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Veröffentlicht am 01.04.2024

Wherever you go, you always take the weather with you

Big Sky Country
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Im Nordwesten der USA, an der Grenze zu Kanada, liegt Big Sky Country - Montana. Ein riesiger Bundesstaat, größer als Deutschland und mit lediglich etwas über einer Million Einwohnern (entspricht der Einwohnerzahl ...

Im Nordwesten der USA, an der Grenze zu Kanada, liegt Big Sky Country - Montana. Ein riesiger Bundesstaat, größer als Deutschland und mit lediglich etwas über einer Million Einwohnern (entspricht der Einwohnerzahl von Köln) selbst für die USA extrem dünn besiedelt. In dieses, von den Rocky Mountains durchzogenem Land, verschlägt es August nach der Trennung einer Eltern. Hatte er zuvor auf einer kleinen Milchfarm in Michigan gelebt, ist Montana mit seiner grandiosen Landschaft eine Umstellung für den Jungen. Aber er arrangiert sich mit seiner Mutter, findet Freunde, spielt Football und wird langsam erwachsen.

Mit einer extrem ruhigen und unaufgeregten Sprache erzählt uns der Autor von Augusts Kindheit und Jugend, die mehr oder weniger typisch amerikanisch ist. August ist selbst eher schweigsam und wortkarg, sein Charakter spiegelt sich also in der Sprache wider. Dies wird sicherlich im Original noch besser spürbar sein, weil auch die sprachlichen Eigenheiten der unterschiedlichen Staaten dargestellt werden können. Interessant sind die Telefonate zwischen August und seinem Vater in Michigan. Die beiden stehen sich sehr nahe und doch reden sie fast ausschließlich über eher belanglose Dinge wie das Wetter oder das Vieh. Im letzten der drei Kapitel des Buches, kommt der Vater von selbst auf diese Telefonate zu sprechen.

Neben dem ganz dichten Beobachten von August und anderen Charakteren, fließt auch die gesellschaftliche und politische Realität in die Geschichte mit ein: Der 11. September, der Einsatz in Afghanistan, die Ängste der Viehzüchter vor der wirtschaftlichen Zukunft.

Ich habe den Roman sehr gerne gelesen. Er hat trotz der seltsam still dahinfließenden Geschichte eine gewisse Spannung. Immer wieder tauchen Fragen auf, die die jungen Charaktere beschäftigen: Will ich es so machen wie meine Eltern? Was ist das Richtige? Was ist der Sinn?

Das letzte und sehr kurze Kapitel fasst nochmal vieles zusammen und ich habe mir zahlreiche Sätze markiert.

"Er [August] kam langsam zu der Überzeugung, dass jede Kindheit aus einer eigentümlichen Kombination von Problemen bestand und dass leben, wie es alle nannten, nur der Versuch war, im Nachhinein zu entschlüsseln, was zum Teufel mit einem passiert war." (S. 378f)

Triggerwarnung: Es gibt auch brutale Szenen in dem Roman.

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Veröffentlicht am 01.04.2024

Harry Hole kämpft sich aus dem Alkoholnebel

Blutmond (Ein Harry-Hole-Krimi 13)
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Mit Blutmond bin ich erstmals in die Welt von Harry Hole abgetaucht. Da hat mich ein ganz schön abgewrackter Polizist erwartet, dessen erklärtes Ziel es ist, sich zu Tode zu trinken und das nicht irgendwo ...

Mit Blutmond bin ich erstmals in die Welt von Harry Hole abgetaucht. Da hat mich ein ganz schön abgewrackter Polizist erwartet, dessen erklärtes Ziel es ist, sich zu Tode zu trinken und das nicht irgendwo in Norwegen, sondern in LA. Dort rutscht er in eine Situation hinein, in der es um Leben und Tod und fast eine Million Dollar geht. (Das war insgesamt ein bisschen drüber ...) Diese Begebenheit ist aber notwendig, damit er sich als Privatermittler für einen unter Mordverdacht stehenden Millionär in Oslo anheuern läßt, der mittels Harry seine Unschuld beweisen möchte. Das ist erstmal die Ausgangssituation.

Natürlich erfährt man während der Handlung auch einiges über die vorherigen Fälle, anders geht es auch nicht. Allerdings sind dies oft entscheidende Informationen, daher ist es wohl ratsam, die Serie von Beginn an zu verfolgen bzw. nicht erst so spät einzusteigen. Dennoch kann der Roman ohne weiteres für sich alleine gelesen werden, dann weiß man eben wer in Band 12 stirbt und wer der Täter ist.

Gefallen hat mir die Gruppe, die Harry um sich scharrt, um seine Ermittlungen zu betreiben. Da ist vom Drogendealer bis zum Todkranken alles dabei, die Teamtreffen werden im Krankenzimmer abgehalten. Das habe ich bisher auch noch nicht gelesen. Die Krimihandlung an sich war vielleicht etwas sehr gestreckt (immerhin 542 Seiten), hatte aber durchaus spannende Momente. Es besteht natürlich Zeitdruck bei der Mördersuche und es gibt einige falsche Fährten. Das reicht für mich aber nicht, um die vorherigen Bände auch zu lesen. Für eingefleischte Harry Hole-Fans, die den Charakter schon lange begleiten, dürfte es aber ein ziemlicher Leckerbissen gewesen sein, weil Harry nun wieder besser in Form und zurück in Oslo ist. Zudem endet der Band mit einem Cliffhanger, der schon Interesse für den nächsten Teil zu wecken vermag.

Jo Nesbø scheint übrigens kein Freund des Edvard-Munch-Museums in Oslo zu sein, das kommt nämlich an zwei Stellen im Buch ziemlich schlecht weg: "Wir nennen es Tschernobyl. Nicht vielen Architekten gelingt es, einen ganzen Stadtteil mit einem einzigen Gebäude zu zerstören, aber der hier hat das geschafft, das muss man ihm lassen." (S. 232) BTW das Gebäude möchte ich auch nicht vor der Haustür haben wollen.

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Veröffentlicht am 22.03.2024

Von der ARAL-Tankstelle und Drachen

HERKUNFT
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Was für ein wunderbares Buch! Der Autor schreibt über seine Heimat, seine Herkunft und seine Familie: Das ist Jugoslawien vor und nach dem Krieg. Das ist Heidelberg und die ARAL-Tankstelle. Das ist das ...

Was für ein wunderbares Buch! Der Autor schreibt über seine Heimat, seine Herkunft und seine Familie: Das ist Jugoslawien vor und nach dem Krieg. Das ist Heidelberg und die ARAL-Tankstelle. Das ist das Dorf der Großmutter in den Bergen und das Fantasiespiel mit Freunden.

In nicht allzu strenger Chronologie begleiten wir Ich-Erzähler Saša aus seiner behüteten Kindheit in Jugoslawien heraus nach Deutschland. Der Zufall will es: nach Heidelberg. Hier ist er an seiner Schule ein Flüchtling unter vielen. Er, der die Sprache erst lernen muss, macht Abitur, studiert und schreibt. Von klein an fabuliert er und liebt es Geschichten zu schreiben. Daher ist auch dieser Roman eine Geschichte, bei der man nicht genau weiß, was erlebt und was erfunden wurde. Immer wieder zieht es ihn in die alte Heimat zur Großmutter, die einen großen Teil des Romans ausmacht. Um sie kreist alles. Als ihre Demenz fortschreitet und ihre Erinnerungen verblassen, beginnt der Enkel Erinnerungen zu sammeln.

Herausgekommen ist ein ganz ungewöhnlicher Roman, der sich mit dem Zufall der Herkunft auseinandersetzt. Ein liebevoller Roman über eine weit verstreute Familie, voll mit Geschichten, Anekdoten und Fantasien. Es macht so viel Spaß dieses Buch zu lesen. Es ist wunderbar witzig, geistreich und kurzweilig. So viele Sätze, die ich mir markiert habe und so vieles über das man nachdenken muss. Dazu eine Schlusspassage, die nochmal völlig überrascht. Eine ganz große Leseempfehlung. Ausgezeichnet mit dem Deutschen Buchpreis 2019.

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Veröffentlicht am 15.03.2024

Die Sucht nach Ruhm und Liebe

Die Kinder sind Könige
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Sehr greifbar und präzise schildert De Vigan, wie Mélanie Claux von Kindesbeinen an vom Fernsehen, besonders von Reality-Shows, fasziniert ist. Schließlich schafft sie es eines Tages selbst in die erste ...

Sehr greifbar und präzise schildert De Vigan, wie Mélanie Claux von Kindesbeinen an vom Fernsehen, besonders von Reality-Shows, fasziniert ist. Schließlich schafft sie es eines Tages selbst in die erste Folge einer Dating Show. Ein "mächtiges Suchtmolekür" wird in ihrem Hirn freigesetzt (S. 30). Jahre später kann sie sich dieser Sucht völlig hingeben: Sie hat mit ihren beiden kleinen Kindern als "Stars" bei YouTube und auf Instagram Millionen von Followern, die praktisch am gesamten Leben der Familie teilnehmen. Bis eines Tages die sechsjährige Kimmy verschwunden ist ...

Der Polizistin Clara, die mit den Ermittlungen betraut ist, ist diese künstliche Welt völlig fremd. Akribisch recherchiert sie und stellt fest, dass Kimmy immer wenig Lust hatte, in den von ihrer Mutter aufwendig produzierten Videos mitzuwirken. Aus Claras Sicht wird uns die Absurdität dieser Inszenierungen vor Augen geführt. Aktionen, die nicht nur sinnfrei sind, sondern völlig überzogen, oberflächlich, teilweise gar gesundheitsgefährdend. Und wenn Mélanie an einer Stelle behauptet, die Kinder seien bei ihr Könige (S. 222), dann steht das im Kontrast zu ihrem Wunsch nach einer idealen Traumwelt, in der sie selbst die Königin ist (S. 95).

Das Buch hat mich gefangengenommen, ich habe es sehr schnell durchgelesen. Einerseits wollte ich natürlich wissen, was mit Kimmy passiert ist, andererseits ist das Thema wahnsinnig interessant. Indem die Autorin der nach Außen orientierten, in einer künstlichen Welt lebenden Mélanie, die pragmatische, zurückgezogene Clara gegenüberstellt, wird der Wahnwitz dieser Sucht nach fremder Anerkennung und Liebe durch die Generierung von Likes und Followern um jeden Preis überdeutlich. Äußerst raffiniert ist der Blick in die Zukunft, zehn Jahre nach den geschilderten Ereignissen.

Mir hat das Buch sehr gut gefallen. Es regt zum Nachdenken an. De Vigan übt Gesellschaftskritik und das macht sie auf eine wahnsinnig anschauliche, spannende und eindrucksvolle Weise, auch wenn der Schreibstil eher nüchtern ist. Diese Nüchternheit spiegelt Claras Charakter wider, wird aber auch durch die im Text verteilten Verhörprotokolle und Aktennotizen unterstützt.

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Veröffentlicht am 15.03.2024

Geheimnisse und Schweigen im Übermaß

Kranichland
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Kranichland ist ein Sehnsuchtsland; dorthin ziehen die Kraniche im Herbst und Marlene beneidet sie um diese Freiheit. Sie hat 1968 in Ost-Berlin nicht die Möglichkeit zu reisen, wohin sie möchte. Gemeinsam ...

Kranichland ist ein Sehnsuchtsland; dorthin ziehen die Kraniche im Herbst und Marlene beneidet sie um diese Freiheit. Sie hat 1968 in Ost-Berlin nicht die Möglichkeit zu reisen, wohin sie möchte. Gemeinsam mit ihrem Freund Wieland plant sie die Flucht über Prag, dort werden sie jedoch von der Stasi abgefangen.

Die Autorin öffnet ein Nähkästchen voller Geheimnisse und Schweigen in einer Familie, die an den sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat glauben möchte, jedoch letztlich daran zerbricht. Erst mit der Enkelgeneration wird das Schweigen gebrochen und nun müssen alle mit den Scherben leben. Dem Genre wird der Roman gerecht, er unterhält und hat durchaus spannende Momente. Leider hatte er für mich aber auch einige Schwächen. Die Charaktere sind recht platt und klischeehaft. Ich konnte mit keiner Figur richtig mitfiebern, sie blieben mir fremd. Es passiert viel, was ohne Bezug zur Handlung bleibt und dann einfach im Sande verläuft. Außerdem waren einige Szenen und Charaktere einfach nicht glaubhaft, da wird der gute Wille schon sehr strapaziert.

Interessant sind die Bezüge zur Geschichte der DDR, Fluchtversuch, Austausch politischer Gefangener etc. Das wird gut vermittelt. Von einer Bekannten habe ich mir sagen lassen, dass auch die häufig erwähnten Einrichtungsgegenstände absolut typisch gewesen seien, die hätten ihre Eltern auch gehabt, u. a. das Pastellgemälde des Wiener Schokoladenmädchens oder eine Vase aus Meißner Porzellan. Diese Objekte spielen im Roman eine wichtige Rolle und gerade die Symbolik der Vase ist wirklich gut gemacht.

Alles in allem ein Unterhaltungsroman, der mir etwas zu "leicht" in der Sprache war, stellenweise einfach unglaubwürdig und mit Geheimnissen und Verschwiegenheit überfrachtet. Geschmäcker sind bekanntlich verschieden und dieser Roman hat eine große Fangemeinde. Mir hat "Die Erfindung der Sprache" von der Autorin wesentlich besser gefallen, das Buch kann ich sehr empfehlen, es ist völlig anders geschrieben.

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