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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 23.07.2019

Liebe auf den ersten Blick

Kurt, Einhorn wider Willen 1. Wer möchte schon ein Einhorn sein?
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Inhalt:

Gerade liegt Kurt, das Einhorn, auf der Wiese und möchte ein wenig vor sich hindösen. Doch Ruhe ist ihm nicht gegönnt. Denn ein kleiner Vogel, der sich mit dem Namen Trill einführt, hüpft unentwegt ...


Inhalt:

Gerade liegt Kurt, das Einhorn, auf der Wiese und möchte ein wenig vor sich hindösen. Doch Ruhe ist ihm nicht gegönnt. Denn ein kleiner Vogel, der sich mit dem Namen Trill einführt, hüpft unentwegt vor seiner Nase herum. Kurts blaue Augen seien schon ein wenig kitschig, bemerkt Trill. Kurt ist selbstredend genervt. Doch Trill gibt nicht auf und kackt direkt auf Kurts Kopfkissen aus Gras. Hohn und Spott eskalieren, als Trill lästert, ein Einhorn müsse Namen wie Andromeda, Diamant oder Abendstern tragen. Aber doch nicht so etwas profanes wie Kurt. Wo kämen wir denn da hin.
Kurt erhebt sich, dreht dem Vogel den Rücken zu und trabt davon. Doch Trill ist hartnäckig. Er braucht Hilfe und zwar von einem echten Einhorn. Schließlich können diese Tiere fliegen und zaubern. Eine Prinzessin sei in Gefahr. Der Prinz halte sie auf seinem Schloss gefangen, verkündet Trill. Kurt müsse einfach helfen sie zu befreien.
Doch Kurt hat so gar keine Lust, den Retter in der Not zu spielen. Die Rechnung hat er jedoch ohne Trill gemacht, der der Absicht die ihm eigene Hartnäckigkeit entgegensetzt.
Trill beruft sich auf einen ominösen Pakt. Und nun hat Kurt keine Wahl mehr. Denn der Pakt besagt, dass er einer Prinzessin in der Not helfen muss. Und dann ist da noch dieses lästige Mitgefühl, dass ständig seine Sinne verwirrt und seine Nüstern ganz lila färbt.



Im Detail:

Kurt hat es als Einhorn nicht einfach. Wenn er seinen Schweif schüttelt, dann rieselt daraus ein rosa glitzernder Sternenschauer hervor und seine Pupse riechen nach Rosenduft. Das ist schon ziemlich peinlich. Und dann gibt es da noch diesen Vogel namens Trill, der ihn dazu überreden möchte, einer Prinzessin in Not zu helfen. Trill lästert über Kurts Namen, kackt auf sein Kopfkissen aus Gras und fordert dazu auf, ihn auf die große Rettungsmission zu begleiten, ja eine Superheldenrolle anzunehmen.

Kurt ist total genervt und antwortet auf die penetranten Provokationen des Vogels mit zynischen Kommentaren. Irgendwann gibt er auf. Gemeinsam ziehen Trill und Kurt los, um ein großes Abenteuer zu bestehen.

Chantal Schreiber erschafft mit Kurt – Wer möchte schon ein Einhorn sein, ein humorvolles Abenteuer in einer abstrusen, überhöhten Welt, die anfangs nur darauf ausgelegt zu sein scheint, jedes mögliche Klischee von Superhelden zu widerlegen.

Einige der Figuren hängen im Stereotyp fest, aus dem sie eigentlich gerne ausbrechen würden. Neben Kurt gibt es beispielsweise eine Prinzessin, die einen ganzen Haushalt von pinkfarbenem Geschirr besitzt, aber eigentlich viel lieber graue Hemden, grüne Hosen und Männerstiefel trägt und einen Prinzen, der lieber den Schurken spielt und gar nicht so nett ist, wie man es von Prinzen eigentlich ersteinmal erwarten würde.
Und dann gibt es auch noch Figuren, die den/die Leser/in zum Staunen bringen. Wie einen Ninja-Goldfisch, einen Tausenflössler und ein Riesenferkel.

Liebevolle Zeichnungen von Stephan Pricken geben den Charakteren ein Gesicht.



Fazit:

Ist es euch auch schon mal so ergangen, dass ihr euch beim ersten Blick in ein Buch verliebt habt? Mir ist es so bei „Kurt – Wer möchte schon ein Einhorn sein?“ ergangen. Auf den ersten Blick ist die ironisch erzählte Geschichte bereits ein Hingucker. Der Illustrator Stephan Pricken macht das Werk optisch zum Genuss, ohne den Lesefluss zu beeinträchtigen.

Das Spiel mit dem Klischee setzt den Ton des Buches. Der Blick auf Identität als Konstrukt kommt hier urkomisch daher. Dabei schafft Chantal Schreiber es intelligente Unterhaltung für Jung und Alt zu bieten, die zu keinem Zeitpunkt zu kindisch oder zu erwachsen wirkt.

Für mich ein Buch, an dem man einfach nicht vorbeigehen kann und das im Vorleseregal einfach nicht fehlen sollte.

Veröffentlicht am 15.07.2019

Ein starker Abschluss

Das Herz aus Eis und Liebe
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Inhalt:

Nachdem der Schwarze Clan gestellt und Okami dem neuen Kaiser überstellt wurde, bleibt Mariko nichts anderes übrig, als ein Lügenkonstrukt aufzubauen. Sie gibt sich als Gefangene des Clans und ...

Inhalt:

Nachdem der Schwarze Clan gestellt und Okami dem neuen Kaiser überstellt wurde, bleibt Mariko nichts anderes übrig, als ein Lügenkonstrukt aufzubauen. Sie gibt sich als Gefangene des Clans und deren Opfer aus. Sie beteuert ihre Liebe zu Raiden, dem Halbbruder des neuen Kaisers Roku, der nach dem Mord an seinem Vater die Thronfolge angetreten hat.

Für Mariko ist es nicht einfach die Lüge weiterzuführen. Überdies muss sie herausfinden, wer sich verschworen hat, sie an jenem Tag im Wald umzubringen. Nicht zuletzt möchte sie die Frage klären, warum dem Schwarzen Clan diese Tat in die Schuhe geschoben wurde. Zuvorderst wäre da allerdings Okami aus seiner Gefangenschaft zu befreien.

Die Handlung eskaliert, als Hochzeits- und Hinrichtungstermin immer näher rücken. Mariko muss handeln, wenn sie Okamis Hinrichtung verhindern möchte. Doch der Kaiser scheint jeden ihrer Schritte genauestens zu verfolgen. Mit jedem Fehltritt würde sie ihr eigenes Todesurteil besiegeln.
Ein Tanz auf Messers Schneide.



Im Detail:

Die Geschichte von "Das Herz aus Eis & Liebe", dem zweiten und finalen Band dieser spannenden japanischen Fantasyreihe aus der Feder von Renée Ahdieh, spielt in erster Linie am kaiserlichen Hof. Nach dem Mord am Kaiser, regiert nun dessen leiblicher Sohn Roku, der im Gegensatz zu seinem Halbbruder fanatisch und sadistisch wirkt. Roku interessiert sich nicht für die am Hof ausgetragenen Intrigen und die offenen politisch-theologischen Kämpfe. Sein Fokus liegt darauf seinen Gefangenen zu brechen und Rache für das Unrecht zu nehmen, das seiner Familie angetan wurde. Während Roku mit Freude neue Foltermethoden an Okami ausprobiert, versucht Mariko Fluchtpläne zu schmieden. Ihre Möglichkeiten sind jedoch stark begrenzt. Roku misstraut ihr und wartet nur auf ihren ersten Fehltritt.

Die einzige Möglichkeit Zugang zu den Zellen zu gewinnen und Kontakt zur Außenwelt und somit vielleicht auch zum Schwarzen Clan zu erlangen, besteht für Mariko darin, ihren zukünftigen Gemahl und somit den besten Freund und Vertrauten des Kaisers, Raiden, zu bezirzen. Doch Raiden reagiert zunächst verstockt auf ihre galanten Avancen und ist seinem Bruder treu ergeben. Schnell ist klar, dass auch hier ein falsches Wort oder ein falscher Schritt Marikos Untergang bedeuten würden.

In jeden Fall läuft die Zeit gegen die Figuren des Buches (der Hochzeitstermin zwischen Raiden und Mariko und auch die Hinrichtung Okamis rücken immer näher), was für einen immensen Spannungsbogen innerhalb der Geschichte sorgt. Während Mariko für ihre große Liebe kämpft, werden am Hofe Gewalt und Destruktivität zum politischen Prinzip. Leid und Tod erfahren noch einmal eine ungeheuerliche Steigerung.

Japan, das Land der Ninjas, der Samurais und Geishas, der verrückten Pflegeroboter und Mangas, übt ja schon seit jeher Faszination auf die europäische Leserschaft aus. Auch der vorliegende Roman lebt vom Reiz des „Fremden“, des „Anderen“, sowie der schnörkellosen Sprache der japanischen Literatur.



Fazit:

Auch in der Kürze liegt manchmal die Würze. So auch im Fall der Fantasyreihe von Renée Ahdieh, die mit zwei Bänden auskommt. Auf 431 Seiten entsteht eine mitreißende Dynamik, die die Lektüre zu einem fesselnden Ereignis macht.

Der Autor passt die persönlichen Leiderfahrungen der Protagonistin in eine Welt des Schmerzes ein, die sehr kultursensibel gezeichnet ist.

Am Ende bleibt nach unterhaltsamer, packender Lektüre ein Gefühl von Atemlosigkeit zurück, das man sonst nur in Thrillern erlebt.



Buchzitate:

Ein Grinsen hob eine Seite von Ökamis Gesicht und betonte eine diagonale Narbe durch seine Lippen. „Mein Geist lebt auf einem Berg. Deiner lebt auf einem Feld. Sollte der Berg vor dem Feld niederknien?“

Er hatte sie damals auch verflucht. Obwohl jeder einzelne seiner Tagträume ihr galt. Selbst wenn der Duft vorbeifliegender Orangenblüten ihn zum Lächeln brachte.

Er würde Mariko nicht riskieren. Nicht für jeden Nachthimmel der Welt. Nicht einmal für einen einzigen Stern.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Geschichte
  • Erzählstil
  • Figuren
  • Spannung
Veröffentlicht am 26.06.2019

Ein grandioser Darkromance-Thriller

Going Under
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Inhalt:

Der Selbstmord ihrer besten Freundin Beth lastet immer noch schwer auf Brooke. Schließlich war Brooke diejenige, die eine heimliche und sehr intensive Affaire mit Beths damaligem Freund Finn ...

Inhalt:

Der Selbstmord ihrer besten Freundin Beth lastet immer noch schwer auf Brooke. Schließlich war Brooke diejenige, die eine heimliche und sehr intensive Affaire mit Beths damaligem Freund Finn hatte. Der Streit, der damals zwischen den Freundinnen ausbrach, mag vielleicht nicht der Auslöser für den von Beth gewählten Freitod gewesen sein, doch Brooke weiß, dass sie spätestens in dem Moment, in dem Beth ihr mitteilte, dass sie Opfer einer Vergewaltigung geworden ist, die Beziehung zu Finn hätte abbrechen müssen.

Nach dem Tod ihrer besten Freundin zieht Brooke zu ihrem Vater. Dort besucht sie die Highschool, auf der auch Cal, Beths vermeintlicher Peiniger, unterrichtet wird. Brooke beginnt daraufhin einen Racheplan zu schmieden, der sie immer mehr von den Menschen, die ihr noch Halt geben könnten, entfernt. Weiß man wirklich, wem man gerade begegnet, dem Freund oder dem Feind?



Im Detail:

Auf der Beerdigung ihrer besten Freundin Beth stößt Brooke mit einem Jungen zusammen, der sich kurz darauf als Ryan bei ihr vorstellt. Nach Beth Tod war für Brooke klar, dass sie versuchen wird, den Fall aufzuklären und Rache zu nehmen.
Brooke hat daher keine Zeit für eine Beziehung. Sie kann sich romantische Gefühle für einen Jungen nicht erlauben. Denn ihr Plan ist es, näher an Cal heranzukommen, um diesen als Vergewaltiger zu entlarven.

Nach dem Treffen auf der Beerdigung begegnet Brooke Ryan jedoch noch einige Male wieder. Auch wenn sie es anfangs nicht wahrhaben will, muss sie sich doch eingestehen, dass sie Gefühle für den Jungen entwickelt. Ein Date, was ist schon dabei?! Doch bei diesem einen Date bleibt es nicht. Die sich entwickelnde Ménage à trois droht ihre Rachepläne zu durchkreuzen.

Aber Brooke ist ein Mensch, der sich nicht so schnell von ihren Plänen abbringen lässt. An der Schule fällt ihr Blick immer wieder auf Mädchen, die unglücklich wirken. In Momenten der Einsamkeit, halluziniert Brooke von Beth. Um Frieden mit diesem Teil der Vergangenheit zu schließen, muss Brooke etwas gegen den Jungen unternehmen, der, so scheint es bald, nicht nur einem Mädchen Gewalt angetan hat.

Umso tiefer Brooke in die Ermittlungen gegen Cal einsteigt, desto mehr gerät sie in einem Sumpf ohne Boden. Sie trifft auf Schüler für die im Zweifelsfall der Korpsgeist wichtiger ist als das Gesetzbuch.

Going Under ist, das wird schon nach dem Lesen der ersten Seiten schnell klar, etwas anders als „normale“ Darkromancegeschichten. Es spart nicht vollkommen an Sexszenen und ausschweifenden Orgien. Der Leser denkt eher an die romantischen Liebesszenen, Verschwörungen, Geheimgesellschaften und die kriminalistische Handlung zurück.

Mit Brooke lernt der Leser einen Charakter kennen, den er vermutlich nicht gleich ins Herz schließen wird. Brooke wirkt über die Seiten hinweg von ihrer Idee Rache zu üben, nahezu besessen. Bald schon betrachtet sie fast jeden Menschen, der ihr begegnet, skeptisch.
Ihr Exzess läuft jedem Konzept von Ausgleich und Wiedergutmachung zuwider. In ihrer Kalkulation der Rache geht etwas schief: Der Versuch, erlittenes Unrecht mit Gegenunrecht zu kompensieren, geht nicht auf.

Auch passiert es, dass sich Brooke in gedanklichem Dialogen mit Beth verliert. Andererseits fehlt es der Figur nie an psychologischer Glaubwürdigkeit.



Fazit:

S. Walden schreibt mit Going Under einen grandiosen Darkromance-Thriller. Im wirklichen Leben geschieht es höchst selten, dass sich das Opfer einer Vergewaltigung an dem Täter für die Untat rächt. Im Kino hat sich hingegen sogar ein eigenes Genre herausgebildet, das unter dem Etikett Rape-Revenge firmiert. Übernommen wurde hier das Grundprinzip dieser Formate, nämlich das der Vielschichtigkeit der Figuren, des Geschehens und seiner Ursachen.

Going Under ist ein psychologisch vielschichtiger, durchweg spannender Roman, der mit einer oft unterschwelligen Spannung arbeitet. Die Figuren sind lebendig und glaubwürdig.
Die Protagonistin schwebt beständig zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Ein Verfahren, das den Leser nötigt, Stück für Stück Lebensgeschichte zu rekonstruieren.

S. Walden packt den Leser langsam, aber unnachgiebig, um ihn dann in die stillen Untiefen ihrer Geschichte hinab zu ziehen.
S. Walden ist eine Autorin, von der ich gerne noch viele Bücher lesen möchte. Für mich hat sie hier einen rundum grandiosen Roman geschrieben.

Veröffentlicht am 04.06.2019

Eine Autorin, deren Bücher man einfach gelesen haben muss

Mein Leben basiert auf einer wahren Geschichte
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Inhalt:

Rosa hat sich mit ihrer Reise nach Australien sehr schwer getan. Vor der Abreise musste sie ihre Zweifel überwinden. Auch bei der Ankunft in Sydney wird es nicht besser. Heimweh und Einsamkeit ...

Inhalt:

Rosa hat sich mit ihrer Reise nach Australien sehr schwer getan. Vor der Abreise musste sie ihre Zweifel überwinden. Auch bei der Ankunft in Sydney wird es nicht besser. Heimweh und Einsamkeit überkommen sie. Doch dann lernt Rosa Frank in einem Hostel kennen. Einen Jungen, der gerne Biolatschen trägt, Jazz und instrumentale Musik hört und in sich zu ruhen scheint. Frank scheint wie ein alter Mann, der in dem Körper eines Jungen steckt.
Bald schon kommen sich Frank und Rosa näher. Sie beschließen sich gemeinsam einen Camper zu kaufen und Australien auf eigene Faust zu erkunden. Es ist der Beginn einer aufregenden Reise. Doch gerade, als Rosa den ersten Schritt wagt und einen zaghaften ersten Kuss versucht, klingelt das Telefon. Frank begeht einen Fehler, den er sich später noch oft vorhalten wird. Er unterbricht den Kuss und nimmt das Gespräch an. Am anderen Ende meldet sich David. Dieser ist Franks bester Freund, der eigentlich mit Frank diese große Reise nach Australien antreten wollte und dann auf den letzten Drücker abgesprungen ist.
David, der sprachgewitzte Womanizer, ist so ganz anders als Frank. Gutaussehend, intelligent, aufgeschlossen. Wenn David neben Frank erscheint, dann rückt Frank automatisch in den Hintergrund. In dem Moment, in dem David seine Absicht bekundet, nach Australien nachzureisen und die ménage à trois ins Rollen kommt, wird für Frank schnell klar: In dieser Konstellation kann er nur der Verlierer sein.



Im Detail:

Anne Freytag beschreibt in "Mein Leben basiert auf einer wahren Geschichte" die Erlebnisse von Frank, David und Rosa, die sich gemeinsam auf einen Roadtrip durch Australien wagen.

Mit Davids Eintreffen in Australien zerbricht die zarte Bindung, die Rosa und Frank innerhalb weniger Tage aufgebaut haben. David zeigt Wohlstandsverwahrlosung und eine zynische Freiheitsromantik. Das Leben, so wie er es kennt, ist voll von Bedeutungslosigkeit. Bedeutungslose Gespräche, bedeutungslose Beziehungen und bedeutungslose Freundschaften durchziehen den Alltag seiner Elten und mittlerweile auch sein eigenes Leben. Das führt dazu, dass David von einer inneren Wut beherrscht wird. David gibt die Rolle als Provokateur. Er hat alles, aber fühlt nichts, so seine Worte.

Frank ist das genaue Gegenteil. Er ist bei seinem Großvater aufgewachsen, der ihm seine moralischen Grundsätze vermittelt hat. Von ihm hat er sich abgeschaut seine Gedanken aufzuschreiben, Bücher zu lesen und Dinge zu überdenken. Frank denkt, wo David handelt, er ist still, wo David laut ist. Er mag Bücher, David mag Filme. Er steht früh auf, während David lieber ausschläft. Frank ist der Nerd, David der Frauenheld. Vielleicht sind es gerade diese Gegensätzlichkeiten, die beide aneinander schätzen.

Rosa befindet sich charakterlich irgendwo zwischen Frank und David. Sie geht Dinge an, wenn sie es von ihr erfordern. Sie spricht Themen an, wenn diese danach verlangen. Sie ist nicht ganz so offen wie David, aber zugleich auch nicht so verschlossen wie Frank.

Als David und Rosa sich das erste Mal auf dem Dach des Campers alleine begegnen, prallen sie verbal aufeinander. Davids überhebliches Auftreten ist Rosa zuwider. Drei ist einer zuviel und das weiß Rosa genau in dem Moment, als Frank sich gegen den Kuss und für das Telefonat mit David entscheidet.

Auch David und Frank ahnen, dass diese Dreierkonstellation de facto eine Büchse der Pandora, ja eine Zeitbombe ist. Jeder der drei Mitreisenden weiß, dass einer gehen muss und dennoch mag keiner den ersten Schritt machen. Weder möchte Frank seinen besten Freund fortschicken, noch traut Rosa sich, sich zwischen die beiden besten Freunde zu stellen. David hingegen weiß, was er zu tun hat, doch irgendwie möchte er nicht gehen. Denn Rosa ist ein Mädchen, das so ganz anders ist, als die Frauen, die er bisher kennengelernt hat. Sie ist rebellisch, sie ist kein bisschen schüchtern und sie versucht nicht ihm zu gefallen. Sie ist intelligent, sinnlich und reflektiert zugleich.

Bald schon müssen Frank, David und auch Rosa begreifen, dass diese Reise nur funktionieren kann, wenn alle ein wenig zurückstecken. Sie fassen einen Kompromiss: Es wird keine tiefergehenden Gefühle geben. Nur Freundschaft. Doch ob so etwas wirklich funktionieren kann?

Anne Freytags Buch wirkt so, als sei es direkt dem Leben abgelauscht. Sie berichtet von der Musik, die im Hintergrund läuft, wenn die Charaktere auf dem Dach ihres Campers frühstücken oder Weihnachten mit einer Pizza am Strand feiern. Hinzu kommen die wunderschönen Zeichnungen am Anfang ihrer Kapitel, die auf einzelne Elemente der Geschichte anspielen.



Fazit:

Dieses Buch ist eine witzige und traurige, poetische und aufmüpfige Geschichte. Eine, die man erstmal sacken lassen muss. Freytags Stärke ist die Beschreibung der Hauptfiguren, die zu Menschen mit Persönlichkeit und Charakter werden, denen man teilnahmsvoll durch das Buch folgt. Dies gelingt durch die behutsam gezeichnete Verletzlichkeit der Figuren. Das Buch ist trotzdem auch ein Roadtrip im klassischen Sinne vor der traumhafter Kulisse Australiens.

Kurz: Ein geistreicher, humorvoller Roman mit Tiefgang.



Buchzitate:

Mein Großvater sagte immer, das Leben beginnt da, wo die Angst endet. In den Sekunden, in denen wir die Möglichkeiten sehen und nicht das, was dagegenspricht.

David ist in Sydney. In meiner Welt. Sein Anruf kam wie eine Tornadowarnung. Wie eine schlechte Nachricht in einem perfekten Moment.

Veröffentlicht am 22.05.2019

Regt zum Nachdenken an

Dry
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Inhalt:

Als Alyssa den Wasserhahn aufdreht, kommt kein einziger Tropfen heraus. Zunächst hält sie ihren Vater, den Heimwerker-Avantgardist, für verantwortlich. Doch kurz darauf erfährt Alyssa, dass dem ...

Inhalt:

Als Alyssa den Wasserhahn aufdreht, kommt kein einziger Tropfen heraus. Zunächst hält sie ihren Vater, den Heimwerker-Avantgardist, für verantwortlich. Doch kurz darauf erfährt Alyssa, dass dem nicht so ist. Die Medien berichten, dass die Nachbarstaaten Kalifornien die Wasserversorgung gekappt haben. Eine Information, die auf die Stimmung in Nachbarschaft und Familie drückt. Nachdem der erste Schock überwunden ist, fährt die Familie ins nahegelegene Einkaufszentrum. Dort finden sie aber nur noch leere Regale. Die Familie überlegt, wie sie sich vorläufig versorgen kann. Hilfe von der Bundesagentur für Katastrophenschutz (FEMA) lässt auf sich warten. Durchhalten ist das Gebot der Stunde.

Die „Helden“ in Krisenszenarien sind ja bekanntlich die Außenseiter des Alltags. Nur in wenigen Ländern boomt das Geschäft mit der Apokalypse so wie in den USA. Sogenannte Prepper bauen Bunker und sammeln Waffen und Lebensmittel, um für den großen Tag X bereit zu sein. Auch Alyssas Nachbarn, die McCrackens, sind vorbereitet. Der Sohn der Familie, Kelton, war für Alyssa immer ein Freak. Seine Hobbys reichen von Paintball über dronengesteuerte Luftaufklärung bis hin zu Exkursionstouren mit einem Nachtsichtgerät. Was Alyssa jedoch bislang nicht ahnte, war, dass Kelton ein Auge auf sie geworfen hatte. Nun ist sein Tag gekommen. Endlich kann er dem Mädchen zeigen, was in ihm steckt.

Als Alyssas Eltern aufbrechen, um sich über eine Hilfsorganisation mit neuen Wasservorräten zu versorgen, ist Alyssa auf sich selbst gestellt. Gemeinsam mit ihrem Bruder Garret, der zu kindlichen und manchmal naiven Taten neigt, versucht sie die Wartezeit zu überbrücken. Irgendwann muss sie sich eingestehen, dass Keltons Fähigkeiten ihr Überleben sichern könnten.

Der Tap Out, wie die Presse und die Einwohner die eingetretene Wasserknappheit nennen, hat gerade erst begonnen. Viele Menschen werden schon jetzt an die Grenze des Existenzminimums getrieben und versuchen um jeden Preis, ihr Leben zu bewahren. Dabei scheuen sie auch nicht vor Gewalt zurück, wie Alyssa später noch am eigenen Leib erfahren muss. Doch es wird auch schnell deutlich, dass viele dieser verzweifelten Menschen eine Familie zu ernähren haben und so förmlich gezwungen sind, etwas gegen ihre Notsituation zu unternehmen, auch wenn dies bedeutet, um ein Glas Wasser zu kämpfen.



Im Detail:

Es fing langsam an. Zuerst wurden Gesetzesinitiativen gegen leichtfertige Verschwendung von Wasser ins Leben gerufen. So wurde zum Beispiel das Befüllen von Swimmingpools untersagt. Doch nur wenige der Einwohner von Kalifornien haben sich diese ersten Warnungen wirklich zu Herzen genommen. Als von einem Tag auf den anderen das Wasser abgestellt wird, brechen panikartige Zustände aus. Die Supermärkte sind überlaufen. Jeder möchte sich einen Vorrat an Wasser oder/und anderen Getränken zulegen.

Neil & Jarrod Shusterman erzählen die Geschichte von „Dry“ unter anderem aus der Perspektive von Alyssa, einem Mädchen, das gemeinsam mit ihrem jüngeren Bruder, dem zugezogenen Onkel, ihren Eltern und einem treuen Familienhund das Glück der Normalität erfahren durfte.
Von einem Tag auf den anderen muss die Familie versuchen, genau, wie die anderen Einwohner Kaliforniens, mit der gekappten Wasserversorgung klarkommen. Ziemlich schnell stellt sich heraus, dass die freundlichen Nachbarn von nebenan plötzlich gar nicht mehr so zuvorkommend sind. Jeder denkt nun noch an sein eigenes Überleben. In Einkaufszentren reißt man sich die Wasserflaschen gegenseitig aus der Hand. In den Straßen herrscht eine aggressive Stimmung.

Eine weitere Perspektive ist die von Kelton. Alyssas Nachbarn und dem Sohn der Familie McCracken. Kelton hat schon früh von seinem Vater gelernt, dass es wichtig ist, sich auf jedes Worst-Case-Szenario vorzubereiten. So sind die Fensterscheiben des Hauses der McCrackens mit einseitig schussfestem Glas ausgestattet, diverse Fallgruben sichern das Grundstück und ein eigens dafür entwickelter Stromgenerator sorgt für die Stromversorgung in Krisenfällen. Jeden Tag werkelt der Vater in der Garage herum und entwirft neue Waffen. Nur für den Fall der Fälle. Als Kelton also dem Mädchen, für das er schon lange schwärmt, seine Hilfe anbietet, ist diese erstmal skeptisch. Doch bald schon muss Alyssa einsehen, dass Keltons Fähigkeiten und sein Wissen über das Überleben in Krisensituationen nun durchaus der Schlüssel zum Überleben sein könnte.

Im weiteren Verlauf zeigen die Autoren weitere Perspektiven auf. So lernt man hier Jacqui, eine knallharte, gut aussehende Ex-Schulstreberin, die in der Vergangenheit in leerstehende Häuser reicher Leute eingebrochen ist, kennen. Auch Henry, ein Krisengewinnler, wird eingeführt.

Interessant sind auch die kurzen Kapitel mit der Überschrift Snapshot. In diesen Kapiteln liefern Neal & Jarrod Shusterman einen kleinen Einblick in die Schicksale anderer Bewohner Kaliforniens. So wird hier z.B. eine Familie vorgestellt, die versucht aus der Tap-Out-Zone auszubrechen oder ein Mann, der einen Wassertransporter zu einer Einrichtung bringen soll, die als „kritische Infrastruktur“ klassifiziert wurde.



Fazit:

Der Klimawandel ist ein ernstes Problem. Die Faszination des Themas und die Debatten, die sich darum bilden, sind jedoch oft nur durch wissenschaftliche Erkenntnis begründet. Anschlussmöglichkeiten des Katastrophischen an die Schicksale realer Menschen sind Romanen vorbehalten. In ihrem Roman „Dry“ nehmen sich Neil & Jarod Shusterman dieser Aufgabe an. Sie schreiben einen stark dystopisch geprägten Roman, den man als Warnliteratur lesen kann. Der Roman wirft ein erhellendes Schlaglicht auf die absurde Psyche von uns Menschen. Wären wir vollkommen rational, dann reagierten wir auf Bedrohungen wohl eher mit Vernunft statt mit Zügel- und Maßlosigkeit. Aber so funktioniert der Mensch nicht. Und so sind wir offenbar dazu verdammt, in Abgründe zu schauen, um uns schließlich zusammenzureißen.
Die Geschichte ist denkbar realistisch angelegt. Es gibt hier keine strahlenden Helden, und keine der Figuren ist über jeden Zweifel erhaben.
Das Ergebnis ist ein Roman, den man nicht weglegen will, dessen Seiten wie im Flug vergehen, und der nicht nur Umweltbewegte zum Nachdenken anregen wird.



Buchzitate:

Es ist seltsam, dass Kelton alles über diese anarchische Welt weiß, während Jacqui bereits darin gelebt zu haben scheint.

„Und wie lange bereitet ihr euch schon auf die Apokalypse vor?“ „Eine Weile“, sage ich. „Der Weltuntergang ist eine Art Familienhobby.“

„Das braucht wahrscheinlich einige Stunden zum Aushärten, deswegen solltest du vorsichtig sein, wenn du das Eis hineinlegst“, sagt er mit sehr viel mehr Begeisterung, als jemand wegen Silikondichtstoff entwickeln sollte.