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Veröffentlicht am 12.11.2025

Zertrümmerung

Von Norden rollt ein Donner
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Schon der Titel zeigt, in welche Richtung es geht: Das Heimatidyll der farbenprächtigen und beschaulich anmutenden Lüneburger Heide wird in diesem Roman zertrümmert und das gleich auf mehreren Ebenen. ...

Schon der Titel zeigt, in welche Richtung es geht: Das Heimatidyll der farbenprächtigen und beschaulich anmutenden Lüneburger Heide wird in diesem Roman zertrümmert und das gleich auf mehreren Ebenen. Jannes ist 19 Jahre alt und er ist Schäfer. Während seine Freunde studieren oder weggezogen sind - ebenso wie die Schwester - treibt er jeden Tag die Schnucken auf die Heideflächen und hält Ausschau. Seine Augen muss er überall haben, am Waldrand lauert vielleicht der Wolf und eine unheimliche Frau scheint ihn zu verfolgen. Zuhause muss er gemeinsam mit der Mutter sehen, dass der angeschlagene Betrieb läuft, denn sein Vater vergisst immer mehr und sein Großvater läuft mit dem Gewähr durch die Gegend. Der NDR will eine Reportage drehen und die Touristen fallen ein.

Viele Themen hat der Autor hier zusammengebracht, die mit dem Landstrich und der Familie verbunden sind. Vergangenheit und Gegenwart treffen aufeinander und man fragt sich, wie wird die Zukunft aussehen.

In einer kargen Sprache, die eher Sprachlosigkeit spiegelt, führt uns Thielemann durch die Geschichte. Geht es jedoch um die Landschaft und die Tiere findet er fast zärtliche Worte. Dennoch zieht sich - dem Titel entsprechend - eine gedämpfte, bedrohliche Atmosphäre durch den Text. Das Warten auf den Wolf wird durch das Krachen der Panzermuniton untermalt, alle 15 Minuten donnert es über der Heide.

Ein vielschichtiges Buch, das ein feines Netz aus Verweisen und Verkettungen auswirft, in dem alles Inhaltliche eingefangen wird. Sehr beeindruckend.

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Veröffentlicht am 06.11.2025

Heute Nichtraucher (Bis 15 Uhr)

Glitterschnitter
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Neue Vahr Süd habe ich vor ewigen Zeiten gelesen und fand es irre witzig. Protagonist Frank Lehmann ist nach seinem Bundeswehrdienst in West-Berlin eingefallen und arbeitet im Café Einfall. Tja, die Handlung ...

Neue Vahr Süd habe ich vor ewigen Zeiten gelesen und fand es irre witzig. Protagonist Frank Lehmann ist nach seinem Bundeswehrdienst in West-Berlin eingefallen und arbeitet im Café Einfall. Tja, die Handlung des 500-Seiten-Krachers zu beschreiben ist schwierig. Es geht um die Teilnahme der Band Glitterschnitter an der Wall City Noise - mit oder ohne Bohrmaschine -, um Konzeptkünstler H.R. Ledigt, der ein Gemälde für die Wall City Ausstellung malen soll, was er ablehnt und lieber eine IKEA Musterwohnung samt Servietten kauft, um Helgas Schwangerschaftsgruppe, wegen der das Café Einfall bis 15.00 Uhr zum Nichtraucherort wird, um die Punks vom Hinterhof und vor allem um die Frage, wie aus dem Café Einfall ein ordentliches Wiener Kaffeehaus wird. Und das bitte nicht mittels wasserverlängerter Kondensmilch im Milchaufschäumer. Während Frank Lehmann zum Barista mutiert, nimmt das 80er-Jahre-Chaos in Kreuzberg seinen Gang.

Ein unglaubliches Gelaber bahnt sich hier den Weg und es ist zum Kopfschütteln, Staunen und einfach nur witzig. Die Figuren sind schlicht klasse und man möchte nur eins: Sofort mit dabei sein!

Einen Großteil habe ich als Hörbuch gehört, einfach famos gelesen vom Autor selbst, der mit gehetzter, rauchiger Stimme und norddeutscher Charmeoffensive durch den Text mäht. Ich habe so gelacht!

Wer schon im Lehmann-Universum zu Hause ist oder den besonderen Schreibstil von Regener mag, wird diesen Roman lieben. Obacht: Die chronologische Reihenfolge der bisher sechs Romane entspricht nicht dem Veröffentlichungszeitpunkt.

"Ihr scheiß Popper!" (S.277) Gröhl! Eine Jugendkulturrichtung, die der heutigen Jugend nichts mehr sagt.

"Wieso ist die bei IKEA?", fragte Erwin. "Da kann man Möbel kaufen", sagte Frank, "ich war da mal, das ist bei uns in Stuhr!" (S. 28) Genau, Bremen-Stuhr, kenn' ich, war ich auch schon Teelichter kaufen.

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Veröffentlicht am 06.11.2025

Erster Gerichtsauftritt von Eddie Flynn

Zu wenig Zeit zum Sterben
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Wenn man vor dem Job als Anwalt schon als erfolgreicher Trickbetrüger unterwegs war, kann das durchaus von Vorteil sein. Diese Erfahrung hat Eddie Flynn schon öfter gemacht, aber nie waren seine vielseitigen ...

Wenn man vor dem Job als Anwalt schon als erfolgreicher Trickbetrüger unterwegs war, kann das durchaus von Vorteil sein. Diese Erfahrung hat Eddie Flynn schon öfter gemacht, aber nie waren seine vielseitigen Fähigkeiten und Kontakte zu fragwürdigen Zeitgenossen so wichtig wie jetzt: Seine kleine Tochter wurde entführt und kommt nur frei, wenn Eddie die Verteidigung von Mafiaboss Olek Volchek übernimmt. Volchek muss einen Zeugen aus dem Weg räumen, um einer Verurteilung zu entgehen, diesen Auftrag soll Eddie erledigen - im Gericht.

Der Reihenauftakt hat mir gut gefallen. Ich kenne bereits den dritten Teil "Thirteen", der unheimlich spannend war. Auch der erste Fall von Anwalt Flynn punktet mit einer dramatischen Geschichte, die sich unter Zeitdruck abspielt. Durch die Ich-Perspektive ist man ganz dicht am Geschehen und fiebert mit Eddie mit, der immer wieder durch überraschende Einfälle punkten kann. Interessant sind Gerichtsthriller, weil es im us-amerikanischen Justizsystem so viel Unbekanntes gibt und man mit verblüffenden Tatsachen, Gesetzen und Ausnahmen konfrontiert wird. Der findige Anwalt gehört aber unbedingt dazu, denn er kippt eine scheinbar klare und eindeutige Aussage durch wenige geschickte Fragen und der Zeuge wird demontiert. Da der irische Autor Steve Cavanagh selbst Jura studiert hat, kann er auf eigene Erfahrungen zurückgreifen.

Die Serie um den trickreichen Eddie Flynn aus NYC kann ich allen Fans von Gerichtsthriller sehr empfehlen.

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Veröffentlicht am 30.10.2025

Wiedersehen mit Greta

Was ich nie gesagt habe
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Nachdem der Nachrichtenmoderator Tom Monderath im ersten Teil mit der Vergangenheit seiner Mutter Greta konfrontiert wurde, konzentriert sich der zweite Teil auf Toms Vater Konrad. Das ist nicht minder ...

Nachdem der Nachrichtenmoderator Tom Monderath im ersten Teil mit der Vergangenheit seiner Mutter Greta konfrontiert wurde, konzentriert sich der zweite Teil auf Toms Vater Konrad. Das ist nicht minder spannend und interessant erzählt, denn ebenso wie Greta hat der verstorbene Konrad eine dramatische Lebensgeschichte. Aufgerollt wird dies durch Henk, der sich dem verblüfften Tom als holländischer Halbbruder wortwörtlich an den Hals wirft.

Gekonnt erzählt Susanne Abel wieder auf zwei Zeitebenen, läßt Kriegs- und Nachkriegszeit sowie die Jahre des deutschen Wirtschaftswunders lebendig werden und zeichnet das schwierige Verhältnis zwischen Tom und Konrad nach. Überzeugend fügen sich die bekannten und die neuen Lebensläufe zusammen und beleuchten ein neues spannendes, unglaubliches Kapitel Realität.

Es gibt ein Wiedersehen mit Jenny, der patenten Helga Schmitz und Aufnahmeleiter Lars "Jens" Heuser. Ob er das rote BMW Cabrio endlich bezahlt hat?

Ein extrem kurzweiliger, bewegender und lesenswerter Roman.

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Veröffentlicht am 29.10.2025

Die Pfirsichbäume

So weit der Fluss uns trägt
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In den 1940er Jahren lebt die 17jährige Victoria (Torie) auf einer Pfirsichfarm in Colorado. Es ist ein reiner Männerhaushalt, den sie versorgen muss und keiner ihrer Angehörigen bietet ihr Nähe und Geborgenheit. ...

In den 1940er Jahren lebt die 17jährige Victoria (Torie) auf einer Pfirsichfarm in Colorado. Es ist ein reiner Männerhaushalt, den sie versorgen muss und keiner ihrer Angehörigen bietet ihr Nähe und Geborgenheit. Unverhofft begegnet sie in der Stadt einem fremden jungen Mann, der ihr Leben verändert.

Der Roman erzählt die Geschichte von Torie über mehrere Jahrzehnte, in denen sie im wörtlichen Sinne einen Platz im Leben sucht. Der Gunnison River, der in der Nähe der Farm verläuft und die Landschaft prägt, spielt im Roman eine entscheidende Rolle. Gleich zu Beginn erfahren wir, dass der Fluss gestaut wird und nicht nur die Pfirsichfarm, sondern die ganze Stadt Iola überfluten wird. Die Autorin stammt selbst aus der Gegend, die sie in ihrem Buch als Schauplatz gewählt hat. Den Stausee gibt es tatsächlich und die Stadt Iola ist dort in den 1960er Jahren verschwunden.

Mir haben die Naturbeschreibungen sehr gefallen, auch wenn das Wort Pfirsich schon arg strapaziert wird. Torie muss schwere Schicksalsschläge ertragen, verliert aber nie den Mut, weiter zu machen. Sie ist wie der Fluss, der gegen Hinternisse stößt, um sie herum fließt und unzählige kleine Stückchen des Lebens auf dem Weg durch sein Flussbett mit sich führt. Der englische Titel passt daher sehr schön: Go as a river.

Die Geschichte wird von Torie in der Ich-Perspektive erzählt. Was mir sehr gefallen hat, ist der Kunstgriff, mit dem die Autorin einen Handlungsstrang vermittelt, den Torie nicht selbst erlebt. Bereichernd für mich waren auch viele Themen, die neben dem historischen Stauseeprojekt, angesprochen werden: Rassismus, Umgang mit den Native Americans, Vietnam-Lotterie und Vietnam-Trauma.

Insgesamt ein Schmöker, den man gerade im Herbst wunderbar lesen kann.

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