Ein Must Read für Dystopie Fans
Wir Verlorenen„Wir Verlorenen“ von Jana Taysen ist heute druckfrisch im Kirschbuch Verlag erschienen und das Debüt der in Köln lebenden Autorin. „Wir Verlorenen“ ist ein dystopischer Jugendroman, der auch romantische ...
„Wir Verlorenen“ von Jana Taysen ist heute druckfrisch im Kirschbuch Verlag erschienen und das Debüt der in Köln lebenden Autorin. „Wir Verlorenen“ ist ein dystopischer Jugendroman, der auch romantische Klänge durchblitzen lässt. Ganz besonders besticht der Roman jedoch durch die philosophische Komponente, die in die Geschichte eingeflossen ist ohne gewollt zu wirken.
Das Buch spielt vier Jahre nach einer Pandemie, die von den Überlebenden nur als „Die Plage“ bezeichnet wird. Ganz plötzlich kam es in großen Teilen der Bevölkerung zu einer tödlichen Erkrankung mit kurzer Inkubationszeit. Die Gesellschaft und Wirtschaft, wie man sie vorher kannte, brach zusammen. Die Protagonistin Smilla und ihre kleine Schwester Jera sind zwei der Überlebenden. Ihre Mutter verstarb an der Plage. Ihr Vater war zu der Zeit dienstlich in Frankreich. Um ihn zu suchen, verließen die beiden Mädchen ihr Zuhause in Köln. Allerdings kamen sie nicht weit, da Jera einfach noch zu jung und schwach für einen solchen Fußmarsch war. In den Wäldern der Eifel stießen sie auf eine Familie, die dort Schutz suchte und wurden von ihnen aufgenommen. Eines Tages trifft Smilla auf Falk, ihren ehemaligen Nachbarn aus Köln. Kann sie ihm trauen? Was ist seit der Plage geschehen? Wer ist Falk heute wirklich?
Genauso spannend wie diese Frage, fand ich die Darstellung der postapokalyptischen Welt. All unsere heutigen technischen Erleichterungen gibt es nach der Plage nicht. Auch Geld hat keinen Wert mehr. Die Menschen tauschen die Dinge, die sie zwingend zum Leben brauchen untereinander. Vorräte für den Winter müssen angelegt werden. Man angelt, jagt und sammelt, um etwas zu essen zu haben. Ich fand es sehr atmosphärisch und authentisch beschrieben, wie diese „neue“ Welt funktioniert. Aber das Beschaffen von Nahrung und Kleidung war nicht das größte Problem, was die Überlebenden zu befürchten haben. Das Schlimmste sind die anderen Überlebenden! Es gibt in der Eifel mehrere Gruppierungen, die Angst und Schrecken verbreiten. Dazu gehören die „verlorenen Jungs“ und die „Sekte“. Die verlorenen Jungs sind eine Fußballmannschaft, die sich während des Ausbruchs der Plage zufällig in der Eifel aufhielt und sich nun mit Gewalt und Rücksichtslosigkeit nimmt, was sie möchten. Die „Sekte“ wiederum glaubt, Gott hat die Plage mit Absicht auf die Erde gebracht, um die Menschen für ihre Sünden zu bestrafen.
Durch die authentische Darstellung des Lebens versteht man auch Smilla sehr gut. Sie hofft, dass alles nur ein vorübergehender Zustand ist und die Welt, wie sie sie kannte, bald wieder aufgebaut wird. Sie kann nicht verstehen, wie manche einfach so tun als wäre alles in Ordnung oder einfach akzeptieren, dass die Welt sich verändert hat. Falk hingegen findet auch Vorzüge an der Zeit nach der Plage, oder viel mehr Missfallen an der Welt, wie sie zuvor war. Man besinnt sich seiner Meinung nach mehr auf die wirklich wichtigen Sachen im Leben. Immer wieder geraten die beide in Streit über ihre moralischen Ansichten.
Inhaltlich kann man gar nicht mehr sagen, ohne Gefahr zu laufen, zu spoilern, und das möchte ich auf jeden Fall vermeiden. Die Spannung der Geschichte war für mich persönlich komplett an Falks Figur gekoppelt. Gemeinsam mit Smilla hat man seine Gesellschaft herbeigesehnt und ihm dann doch wieder misstraut. Immer wieder zeigten sich zwei Seiten von Falk, die einfach nicht zueinander passen wollten. Smilla hingegen ist eine sehr sympathische Protagonistin und in meinen Augen auch eine echte Heldin. Wie sie sich und Jera in der Welt nach der Plage über Wasser gehalten hat und die Verantwortung für ihre kleine Schwester übernommen hat, hat bei mir eine große Bewunderung erzeugt.
Jana Taysen schreibt sehr bildlich und flüssig in überwiegend kurzen und prägnanten Sätzen. Ein sehr angenehmer Schreibstil. Sie beschreibt besonders die Gefühle der einzelnen Figuren sehr glaubwürdig und greifbar. Der innere Konflikt, den Smilla durchlebt nachdem sie auf Falk getroffen ist, ist nachvollziehbar und menschlich. Auf der einen Seite gibt Falk ihr Hoffnung, auf der anderen könnte es sein, dass sie durch ihn ihre Gruppe und ihre kleine Schwester in Gefahr bringt. Die Vorgeschichten der wichtigsten Figuren sind sehr gut in die restliche Handlung eingebettet. Genug um neugierig zu sein und nicht zu viel, um es langweilig werden zu lassen.
Gegen Ende nimmt das Buch richtig Tempo auf und die Spannung ist greifbar. Smilla und Falk verändern sich. Allianzen, die man nicht für denkbar gehalten hatte, ergeben sich und andere zerbrechen. Mein Herz schlug auf den letzten Seiten wahrscheinlich mindestens so schnell wie Smillas!
„Wir Verlorenen“ regt zum Nachdenken an und beschreibt sehr eindringlich den inneren Konflikt der beiden Hauptfiguren zwischen Moral, Loyalität und Sympathie. Welche Werte sind zum Überleben wichtig? Welche Werte sollte man trotz allem nicht verlieren auch, wenn sie für den Einzelnen hinderlich sein könnten? Für alle, die tiefgründige Themen nicht abschrecken und die sich vollkommen auf die Zeit nach der Plage einlassen, ist das Buch ein absolutes Must Read. Für mich war „Wir Verlorenen“ ein unfassbar tolles Leseerlebnis, was mich an die Welt und die Figuren gefesselt hat.
Ich habe nun auch vom Verlag erfahren, dass es einen zweiten und eventuell auch dritten Band geben wird. Das freut mich ungemein! Allein schon, weil „Wir Verlorenen“ noch so viel Potenzial bietet und noch lang nicht auserzählt ist.