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Veröffentlicht am 12.01.2024

Ein Cowboy im viktorianischen London

Die Frau in der Themse
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William Pinkerton, Sohn des berühmten Gründers der Pinkerton Detektei, sucht 1885 in London nach der Betrügerin Charlotte Reckitt. Gleichzeitig ist Adam Foole auf dem Weg zu ihr, beide verbindet eine gemeinsame ...

William Pinkerton, Sohn des berühmten Gründers der Pinkerton Detektei, sucht 1885 in London nach der Betrügerin Charlotte Reckitt. Gleichzeitig ist Adam Foole auf dem Weg zu ihr, beide verbindet eine gemeinsame kriminelle Vergangenheit. Da findet man einen abgetrennten Frauenkopf in der Themse und die Jagd nach dem Mörder beginnt.

Der Klappentext hörte sich so spannend an und der Roman versprach mit 900 Seiten einen opulenten und eleganten Krimi. Leider hat mich das Buch, das viel eher historischer Roman und Vater-Sohn-Geschichte ist, aber enttäuscht, es war stellenweise doch sehr zäh. Die Konfrontation des aus den USA stammenden und bürgerkriegserfahrenen Pinkerton mit den Herren von Scotland Yard ist lesenswert, ebenso wie die Episoden aus dem Bürgerkrieg oder die aus der Londoner Unterwelt. Diese Passagen habe ich nahezu atemlos gelesen. Der Autor scheut kein Blut und keinen Dreck. Vielfach wurde bemängelt, dass die Geschichte von den zahlreichen Rückblenden arg zerstückelt wird. Das ist sicherlich richtig, aber die Rückblicke sind auch wichtig, um die Charaktere zu verstehen. Schritt um Schritt kommen wir ihnen näher. Allerdings ist das alles einfach viel zu viel und die Geschichte verläuft sich in Einzelheiten und Details. Verschiedene Lebensläufe werden akribisch ausgeleuchtet und zersetzen und lähmen die Handlung irgendwie. Etwa als wenn man von Hamburg nach München fährt und der Zug macht ständig einen Umweg über Berlin. Der Autor hat es verstanden, die jeweilige Atmosphäre sehr gut darzustellen, man ist als Leser jeweils mitten im Geschehen, aber die Figuren sind mir nicht nahe gekommen. Die Kernhandlung war mir dann auch trotz der 900 Seiten zu dünn. Am Ende habe ich mich gefragt, ob das wirklich alles war.

Ein historischer (Kriminal-)Roman, der stellenweise zu fesseln vermag und eine großartige Atmosphäre vermittelt. Er war mir aber um einiges zu lang, zu ausschweifend und daher zu zäh.

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Veröffentlicht am 03.01.2024

Hinter den unsichtbaren Mauern einer Besserungsanstalt

Die Nickel Boys
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Der unfassbar und unverhältnismäßig harte Umgang der US-Behörden mit minderjährigen "Straftätern" ist mir seit dem Film Sleepers (1996) im Gedächtnis geblieben. Der Film hat mich seinerzeit schwer erschüttert.

Colson ...

Der unfassbar und unverhältnismäßig harte Umgang der US-Behörden mit minderjährigen "Straftätern" ist mir seit dem Film Sleepers (1996) im Gedächtnis geblieben. Der Film hat mich seinerzeit schwer erschüttert.

Colson Whiteheads Pulitzerpreis-Roman hat mich sofort daran erinnert. Auch dieser Roman wird auf zwei Zeitebenen erzählt, einmal in den 1960er Jahren (der Zeit im Nickel) und dann Jahrzehnte später. Elwood Curtis ist 16 Jahre alt, als er in der Besserungsanstalt Nickel Academy landet. Der Grund für seine Einweisung ist bezeichnend für den Umgang mit Schwarzen und entbehrt jeder rechtlichen Grundlage. Es gibt im Nickel keine Zäune und von außen sieht alles nach einem gepflegten Anwesen aus; einer Schule, die aus den Jungs etwas machen will. Elwood lernt jedoch schnell, dass der äußere Schein mehr als trügt.

Whiteheads in drei Teile gegliederter Roman ist schwere Kost. Jedoch versteht er es, die Brutalität nicht reißerische auszuwalzen, vieles bleibt unerzählt. Wenn sich aber die Türen hinter den Jungs schließen, spielt sich ein Kopfkino sondergleichen ab. Whiteheads ruhige Sprache, die auch dem Charakter von Elwood entspricht, steht in verstörendem Gegensatz zu den Ereignissen. Das Perfide an dem System der "Schule" sind die dort herrschenden geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze, gepaart mit absoluter Unberechenbarkeit und Willkür. Die Jungs müssen schmerzlich erfahren, dass es kein "richtiges" Verhalten gibt, um diesem Haus unbeschadet zu entkommen. Gewalt, Rassismus und Korruption herrschen in diesem Mikrokosmos.

Der Roman hat mir sehr, sehr gut gefallen: Die treffende Sprache des Autors, die Dialoge und die Story an sich, die auf wahren Ereignissen beruht (siehe das Nachwort) und in hohem Maße geschickt aufgebaut ist, bis zur letzten Szene. Zudem erkennt man hier schon Spuren des späteren Werks Harlem Shuffle: der Charakter des Schwarzen Unternehmers und Kleinkriminellen Ray Carney blitzt im letzten Drittel auf.

Wie in Sleepers gibt es auch hier Jungs, die an ihren Erlebnissen zerbrochen sind und andere, die einen Weg gefunden haben, weiterzumachen.

Große Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 03.01.2024

Die lahmen Gäule vom MI5

Slow Horses
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Wer es beim MI5 so richtig verbockt hat, der wird ins Slough House abgeschoben, einer gammeligen Absteige, nikotin- und saubverseucht. Hier werden die Agenten mit stupiden Schreibtischarbeiten zur Kündigung ...

Wer es beim MI5 so richtig verbockt hat, der wird ins Slough House abgeschoben, einer gammeligen Absteige, nikotin- und saubverseucht. Hier werden die Agenten mit stupiden Schreibtischarbeiten zur Kündigung animiert. Als es auch den smarten River Cartwright erwischt, wird es jedoch unruhig in der Verwahranstalt für gescheiterte 007-Existenzen. Die lähmende Eintönigkeit und ihre Betreuer werden kräftig durchgerüttelt und zeigen Qualitäten, die sie einst zum MI5 gebracht haben. Allen voran der schmuddelige Chef Jackson Lamb, der mit fettigen Fingern und Haaren über seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter herrscht und sie allesamt für Versager hält. Oder doch nicht?

Das Buch schlummerte Jahre (!) auf meinem SUB. Viel zu lange. Das liegt zum einen daran, dass ich eigentlich kein Fan von Agenten-Büchern bin und andererseits das Cover wirklich nicht mitreißend auf mich gewirkt hat. Die äußere Hüllte täuscht jedoch. Die Story ist spannend, verwickelt und unglaublich witzig geschrieben. Genau meine Art von britischem Humor, den ich sehr mag. Lamb ist ein unglaublicher Charakter, der so viel Spaß macht. Die Dialoge insgesamt sind wirklich klasse, ein Schlagabtausch folgt auf den nächsten. Mittlerweile ist schon die Verfilmung des vierten Bandes in Arbeit. Und die bisherigen Staffeln (apple+) sind grandios. Gary Oldman spielt Lamb unfassbar gut, genau so hat man ihn sich vorgestellt. Der ekelhafte Regenmantel, der wahrscheinlich noch nie eine Waschmaschine gesehen hat, ist da nur eines der vielen liebevollen Details, das aus dem Buch übernommen wurde. Kurzum Buch und Verfilmung kann ich uneingeschränkt empfehlen. Darauf einen geschüttelten Martini!

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Veröffentlicht am 20.12.2023

Bergmann geht in die 8. Runde

Die Schuld, die man trägt
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Der siebente Band endete mit einigen Überraschungen, die in diesem Folgeband nahtlos aufgegriffen werden. Kollege Billy von der Reichsmordkommission wurde als Serientäter endlich enttarnt und sitzt im ...

Der siebente Band endete mit einigen Überraschungen, die in diesem Folgeband nahtlos aufgegriffen werden. Kollege Billy von der Reichsmordkommission wurde als Serientäter endlich enttarnt und sitzt im Gefängnis. Sebastian - völlig selbstlos - möchte ein Buch über ihn schreiben. Vanja, als neue Leiterin der Abteilung, hat mit zahlreichen Schwierigkeiten zu kämpfen und muss das Vertrauen in die Reichsmordkommission zurückgewinnen. Da kommt ein Serientäter-Fall gerade recht, um die Effizient der Abteilung zu beweisen. Schon bei der ersten Leiche wird ein Hinweis platziert, der den Fall in unmittelbaren Zusammenhang mit Sebastian Bergmann setzt. Erneut muss man sich mit dem unliebsamen Psychologen rumschlagen, um das Rätsel zu lösen.

Mittlerweile wird es schwierig, der Serie und vor allem der Entwicklung der Charaktere zu folgen, wenn man die vorherigen Bände nicht kennt. Hier sind besonders die Entwicklung von Billy, die Vergangenheit von Sebastian oder die Verbindung zu Tim, Cathy und Ellinor gemeint.

Der Thriller ist nach dem bewährten Muster des schwedischen Autorenduos aufgebaut. Ein Mordfall, der nicht nur die Mördersuche beinhaltet, sondern geradezu ein Rätselraten in Gang setzt, an dem sich die Lesenden gerne beteiligen. Wie immer ist der Roman sehr schnell geschrieben, es passiert viel in den kurzen Kapiteln, oft werden wir überrascht. Es gibt aber auch Logikfehler im Verhalten der Charaktere. Allerdings auch Verhaltensweisen, von denen man zunächst meint: Nein! Nicht schon wieder so eine naive Reaktion, die in einer gefährlichen Situation endet. Da handelt dann doch mal jemand mit gesundem Menschenverstand, hier ist es Cathy. Sebastians Verhalten hingegen ist mindestens zweimal eher fragwürdig.

Insgesamt ein solider und spannender 8. Teil, der aber nicht das Highlight der Serie ist. Am Ende bleibt so viel offen, dass es eigentlich weitergehen muss, sonst werden viele Fans der Serie stark enttäuscht sein. Für Quereinsteiger ist dieses Buch nicht zu empfehlen, für Serienjunkies jedoch ein must-read-book. Das Autorenduo vermag immer noch zu fesseln, was besonders am Protagonisten Bergmann und den ausgeklügelten Fällen liegt - Logik hin oder her.

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Veröffentlicht am 18.12.2023

Die Sackgasse

Die Frauen von Brewster Place
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Brewster Place ist durch eine Mauer vom lebendigen Teil der Gegend getrennt. Wortwörtlich stecken die Einwohnerinnen in einer Sackgasse fest. Wer hier lebt, ist in fast allen Fällen nicht freiwillig hier, ...

Brewster Place ist durch eine Mauer vom lebendigen Teil der Gegend getrennt. Wortwörtlich stecken die Einwohnerinnen in einer Sackgasse fest. Wer hier lebt, ist in fast allen Fällen nicht freiwillig hier, sondern kann nirgendwo anders hin, es ist die Endstation. In einzelnen Kapiteln stellt die Autorin das Schicksal von sieben Frauen in geraffter, auf die zentralen Elemente reduzierte Weise vor. Das sind bittere Schicksale, die die Frauen hier zu einer Gemeinschaft gemacht haben. Mattie Michael aus Tennessee, die Jahrzehnte lang ein eigenes Haus besessen hatte, ist hier ebenso gestrandet wie ihre Jugendfreundin Etta, die viel mehr vom Leben wollte als diese Sackgasse. "Wenn ich diese Straße hineingehe, so dachte sie, werde ich es nie wieder hinausschaffen." (S. 102) Mattie schenkt die Autorin die größte Aufmerksamkeit, sie verbindet die Geschichten miteinander und spendet Trost und Hoffnung für die Frauen in Brewster Place.

Die Männer kommen in diesem Roman ziemlich schlecht weg. Beim Lesen wird man richtig wütend. Klar haben sie oft keine Perspektive, aber die Frauen strampeln sich ab, versuchen alles und die Männer kommen nur als brutal, faul und gleichgültig um die Ecke.

Der wohl überlegt aufgebaute Roman hat mich sehr bewegt. Er zeigt schlimme Seiten, verspricht aber auch Hoffnung. Das hat auch mit der schönen Sprache von Gloria Naylor zu tun, die sehr bildhaft ist. Es ist kein Wohlfühlbuch, es ist tief traurig, grausam und schonungslos. Nichts für den Urlaub oder zum Entspannen. Es öffnet den Blick auf eine Welt, die zeigt, was es bedeutet, als schwarze Frau seinen Platz im Leben zu suchen, unter den schwierigsten Bedingungen.

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