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Veröffentlicht am 15.09.2025

Vielschichtiger Familienroman

Weiße Wolken
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Yande Secks Roman Weiße Wolken ist ein eindrucksvoller moderner Familienroman, der die Geschichte der Schwestern Dieo und Zazie erzählt – Töchter einer deutschen Mutter und eines senegalesischen Vaters. ...

Yande Secks Roman Weiße Wolken ist ein eindrucksvoller moderner Familienroman, der die Geschichte der Schwestern Dieo und Zazie erzählt – Töchter einer deutschen Mutter und eines senegalesischen Vaters. Als dieser stirbt, reisen die beiden Frauen zur Beerdigung in sein Heimatland – eine Reise, die nicht nur geographisch, sondern vor allem emotional große Distanzen überbrückt.

Im Mittelpunkt stehen zwei sehr unterschiedliche Frauenfiguren, die auf je eigene Weise mit den Erwartungen der Gesellschaft, ihrer eigenen Identität und den Spuren der Vergangenheit ringen. Dieo, Mutter eines kleinen Kindes, zweifelt an sich und ihrer Rolle als Mutter. Ihre Gedanken kreisen um Selbstbestimmung, Fürsorge und das Idealbild einer „guten Mutter“, das sie ständig zu unterlaufen scheint. Zazie hingegen kämpft mit alltäglichem Rassismus und Sexismus – sowohl subtilen als auch offenen Formen – und reflektiert dabei scharf und wütend über gesellschaftliche Normen, Ungleichheiten und Zuschreibungen.

Seck gelingt es meisterhaft, komplexe Themen wie Rassismus, Mutterschaft, Sexismus und familiäre Rollenerwartungen vielschichtig und mit einer bemerkenswerten Leichtigkeit zu verhandeln. Dabei verzichtet der Roman auf platte Stereotype oder erhobene Zeigefinger. Stattdessen lässt er unterschiedliche Perspektiven zu Wort kommen, gibt Raum für Widersprüche und bringt so die Dynamik moderner Familienkonstellationen und gesellschaftlicher Diskurse authentisch zum Ausdruck.

Trotz der Schwere mancher Themen bleibt Weiße Wolken erstaunlich humorvoll. Mit scharfem Witz, pointierten Dialogen und liebevoll gezeichneten Nebenfiguren schafft Seck es, den Leser*innen immer wieder ein Schmunzeln zu entlocken – auch inmitten von Schmerz und Konflikt.

Weiße Wolken ist ein ebenso kluger wie berührender Roman über Herkunft, Verlust, Weiblichkeit und das Suchen nach dem eigenen Platz in der Welt. Ein Buch, das zum Nachdenken anregt, ohne belehrend zu sein – und dabei auch noch wunderbar unterhält. Absolut lesenswert.

Veröffentlicht am 15.09.2025

Die Zukunft der Demokratie

Gesellschaftsspiel
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In Gesellschaftsspiel entwirft Dora Zwickau ein ambitioniertes Gedankenexperiment: Ein Tech-Milliardär – klug, medienwirksam und visionär – beschließt, mit seinem Vermögen die Demokratie neu zu erfinden. ...

In Gesellschaftsspiel entwirft Dora Zwickau ein ambitioniertes Gedankenexperiment: Ein Tech-Milliardär – klug, medienwirksam und visionär – beschließt, mit seinem Vermögen die Demokratie neu zu erfinden. Sein Projekt trägt den Namen „Syndicate“ und soll in der thüringischen Stadt Weimar erprobt werden – einem historisch und kulturell aufgeladenen Ort, der hier zur Kulisse eines politischen Feldversuchs wird.

Im Mittelpunkt der Geschichte stehen drei Frauen: Isabelle, ihre Schwester Annika und deren Tante Dagmar. Sie alle leben in Weimar und erleben das „Syndicate“-Experiment auf sehr unterschiedliche Weise – als Beobachterinnen, Mitgestalterinnen oder Kritikerinnen. Ihre Perspektiven bilden das emotionale und erzählerische Zentrum des Romans. Zwickau gelingt es, ihre Lebensgeschichten mit psychologischer Tiefe und erzählerischer Nähe zu zeichnen – es sind keine Heldinnen, sondern glaubhafte Frauen mit Brüchen, Zweifeln und Hoffnungen.

Stilistisch überzeugt Gesellschaftsspiel vor allem in diesen Passagen über die drei Frauen. Der Erzählfluss ist ruhig, die Sprache präzise und einfühlsam. Zwischen diesen Abschnitten streut die Autorin immer wieder Kapitel ein, die aus Chats, Zeitungsartikeln oder Reden bestehen – ein moderner Kniff, der das Buch mit dokumentarischer Vielfalt anreichert, gelegentlich aber auch den Lesefluss stört und stilistisch etwas uneinheitlich wirkt.

Inhaltlich ist Gesellschaftsspiel als gut gemeinte Dystopie angelegt – kein drastisches Zukunftsszenario, sondern eine leise, realitätsnahe Kritik an bestehenden politischen Strukturen. Das Buch stellt wichtige Fragen: Wie reformierbar ist unsere Demokratie? Welche Rolle spielen Macht, Geld und Technologie in einer politischen Neuausrichtung? Und was bedeutet Mitbestimmung in einer durchdigitalisierten Gesellschaft?

Trotz dieser spannenden Ausgangslage bleibt der Roman in seinen Antworten oft vage. Das „Syndicate“-Modell wird angedeutet, aber nie ganz entfaltet. Viele Ideen wirken schwammig, es fehlt an konkreter Vision oder Systematik. Vielleicht ist das beabsichtigt – um die Offenheit der Zukunft zu spiegeln –, dennoch hätte man sich an manchen Stellen mehr Klarheit und Tiefe gewünscht.

Fazit: Gesellschaftsspiel ist ein vielschichtiger Roman über gesellschaftliche Utopien und persönliche Realitäten. Er überzeugt durch seine starken Figuren und die sensible Darstellung ihrer Lebenswege. Als politische Dystopie bleibt das Buch jedoch hinter seinen Möglichkeiten zurück – es benennt die Probleme, skizziert Alternativen, lässt aber zu viele Fragen offen. Trotzdem: ein lesenswerter Beitrag zur aktuellen Debatte über Demokratie, Macht und Teilhabe.

Veröffentlicht am 15.09.2025

Die Zukunft der Demokratie

Gesellschaftsspiel
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In Gesellschaftsspiel entwirft Dora Zwickau ein ambitioniertes Gedankenexperiment: Ein Tech-Milliardär – klug, medienwirksam und visionär – beschließt, mit seinem Vermögen die Demokratie neu zu erfinden. ...

In Gesellschaftsspiel entwirft Dora Zwickau ein ambitioniertes Gedankenexperiment: Ein Tech-Milliardär – klug, medienwirksam und visionär – beschließt, mit seinem Vermögen die Demokratie neu zu erfinden. Sein Projekt trägt den Namen „Syndicate“ und soll in der thüringischen Stadt Weimar erprobt werden – einem historisch und kulturell aufgeladenen Ort, der hier zur Kulisse eines politischen Feldversuchs wird.

Im Mittelpunkt der Geschichte stehen drei Frauen: Isabelle, ihre Schwester Annika und deren Tante Dagmar. Sie alle leben in Weimar und erleben das „Syndicate“-Experiment auf sehr unterschiedliche Weise – als Beobachterinnen, Mitgestalterinnen oder Kritikerinnen. Ihre Perspektiven bilden das emotionale und erzählerische Zentrum des Romans. Zwickau gelingt es, ihre Lebensgeschichten mit psychologischer Tiefe und erzählerischer Nähe zu zeichnen – es sind keine Heldinnen, sondern glaubhafte Frauen mit Brüchen, Zweifeln und Hoffnungen.

Stilistisch überzeugt Gesellschaftsspiel vor allem in diesen Passagen über die drei Frauen. Der Erzählfluss ist ruhig, die Sprache präzise und einfühlsam. Zwischen diesen Abschnitten streut die Autorin immer wieder Kapitel ein, die aus Chats, Zeitungsartikeln oder Reden bestehen – ein moderner Kniff, der das Buch mit dokumentarischer Vielfalt anreichert, gelegentlich aber auch den Lesefluss stört und stilistisch etwas uneinheitlich wirkt.

Inhaltlich ist Gesellschaftsspiel als gut gemeinte Dystopie angelegt – kein drastisches Zukunftsszenario, sondern eine leise, realitätsnahe Kritik an bestehenden politischen Strukturen. Das Buch stellt wichtige Fragen: Wie reformierbar ist unsere Demokratie? Welche Rolle spielen Macht, Geld und Technologie in einer politischen Neuausrichtung? Und was bedeutet Mitbestimmung in einer durchdigitalisierten Gesellschaft?

Trotz dieser spannenden Ausgangslage bleibt der Roman in seinen Antworten oft vage. Das „Syndicate“-Modell wird angedeutet, aber nie ganz entfaltet. Viele Ideen wirken schwammig, es fehlt an konkreter Vision oder Systematik. Vielleicht ist das beabsichtigt – um die Offenheit der Zukunft zu spiegeln –, dennoch hätte man sich an manchen Stellen mehr Klarheit und Tiefe gewünscht.

Fazit: Gesellschaftsspiel ist ein vielschichtiger Roman über gesellschaftliche Utopien und persönliche Realitäten. Er überzeugt durch seine starken Figuren und die sensible Darstellung ihrer Lebenswege. Als politische Dystopie bleibt das Buch jedoch hinter seinen Möglichkeiten zurück – es benennt die Probleme, skizziert Alternativen, lässt aber zu viele Fragen offen. Trotzdem: ein lesenswerter Beitrag zur aktuellen Debatte über Demokratie, Macht und Teilhabe.

Veröffentlicht am 11.09.2025

ruhig und rau

Das Geschenk des Meeres
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Julia R. Kellys Roman Das Geschenk des Meeres entführt die Leserinnen und Leser in das raue, windumtoste Küstendorf Skerry an der schottischen See – ein Ort, der ebenso stur und verschlossen sein kann ...

Julia R. Kellys Roman Das Geschenk des Meeres entführt die Leserinnen und Leser in das raue, windumtoste Küstendorf Skerry an der schottischen See – ein Ort, der ebenso stur und verschlossen sein kann wie seine Bewohner. In einer ruhigen, beinahe poetischen Erzählweise entfaltet Kelly eine vielschichtige Geschichte, die sich auf zwei Zeitebenen entfaltet und dabei tief in die Abgründe und Sehnsüchte ihrer Figuren blickt.

Im Mittelpunkt steht Dorothy, eine alleinstehende Frau, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Skerry kommt, um als Lehrerin zu arbeiten. Ihre Ankunft stößt im konservativen Dorf auf Misstrauen – eine alleinstehende Frau ist hier ein Fremdkörper, jemand, der beobachtet und beurteilt wird. Trotz der Skepsis der Dorfbewohner baut Dorothy sich ein Leben auf, heiratet einen Mann aus dem Dorf und bekommt mit ihm einen Sohn, Moses. Doch ihr scheinbares Glück wird durch zwei tragische Verluste erschüttert: Ihr Mann verlässt sie – und Moses stirbt bei einem Sturm auf See.

Etwa 15 Jahre später bringt das Meer einen fremden Jungen an die Küste Skerrys – ein Junge, der Dorothy unheimlich an ihren verlorenen Sohn erinnert. Sie nimmt ihn bei sich auf, und obwohl sie ständig mit der Vergangenheit konfrontiert wird, entwickelt sich zwischen ihr und dem Jungen eine zarte, liebevolle Beziehung. Diese zweite Zeitebene eröffnet neue Perspektiven, stellt Fragen nach Herkunft, Erinnerung und Verlust – und gibt zugleich Hoffnung auf einen Neuanfang.

Kelly versteht es meisterhaft, die karge Schönheit der schottischen Landschaft in Worte zu fassen. Die Natur ist in diesem Roman mehr als Kulisse – sie ist Spiegelbild der inneren Zustände, der Einsamkeit und des Wandels, den die Figuren durchleben. Der Erzählstil bleibt durchweg ruhig und einfühlsam, mit großer Liebe zum Detail und einem feinen Gespür für Atmosphäre.

Besonders beeindruckend ist die Darstellung der gesellschaftlichen Zwänge, mit denen Frauen wie Dorothy zu kämpfen haben – ihre Selbstständigkeit wird misstrauisch beäugt, ihre Lebensentscheidungen ständig bewertet. Zugleich aber zeigt der Roman auch die kleinen Lichtblicke, etwa in der leisen, zarten Liebesgeschichte zwischen Dorothy und dem Fischer Joseph, die sich behutsam entwickelt.

Das Geschenk des Meeres ist eine stimmungsvolle, tiefgründige Geschichte über Verlust, Erinnerung und die Kraft der zweiten Chancen. Julia R. Kelly erzählt nicht laut, sondern leise – aber gerade darin liegt die Stärke dieses Romans. Hinter der rauen Fassade des Dorfes offenbaren sich Abgründe, Geheimnisse und menschliche Schicksale, die berühren und lange nachhallen.

Fazit: Ein atmosphärisch dichter Roman mit starker weiblicher Hauptfigur, sensibel erzählt und getragen von der Kraft der Natur und des Meeres. Wer Geschichten mag, die zwischen den Zeilen viel erzählen, wird dieses Buch lieben.

Veröffentlicht am 11.09.2025

Einblick in eine andere Welt

Monstergott
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Caroline Schmitts Debütroman Monstergott ist ein intensives, eindringliches Porträt zweier junger Menschen, die in einer konservativen Freikirche aufwachsen – und deren Glaubenswelt nach und nach ins Wanken ...

Caroline Schmitts Debütroman Monstergott ist ein intensives, eindringliches Porträt zweier junger Menschen, die in einer konservativen Freikirche aufwachsen – und deren Glaubenswelt nach und nach ins Wanken gerät.

Im Mittelpunkt stehen die Geschwister Esther und Ben, deren Kindheit und Jugend fast ausschließlich innerhalb ihrer christlichen Gemeinde stattfindet. Hier haben sie ihre Freunde, ihre Freizeitgestaltung, ihr gesamtes soziales Umfeld. Die Gemeinde ist kein Ort unter vielen – sie ist alles. Doch mit der Zeit beginnen beide, die starren Regeln, die rigide Moral und das Menschenbild der Gruppe zu hinterfragen. Ihre Zweifel wachsen, besonders dort, wo sich die konservativen Ansichten der Gemeinde mit ihrer eigenen Identität, ihren Wünschen und ihrer Sicht auf die Welt reiben.

Schmitt zeichnet ein differenziertes Bild einer Glaubensgemeinschaft, die sich nach außen modern und offen inszeniert – ein Pastor in Designerkleidung mit Bierglas in der Hand – und doch hinter der Fassade tief in alten patriarchalen und homofeindlichen Strukturen verhaftet bleibt. Die Diskrepanz zwischen Außenwirkung und innerem Zwang macht die Geschichte besonders beklemmend. Man leidet mit Esther und Ben, die Gott lieben, aber an einem Glaubenssystem zerbrechen, dem sie nie wirklich genügen können.

Monstergott ist keine Abrechnung, sondern ein feinfühliger, kluger Roman über Zugehörigkeit, Schuld, Zweifel und den schmerzhaften Weg zur Selbstbefreiung. Schmitt gelingt es, Empathie für fast alle Figuren zu wecken – selbst für jene, die Teil des Problems sind. Denn was als Glaube beginnt, kann zum Käfig werden, wenn nur Perfektion zählt.

Ein wichtiges, bewegendes Buch, das den Blick öffnet für die Mechanismen strenger religiöser Gemeinschaften – und für den Mut, sich von ihnen zu lösen.