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Veröffentlicht am 09.06.2021

Es lebe der Zentralfriedhof...

Das Buch des Totengräbers (Die Totengräber-Serie 1)
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Das 19. Jahrhundert neigt sich seinem Ende zu, die Kriminalistik steckt noch in den Kinderschuhen. Und da kommt Leopold von Herzfeldt daher, so ein Grünschnabel aus Graz und will den alten Hasen der Wiener ...

Das 19. Jahrhundert neigt sich seinem Ende zu, die Kriminalistik steckt noch in den Kinderschuhen. Und da kommt Leopold von Herzfeldt daher, so ein Grünschnabel aus Graz und will den alten Hasen der Wiener Mordkommission erzählen, wie man effektiv in Mordfällen ermittelt. Gelegenheit dazu bekommt er erstmal nicht, denn er wird auf den Zentralfriedhof geschickt, um dort einen Fall von Grabräuberei zu untersuchen.

Dort kreuzt Augustin Rothmayer seinen Weg, der Mozart summende Totengräber des Friedhofs, der seine jahrelangen Beobachtungen in einem „Almanach für Totengräber“ für die Nachwelt festhält. Mit seiner Vorliebe für die philosophischen Fragen des Seins, seinem komplexen Wissen über Mordmethoden und Todeszeitpunkte, ausgehend vom Verwesungszustand er Leiche, wird er zum unentbehrlichen Helfer Leos, quasi dessen Forensiker. Das Trio komplettiert Julia Wolf, das „Lämmchen“, eine junge Telefonistin, die nicht auf den Mund gefallen ist und es faustdick hinter den Ohren hat. Aber erst als Leo im Fall der Pfahl-Morde in das Ermittlungsteam aufgenommen wird, kann er die Effektivität der von ihm eingesetzten neuen Hilfsmittel und Methoden beweisen.

Einen historischen Kriminalroman sollte man nicht nur an dem Spannungsniveau und der Logik der Story oder der gelungenen Charakterisierung der Figuren messen. Es ist die Authentizität und Lebendigkeit des Settings, die wesentlich für dessen Qualität verantwortlich ist. Dem Autor ist dies ohne Frage gelungen. Er überzeugt durch eindringliche Beschreibungen, die sich auf die Verschiedenheit der Lebensumstände konzentrieren. Hier das gehobene Bürgertum in Glanz und Gloria, dort die Tagelöhner und Armen, die von der Hand in den Mund leben. Aber Pötzsch zeigt auch, dass die Zeichen im Wien der Jahrhundertwende auf Veränderung stehen, und zwar nicht nur in der Gesellschaft, in der erstmals Frauen ihre Rechte beanspruchen, sondern auch im Alltag, der sich insbesondere durch technische Neuerungen verändert. Ein überaus gelungener Auftakt. Lesen!

Veröffentlicht am 08.06.2021

Souverän geplotteter Kriminalroman der schottischen Queen of Crime

Ein Bild der Niedertracht
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Val McDermid zählt zweifelsohne seit vielen Jahren zu den produktivsten schottischen Krimiautorinnen. Neben zahlreichen Stand alones gibt es von ihr auch vier erfolgreiche Reihen, wobei sie allerdings ...

Val McDermid zählt zweifelsohne seit vielen Jahren zu den produktivsten schottischen Krimiautorinnen. Neben zahlreichen Stand alones gibt es von ihr auch vier erfolgreiche Reihen, wobei sie allerdings aktuell nur noch die beiden mit TonyHill/Carol Jordan sowie Karen Pirie bedient.

Im aktuellen Band „Ein Bild der Niedertracht“ müssen sich DCI Karen Pirie und DC Jason Murray von der Historic Cases Unit mit mehreren vertrackten Fällen beschäftigen. Zum einen ist die Identität eines Skeletts zu klären, das im Wohnmobil des Opfers eines Verkehrsunfalls entdeckt wird, zum anderen gilt es, herauszufinden, was es mit dem Toten auf sich hat, den die Fischer aus dem Forth of Fife geborgen haben. Was hat ein französischer Jazzmusiker in Schottland zu suchen?

Die Ermittlungen, in denen die engagierte DS Daisy Mortimer aus Fife die HCU unterstützt, fördern Unerwartetes zu Tage, denn es stellt sich heraus, dass der Tote mitnichten Franzose ist, sondern es sich um den Bruder eines seit vielen Jahren verschwundenen schottischen Politikers handelt. Ein Fall, den Karen damals nicht aufklären konnte und der sie auch gegenwärtig stark fordert, muss sie sich doch auf einem Parkett bewegen, das ihr nicht vertraut ist. Und auch im privaten Bereich hat sie mit Problemen zu kämpfen. Die Beziehung zu Hamish läuft auf Sparflamme, seitdem er abgesteckte Grenzen übertreten hat, entgegen Karens ausdrücklichen Wunsch, ihr zu einem Treffen mit dem frisch aus dem Gefängnis entlassenen Mörder ihrer großen Liebe Phil Parhatka gefolgt ist.

Was zeichnet McDermids Kriminalromane aus? Natürlich die realistisch angelegten Charaktere (samt dem Netzwerk Pieries) mit ihren Stärken und Schwächen, die trotz aller Unterschiede perfekt harmonieren und gut zusammenarbeiten. Die souverän geplottete Story, bei der die Autorin einmal mehr ihre Stärke ausspielt, gekonnt mit den verschiedenen Handlungssträngen jongliert, ihnen den Raum gibt, den sie benötigen. Die Tempowechsel, bei denen sie von Aktion in Ruhe schaltet, die ruhigen Passagen mit Informationen zum Privatleben der Ermittler und Kommentaren zum politischen Zeitgeschehen wie Corona, Brexit, BoJo sowie der Gentrifizierung Edinburghs füllt und damit den Kriminalroman in der Realität verankert. Lesen!

Veröffentlicht am 07.06.2021

Wenn der Damm bricht...

Das Meer von Mississippi
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1927, die Lage entlang des Mississippi ist hoffnungslos. Es regnet seit Monaten, der „Old Man River“ hat sein Bett verlassen, ist über die Ufer getreten und höhlt unerbittlich die riesigen Dämme aus, die ...

1927, die Lage entlang des Mississippi ist hoffnungslos. Es regnet seit Monaten, der „Old Man River“ hat sein Bett verlassen, ist über die Ufer getreten und höhlt unerbittlich die riesigen Dämme aus, die Ort an seinem Ufer schützen sollen. Alles ist durchnässt, schlammig, sumpfig. Aber sämtliche Anstrengungen werden vergebens sein, die Deiche werden brechen, das Wasser seinen Weg finden und die Landschaft in ein Meer verwandeln. Und unzählige Menschen werden nicht nur ihr Heim sondern auch ihr Leben verlieren.

Es wird auch die (fiktive) Kleinstadt Hobnob treffen, berühmt-berüchtigt für ihre illegalen Destillen. Ein lukrativer Geschäftszweig in der Zeit der Prohibition. Dort nimmt dieser literarische Thriller seinen Anfang, in dessen Verlauf wir die beiden Agents Ingersoll und Johnson begleiten, die den Verbleib zweier spurlos verschwundener Kollegen klären sollen. Ein Katz-und-Maus Spiel mit einem skrupellosen und gewieften Schnaps-Schmuggler und einer begnadeten Schwarzbrennerin, gefangen in einer unglücklichen Ehe, beginnt. Nicht zu vergessen das verlassene Baby, das die beiden Prohibitionsagenten in den Trümmern eines Ladens finden.

Die Geschichte bewegt sich im Rhythmus der Bedrohung, der nahenden Gefahr durch die Wassermassen, die stetig näher kommen, um ihr verheerendes Werk zu vollenden. Die atmosphärischen Schilderungen sind grandios, man spürt die schwüle Luft förmlich auf der Haut, hört den Regen auf die Teerpappe prasseln, kämpft gegen den Widerstand des schlammigen Bodens bei jeder Fortbewegung. Und natürlich tauchen beim Lesen vor dem inneren Auge die Bilder der verzweifelten Menschen auf, die 2005 mit der Überschwemmung kämpften, die Hurrikan Katrina für die Bewohner in New Orleans im Gepäck hatte.

„Das Meer von Mississippi“ ist eindringlich erzählte Literatur, mit Brillanz rund um die Jahrhundertflut aufgebaut, die ein historisches Ereignis mit Thrilleranteilen verbindet. Einziger Wermutstropfen sind die stellenweise etwas zu poetisch geratene Sprache sowie die sehr gefühlsbetonten Szenen, die fast schon ins Kitschige abgleiten, aber wohl bewusst der Anlehnung an das Genre des historischen Romans geschuldet sind.

Nachtrag:

„When the Levee breaks“, dieser gecoverte Song von Led Zeppelin, bezieht sich auf einen alten Bluessong von Kansas Joe McCoy und Memphis Minnie (entstanden 1929 als Reaktion auf die Mississippi-Flut) und beschreibt eindrücklich die Stimmung, die über dem Roman von Beth Ann Fennelly und Tom Franklin liegt.

„If it keeps on rainin', levee's goin' to break
When the levee breaks, I'll have no place to stay.
Mean old levee taught me to weep and moan, Lord
It's got what it takes to make a mountain man leave his home“

Veröffentlicht am 06.06.2021

Pedal to the metal

Blacktop Wasteland
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Man kann man sich noch so sehr bemühen, das Fahrzeug in der Spur zu halten, aber was tun, wenn plötzlich ein unerwartetes Hindernis auftaucht?

In einem früheren Leben war Beauregard "Bug" Montage der ...

Man kann man sich noch so sehr bemühen, das Fahrzeug in der Spur zu halten, aber was tun, wenn plötzlich ein unerwartetes Hindernis auftaucht?

In einem früheren Leben war Beauregard "Bug" Montage der beste Fluchtwagenfahrer an der Ostküste. Hat die Familientradition fortgeführt. Aber das hat er längst hinter sich gelassen, hat auf Reset gedrückt und lebt nun ein respektables Leben. Seine Familie steht an erster Stelle. Anders als bei seinem Vater, der vor vielen Jahren nach einem missglückten Job spurlos verschwunden ist. Aber Bugs Autowerkstatt läuft in letzter Zeit nicht mehr gut. Die Konkurrenz zieht ihm mit Dumpingpreisen die Kunden ab. Ihm steht das Wasser bis zum Hals.

Das Angebot eines alten Kumpels scheint einen Ausweg aus der Misere zu bieten. Dieser plant einen Coup, will einen Juwelier ausheben, der den Safe voller Diamanten hat, aber ihm fehlt noch ein Fahrer. Obwohl Bug zweifelt, Gewissensbisse hat, willigt er ein. Hätte er nicht tun sollen, denn der Job endet in einem Fiasko, bedroht in letzter Konsequenz das, was ihm heilig ist. Seine Familie.

Der Roman lässt sich in zwei Bereiche teilen. Anfangs dominieren die Rückblicke in Bugs Vergangenheit, in der er das Verhältnis zu seinem Vater reflektiert, doch dann wird er zu einem astreinen Southern Noir mit Action-Potenzial, in dem der Autor über weite Strecken ein hohes Tempo vorlegt, was insbesondere den wilden Verfolgungsjagden geschuldet ist. Aber er ist auch angereichert mit Themen, die insbesondere in den ländlichen Gegenden jenseits der Metropolen, hier Virginias „Wasteland“, aktuell sind. Südstaaten-Alltag in Armut mit Rassismus, fehlenden Jobs, Perspektivlosigkeit, aber jeder Menge Gewalt, Alkohol und Drogen. Für viele Menschen ein Leben am Abgrund, in dem der amerikanische Traum nur noch ein schönes Märchen ist. Lesen!

Veröffentlicht am 03.06.2021

Bica, Poncha und Levadas

Tod auf Madeira (Ein Madeira-Krimi 1)
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Wenn die Sonne scheint, der Himmel blau ist und die Temperaturen steigen, nimmt das Verlangen nach einer Auszeit zu. Zumal dann, wenn der momentane Alltag zugegebenermaßen eher wenig Abwechslung bietet. ...

Wenn die Sonne scheint, der Himmel blau ist und die Temperaturen steigen, nimmt das Verlangen nach einer Auszeit zu. Zumal dann, wenn der momentane Alltag zugegebenermaßen eher wenig Abwechslung bietet. Kein Wunder, dass dann Urlaubskrimis Hochkonjunktur haben, bieten sie doch die Möglichkeit, sich auf künftige Urlaubsziele zu freuen oder Erinnerungen Revue passieren zu lassen. Meist sind es deutsche Autoren, die mit entsprechendem Pseudonym den Eindruck vermitteln, dass sie dem/der Leser/in ländertypische Atmosphäre, eingebettet in eine spannende Handlung, bieten. Aber leider gelingt das nicht immer, so auch in diesem Fall.

„Tod auf Madeira“, Auftakt einer Reihe mit Comissário Mauricio Torres, schließt eine der letzten Leerstellen auf der Liste der europäischen Destinationen, die als Hintergrund für einen Urlaubskrimi dienen. Ich kenne die „Blumeninsel“ im Atlantik, habe sie bereits mehrfach besucht, und gerade deshalb lässt mich die Lektüre mit einem mehr als zwiespältigen Gefühl zurück.

Die Krimihandlung ist durch und durch konventionell: Der Wanderurlaub einer Reisegruppe, deren Teilnehmer sich seit der Schulzeit kennen, wird von einem Todesfall überschattet, der Rätsel aufgibt. Und da kommt Comissário Torres ins Spiel. Mord oder die Verkettung unglücklicher Umstände? Fast jeder Teilnehmer hätte ein Motiv gehabt…

Der Autor wandelt auf ausgetretenen Pfaden, nicht nur, was die Story angeht. Auch die Charakterisierung der Personen hat man so schon häufig gelesen. Die betrogene Ehefrau, der melancholische Polizist, der den Tod seiner Frau noch nicht verarbeitet hat etc. Und was den Handlungsort angeht, hier verarbeitet er die Informationen zu Madeira, die in jedem Reiseführer zu finden sind. Kein Wunder, denn die Region um Calheta, die er ausgiebig beschreibt, ist massiv touristisch geprägt.

Wenn man ihm glauben darf, sind die Madeirer ein zutiefst melancholisches Volk, geben sich der Saudade hin, lauschen dem Fado und trinken ständig Bica und Poncha. Natürlich wandern die Touristen immer die Levadas entlang, fahren mit dem Korbschlitten und verpassen damit so ziemlich alles Interessante, was man auf der Insel unternehmen, anschauen und erleben kann. Einmal mehr eine verpasste Gelegenheit, um die Qualitäten dieses schroffen Kleinods entsprechend zu würdigen. Schade!