Einmal ein Klavierkonzert spielen
Das Geheimnis der stummen KlängeDer Roman „Das Geheimnis der stummen Klänge“ von Dagmar Dusil erzählt von zwei Frauen, von deren Hingabe zur Musik, deren Leben aber nicht nur von Musik geprägt ist, sondern von Herkunft, familiären und ...
Der Roman „Das Geheimnis der stummen Klänge“ von Dagmar Dusil erzählt von zwei Frauen, von deren Hingabe zur Musik, deren Leben aber nicht nur von Musik geprägt ist, sondern von Herkunft, familiären und den politischen Lebensumständen in Rumänien als Ceausescu regierte.
Kurz zum Inhalt:
Erzählt wird das Leben von zwei begnadet begabten Pianistinnen, von Lavinia und Clara. Sie sind Mutter und Tochter, wissen aber durch widrige Lebensumstände nichts voneinander, bis sie sich eines Tages begegnen.
Das Cover mit den stilisierten Klaviertasten untermalt den Titel, das strahlende Hintergrundblau zieht den Blick auf sich. Das Buch erschien 2024 im Pop Verlag. Es gliedert sich inklusive Epilog in neun Abschnitte, die mit Überschriften versehen sind, jedoch nicht mit Orts- oder Zeitangaben. Die Handlung umfasst mehrere Jahrzehnte, beginnend mit Lavinias Kindheit bis zur Gegenwart. Die Schauplätze befinden sich vorwiegend in Siebenbürgen – Hermannstadt, Klausenburg, Katzendorf, Rîmnicul Vîlcea. Der Schreibstil ist flüssig, detailliert beschreibend, abwechslungsreich in mehrerer Hinsicht. Einerseits fügen sich die Ereignisse nicht chronologisch aneinander, Zeitebenenwechsel und Rückblenden prägen die Handlung. Andererseits ist auch der Erzählstil variabel, nicht vorwiegend im Imperfekt, sondern teils im Präsens, was ich als lebendiger empfand, wo man sich fast als ins Geschehen mit einbezogen fühlt. In die Handlung fließt viel über klassische Musik mit ein, sie stellt ja das Lebenselexier für die beiden Frauen dar. Auch die Lebensumstände in Rumänien sind anschaulich dargestellt, nicht nur in politischer Hinsicht, ob der Regentschaft von Ceausescu, sondern auch in ethnischer Hinsicht, über das Völkergemisch, u.a. die Minderheiten bestehend aus Roma, Ungarn und den deutschsprachigen Rumänen, den sogenannten Siebenbürger Sachsen.
Im Mittelpunkt des Romans steht Clara, in Rumänien geboren und aufgewachsen, lebt sie mittlerweile in Bamberg und ist ausgebildete Ärztin. Von Kind auf fühlte sie sich zu Musik hingezogen, wurde von ihren Adoptiveltern, einem Cellisten und einer Malerin, gefördert und sah einer strahlenden Karriere als Pianistin entgegen. Doch als sie 1987 mit 15 bei einem Klavierwettbewerb trotz bravourösem Auftritt aus ihr damals unerfindlichen Gründen keinen Preis erhielt, obwohl sie die Beste war, gab sie das Klavierspiel auf. Tief im Herzen sehnt sie sich nach wie vor danach, einmal im Leben ein Konzert spielen zu dürfen.
Parallel läuft die Geschichte von Lavinia, von Claras Mutter. Sie ist die Tochter eines Romamädchens, das vergewaltigt wurde. Nach vier Jahren im Waisenhaus wurde sie von einem Ehepaar adoptiert, wuchs geliebt und behütet in guten Verhältnissen auf. Ihr musikalisches Talent wurde gefördert und sie machte ihren Weg als erfolgreiche Pianistin. Nur die Schwangerschaft unterbrach ihre Karriere kurzfristig. Das Kind gab sie zur Adoption frei.
Nicht nur die Charakterzüge von Clara und Lavinia sind eingehend beschrieben, ihre Leidenschaft für Musik, wobei es bei Lavinia noch fanatischer wirkt. Clara erscheint sympathisch, lebendig. Sie kämpft dafür, ihren Traum zu verwirklichen. Lavinia lebt quasi nur für und in der Musik. Sie wirkt verschlossen, gefühlsarm und pflegt wenig zwischenmenschliche Beziehungen. Es sind auch die Nebenfiguren gut vorstellbar und lebendig gezeichnet, ihre Handlungen, Reaktionen und Aktionen nachvollziehbar und verständlich.
Es ist spannend zu verfolgen, wie Clara immer mehr über die Hintergründe erfährt, warum ihr der Erfolg damals verwehrt wurde, über Lügen, Betrug, aber auch über gewisse familiäre Zusammenhänge, die man ihr bislang verschwiegen hatte. Bis die Handlung letztlich dem Höhepunkt zusteuert: dem Zusammentreffen der beiden Frauen.
Mir hat dieser Roman sehr gut gefallen. Die Handlung ist exzellent aufgebaut, voller Spannung, Dramatik, tragisch, abwechslungsreich, mit unerwarteten Wendungen. Das Schicksal der Frauen berührte mich, ihre Hingabe an die Musik faszinierte mich und über Siebenbürgen bzw. Rumänien zur Zeit der kommunistischen Herrschaft habe ich bislang viel zu wenig gewusst.
Eine unbedingte Leseempfehlung meinerseits mit 5 Sternen.