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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 13.11.2023

Extrem und verstörend

Das Seidenraupenzimmer
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Ich weiß gar nicht, was ich erwartet hatte, aber dies nicht. Das verspielte Cover und der Klappentext lassen eher an eine romantische Liebesgeschichte denken und der Beginn ließ mich ganz - aber nur ganz ...

Ich weiß gar nicht, was ich erwartet hatte, aber dies nicht. Das verspielte Cover und der Klappentext lassen eher an eine romantische Liebesgeschichte denken und der Beginn ließ mich ganz - aber nur ganz kurz - an eine Art japanische Version von "Der Sommer, als ich schön wurde" denken.

Yuki ist eine Außenseiterin, obwohl sie es allen nur recht machen will. Sie verbündet sich in den Sommerferien auf dem Land mit ihrem Cousin Yu, in dem sie einen Vertrauten findet, der ihre Fantasien nicht nur teilt, sondern auch beflügelt. Ihr Stofftier Pyut, eine weiße Maus, ist ein Abgesandter des Planeten Pohapipinpopopia und Yuki selbst ein Magical Girl mit einer verzauberten Puderdose und einem Zauberstab. Als Yuki zehn oder elf Jahre alt ist, "heiraten" die beiden auf dem Friedhof und wollen sich lieben, bis ein Raumschiff kommt und Yu abholt. Im nächsten Sommer ist alles anders. Yuki wurde das Opfer eines Missbrauchs. Ihre Fantasien weiten sich aus und sie möchte unbedingt mit Yu intim werden. Die beiden werden von der Familie überrascht. Erst als Yuki 34 Jahre alt ist, sieht sie Yu wieder.

Zunächst fand ich die Geschichte faszinierend, wie sich ein Mädchen in eine Fantasiewelt flüchtet, um den strengen und ungerechten Eltern und ihrer älteren Schwester zu entkommen. Deutlich wird eine Kritik an der japanischen Gesellschaft geübt. Nicht von ungefähr fürchtet sich Yuki vor der "Fabrik", vor der Gehirnwäsche und der Reduktion auf die Produktion von Nachkommen, die wieder als Arbeiter:innen in die Fabrik gehen. Der Missbrauch nimmt einen großen Teil der Geschichte ein und unterstreicht Yukis Hilflosigkeit. Im zweiten Teil wird die Handlung jedoch extrem verstörend und zieht gleichzeitig die Verbindung zum Titel. Es erfolgt eine Einkapselung und eine Verpuppung im Haus auf dem Land, die mich ratlos zurückgelassen hat. Die extreme, mitunter brutale Handlung wird durch die kindliche Sprache der Ich-Erzählerin Yuki ad absurdum geführt, erscheint in Yukis Augen völlig normal. Ein Roman, der sicherlich die Gemüter bewegt und die Leserschaft spaltet.

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Veröffentlicht am 08.11.2023

Beschwingtes Großstadtmärchen

Sungs Laden
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Alles beginnt mit einem Kulturgut, das Minh, Grundschüler am Prenzlauer Berg, in seiner Schule präsentieren soll. Gemeinsam mit seiner Großmutter stellt er eine Wassermarionettenpuppe vor, die bislang ...

Alles beginnt mit einem Kulturgut, das Minh, Grundschüler am Prenzlauer Berg, in seiner Schule präsentieren soll. Gemeinsam mit seiner Großmutter stellt er eine Wassermarionettenpuppe vor, die bislang ein vergessenes Dasein in einem Wandschrank gefristet hatte. Mit dieser alten Puppe aus Vietnam schwappt eine Welle über das Viertel, wie es sie noch nicht gegeben hat und verzaubert Menschen und Prenzlauer Berg.

Mit ganz viel Warmherzigkeit und Einfühlungsvermögen zeichnet Karin Kalisa diese bezaubernde Geschichte und ihre Figuren. Der humorvolle Schreibstil unterstreicht die sich verselbständigende Bewegung, die von den Akteuren immer weiter auf die - wortwörtliche - Spitze getrieben wird Es macht einen wirklich glücklich, diese langsam wachsende Symbiose zwischen Vietnam und Berlin zu verfolgen. Dabei verwebt die Autorin geschickt die Geschichte der zehntausend vietnamesischen Arbeitskräfte, die im Rahmen der sozialistischen "Bruderhilfe" in die DDR kamen, um dort eine Fachausbildung zu erhalten und im Gegenzug die dingend benötigte Arbeitskraft zu stellen. Eine Integration erfolgte in den meisten Fällen nicht, die auf Zeit angestellten Asiat:innen blieben unter sich. Beziehungen zu DDR-Bürger:innen waren untersagt, es galt sogar ein Kontaktverbot. Dieses traurige Kapitel wird anhand von Minhs Familie aufgezeigt, die aber auch den Anstoß zu der fast märchenhaft anmutenden Veränderung des Viertels gibt.

Ich habe den Roman sehr gerne gelesen. Er hat mich an Bergsalz erinnern. In diesem Buch der Autorin geht es auch um einen Ruck, der durch eine Gemeinschaft geht, die sich für "Fremdes" öffnet und alle am Ende glücklich entlässt. Ein Wohlfühlbuch, das zudem Interessantes über das - mir vorher unbekannte - Wassermarionettentheater vermittelt und die Geschichte der vietnamesischen Arbeitsmigrant:innen in der DDR ans Licht holt.

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Veröffentlicht am 08.11.2023

Das Schweigen einer Familie

Dschinns
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Hüseyin macht sich 1971 aus seinem kleinen Dorf in der Türkei auf den Weg nach Deutschland. Als er in Istanbul Station macht, entbrennt in ihm der Wunsch, hier einmal als wohlhabender Mann eine Wohnung ...

Hüseyin macht sich 1971 aus seinem kleinen Dorf in der Türkei auf den Weg nach Deutschland. Als er in Istanbul Station macht, entbrennt in ihm der Wunsch, hier einmal als wohlhabender Mann eine Wohnung zu besitzen. 1999 steht er wieder in Istanbul, nach fast 30 Jahren voller Plackerei im kalten Deutschland - in seiner Eigentumswohnung. Während es in Deutschland nur gebrauchte Möbel und nichts Schönes gab, ist er hier nahezu verschwenderisch in der Ausstattung. Eben noch denkt er, wie seine ahnungslose Familie auf diese Wohnung reagieren wird, da bricht er mit einem Herzinfarkt tot zusammen. So endet das erste Kapitel. Die nächsten sind jeweils aus der Sicht eines der vier Kinder geschrieben, das letzte Kapitel gehört der Mutter.

Der Roman wurde zu recht hoch gelobt. Ich habe ihn wahnsinnig gerne gelesen. Die Autorin verwendet einen flotten, ansprechenden und passenden Schreibstil und taucht ganz tief ein in die Geheimnisse, Sorgen und Wünsche jeder und jedes einzelnen, der verflucht glaubwürdigen Charaktere. Da werden so viele Themen angesprochen, so viele Ebenen beschritten und so viele Spuren gelegt. Man kann gar nicht anfangen, Beispiele zu nennen, weil es so wahnsinnig viele wichtige Aspekte gibt. Ganz großes Kino! Und wenn man das letzte Kapitel gelesen hat, steht einem der Mund offen, denn erst im Kapitel der Mutter fügen sich die Kontinente der einzelnen Familienmitglieder ineinander, werden Verhaltensweisen begründet und Geheimnisse gelüftet. Ich habe das Buch mit meiner Lesegruppe gelesen und es waren so gewinnbringende Gespräche, es gab so vieles, was erst durch die Diskussion ans Licht kam. Ich kann das Buch daher für Lesekreise uneingeschränkt empfehlen - für alle Einzelleser:innen natürlich auch. Ein ganz tiefer Blick in die Verstrickungen einer türkischen Arbeitsmigranten-Familie.

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Veröffentlicht am 03.11.2023

SATC in den 1950ern

Das Beste von allem
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Manhatten 1952: Caroline Bender startet ihr Berufsleben in einem New Yorker Verlagshaus. Fabian Publications wird ebenso ihr Zuhause, wie das von zahllosen anderen jungen Frauen - fünfmal in der Woche ...

Manhatten 1952: Caroline Bender startet ihr Berufsleben in einem New Yorker Verlagshaus. Fabian Publications wird ebenso ihr Zuhause, wie das von zahllosen anderen jungen Frauen - fünfmal in der Woche von 9.00 bis 17.00 Uhr. Eigentlich ist es eher eine Warteschleife, denn das erklärte Ziel der allermeisten Mitarbeiterinnen ist die Heirat mit einem schmucken jungen Mann.

Über drei Jahre verfolgen wir das Schicksal von fünf jungen New Yorkerinnen, die alle nur glücklich sein wollen. Im Trubel der Stadt, zwischen Dates, Weihnachtsfeiern, übergriffigen Chefs, winziges Apartments, Affären und reichlich Alkohol, versuchen sie den Kopf über Wasser zu halten.

Die Autorin veröffentlichte das Buch mit 26 Jahren und beschreibt darin auch ihre eigenen Erlebnisse, zudem hat sie mit 50 Frauen Interviews geführt und nach deren Erfahrungen in der Arbeitswelt gefragt. Herausgekommen ist ein Stück Gesellschaftsgeschichte in Romanform. Wir tauchen tief ein in das New York der damaligen Zeit, in die Arbeitswelt - geprägt von Männern, in der Frauen in den meisten Fällen nicht nur unterschätzt, sondern kaum geachtet werden - und das Gefühlsleben der Protagonistinnen, das ebenfalls vom Wohl und Wollen der Männer abhängt. Rona Jaffe schreibt detailliert, daher gibt es durchaus Längen in diesem Roman. Allerdings hat er mich insgesamt sehr gut unterhalten, auch wenn die Rolle der Frau in der Gesellschaft schon recht häufig Grund zum lauten Schreien gegeben hat. Besonders die Figur der Caroline reflektiert aber auch über die traditionellen Wünsche der Frauen, ob die Erfüllung des eigenen Lebens in einer Heirat zu suchen sei.

Eine sehr interessante Lektüre mit viel New York Flair und einem spannenden Nachwort der Autorin.

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Veröffentlicht am 29.10.2023

Hier wird auch nur mit Wasser gekocht

Into the Water - Traue keinem. Auch nicht dir selbst.
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Beckford ist bekannt für seinen Fluss und eine besondere Stelle in ihm, die der Drowning Pool genannt wird. Dort wurden schon vor Jahrhunderten Frauen mittels der Hexenprobe ertränkt. Jetzt ist dort Danielle ...

Beckford ist bekannt für seinen Fluss und eine besondere Stelle in ihm, die der Drowning Pool genannt wird. Dort wurden schon vor Jahrhunderten Frauen mittels der Hexenprobe ertränkt. Jetzt ist dort Danielle Abbott - angeblich - in den Tod gesprungen. Sie hat sich intensiv mit den Geschichten der toten Frauen, die im Pool ihren Tod fanden, beschäftigt. Nach 15 Jahren kehrt Nels Schwester Julia nun zurück zu ihrer Nichte Lena, die sie noch nie gesehen hat. Julia kommt nicht gerne nach Beckford, denn sie wäre als Jugendliche fast selbst im Fluss ertrunken.

Das klang so gut und hatte so viel Potential. Eine Dorfgemeinschaft, die irgendwelche Geheimnisse hütet. Eine Frau, die nach langer Zeit wieder in ihr Elternhaus zurückkehrt, mit ganz viel Jugendtraumata im Gepäck und ein undurchsichtiger Todesfall.

Leider, leider hat mich das Buch überhaupt nicht gepackt. Ich habe ewig gebraucht, um es durchzulesen und war zwischendrin kurz davor, es abzubrechen. Die Geschichte wird aus verschiedenen Perspektive von - Moment, ich muss kurz nachzählen - vierzehn (!) Personen erzählt. Ich mag ja multiperspektivische Geschichten, aber bis ich hier alle Personen sortiert hatte, musste ich erst das halbe Buch lesen. Das war einfach zu viel des Guten. Auch der Spannungsbogen war für mich gar nicht vorhanden, das plätscherte so vor sich hin, ich weiß auch nicht. Aber es steht ja auch Roman auf dem Umschlag, nicht Krimi oder Thriller. Da bin ich wahrscheinlich dem Cover-Bild auf dem Leim gegangen. Mir hatte schon "Girl on the train" nicht hundertprozentig gefallen, aber von diesem Buch war ich enttäuscht. Da passte es dann auch, dass das Ende ehe farblos war. Schade.

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