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Veröffentlicht am 03.08.2022

Mikrokosmus Kloster

Matrix
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England, 1158: Marie, die uneheliche Schwester Königin Eleonores, darf nach dem Tod ihrer Mutter nicht etwa an deren königlicher Seite ein neues Leben beginnen, sondern wird in ein abgelegenes Kloster ...

England, 1158: Marie, die uneheliche Schwester Königin Eleonores, darf nach dem Tod ihrer Mutter nicht etwa an deren königlicher Seite ein neues Leben beginnen, sondern wird in ein abgelegenes Kloster abgeschoben. Dort soll sie in der Vergessenheit versinken, doch Marie ist nicht nur durchsetzungsfähig, sondern auch mit einem wachen Geist und Weitsicht gesegnet, und so nutzt sie ihren Posten als Priorin nicht nur zum eigenen Vorteil.
Was hat mich dieser Roman abgeholt. Starke Frauenbilder in Romanen sind heutzutage ja ein wenig in Mode gekommen, werden aber immer wieder für mich zu abgeschmackt oder klischeehaft aufgezogen. Nicht so hier. Marie ist bis zum Tode ihrer Mutter mit sehr starken und unabhängigen Frauen aufgewachsen, und das hat sie zutiefst verinnerlicht. Das Kloster ist ein mehr oder weniger geschützter Mikrokosmus, in dem sie ihre Visionen entwickeln und auch verwirklichen kann. Nach und nach überzeugt sie nicht nur sich selbst, sondern ihre Mitschwestern, was Frauen alles können und auch leisten dürfen. Es ist wunderbar zu lesen, wie ihre und die Macht des Klosters nach und nach wachsen. Das alles erzählt die Autorin sehr kraftvoll, aber auch reduziert. Es wird nichts in großen, farbigen Bildern heraufbeschworen, sondern fein mit wenigen Worten beschrieben und trotzdem kommt man als Leser sehr schnell an. Ich fand diesen ruhigen Stil sehr stimmig mit der klösterlichen Atmosphäre.
Für mich war dieser Roman eines der Jahreslesehighlights bisher. Ganz große Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 27.07.2022

Über den Wolken

Kreiseziehen
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Die Zwillinge Jamie und Marian wachsen nach dem Tod ihrer Eltern bei ihrem Onkel eher unkonventionell auf. Immer an ihrer Seite ist Caleb, der von seiner alkoholabhängigen Mutter wenig beachtet wird und ...

Die Zwillinge Jamie und Marian wachsen nach dem Tod ihrer Eltern bei ihrem Onkel eher unkonventionell auf. Immer an ihrer Seite ist Caleb, der von seiner alkoholabhängigen Mutter wenig beachtet wird und so das wilde Trio vervollständigt. Marians großer Traum wird das Fliegen, sie setzt ihren Dickkopf ein um sich in dieser Männerdomäne zu behaupten. Schon die Suche nach einem Fluglehrer ist aufreibend, doch Marian wäre nicht Marian, würde sie nicht auch hier eine Lösung finden. Ihre Geschichte wird Jahrzehnte später auch von Hollywood aufgegriffen, und soll die Kinokassen füllen.
Shipsteads Roman liest sich über weite Strecken als hätte es Marian wirklich gegeben; ihre Figur vereint einige berühmte, aber auch vergessene Pilotinnen dieser Ära und setzt diesen so ein literarisches Denkmal. Ich war zunächst wirklich überrascht, dass Marian fiktiv ist, so realistisch und glaubhaft war ihre Geschichte. Die Autorin schreibt nicht nur sehr lebensecht, sondern auch detailreich, mühelos findet man sich in der Welt der Piloten zurecht. Ich war vom Erzählstil wirklich sehr angetan. Die Story entwickelt sich zu einem Abenteuerroman, der aktuelle Themen geschickt einfließen lässt, manchmal aber auch einfach zu viele Dinge unter einen Hut bringen will. Das wirkte teilweise wie ein Abarbeiten, hat aber zum Glück dem großen Ganzen nicht allzu sehr geschadet.
Marian ist nicht ganz leicht zu durchschauen, mal ist sie sehr taff und setzt sich gegen alle Widrigkeiten durch, in anderer Hinsicht steckt sie viel zurück. Die Beziehung zu ihrem Bruder ist ebenfalls nicht nur schwarzweiß, die Entwicklung der beiden habe ich gerne verfolgt. Der Erzählstrang in Hollywood rahmt die Grundstory zwar gut ein, ich fand ihn aber nicht sonderlich interessant, um nicht zu sagen überflüssig. Hadley wirkt ein bisschen mitleidsheischend angelegt, ich konnte ihrer Figur nicht so viel abgewinnen. Insgesamt hat mich Shipsteads Story aber wirklich abgeholt, und mich mit Marians Hoch- und Tiefflügen sehr gut unterhalten.

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Veröffentlicht am 02.07.2022

Berührender Erstling

Die Lüge
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Miki lebt nach dem Tod seiner Mutter bei seinem nun alleinerziehenden Vater. So die offizielle Version. Tatsächlich ist sein „Vater“ eigentlich sein Onkel, der ihn gemeinsam mit seinem langjährigen Partner ...

Miki lebt nach dem Tod seiner Mutter bei seinem nun alleinerziehenden Vater. So die offizielle Version. Tatsächlich ist sein „Vater“ eigentlich sein Onkel, der ihn gemeinsam mit seinem langjährigen Partner Lew großzieht. Doch in der homophoben Gesellschaft Russlands hält man die Wahrheit über seine Regenbogenfamilie besser gut versteckt. Nicht leicht für Miki, der zum Zeitpunkt der Adoption gerade einmal 5 Jahre alt ist, kaum Freunde hat und auch in den kommenden Jahren immer wieder Schwierigkeiten hat, sich einzufügen. Die ständigen Lügen, das ständige Versteckspiel hinterlassen zusätzlich ihre Spuren.
Mikita Franko hat einen Coming-of-Age-Roman mit Suchtpotential geschrieben. Vieles beruht auf eigenen Erfahrungen, was das Leseerlebnis noch intensiver macht. Miki ist trotz des Todes seiner Mutter ein recht fröhlicher Junge, aufgeweckt und er mag seinen Onkel/Ersatzpapa wirklich gerne. Beste Voraussetzungen eigentlich, aber die Lügen bedrücken ihn immer mehr; diese zunehmende Zerreißprobe wird hautnah am Leser ausgelassen, immer wieder hält man den Atem an, weil die Entlarvung des Familienlebens droht. Authentisch und glaubhaft ist dieses Versteckspiel, selbst die Kleinsten werfen mit homophoben Vorurteilen um sich, sodass man der Familie vor allem eines wünscht: dass niemand die Wahrheit herausfindet. Franko zeichnet ein schonungsloses Bild davon, was es heißt in Russland „anders“ zu sein und löst damit beim Leser immer wieder große Beklemmung aus. Trotzdem ist dieser Roman nicht nur bedrückend, sondern macht vor allem durch seinen lockeren und doch intensiven Stil, seinen wachsenden Ich-Erzähler und seine frische Art großen Spaß. Ein toller Debütroman.

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Veröffentlicht am 14.06.2022

Oh Danny Boy

City on Fire
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Ende der 60er Jahre liegen in Providence zwei Clans miteinander im Clinch: auf der eine Seite ein Ableger der italienischen Mafia, auf der anderen Seite die Irish Boys mit Danny Ryan in ihrer Mitte. Der ...

Ende der 60er Jahre liegen in Providence zwei Clans miteinander im Clinch: auf der eine Seite ein Ableger der italienischen Mafia, auf der anderen Seite die Irish Boys mit Danny Ryan in ihrer Mitte. Der hat in die Familie eingeheiratet und fühlt sich zudem seinem besten Freund verpflichtet; so ist er im Zentrum des Geschehens als sich die Lage mehr und mehr zuspitzt.
Der Auftakt zu Winslows neuer Trilogie liest sich nicht von alleine, aber Dranbleiben lohnt sich. Der Cast ist gerade zu Beginn noch etwas unüberschaubar, aber mit der Zeit lassen sich „die Iren“ und „die Italiener“ ganz gut auseinanderhalten. Das ein oder andere Klischee wird dabei schon bedient, aber nicht überstrapaziert. Danny ist ein ganz netter Kerl, er ist loyal zur Murphyfamilie, die ihn wie einen eigenen Sohn behandelt hat, fühlt sich sicherlich auch ein Stück weit verpflichtet mitzugehen. Trotzdem ist er kein Mitläufer, sondern hat auch seinen eigenen Kopf, das merkt man gerade an den Entscheidungen in der hinteren Buchhälfte. Als Leser hat man letztendlich aber doch immer wieder das Gefühl, dass seine Entscheidungen, ja eigentlich alle Entscheidungen der Figuren nichts am weiteren Fortgang der Geschichte geändert hätten. Der vorgezeichnete Weg wirkt unausweichlich, was bei mir die Spannung etwas rausgenommen hat. Mich hat die Handlung nicht komplett packen können, obwohl ich schon am weiteren Fortgang interessiert war.
Winslow schreibt etwas kühl, aber die sich zuspitzende Lage, die aufgepeitschte Grundstimmung kann er dennoch gut transportieren. Ich wurde mit seinem Stil trotzdem bis zuletzt nicht ganz warm, das hat bei anderen seiner Bücher deutlich besser harmoniert. Insgesamt habe ich City on fire schon mit Interesse gelesen, aber an einigen Kleinigkeiten habe ich mich dann doch gestört, sodass die große Begeisterung ausblieb.

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Veröffentlicht am 09.06.2022

Düsteres Wien

Das Mädchen und der Totengräber (Die Totengräber-Serie 2)
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Im Kunsthistorischen Museum lässt sich vieles aus dem Alten Ägypten bestaunen, vom Sarkophag über kostbare Grabbeigaben bis hin zur Mumie ist alles dabei. Doch eine der Mumien ist nicht tausende Jahre ...

Im Kunsthistorischen Museum lässt sich vieles aus dem Alten Ägypten bestaunen, vom Sarkophag über kostbare Grabbeigaben bis hin zur Mumie ist alles dabei. Doch eine der Mumien ist nicht tausende Jahre alt, sondern wandelte vor kurzer Zeit noch quicklebendig durch Wien: Professor Strössner. Ein Skandal, über den bei der Wiener Polizei Stillschweigen zu wahren ist. Einer der wenigen Insider ist Leo von Herzfeldt, der den Fall nun ganz diskret aufklären soll.

Das Wiedersehen mit Leo, Julia und Augustin hat fast keine Leserwünsche offen gelassen. Ein sehr lebendiges Wien (bis hin zum Dialekt), Lokalkolorit und Kurioses aus der Stadt machen die Handlung sehr authentisch. Pötzsch erzählt sehr ansprechend und man ist sofort im Geschehen. Wie schon im ersten Band war mir Leo nicht durch und durch sympathisch, seine etwas snobistische Art kommt schon immer mal zum Tragen. Auch seine Art Julia gegenüber lässt ab und an zu wünschen übrig. Aber die kann sich ja wehren, und macht auch sonst eine sehr gute und vor allem kluge Figur. Zusammen haben sie das Zeug dazu, den Mumienfall genauestens unter die Lupe zu nehmen, ebenso wie den Mord an einem vermeintlichen Stricherjungen. Langweilig wird es auf keinen Fall, man wird immer wieder von neuen Entwicklungen überrascht, vom Autor in düstere Wiener Ecken und menschliche Abgründe entführt. Soweit alles richtig gemacht.

Einen kleinen Wermutstropfen gab es dann aber doch: Augustin hätte definitiv mehr Raum gebrauchen können. Der schrullige und dabei sehr kluge Totengräber kommt zwar mit Auszügen aus seinem neuesten literarischen Werk zu Wort, live hätte er aber definitiv ein paar mehr Seiten für sich beanspruchen dürfen. Wenn eine Person schon titelgebend ist, sollte sie doch auch eine gewisse Rolle spielen. Ich hoffe, im nächsten Band wieder mehr von ihm zu lesen und freue mich schon jetzt auf ein kriminalistisches Wiedersehen mit den dreien.

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