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Veröffentlicht am 11.03.2025

Die letztlich unerfüllte Kinderwunschreise einer eher unreflektierten Frau

Lebensschlenker
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Mir fällt es schwer, eine Rezension über "Lebensschlenker" von Nova Meierhenrich zu schreiben. Das liegt darin, dass ich in meiner Beurteilung zwiegespalten bin. Einerseits habe ich großen Respekt vor ...

Mir fällt es schwer, eine Rezension über "Lebensschlenker" von Nova Meierhenrich zu schreiben. Das liegt darin, dass ich in meiner Beurteilung zwiegespalten bin. Einerseits habe ich großen Respekt vor allen, die so wie die Autorin mutig ihre eigene Geschichte teilen. Ihr Leben war in vielem nicht leicht, nicht nur hat sich ihr Kinderwunsch am Ende nicht erfüllt, sie hatte auch einen depressiven Vater, der sich am Ende das Leben genommen hat. Dafür hat sie mein Mitgefühl. Andererseits kann ich das Buch selbst nur teilweise empfehlen und insbesondere Menschen mit unerfülltem Kinderwunsch würde ich eher zu anderen Büchern raten.

Die bekannte Schauspielerin und Moderatorin Nova Meierhenrich teilt in diesem Buch ihren sehr persönlichen Kinderwunschweg. Ein Wunsch, der sich nicht erfüllt hat... auch mit allen Mitteln der modernen Kinderwunschmedizin konnte sie am Ende nicht Mutter werden und musste mit dem Thema abschließen.

Wir lernen schon ganz am Anfang des Buches eine sehr disziplinierte, planungs- und zielorientierte Frau kennen, die meint, im Leben alles kontrollieren und steuern zu können. Nova weiß, sie will Mutter werden, und zwar am besten von einer Tochter, die sie "Luka" nennen will, nach dem Lied von Suzanne Vega. Diese Vision von ihrem Leben trägt sie seit ihrer Jugend jahrzehntelang in sich: "Und wie an allen anderen Plänen meines persönlichen Lebens-Moodboards hatte ich auch keinerlei Zweifel daran, dass irgendwann Luka zu meinem Leben gehören würde." (S. 13) Was wäre eigentlich, wenn sie mit einem Sohn schwanger geworden wäre? Wäre sie dann eine der Frauen gewesen, die beklagen, wie sehr sie unter "Gender Disappointment" leiden?

Auch ist sie bereit, diesen Weg, wenn nötig, ohne einen Partner an ihrer Seite zu gehen. "Es mag befremdlich klingen, aber ich habe schon in meinen Zwanzigern gewusst: Im Zweifel mache ich es allein. Mein Kind und ich." (S. 20). Doch noch nicht "jetzt", jetzt ist erst einmal die berufliche Karriere dran, reisen, feiern, Selbstverwirklichung. In dem Weltbild der Autorin sollte Kinder-Kriegen kein Problem sein, solange alle biologischen Parameter stimmen.

Um das sicherzustellen, lässt sie schon ab ihren frühen 30ern regelmäßig gynäkologisch ihren Anti-Müller-Hormon-Wert bestimmen. Dieser ist bei ihr ausgezeichnet, sie habe die Werte einer 10 Jahre jüngeren Frau, meinen die Ärzte, deshalb wiegt sie sich in Sicherheit, noch sehr lange problemlos Kinder bekommen zu können. Sie wartet bis zum reifen Alter von 42 Jahren, bis sie überhaupt ihre Kinderwunschreise startet, mangels passenden Partners an ihrer Seite als Solo-Mutter und mit Samenspende in Dänemark, da dieser Weg zu dieser Zeit in Deutschland rechtlich noch nicht erlaubt ist.

Sie wählt aus der riesigen Samenspenderbank den ihr am idealsten erscheinenden Spender aus, "Gordon", und unternimmt mit dessen Samen mehrere Versuche, erst einmal einer Insemination, in der Kinderwunschklinik. Schwanger wird sie nicht. Zwischenzeitlich muss sie weitere Samenhalme besorgen, doch jener von "Gordon" ist ausverkauft, was sie erst einmal in eine Krise stürzt, da sie sich innerlich schon so auf "Gordon" eingestellt hat. Doch schließlich entscheidet sie sich für einen weiteren Spender, und später noch einen weiteren, da auch dieser ausverkauft ist, und weitere Versuche. Irgendwann probiert sie dann IVF und ICSI aus, das klappt aber auch alles nicht, bis sie dann schließlich mit Mitte 40 bei einer Reise zum Nordkap mit ihrem unerfüllten Kinderwunsch abschließt.

Das macht drei Viertel des Buches aus. Danach folgen noch ein paar kurze Beiträge anderer Frauen - meist aus dem beruflichen und privaten Umfeld der Autorin - und Statements zu deren Leben als freiwillig Kinderfreie, nach einer Fehlgeburt oder als lesbische Frau im Co-Parenting mit einem schwulen Mann. Das soll die Vielfalt der möglichen Wege in Bezug auf das Kinder-Thema aufzeigen. Insgesamt plädiert die Autorin für einen toleranteren, freieren Umgang mit dem Thema und für mehr Sensibilität in Bezug auf ungefragte Kommentare und Nachfragen dazu.

Ich muss ehrlich sagen, sonderlich sympathisch war mir die Autorin in diesem Buch nicht. Sie hat einen gewissen Humor und einen lockeren, frischen Schreibstil, wirkt aber wenig reflektiert und nicht sehr zugänglich. Sie ist sehr überzeugt davon, dass die Selbstbestimmung der Frau über ihr Leben über allem steht - zweifellos ein wichtiger Wert, aber sie wirkt auf mich wie eine recht einsame Frau, die insbesondere die Perspektive des Kindes zu wenig in Betracht zieht (aber zumindest will sie sich für eine offene Spende entscheiden, damit das Kind mit 18 die Möglichkeit hat, seine Abstammung zu erfahren).

Von ihrem Kinderwunschweg erzählt sie außer ihrer Mutter und einer einzigen Freundin jahrelang niemanden. Stürzt sich währenddessen in Partyleben und unverbindliche Dates und sucht dabei bewusst nur nach Männern ohne Kinderwunsch, diesen will sie ja alleine verwirklichen: Mit einem Partner gemeinsam hätte sie nur ein Kind bekommen, wenn sie den absolut perfekten Partner dafür gefunden hätte, was ihr - wie so gut wie allen Menschen mit diesen Vorstellungen - natürlich nicht gelungen ist.

Was mich aber am meisten geärgert hat an dem Buch, weil es Lesende, die sich noch nicht viel mit dem Thema auseinandergesetzt haben, in die Irre führen könnte, ist der geringe Wissensstand der Autorin über den Faktor Alter beim Kinderwunsch. Nicht nur am Anfang ihrer Kinderwunschreise, sondern auch noch beim Verfassen des Buches. So ist es ihr bis heute unerklärlich, warum sie letztlich kinderlos geblieben ist, obwohl sie erst mit 42 gestartet ist (in einem Alter, in dem statistisch auch mit Unterstützung von Kinderwunschkliniken die Erfolgschancen schon sehr gering sind).

Der gute AMH-Wert lässt sie daran glauben, viel länger als andere Zeit zu haben mit dem Kinder-Kriegen. Dabei lässt sie außer acht, dass dieser nur wenig über die (mit dem Alter meist stark abnehmende) Qualität der Eizellen aussagt, sondern nur über die Quantität, und auch stark schwanken kann. Dieses Thema wird im Buch überhaupt nicht behandelt oder kritisch reflektiert, stattdessen meint sie, an "idiopathischer", unerklärter Sterilität zu leiden (daran würden sehr viele leiden, wenn diese dadurch definiert wäre, dass man erst mit 42 zum ersten Mal versucht, schwanger zu werden, und es dann nicht mehr klappt).

Hoffnungslos naiv war schon der Beginn der Kinderwunschreise: selbst, als sie schon den Entschluss dazu gefasst hatte, hat sie noch weitere zwei Jahre gewartet (gerade zwischen 40 und 42 gibt es statistisch einen enormen Fruchtbarkeitsabfall), um alles medizinisch und finanziell genau zu planen, bevor sie dann mit 42 überhaupt den ersten Versuch unternimmt, schwanger zu werden. Traurig genug, dass niemand die Autorin genauer über diesen Faktor Alter aufgeklärt hat, als sie mit ihrem Weg begonnen hat (oder sie es nicht hören wollte? Das klingt auch immer wieder im Buch durch). Mich als Leserin macht es ärgerlich, dass sie es auch in der Reflexion in diesem Buch nicht mehr betont und sich nicht erklären kann, warum es nicht mehr geklappt hat.

Sprachlich ist das Buch sehr umgangssprachlich geschrieben, so schreibt die Autorin beispielsweise immer wieder vom "Loslaufen", wenn es um den Start ihrer Kinderwunschreise geht: "Und so stießen wir an Weihnachten 2015 gemeinsam an, als ich ihr erzählte, dass ich losgelaufen bin. 2016 sollte DAS Jahr werden. Ich war bereit." (die Autorin ist Jahrgang 1973).

Auch inhaltlich ist es keine Offenbarung... wir lesen über den Weg der Autorin und eingestreut, sowie in den Geschichten am Ende, leidenschaftliche Plädoyers dafür, dass jede Frau ihren eigenen Weg auf der Kinderwunschreise gehen und dabei gesellschaftlich unterstützt werden sollte. Kritisch betrachtet wird kaum etwas, auch nicht das Thema der Solo-Mutterschaft, zu dem nur angemerkt wird, es gäbe erste Studien, dass das Kindern nicht schaden würde (dem eine Vielzahl an Studien zu den gesundheitlichen und sonstigen Risiken, denen Kinder, die vaterlos aufwachsen, ausgesetzt sind, gegenüberstehen - das erwähnt sie aber nicht). Fundierte medizinische Informationen über die Kinderwunschreise oder auch nur wissenschaftliche Quellenangaben sucht man vergebens.

In meinem Umfeld habe ich viele Menschen mit unerfülltem Kinderwunsch. Diesen empfehle ich dieses Buch ausdrücklich nicht, denn sie könnten sich über einige der erwähnten Themen und die mangelnde Selbstreflexion der Autorin sehr ärgern, vor allem aber auf nicht hinterfragte Fehlinformationen stoßen, so wie die Autorin selbst. Ich wüsste auch nicht wirklich, wie dieses Buch jemanden mit unerfülltem Kinderwunsch abgesehen von Binsenweisheiten unterstützen könnte. Somit empfehle ich das Buch nur jenen, die sich insbesondere für Nova Meierhenrich und ihr Leben interessieren, aber von dem Thema persönlich nicht sonderlich betroffen sind.

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Veröffentlicht am 10.03.2025

Tiefgründige und spannende Familiengeschichte in wunderschönem Natursetting

Stromlinien
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"Stromlinien", das neue Buch von Rebekka Frank, hat ein wunderschönes Cover, wie ich es selten gesehen habe: ein Boot mit einer paddelnden jungen Frau darin. Hinter ihr ist das Wasser türkisblau, also ...

"Stromlinien", das neue Buch von Rebekka Frank, hat ein wunderschönes Cover, wie ich es selten gesehen habe: ein Boot mit einer paddelnden jungen Frau darin. Hinter ihr ist das Wasser türkisblau, also eher seicht und ungefährlich, während vor ihr tieferes, dunkelblaues Wasser liegt, ein Bild für die Reise ins Unbekannte, das auch gefährlicher sein kann. Dazu noch die Stromlinien, die auch haptisch eingezeichnet sind.

Dieses Cover beschreibe ich so genau, weil es für mich sinnbildlich für dieses Buch steht: es ist eine zutiefst atmosphärische, vielschichtige und tiefgründige Familiengeschichte, die so spannend erzählt wird, dass es auch auf über 500 Seiten keine Sekunde langweilig ist. Ein Buch, das ich geliebt und verschlungen habe, und nach dessen Lektüre ich zwei Sachen sicher weiß: demnächst besorge ich mir auch das erste Buch dieser talentierten Autorin. Und ich würde am liebsten eine Reise in die Elbmarsche buchen, so schmackhaft hat mir das Buch diese Gegend gemacht!

Die Elbmarsche, die Gegend an der Elbe und an ihrem Nebenfluss Lühe, zwischen Hamburg und der Nordsee, dorthin versetzt uns dieses Buch. Und es versetzt uns so eindrücklich dorthin, dass ich auch nach dem Zuklappen der Buchdeckel immer noch die Bilder lebhaft in meinem Kopf habe und mit Enna die Elbe und Lühe im Boot auf- und abfahre. So viel habe ich über diese mir unbekannte Gegend gelernt: wie sehr die Gezeiten des Meeres noch weit in diese Flusslandschaft hineinwirken, sodass mehrmals täglich die Strömung des Wassers ihre Richtung ändert. Wie die Menschen diese Landschaft verändert haben, sodass der ursprünglich relativ flache Fluss Elbe nun eine bis zu 17 Meter tiefe Fahrrinne in der Mitte hat, in der die riesigen Containerschiffe zum Meer fahren oder von dort zurückkommen können, während der Fluss an den Rändern nach wie vor recht flach ist. Wie sich das auf das Ökosystem dort auswirkt und den Fluss aber auch gefährlicher macht, da dadurch zusätzliche Strömungen und Strudel entstehen. Und noch so vieles mehr.

Meine Begeisterung für dieses Buch geht tief, und dabei habe ich noch gar nicht begonnen, die eigentliche Geschichte kurz zu schildern: da gibt es die 17-jährigen Zwillinge Enna und Jale, die bei ihrer Großmutter Ehmi aufwachsen, da ihr Mutter Alea im Gefängnis sitzt. Alea ist dort seit 38 Jahren, und die Zwillinge wissen nicht einmal, was ihr vorgeworfen wird, es hat ihnen niemand gesagt, in der Familie herrscht Schweigen über dieses Familiengeheimnis, und noch über so einige weitere, die erst im Laufe des Buches gelüftet werden.

Enna und Jale haben, wie viele Zwillinge, eine extrem enge Bindung zueinander, erzählen sich alles, haben eigentlich keine Geheimnisse voreinander, verstehen sich ohne Worte... bis es auf einmal nicht mehr so ist. Denn an dem Tag, an dem die Mutter aus dem Gefängnis entlassen werden soll und auf den die Zwillinge so hingefiebert haben, taucht nicht nur die Mutter Alea nicht auf... nein, auch Jale verschwindet in der Nacht davor spurlos, sodass Enna alleine vor der Gefängnispforte steht.

Besonders macht das Buch, neben den tollen Naturbeschreibungen, dass wir die Familie aus verschiedenen Perspektiven kennen lernen: über jedem Kapitel steht, in welcher Zeit wir gerade sind, und es gibt neben vielen Kapiteln aus der Jetzt-Zeit im Sommer 2023 auch solche aus der Zeit, als Alea jung war und es zu ihrer Inhaftierung kam (1984/85), aus der Zeit danach, aber auch aus Ereignissen in der Familiengeschichte, die weit früher zurückreichen, bis zu 100 Jahre, und dennoch bis heute ihre Auswirkungen haben.

Psychologisch besonders interessant sind die pathologischen Persönlichkeitsmuster, die sich durch die Familie ziehen und bisher nicht reflektiert und aufgearbeitet wurden, aber von außen gut zu erkennen sind: fast alle Familienmitglieder neigen zu Distanziertheit und Verschlossenheit in ihren Beziehungen zueinander und zu anderen, aber auch zu einer aufbrausenden Impulsivität, die zu Übersprungshandlungen mit manchmal drastischen Konsequenzen führen kann. Dieser Persönlichkeitszug eint sie, doch ansonsten sind es ganz unterschiedliche Charaktere, die authentisch gezeichnet werden, sodass man sie sich gut vorstellen kann, mit ihnen mitfiebert und sich ihnen verbunden fühlt.

Insgesamt ist "Stromlinien" also ein Meisterwerk, das auf so vielen Ebenen überzeugt: Familiendynamik, Charakterdarstellung und -entwicklung, Dramaturgie und Spannungsaufbau, Multiperspektivität und authentisches Hintergrundsetting in den bezaubernden Elbmarschlandschaften. Wie im Nachwort ersichtlich wird, hat die Autorin für das Buch akribisch recherchiert, und so kann man bei der Lektüre auch einiges über verschiedene Themen lernen, denn auch, wenn die Figuren fiktiv sind, haben so einige Hintergrundinformationen einen wahren Hintergrund.

Ich empfehle dieses Buch allen, die anspruchsvolle Literatur und tiefgründige Familienromane mögen, aber auch denen, die sich einfach gut unterhalten lassen möchten, dieses Buch bietet das alles! Besonders mögen werden es außerdem alle, die die Natur lieben und insbesondere Flüsse und Wasser lieben.

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Veröffentlicht am 07.03.2025

Dieses Buch weiß nicht, was es sein will

Die Zeit der Fliegen
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"Zeit der Fliegen", das neue Buch von Claudia Pineiro, knüpft lose an ihr vor etwa zwei Jahrzehnten erschienenes Werk "Ganz die Deine" an, in dem Inés die Geliebte ihres Mannes ermordet und dafür für 15 ...

"Zeit der Fliegen", das neue Buch von Claudia Pineiro, knüpft lose an ihr vor etwa zwei Jahrzehnten erschienenes Werk "Ganz die Deine" an, in dem Inés die Geliebte ihres Mannes ermordet und dafür für 15 Jahre ins Gefängnis kommt. Nun ist Inés wieder aus dem Gefängnis draußen und hat gemeinsam mit ihrer Freundin Manca, die sie dort kennen gelernt hat, das Unternehmen FFF - Frauen, Fliegen, Finale - gegründet. Tatsächlich handelt es sich dabei eher um zwei lose verbundene Einzelunternehmen, die wenig miteinander zu tun haben, da es sich um komplett verschiedene Geschäftsbereiche handelt: Manca betreibt eine Detektei, während sich Inés mit Ungeziefervernichtung beschäftigt.

Dann bekommt Inés ein verlockendes, aber unmoralisches Angebot von einer Kundin. Diese bittet sie, ihr ein hochwirksames Gift zu besorgen, denn auch sie möchte jemanden ermorden. Es sieht so aus, als würde es sich um eine ähnliche Geschichte handeln wie die mit Inés' untreuem Ehemann und seiner Geliebten. Für sowas hat Inés Verständnis und könnte das Geld gut brauchen...

Soweit zum Inhalt, ohne an dieser Stelle spoilern oder mehr verraten zu wollen. Liest sich ja ganz spannend und hätte ein sehr interessanter Thriller werden können. "Ganz die Deine" mochte ich sehr, das war ein unterhaltsames Buch mit tiefschwarzem Humor und kurzen Kapiteln auf knapp 200 Seiten. Hohen literarischen Anspruch musste man daran nicht legen, aber das passte zum Genre.

Aber "Die Zeit der Fliegen", was soll denn das nun für ein Buch sein? Von Aufmachung und Umfang (mehr als 300 Seiten) kommt es als ein Buch mit mehr Anspruch daher. Aber die Figuren sind ziemlich flach gezeichnet und haben kaum nachvollziehbare Entwicklung. Inés ist in weiten Teilen äußerst unsympathisch, sie lehnt sowohl ihre Mutter als auch ihre Tochter ab, obwohl insbesondere letztere ihr nichts getan hat, außer sie aus nachvollziehbaren Gründen nur einmal im Gefängnis zu besuchen. Immer und immer wieder muss man die Bezeichnung "die Frau, die ich auf die Welt gepresst habe" lesen, wenn es um ihre Tochter geht. Diesen Ausdruck und ihre immerwährende Wiederholung empfand ich als abstoßend und in seiner Häufigkeit unnötig. Auch den Mord an der Geliebten ihres Mannes bereut sie keineswegs und ist überhaupt kaum selbstreflektiert.

Dazwischen finden sich im Buch sehr theoretisch klingende Exkurse über Feminismus & Queerness. Aus welcher Perspektive diese erzählt sind, blieb für mich beim Lesen unklar - Inés traue ich dieses Niveau an Bildung und Reflexionsvermögen nicht zu. Somit stehen diese Teile weitgehend unverbunden im Buch, und das gilt umso mehr für die Passagen eines Chores zu Medea, dessen Bedeutung sich höchstens ganz am Ende teilweise als Metapher zeigt, aber insgesamt nicht sehr passend ins Buch eingebettet ist.

Ich weiß nicht, ob die Feminismus-Exkurse interessant sein könnten für Menschen, die davon noch nichts gehört haben (vermute aber, für diese sind sie wiederum nicht anschlussfähig genug): für mich war nichts Neues dabei, ich habe diese Exkurse überwiegend als uninteressant und langatmig empfunden und sie haben immer wieder ansonsten spannende Stellen unterbrochen. Wobei es sicher bis zur Hälfte des Buches gebraucht hat, bis überhaupt irgendeine Spannung aufgekommen ist.

Wäre das nicht schon genug der Genrevermischung zwischen banaler Latino-Telenovela-Tragödie und dem Versuch, das Lesepublikum feministisch zu bilden, gibt es auch noch die Exkurse über die Fliegen. Seitenweise erfahren wir über deren Lebeweise und Verhalten. Bezug zum Buch - abseits des Titels - besteht nur sehr am Rande, wir lernen etwa, dass Inés sich ihr Wissen über Fliegen durch Lektüre im Gefängnis angeeignet hat, und sie vergleicht die vielen ihr verhassten Frauen in ihrem Leben mit diversen Fliegenarten, auch für ihre ungeliebte Tochter hat sie einen bösen Vergleich. Am Ende gibt es einen eher banalen Vergleich zur angeblichen Zeitwahrnehmung der Fliegen. Ansonsten sind diese Exkurse aber für alle, die keine große Leidenschaft für Fliegen haben, eher langweilig und unterbrechen oft ansonsten spannende Stellen.

Würde man also die feministischen und die Fliegenexkurse streichen und auch sonst das Buch von der Handlung her deutlich straffen, hätte es ein interessanter Thriller werden können, ein bisschen ähnlich wie "Ganz die Deine". Für ein literarisch hochwertiges Buch bräuchte es deutlich mehr Figuren- und Charakterentwicklung und einen glaubwürdigeren Plot - speziell am Ende wird alles hollywoodreif in letzter Minute actionmäßig aufgelöst.

3 Sterne für das Bemühen, verschiedene Genres miteinander zu verbinden und dabei eine spannende Geschichte zu erzählen, auch wenn das nur streckenweise gelungen ist. Und als Anerkennung dafür, dass die erwähnten feministischen Diskurse in Lateinamerika möglicherweise neuer sind als hierzulande, und dementsprechend mit der Kenntnis dieses kulturellen Hintergrundes lehrreicher und etwas anders zu bewerten sein könnten. Empfehlen kann ich das Buch insgesamt leider nicht.

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Veröffentlicht am 04.03.2025

Zerrissen zwischen der Liebe zur Mutter und den eigenen Prinzipien

Russische Spezialitäten
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Dmitrij Kapitelmans neues Buch "Russische Spezialitäten" macht nachdenklich, sehr, sehr nachdenklich. Über die Zeiten, in denen wir gerade leben. Über Desinformation, der doch so viel Glauben geschenkt ...

Dmitrij Kapitelmans neues Buch "Russische Spezialitäten" macht nachdenklich, sehr, sehr nachdenklich. Über die Zeiten, in denen wir gerade leben. Über Desinformation, der doch so viel Glauben geschenkt wird und gegen die selbst Fakten und eigene Erfahrungen nicht ankommen.

In diesem sehr persönlichen, vermutlich autofiktionalen Roman, lernen wir den Ich-Erzähler kennen, der mit seiner Familie seit Jahrzehnten in Leipzig lebt. Geboren ist der Autor in Kyjiw, hat dort aber nur wenige Jahre gelebt, bevor er gemeinsam mit den Eltern in den 90er Jahren nach Deutschland gekommen ist. Russisch ist die gemeinsame Mutter-Sprache der Familie, die Mutter ist ursprünglich in Sibirien geboren, hat dann ihre Kindheit in Moldawien verbracht und ist schließlich in die Ukraine gezogen, während der Vater jüdisch ist. Geschäftstüchtig haben die Eltern in Leipzig einen Laden für russische und ukrainische Spezialitäten aufgemacht und betreiben diesen 25 Jahre lang, auch der Sohn hilft dort aus. Der Laden ist auch ein Treffpunkt für die ukrainisch-russisch-jüdische Diaspora in Leipzig... bis er 2020 im Zuge der Coronakrise geschlossen wird.

Das Buch ist zweigeteilt, im ersten Teil geht es um den Alltag der Familie rund um diesen Laden. Im zweiten Teil reist der Ich-Erzähler in der heutigen Zeit, also schon während des tobenden Ukrainekrieges, in seine Geburtsstadt Kyjiw. Er möchte alte Bekannte treffen und ein paar Besorgungen machen, aber vor allem will er sich ein eigenes Bild der Lage dort machen und seine Mutter davon überzeugen, dass ihre von den russischen Propagandamedien geprägte Sicht der Dinge nicht stimmt.

Dieses Unterfangen wird leider erfolglos bleiben, zumindest an der Oberfläche. Die Mutter beruhigt den Sohn, ihm werde dort als Zivilist nichts passieren, denn Russland, das die Ukraine von bösen Mächten befreien wolle, beschieße ausschließlich militärische Ziele. Vielleicht beruhigt sie sich damit aber auch selbst, denn nach der Rückkehr des Sohnes aus der Ukraine gibt sie doch zu, wie erleichtert sie ist, dass er wohlbehalten heimgekehrt ist. Und wer weiß, vielleicht bringen die Erzählungen des Sohnes - er spricht mit vielen ukrainischen Freunden und Bekannten, muss selbst bei Bombenalarm in den Schutzbunker des Hotels, in dem er dort wohnt, und besucht auch selbst die Orte der Massaker wie z.B. Butscha, ihr nur von den russischen Medien geprägtes, verzerrtes Weltbild ja doch ein bisschen ins Wanken.

Es ist ein großartiger Roman, dem es gelingt, die Zerrissenheit des Autors zu zeigen: zwischen der tiefen Liebe zu seiner Mutter und seiner Fassungslosigkeit darüber, wie sehr sie ins Netz der russischen Propaganda geraten ist und noch die absurdesten Lügen über den Krieg nicht nur glaubt, sondern auch überzeugt weitererzählt. Damit zeigt der Autor auch etwas Bemerkenswertes auf: wie es möglich ist, mit den uns lieben Menschen in Verbindung zu bleiben, ohne all ihre Meinungen zu teilen... und wie wir Stück für Stück versuchen können, diese zu hinterfragen und unser Gegenüber zum Nachdenken zu bringen.

Auch sonst lernt man durch dieses Buch viel Interessantes, Berührendes und Nachdenklich-Machendes über die Ukraine heutzutage: über junge Männer, die nach nur wenigen Wochen im Krieg völlig verstümmelt zurückkehren, auf der Straße betteln und von fast allen ignoriert werden... über nicht mehr sehr fitte 50-jährige, die fürchten müssen, zwangsrekrutiert zu werden... über Mariupol, das dem Erdboden gleichgemacht wurde... und über Menschen in der Ukraine, für die Russisch bisher die Muttersprache war und die nun bewusst aus Abscheu vor dem russischen Aggressionskrieg und aus Solidarität mit der als Heimat angesehenen Ukraine Ukrainisch lernen und ihre Kinder in dieser Sprache aufziehen möchten.

Nachdenklich machen auch die Privilegien, die ein deutscher oder österreichischer Pass nach wie vor verleiht... nur dieser - und die Tatsache, dass er zusätzlich keinen ukrainischen Pass mehr besitzt - macht es dem Ich-Erzähler möglich, während des Krieges als junger Mann nicht nur in die Ukraine einreisen, sondern auch wieder ausreisen zu können, ohne zwangsrekrutiert zu werden.

Ja, dieses Buch macht sehr nachdenklich. Über das Glück des Zufalls und der Geburtslotterie, das es immer noch bedeutet, in Mitteleuropa zu leben, wo es (bis jetzt) keinen Krieg gibt. Über die Schrecken des Krieges, über Propagandageschichten und die, die auf diese hereinfallen (davon gibt es ja leider auch in Mitteleuropa genug Menschen, und nicht nur russischstämmige). Über die Verbindungen zwischen einzelnen Menschen, die wir uns nicht nehmen lassen müssen. Und über den Mut, für das einzustehen, was wir als wahr erkannt haben.

Ein großartiges Buch, ein wichtiges Buch, gleichzeitig humorvoll und spannend geschrieben: Leseempfehlung für alle, die am aktuellen Zeitgeschehen in Europa interessiert sind!

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Veröffentlicht am 03.03.2025

Wunderschöne Pinguinbilder und -informationen, als Ratgeber aber nichts Neues

Der Pinguin, der fliegen lernte
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Selten war ich bei einem Ratgeber so zwiegespalten in der Beurteilung wie bei diesem. Wunderschön ist die Aufmachung, schon das Titelbild des aus dem Wasser springenden Pinguins ist total inspirierend ...

Selten war ich bei einem Ratgeber so zwiegespalten in der Beurteilung wie bei diesem. Wunderschön ist die Aufmachung, schon das Titelbild des aus dem Wasser springenden Pinguins ist total inspirierend und macht Freude beim Ansehen. So geht es auch im Buch weiter, es gibt viele traumhaft schöne Bilder von Pinguinen, diese stammen von dem deutschen Naturfotografen Stefan Christmann. Diese Bücher anzusehen macht viel Freude! Interessant sind auch die eingestreuten Informationen über die Lebensweise der Pinguine, über ihr Paarungsverhalten, die gemeinsame Fürsorge beider Elternteile für die Jungen, aber auch über die Bedrohung ihres Lebensraumes durch den fortschreitenden Klimawandel. Was das angeht, habe ich also aus diesem Buch so einiges gelernt und diese Ebene würde 5 Sterne verdienen.

Die andere Ebene allerdings, der persönliche Ratgeber, ist für mich eine glatte Enttäuschung. Ich habe schon andere Bücher von Eckart von Hirschhausen gelesen, etwa sein Buch über Glück oder "Die Leber wächst mit ihren Aufgaben". Immer habe ich darin die fundierten Informationen, die praxisnah und humorvoll an ein breites Publikum vermittelt wurden, sehr geschätzt.

Aber hier, in diesem Pinguinbuch, was gibt es auf dieser Ebene Neues? Leider kaum etwas. Die altbekannte Pinguingeschichte, die der Autor schon an vielen anderen Stellen erwähnt hat und die für sich gesehen durchaus inspirierend ist, wird am Anfang kurz erwähnt. Klar, es ist wichtig, dass wir die richtige Umgebung für uns finden... soooo eine neue Botschaft ist das aber auch nicht mehr und es gibt schon genug andere und deutlich fundiertere und ausführlichere Bücher zu diesem Thema.

Ansonsten bewegt sich der Ratgeber aber auf einem absoluten Anfängerniveau für Menschen, die sich absolut noch nie mit Persönlichkeitsentwicklung beschäftigt haben. Alle anderen werden dort kaum etwas Neues finden. Die Lesenden werden aufgerufen, eine Standortanalyse zu machen, also sich zu fragen, wo sie sich gerade befinden in ihrem Leben. Fundiertere Übungen oder Anleitungen dazu gibt es aber nicht. Dann geht es um Themen wie "Was macht dir Freude?" oder "Wer ist dir wichtig?", aber auch diese eigentlich sehr essenziellen Fragen werden nur ganz kurz auf oberflächliche Art und Weise abgehandelt. Immer wieder wird zu banalsten Erkenntnissen abgeschweift, z.B. dazu, dass man beim Beobachten zweier sich datender Menschen im Café schnell an der Körpersprache erkennt, ob die beiden eine gemeinsame Basis haben. Verweise auf Studien oder Quellen sucht man übrigens im ganzen Buch vergebens.

Weiter geht es mit dem Kapitel "Wann haben andere Freude mit dir?", hier wird so gut wie gar nicht auf die gestellte Frage eingegangen und es werden gleich irgendwelche Anekdoten über Pinguine erzählt. Ganz nette Informationen, aber auf den Transfer in die Welt der Menschen wurde vergessen. Danach fordert das Buch natürlich - wie tausende andere Selbsthilferatgeber auch - zum "Sprung ins kalte Wasser" auf. Natürlich, und nichts Neues, und auch hier kaum weitere Informationen oder gar eine kritische Reflexion dieses Themas - als ob die Welt so eindimensional wäre und Mut das einzige, was allen fehlen würde (braucht nicht gerade in diesen Zeiten voll impulsiver Trumps, Musks und Co die Welt mehr Menschen mit Bedacht, die etwas länger nachdenken und nachspüren, bevor sie springen, und ob sie überhaupt springen möchten?).

Am Ende gibt es noch kurze "Pinguingeschichten" von Menschen, die unzufrieden mit ihrem Leben waren, etwas geändert haben und jetzt zufriedener sind. Auch die Geschichten nach diesem Strickmuster finden sich in der Selbsthilfeliteratur zuhauf.

Für den Persönlichkeitsentwicklungsteil gebe ich also nur einen Stern, hier habe ich absolut nichts Neues gefunden und hätte mir gewünscht, der Autor hätte sich etwas mehr Mühe gegeben, die doch interessanten Erkenntnisse zu den Pinguinen mit neuen, wissenschaftlich fundierten und auf nachweisbaren Quellen basierenden, Ergebnissen zu Persönlichkeitsentwicklung zu verbinden, doch leider Fehlanzeige. Mir kommt es vor, hier war es für jemanden mal wieder an der Zeit, ein Buch rauszubringen, doch es fehlte an Zeit, Energie und Liebe, sich diesem wirklich ausführlich zu widmen, schade.

Empfehlen kann ich das Buch also nicht wirklich, die wunderschönen Pinguinbilder alleine rechtfertigen für mich den Preis nicht, denn wer nur an diesen interessiert ist, ist besser beraten, sich gleich ein Buch mit ausschließlich Naturfotografien zu kaufen.

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