Profilbild von Havers

Havers

Lesejury Star
offline

Havers ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Havers über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.03.2022

Ein vergessenes Kapitel der deutschen Geschichte

Ein Präsident verschwindet
0

Seit dem Erfolg von „Babylon Berlin“, der filmischen Adaption von Volker Kutschers Gereon Rath-Reihe, sind zahlreiche deutschsprachige Kriminalromane erschienen, die sich mit der jüngeren Vergangenheit ...

Seit dem Erfolg von „Babylon Berlin“, der filmischen Adaption von Volker Kutschers Gereon Rath-Reihe, sind zahlreiche deutschsprachige Kriminalromane erschienen, die sich mit der jüngeren Vergangenheit Deutschlands beschäftigen. Allerdings nutzen diese die historischen Verweise meist nur als Zeitkolorit und stellen selten reale Begebenheiten in den Mittelpunkt der Handlung.

Ganz anders Langroth, der sich in „Ein Präsident verschwindet“ einem Ereignis zuwendet, das nicht nur Kanzler Adenauer sondern auch seiner Regierungsmannschaft einige schlaflose Nächte bereitet. 1954 verschwindet Otto John, ehemals im Widerstand gegen die Nationalsozialisten aktiv und mittlerweile Präsident des Verfassungsschutzes, spurlos. Übergelaufen oder entführt, das ist die Frage, die Philipp Gerber vom BKA klären soll. Als John kurze Zeit später in Ost-Berlin auftaucht, klingen alle Alarmglocken, denn er verfügt kraft seines Amtes über jede Menge Insiderwissen, das nicht in falsche Hände geraten sollte. Aber Gerber hat auch ein persönliches Interesse an dem Fall, denn auch seine Freundin Eva, Reporterin für ein kommunistisches Magazin, ist abgetaucht. Kann es sein, dass sie in Otto Johns Verschwinden involviert ist?

Die politischen Verhältnisse zwischen Ost und West sind angespannt, es ist die Zeit des Kalten Krieges. Und mittlerweile kommen auch die alten Nazis wieder aus ihren Löchern gekrochen und machen sich in staatlichen Behörden breit. Wie Reinhard Gehlen (ehemaliger Generalmajor der Wehrmacht und Leiter der Abteilung Fremde Heere Ost), der mit dem Einverständnis der Amerikaner als Gründer des Auslandsgeheimdienstes Organisation Gehlen (später BND) schon wieder fest im Sattel sitzt und Gerbers Nachforschungen immer wieder torpediert.

Es ist ein vergessenes Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte, das sich Ralf Langroth für seinen zweiten Thriller mit Philipp Gerber vorgenommen hat. Natürlich mit der einen oder andere künstlerische Freiheit, aber in den wesentlichen Punkten an den historisch verbürgten Fakten orientiert. Lohnt sich!

Veröffentlicht am 13.03.2022

Neues aus Down Under

Der zweite Sohn
0

Loraine Peck taucht mit ihrem Debüt, für das sie 2021 mit dem Ned Kelly Award ausgezeichnet wurde, in die Unterwelt von Sydney ein, in der Rivalitäten zwischen Serben und Kroaten ihre Fortsetzung finden. ...

Loraine Peck taucht mit ihrem Debüt, für das sie 2021 mit dem Ned Kelly Award ausgezeichnet wurde, in die Unterwelt von Sydney ein, in der Rivalitäten zwischen Serben und Kroaten ihre Fortsetzung finden. Auf beiden Seiten gibt es alte Rechnungen, die darauf warten, beglichen zu werden.

Ivan, Milans Erstgeborener und zukünftiger Nachfolger des kroatischen Clan-Chefs, ist tot, wird vor seinem Haus in Sydney erschossen, als er seinen Müll in die Tonne kippt. Eine Vergeltung und Provokation der Serben, die sein Vater nicht unbeantwortet lassen kann. Es ist eine Frage der Ehre und Johnny, „Der zweite Sohn“, soll seinen Bruder rächen. Aber dieser ist nicht für das Familiengeschäft gemacht, will viel lieber mit seiner Frau Amy und seinem Sohn Sasha wie eine normale Familie in Frieden leben. Zumal ihn Zweifel an der Herkunft des Täters kommen, als sich weitere Morde ereignen. Wer hat ein Interesse daran, die beiden Banden gegeneinander aufzubringen? Johnny fasst einen Plan, wie er nicht nur diese Frage klären sondern sich auch noch ohne großes Aufsehen aus dem kriminellen Milieu verabschieden kann.

Peck lässt uns abwechselnd aus zwei unterschiedlichen Perspektiven einen Blick auf die Ereignisse werfen. Zum einen ist das natürlich Johnny, seine Herkunftsfamilie, der er Loyalität schuldet, aber auch dessen Sehnsucht nach einem ruhigen, unspektakulären Leben Frau und Kind. Amy hingegen ist die Außenseiterin, die Australierin, die eingeheiratet hat, nicht dazugehört und deshalb auch mit kritischem Blick beobachtet, was in dieser Familie vor sich geht, weshalb sie am liebsten mit Johnny und Sasha weit weg von Sydney neu anfangen möchte.

Die Handlung ist zwar im Clan-Milieu angesiedelt, aber dafür war mir dieser angebliche Thriller viel zu zahm, hatte eher etwas von einem Roman über eine Einwanderfamilie, die im neuen Leben nicht heimisch geworden ist und noch immer Traumata aus der Vergangenheit mit sich herumschleppt. Dass Frauen in Gangsterkreisen üblicherweise nichts zu melden haben, ist klar, schließlich muss sich ja jemand um die Kinder und den Haushalt kümmern (Ironie aus). Aber dass Amy, das naive Dummchen, eines Tages aufwacht und völlig schockiert darüber ist, dass sowohl ihr Mann als auch dessen Familie ihren Lebensunterhalt mit kriminellen Geschäften finanzieren…sorry, aber das scheint mir dann doch zu weit hergeholt.

Als Thriller funktioniert der Roman nur bedingt, und auch für einen Whodunit ist die Story zu durchsichtig. Ivans Killer hatte ich recht schnell auf dem Schirm, lediglich über das Motiv musste ich etwas länger rätseln. Kann man lesen, muss man aber nicht.

Veröffentlicht am 13.03.2022

Wirrer Gamer-Thriller

RABBITS. Spiel um dein Leben
0

„Rabbits“ ist das ambitionierte Projekt des amerikanischen Filmemachers Terry Miles, entstanden aus einem Podcast gleichen Namens. Angelegt als etwas Außergewöhnliches, als Kultroman, als einem Mischung ...

„Rabbits“ ist das ambitionierte Projekt des amerikanischen Filmemachers Terry Miles, entstanden aus einem Podcast gleichen Namens. Angelegt als etwas Außergewöhnliches, als Kultroman, als einem Mischung aus Thriller und Rätsel- und Gamer-Story, prall gefüllt mit Verschwörungstheorien, popkulturelle Anspielungen und Verweise, die zwar in einem visuellen Medium funktionieren können, hier allerdings an der angepeilten Zielgruppe vorbeigehen. Das mag jetzt zwar snobistisch klingen, aber ich gehe nicht davon aus, dass Gamer Kafka, Danielewski oder Eco als Lektüre bevorzugen, auf deren Werke Miles in seinem Buch mehr oder weniger versteckt hinweist.

Real versus digital, die Übertragung filmischer Mittel in die Handlung funktioniert leider nur bedingt. Schnelle Schnitte okay, das Kreieren von Atmosphäre oder ausgefeilte Charakterisierungen Fehlanzeige. Dafür jede Menge Codes, Geheimnisse und krude Botschaften. Herausgekommen ist ein banales, wirres, langatmiges Konstrukt, konstruiert am Reißbrett, das mich nicht erreichen konnte und dessen Sinn sich mir nicht erschließt.

Veröffentlicht am 12.03.2022

Quo vadis, Schwedenkrimi?

Fuchsmädchen
0

Die Leiche einer Vierzehnjährigen wird mit aufgeschnittenen Pulsadern in einem stillgelegten Kalksteinbruch aufgefunden, in den Haaren Reste einer Schnur, auf dem Körper mit Filzstift die Zahl 26 aufgemalt. ...

Die Leiche einer Vierzehnjährigen wird mit aufgeschnittenen Pulsadern in einem stillgelegten Kalksteinbruch aufgefunden, in den Haaren Reste einer Schnur, auf dem Körper mit Filzstift die Zahl 26 aufgemalt. Außerdem treibt am Fundort eine Fuchsmaske im Wasser. Kurz darauf taucht die nächste Maske an einem weiteren Leichenfundort auf, wobei das Opfer, eine ältere Antiquarin, eine kreuzförmige Wunde am Hals hat. Die Maske lässt vermuten, dass es einen Zusammenhang der beiden Fälle gibt und ein Serienmörder sein Unwesen treibt.

Sanna Berling und Eir Pedersen bekommen den Fall zugewiesen, zwei Ermittlerinnen, die dem Handbuch für die Darstellung kaputter schwedischer Polizeibeamten entsprungen sein könnten. Sanna wohnt in einem Lagercontainer, ist tablettenabhängig und trauert um Mann und Kind, beide Opfer einer Brandkatastrophe. Eir ist frisch im Team, strafversetzt, hat ein Problem mit ihrer Impulskontrolle und eine drogenabhängige Schwester, um die sie sich kümmert. So weit, so bekannt, alles schon einmal gelesen. Und auch die Auflösung des Falles strotzt jetzt nicht wirklich vor Originalität, sondern erfüllt im Großen und Ganzen die Klischees des Genres, wobei offenbar der religiöse Fanatismus besonders in den ländlichen Gegenden Schwedens auf fruchtbaren Boden zu fallen scheint.

Mit Wehmut denke ich an Sjöwall/Wahlöö und Mankell zurück, denn schwedische Kriminalromane waren lange Zeit ein Garant für spannende Unterhaltung. Düstere Atmosphäre, kantige Ermittler und ein Mordfall, der oft durch gesellschaftlichen Veränderungen beeinflusst war. Aber leider auch ein Erfolgskonzept, das zu einer Goldgräberstimmung in der Buchbranche führte und den Markt mit den Krimis/Thrillern aus dem hohen Norden flutete. Ohne Rücksicht wurde alles veröffentlicht, solange es nur aus Skandinavien kam. Darunter hat die Qualität gelitten, und so gibt es Stand jetzt, wie auch im vorliegenden Thriller, kaum noch einen Unterschied zu der üblichen Massenware, die weder überzeugen noch überraschen kann.

Veröffentlicht am 08.03.2022

Gut Ding will Weile haben

Ein unverschämt gutes Kochbuch
0

Joshua Weissman ist überzeugt von dem, was er mit Leidenschaft tut und was er am besten kann. Kochen. Hierzulande kaum bekannt, ist er in den Vereinigten Staaten ein Star am Herd, vertreten auf sämtlichen ...

Joshua Weissman ist überzeugt von dem, was er mit Leidenschaft tut und was er am besten kann. Kochen. Hierzulande kaum bekannt, ist er in den Vereinigten Staaten ein Star am Herd, vertreten auf sämtlichen Social Media Plattformen. 5,8 Millionen Follower auf TikTok und 5,3 Millionen Abonnenten auf YouTube, Zahlen, die für sich sprechen. Und wer wollte nicht schon immer einmal „Ein unverschämt gutes Kochbuch“ im Regal stehen haben? So der Titel, der nicht nur Interesse weckt, sondern auch suggeriert, dass hier ein Koch am Werk ist, dem es nicht an Selbstvertrauen mangelt. Stellt sich nur noch die Frage, ob die Rezepte diese Erwartungen einlösen.

Gut Ding will Weile haben, so könnte man die Gerichte überschreiben, für die sich Weissman stark macht. Das liegt in erster Linie daran, dass er es vermeidet auf fertige Zutaten zurückzugreifen. Und damit meint er nicht Convenience Food, sondern auch so simple Dinge wie Butter aus der Packung, was ich reichlich übertrieben finde.

Ungefähr ein Drittel des Kochbuchs bietet Anleitungen für selbstgemachte Basics: diverse Brühen, Butter, Käse, Soßen, Dips, Pickles, Marmelade, Backwaren und Pasta. Das ist alles recht zeitintensiv und somit im Alltag kaum zu realisieren. Kann man machen, muss man aber nicht. Manche dieser Rezepte sind interessant, andere wiederum, und hier schreibe ich aus Erfahrung, wohl in erster Linie für amerikanische Ernährungsgewohnheiten gedacht. Deutlich wird das an Weissmans Ketchup: Tomatenmark, Wasser, Essig und jede Menge Maissirup. Das geht auch anders, nämlich mit frischen Tomaten und sparsam dosiertem Rohrohrzucker. Das Ergebnis spricht für sich und ist mit Sicherheit gesünder.

Diese Grundzutaten sind ein elementarer Bestandteil seiner durchaus kreativen Rezepte (knapp 170 Seiten), die von amerikanischen und europäischen Einflüssen sowie von der asiatischen Küche inspiriert sind. Kein Wunder, hat er doch lange in einem japanischen Restaurant gekocht.

Die Einteilung ist nicht weiter überraschend: Frühstück (btw. wer braucht ein Rezept für „Perfekt gekochte weiche Eier“?), Appetizer/Snacks, Fisch, Fleisch, Pasta, Sandwiches & Co., Gemüse und Salate, Suppen, Desserts. Die Rezepte sind detailliert, die Angaben zum zeitlichen Aufwand passen, die Zutaten (fast alle in jedem Supermarkt erhältlich) aufgelistet, die Zubereitung in Einzelschritten ausführlich beschrieben, jedes einzelne Rezept mit qualitativ hochwertigen Fotos garniert. Was ich allerdings vermisse, sind die Nährwertangaben.

Für passionierte Hobbyköche, die weder Zeit noch Mühe scheuen und Spaß am stundenlangen Werkeln am Herd haben, kann ich dieses Kochbuch absolut empfehlen, für die Alltagsküche hingegen ist es allerdings aus genannten Gründen nur bedingt tauglich.