist und eine gewisse Faszination für Indien verspürt - dann ist es quasi ein Muss, dieses Buch zu lesen.

Veröffentlicht am 28.06.2019

Ruhige, gemächliche Geschichte über ein kleines Dorf in Süditalien

Der Postbote von Girifalco oder Eine kurze Geschichte über den Zufall
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"Der Postbote glaubte, dass nichts zerstört und nichts geschaffen wurde.(...). Die Materie ist immer dieselbe, (...). Im Universum zirkuliert stets dasselbe Wasser". (S. 67).

Girifalco ist ein ...

"Der Postbote glaubte, dass nichts zerstört und nichts geschaffen wurde.(...). Die Materie ist immer dieselbe, (...). Im Universum zirkuliert stets dasselbe Wasser". (S. 67).

Girifalco ist ein kleines Dorf in Süditalien. Eher vergessen am Rande der Welt, ohne Strand - aber mit einem Berg.

Der Postbote von Girifalco führt ein ruhiges, bescheidenes, zurückgezogenes Leben. Aber er ist erstaunlich informiert über alles, was im Dorf passiert. Das liegt daran, dass er alle Briefe öffnet, abschreibt und archiviert. Und manchmal auch in den Lauf des Geschehens eingreift. Das geschieht z.B. bei der Anbahnung von Ehen - aber bei sich selbst, da wird der Postbote nicht aktiv. Bis er durch einen Brief aufgeweckt wird, der ihn an Geschehnisse in seiner eigenen Vergangenheit erinnert.

In Italien war das Buch ein großer Erfolg. Vielleicht, weil es das alte, archaische Leben beschreibt, das oft als das bessere Leben gesehen wird. Vielleicht, weil der Postbote sehr gerne philosophiert und einige Lebensweisheiten von sich gibt (siehe Zitat oben). Aber im Endeffekt sind es doch eher Allgemeinplätze. Und das Erzähltempeo des Buches ist schon sehr gemächlich.
Ich mag eigentlich ruhige Bücher. Aber hier habe ich doch lange gebraucht. Immer wieder unterbrochen. So der richtige Sog hat sich bei mir nicht eingestellt, ich konnte das Buch gut zur Seite legen.

Vielleicht lag es einfach daran, dass es für mich persönlich das falsche Buch für die falsche Zeit war?


Andere Leser möchte ich ermuntern, es mit dem Buch zu versuchen. Es wird nicht jeder so lange zum Lesen benötigen wie ich.

Veröffentlicht am 26.04.2019

Wunderschöner Klassiker

Siebzehnter Sommer
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Angie ist 17, hat gerade die Schule beendet und wird nach dem Sommer ins College gehen. Sie ist intelligent, eher ruhig und lebt sehr behütet mit 3 Schwestern in einer Kleinstadt an einem See ...

Angie ist 17, hat gerade die Schule beendet und wird nach dem Sommer ins College gehen. Sie ist intelligent, eher ruhig und lebt sehr behütet mit 3 Schwestern in einer Kleinstadt an einem See in Wisconsin. Die Eltern haben keine materiellen Sorgen und leben das klassische Leben der amerikanischen Mittelklasse Anfang der 40er Jahre. Er ist Handelsvertreter, sie ist Hausfrau und liebende Mutter. Und die Töchter helfen so selbstverständlich und ohne Murren im Haushalt mit, dass man es kaum glauben kann.

Und im Grunde genommen bleibt es so idyllisch. Wenn auch die Verwirrungen der Liebe Einzug halten und einiges durcheinanderwirbeln. Angie verliebt sich zum ersten Mal. Und ausgerechnet der Mädchenschwarm der Kleinstadt interessiert sich für Angie. Und so beginnt eine zarte Annäherung und eine immer intensivere erste Liebe.
Und die Gefühle, die Angie dabei entwickelt, werden so authentisch, lebendig und aktuell beschrieben, wie sie sich heute noch anfühlen.
Daher ist das Buch als Klassiker einzustufen. Die Sprache und die Beschreibungen der Gefühle wirken zeitlos. Und so verzaubert das Buch auch in der heutigen Zeit noch.

Natürlich läuft heute vieles anders ab. Im Buch ist alles sehr unschuldig. Als Angie beschreibt, dass sie es schon beim dritten Treffen getan hat, dachte ich als Leserin an Sex - aber nein - es geht um den ersten Kuss. Und auch das alltägliche Leben, das beschrieben wird, ist heutzutage ganz anders. Emanzipation gab es damals nicht, die Frauen waren Hausfrauen und die Männer verdienten das Geld und putzen am Wochenende das Auto.
Aber immerhin gingen die Töchter der beschriebenen Familie aufs College - sicherlich damals auch nicht ganz selbstverständlich.

Nebenher erhält man noch einen Einblick in das beschauliche Alltagsleben einer amerikanischen Kleinstadt Anfang der 40er Jahre. Und man erhält die Erkenntnis, dass manche Gefühle zeitlos sind.


Veröffentlicht am 26.04.2019

Verdrängte Familiengeheimnisse

Nordfinsternis
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Miriam hat ein perfektes Leben: Ein Haus auf dem Land an der Schlei, einen netten Ehemann und nun auch endlich das langersehnte Baby. Aber dann bekommt sie ständig Panik Attacken, fühlt sich unsicher (wenn ...

Miriam hat ein perfektes Leben: Ein Haus auf dem Land an der Schlei, einen netten Ehemann und nun auch endlich das langersehnte Baby. Aber dann bekommt sie ständig Panik Attacken, fühlt sich unsicher (wenn auch voller Liebe) in ihrer Beziehung zu ihrem Baby.

Und dann träumt sie von einem Mädchen mit blauen Augen, dass ihr sagt, sie solle nicht vergessen....

Und seltsamerweise scheint Miriam vieles vergessen zu haben. Ihre frühe Kindheit nämlich. Und seltsamerweise gibt es aus der Zeit, bevor sie 6 Jahre alt war, auch keine Fotos mehr. Bei einem Umzug verloren gegangen? Oder steckt etwas anderes dahinter? Warum antwortet ihre Mutter immer so ausweichend? Warum ist ihre Mutter immer so kühl und distanziert?
Miriam fällt dies immer mehr auf, seitdem sie selbst Mutter ist.

Als das alte Haus ihrer verstorbenen Tante auf dem Land auszuräumen ist, kommen Erinnerungsfetzen zurück... und langsam setzt sich das Puzzle zusammen.

Ricarda Oertel ist ein fulminanter Spannungsroman gelungen. Schon der Prolog, der in einem dunklen Kellerverlies spielt und von einem eingeschlossenen Mädchen erzählt, zieht sofort in den Bann. Dann kommt erst einmal das heutige, behütete Leben von Miriam. Und dann schleichen sich Erinnerungen ein. Und dann gibt es noch jemanden, der aus dem Off erzählt.

Ich konnte das Buch kaum zur Seite legen. Die Spannung ist rein psychologisch, es gibt keine blutigen Mordserien und eigentlich auch keinen aktuellen Kriminalfall. Aber viele verdrängte Familiengeheimnisse. Und Todesfälle, die im Nachhinein vielleicht doch nicht natürlich waren.

Für Liebhaber Psychologischer Spannung eine klare Lese Empfehlung!