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Veröffentlicht am 03.05.2020

The times they are a-changin‘

Margos Töchter
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In „Margos Töchter“ nimmt uns Cora Stephan, wie bereits in dem Vorgänger „Ab heute heiße ich Margo“, auf eine Reise in die Vergangenheit unseres Landes mit und schreibt gleichzeitig die Geschichte von ...

In „Margos Töchter“ nimmt uns Cora Stephan, wie bereits in dem Vorgänger „Ab heute heiße ich Margo“, auf eine Reise in die Vergangenheit unseres Landes mit und schreibt gleichzeitig die Geschichte von Margo und Helene fort. Doch nun sind es deren Kinder und Enkel, die im Fokus stehen.

Clara, die stramme Genossin, streng auf Linie mit dem DDR-Regime, die Politisches über Persönliches stellt. Leonore, die Linke, die wie so viele ihrer Generation die Zustände in der Nachkriegs-BRD hinterfragt und nach Veränderung strebt. Und schließlich Jana, die Enkelin, die mit beiden verbunden ist und mehr über das Schicksal ihrer Mütter erfahren möchte. Aber dafür muss sie tief in der Vergangenheit graben und Verletzungen riskieren.

Der Roman ist wesentlich mehr als eine Familiengeschichte. Es ist ein Blick zurück auf Ereignisse, die die knöchernen Strukturen der beiden Staaten dies- und jenseits der Mauer nachhaltig verändert haben. Indem sie die gesellschaftspolitisch relevanten Themen aufgreift, liefert sie mit analytischem Blick eine klare Bestandsaufnahme unserer jüngsten Historie. Studentenbewegung, Love and Peace, die RAF und ihre Unterstützer, Anti-Atomkraftbewegung und schließlich der Mauerfall, wobei Stephan aber den nostalgisch-verklärenden früher-war-alles-besser-Blick vermeidet, sondern die Widersprüche, die Zweifel ihrer Protagonistinnen anschaulich aufzeigt.

Ein sehr gut gelungener, unterhaltsamer Rückblick auf die Jahre des Umbruchs, die unsere Gegenwart geprägt haben - aber mit Sicherheit am interessantesten für all diejenigen, die diese Zeiten miterlebt haben.

Veröffentlicht am 01.05.2020

Adieu to old England, adieu?

Middle England
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In den vergangenen Monaten habe ich viele Bücher zum Thema Brexit gelesen, mich dabei aber selten so gut unterhalten gefühlt wie in Jonathan Coes „Middle England“ (prämiert mit dem Costa Novel Award 2019). ...

In den vergangenen Monaten habe ich viele Bücher zum Thema Brexit gelesen, mich dabei aber selten so gut unterhalten gefühlt wie in Jonathan Coes „Middle England“ (prämiert mit dem Costa Novel Award 2019). Am Beispiel der Familie Trotter (bekannt aus den Vorgängerbänden „Erste Riten“ und „Klassentreffen“ – Kenntnis nicht zwingend erforderlich) zeigt der Autor uns die Veränderungen auf, die das Vereinigte Königreich hin zu dem gespaltenen England dieser Tage durchlaufen hat.

Über einen Zeitraum von 2010 bis 2018 begleiten wir Ben, den Möchtegern-Schriftsteller, mittlerweile Privatier und Besitzer einer Wassermühle in den West Midlands und Doug, Bens Schulfreund und politisch links angesiedelter Journalist, der eine außereheliche Affäre mit einer Tory-Abgeordneten hat. Und dann ist da noch Sophie, die Kunsthistorikerin und Bens Nichte. Verheiratet mit einem Fahrlehrer, dessen Mutter die Stimme der derjenigen verkörpert, die in dem Zustrom der Einwanderer Englands Untergang kommen sieht, deren Dienste aber gerne in Anspruch nimmt. Dazu gesellt sich noch eine Vielzahl von Figuren, die jede in irgendeiner Weise mit diesen in Verbindung steht.

Neben diesen fiktiven Leben nehmen aber auch, wie könnte es anders sein, die politischen Veränderungen in England innerhalb dieser Zeit Raum ein. Die Olympischen Spiele, die Unruhen im Sommer 2011, die Wahlen und schlussendlich das Referendum, dessen Ausgang die Ängste, Vorurteile und Unzufriedenheit – gerade der älteren Generation - mit Englands Rolle in der Welt widerspiegelt und einfängt.

Und nicht zuletzt erfahren wir auch etwas über die mediale Landschaft und den Literaturbetrieb. Bens literarisches Projekt, das mittlerweile über 3000 Seiten umfasst, gewinnt den Booker Prize, nachdem er es auf Anraten seines Lektor-Freundes auf 200 Seiten zusammengestrichen hat.

Verpackt in individuelle Schicksale ist „Middle England“ zum einen ein faszinierendes, humorvolles Porträt vom Leben abseits der Metropolen, zum anderen aber auch die schonungslose Bestandsaufnahme der englischen Befindlichkeiten, deren Resultat im Brexit gipfelte. Nachdrückliche Leseempfehlung

Veröffentlicht am 26.04.2020

Höchst unterhaltsame Mischung aus Sci Fi, Spannung und wohldosierter Ironie

Qube
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Ich muss vorausschicken, dass ich kein Science Fiction Fan bin. Um Literatur dieses Genres zu genießen, fehlt mir meist das technisch-naturwissenschaftliche Vorwissen bzw. Verständnis. Anders bei Tom Hillenbrands ...

Ich muss vorausschicken, dass ich kein Science Fiction Fan bin. Um Literatur dieses Genres zu genießen, fehlt mir meist das technisch-naturwissenschaftliche Vorwissen bzw. Verständnis. Anders bei Tom Hillenbrands Thrillern. Dem Autor gelingt es, die realistische Vision einer zukünftigen Welt zu schaffen, indem er Themen aufgreift und höchst unterhaltsam in Szene setzt, die auch aktuell für uns relevant sind.

„Qube“ startet 2091 in London. Calvary Doyle, ein investigativer Journalist auf der Spur der Super KI Æther, wird in den Kopf geschossen. Im Vorfeld hat er verfügt, dass in solch einem Fall sein Gehirn entfernt und durch dessen digitale Kopie ersetzt werden soll. Aus dem Koma erwacht, stellt sich ihm natürlich die Frage, ob er zwischen die Fronten geraten ist. Und wer warum ein Interesse daran hat, ihn zu töten.

Zeitgleich wird Fran Bittner, Agent*in der UNAPAI (UN-Behörde, die für die Einhaltung des KI Sperrvertrags verantwortlich ist), mit Doyles Überwachung beauftragt. Sie soll der Vermutung nachgehen, ob die Gerüchte über Turing II der Wahrheit entsprechen und ob die allmächtige Künstliche Intelligenz Æther überlebt hat. Wird sie Erfolg haben? Kann sie deren Treiben stoppen und etwas zur Rettung der Welt beitragen?

Keine Angst, auch wenn sich das jetzt sehr technisch anhört, schafft es Hillenbrand, seine Leser nicht zu überfordern. Natürlich gibt es Begriffe, die dem Leser nicht geläufig sind und/oder die der Autor erschaffen hat. Keine Sorge, am Ende des Buches findet man ein ausführliches Glossar, in dem er diese detailliert definiert bzw. erläutert. Was aber das Wichtigste ist, man muss kein naturwissenschaftlicher Crack sein, um seinen Spaß an Qube zu haben, denn die Story ist alles andere als „trocken“ erzählt. sondern einen gut ausbalancierte, höchst unterhaltsame Mischung aus Sci Fi, Spannung und wohldosierter Ironie. Gerne mehr davon!

Veröffentlicht am 25.04.2020

Eine Reise zurück in die italienische Renaissance

Raffael - Das Lächeln der Madonna
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Raffael, geboren 1483 in Urbino, gestorben 1520 gestorben ihn Rom. Maler und Architekt der Renaissance, dieser faszinierenden Epoche, der wir so viele weltberühmte Werke und Baudenkmäler verdanken. Zeitgenosse ...

Raffael, geboren 1483 in Urbino, gestorben 1520 gestorben ihn Rom. Maler und Architekt der Renaissance, dieser faszinierenden Epoche, der wir so viele weltberühmte Werke und Baudenkmäler verdanken. Zeitgenosse Michelangelos und Leonardos, Womanizer und Madonnenmaler. Ein Ausnahmekünstler mit vielen Facetten.
Und genau dieser Raffael steht im Zentrum des Romans von Noah Martin, der damit nicht nur eine lesenswerte Künstlerbiografie sondern auch einen historischen Roman geschrieben hat, der den Leser in das Italien einer längst vergangenen Zeit entführt.

Sein Werdegang ist erstaunlich. Früh auf sich allein gestellt, übernimmt der talentierte Junge die Malerwerkstatt seines Vaters, verlässt seine Heimat wegen politischer Unruhen in Richtung Perugia und holt sich bei Meister Perugino den letzten Schliff. Hier entstehen auch seine ersten Meisterwerke. Über Città di Castello dann nach Florenz und schlussendlich nach Rom. Seine Dienste stellt er überwiegend dem Klerus zur Verfügung, aber nimmt auch Aufträge solventer Bürger an.

Er ist ruhelos, im Leben wie in der Liebe, und es sind viele Frauen, die seinen Weg kreuzen. Doch keiner fühlt er sich so verbunden wie Margaretha Luti, der Fornarina, der er in zahlreichen Bildern ein Denkmal setzt. 1520 stirbt er, gerade einmal 37 Jahre alt.

Veröffentlicht am 19.04.2020

Abwechslung auf dem Teller mit überschaubarem Aufwand

Come Together
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„Come together“. Klingt momentan etwas befremdlich, oder? Aber es werden auch wieder andere Zeiten kommen. Zeiten, an denen sich die Großfamilie, Freunden und Verwandte um den Tisch versammeln werden. ...

„Come together“. Klingt momentan etwas befremdlich, oder? Aber es werden auch wieder andere Zeiten kommen. Zeiten, an denen sich die Großfamilie, Freunden und Verwandte um den Tisch versammeln werden. Üppig gedeckt, mit leckeren Köstlichkeiten, die wir gemeinsam verzehren.

„Alles aus einem Topf: 100 Rezepte, die glücklich machen“ , so der Untertitel des Kochbuchs von Darina Allen, irische Köchin, Kochschulen-Betreiberin und Mitinitiatorin der dortigen Slow Food Bewegung. Genau dieses kleine Glück benötigen wir in der derzeitigen Situation. Und wenn uns damit auch noch das verhasste Abspülen überflüssigen Kochgeschirrs erspart bleibt, umso besser.

Die Rezepte sind überwiegend für 4 – 8 Personen konzipiert, eingeteilt nach dem richtungsweisenden Hauptbestandteil: Eier, Geflügel, Fleisch, Fisch und Meeresfrüchte, Gemüse, Reis und Getreide und Pasta, Süße Sachen, abgerundet durch ein detailliertes Register. Bei den Fleischgerichten liegt der Schwerpunkt – wie könnte es bei einer irischen Kochbuchautorin auch anders sein – auf Lamm. Ansonsten nimmt uns die Autorin auf eine kulinarische Reise rund um den Erdball mit: Indische Arme Ritter, Römisches Hähnchen mit Rosmarin-Fritten und Thymian, Masala-Lammstelzen, Mediterraner Meerestopf mit Aioli-Crostini, Griechische Spinat-Käse-Pastete, Perl-Couscous mit Granatapfel und Cashewkernen, Zwetschgen-Clafoutis.

Die einzelnen Zutaten klingen exotischer als sie sind. Vieles davon hat ist, wenn man regelmäßig kocht, eh vorhanden oder im gut sortierten Supermarkt erhältlich. Lediglich bei Freekeh, einem grün geröstetem Weizen, musste ich passen. Ich habe ihn durch die entsprechende Menge Dinkel ersetzt und es hat funktioniert. Der zeitliche Aufwand für die Vorbereitung ist überschaubar, und wenn die Zutaten erste einmal im Topf, der Pfanne, der Auflaufform oder dem Blech sind, geht es quasi wie von selbst.

Ein wunderbares Kochbuch, das Abwechslung auf den Teller bringt. Für Anfänger und Küchenprofis gleichermaßen geeignet.