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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 09.09.2018

Wunderschön und rührend

Helle Tage, helle Nächte
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Frederike ist auf dem Weg nach Lappland. Weshalb weiß sie auch nicht ganz genau. Ihre Tante, Anna, hat sie mit einem Brief für einen gewissen Petter Svakko dahin geschickt. Sie konnte ihrer Tante diese ...

Frederike ist auf dem Weg nach Lappland. Weshalb weiß sie auch nicht ganz genau. Ihre Tante, Anna, hat sie mit einem Brief für einen gewissen Petter Svakko dahin geschickt. Sie konnte ihrer Tante diese Bitte nicht abschlagen, schließlich wurde bei Anna Krebs diagnostiziert. Frederike hat sich gerade von ihrem Mann getrennt, hat ihren Job gekündigt und ihre Tochter, Paula, ist zurzeit in Australien. Noch weiß Frederike außerdem nicht wie sie ihre Zukunft nun gestalten möchte. Sie ahnt nicht, dass sie bald von einer großen Lebenslüge erfahren soll und dass sie gerade in Lappland den Ort finden wird, wo sie am glücklichsten ist.

Hiltrud Baier gelingt mit ihrem Roman „Helle Tage, helle Nächte“ ein wunderschönes und rührendes Meisterwerk. Es hat alles zu bieten, was einen guten Roman ausmacht: Runde Charaktere, die einen direkt einnehmen und mitfiebern lassen, sowie ein Geheimnis, das es zu enträtseln gilt – verpackt in eine einnehmende Sprache voller Emotionen und doch jenseits falscher Sentimentalitäten. Indem uns die Autorin an dem Innenleben von Anna und Frederike teilnehmen lässt, offenbart sie uns ihre große Gabe das emotionale Gepäck, das jeder mit sich trägt, in Worte zu fassen. Man fühlt als Leser mit, kann die Gedanken und Reaktionen der Protagonistinnen nachempfinden und womöglich sogar für sich selbst nutzbringend verarbeiten. Die große authentische Liebe der Autorin zur Natur Nordschwedens spürt man in jedem ihrer Sätze, in denen sie diese beschreibt und reflektiert. Gleichzeitig berührt sie auf diese Weise den Nerv unserer schnellebigen Zeit und bringt die verborgene Saite eines jeden Menschen zum klingen – die Sehnsucht nach einem einfachen Leben im Einklang mit der Natur. Ein äußerst poetisches und zugleich sehr realitätsnahes Werk, das man einfach lieben muss!

Veröffentlicht am 04.09.2018

Ein erstklassiges Sachbuch!

Der Tiger in der guten Stube
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Die amerikanische Journalistin Abigail Tucker – selbst eine große Katzennärrin – geht in ihrem Werk „Der Tiger in der guten Stube“ der Frage nach, warum Katzen derartig beim Menschen beliebt sind.

Das ...

Die amerikanische Journalistin Abigail Tucker – selbst eine große Katzennärrin – geht in ihrem Werk „Der Tiger in der guten Stube“ der Frage nach, warum Katzen derartig beim Menschen beliebt sind.

Das in zehn Kapitel unterteilte Sachbuch ist äußerst abwechslungsreich. Zunächst geht Tucker der Evolutionsgeschichte der Katze nach und geht bis auf die Ursprünge der Katze-Mensch-Beziehungen zurück. So erfährt der Leser beispielsweise, dass nach neuesten Befunden unsere Hauskatze ausschließlich von der Falbkatze, einer Unterart der Wildkatze abstammt – der Felis silvestris lybica! Während Löwen heute „nur noch Relikte ohne Königreich sind“, hat sich „der kleine spaßige Bruder des Löwen, einst nichts weiter als eine Fußnote der Evolution zu einer wahren Naturgewalt aufgeschwungen.“ Das herausstechendste Merkmal dieser äußerst lieblichen Fußnote ist ihr „naturgegebenes Draufgängertum – eine Eigenschaft, die letztlich die Grundsubstanz für die Bindung zwischen Mensch und Katze bildet“.

In den weiteren Kapiteln erfahren wir, wie sich die Katzen auf dem ganzen Planeten ausbreiteten – vorzugsweise dank der Seefahrer – und viele Ökosysteme (zer)störten, da sie als reine Carnivoren ohne Spezialisierung eine große Bandbreite an Säugetieren, Vögeln und Insekten zu ihrer Beute machen können. So werden Hauskatzen zu den hundert besonders problematischen invasiven Arten gezählt. In Australien beispielsweise wurden Katzen von Wissenschaftlern zur größten Bedrohung der dort lebenden Säugetiere erklärt – sie seien weit gefährlicher als der Verlust von Lebensraum oder gar der Klimawandel. Aber gerade auch auf großen und kleinen Inseln, wo der Fluchtweg für die Beutetiere abgeschnitten ist, die sich zudem durch die sogenannte „Inselzahmheit“ auszeichnen, ist dieses Problem besonders groß. Im darauffolgenden Kapitel beschreibt die Autorin, wie der Mensch der stets wachsenden Hauskatzenpopulation Herr zu werden versucht – von Euthanasie bis hin zu der humaneren Methode der Kastration und anschließenden Freilassung (kurz TNR genannt) hat der Mensch ziemlich jeden Weg eingeschlagen. Diese Buchabschnitte sind wirklich schwer verdaulich und der Leser wird von einem Entsetzen ins andere geführt. Gott sei Dank gibt es immer wieder einen Lichtblick in Form der Menschen, die ihr Leben dem Tierschutz und der Forschung zwecks Verbesserung der Zustände widmen.

Von da an befasst sich das Werk mit Themen, die dem Leser bei der Anschaffung dieses Buches wohl eher vorgeschwebt haben: Die Autorin schreibt über die ersten und neuesten Katzenausstellungen, darüber wie man seine Wohnung nach Katzenvorstellung einrichten kann, über die verschiedenen Rassen und nicht zuletzt über den Internetsiegeszug, den Katzen davongetragen haben. So bestehe, Tucker zufolge, die große Internetpräsenz und -beliebtheit der Katze vor allem in der „ungewöhnlichen Mixtur aus menschenähnlichen Gesichtszügen und Ausdruckslosigkeit“, die dem Menschen die Freiheit erlauben, ihnen jedwede Gemütsregung dazudichten. Auch über Internetberühmtheiten wie Lil Bub, Grumpy Cat, Colonel Meow, Princess Monster Truck, Sir Stuffington und Hamilton the Hipster wird berichtet.

„Sie haben nicht nur Ökosysteme, Schlafzimmer und Hirngewebe vereinnahmt, sondern ganze Kulturen.“ – so Abigail Tuckers äußerst pointiertes Fazit. „Der Tiger in der guten Stube“ ist ein äußerst ansprechendes und informatives Sachbuch, das keine Frage mehr offen lässt. Aufgelockert wird das Ganze mit vielen Geschichten aus dem Privatleben der Autorin.

Veröffentlicht am 04.09.2018

Ein Erinnerungsbuch der besonderen Art

Die Unruhigen
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Linn Ullmann, die Tochter Ingmar Bergmanns und Liv Ullmanns, erinnert sich in ihrem Buch „Die Unruhigen“ an ihren Vater, ihre Mutter und an sich selbst als Kind, Heranwachsende und schließlich als Ehefrau ...

Linn Ullmann, die Tochter Ingmar Bergmanns und Liv Ullmanns, erinnert sich in ihrem Buch „Die Unruhigen“ an ihren Vater, ihre Mutter und an sich selbst als Kind, Heranwachsende und schließlich als Ehefrau und Mutter. Auslöser für dieses Werk sind die im letzten Lebensjahr Ingmar Bergmanns auf Tonband aufgenommenen Gespräche zwischen Vater und Tochter. Ursprünglich sollte aus den Fragen der Tochter und den Antworten des Vaters ein gemeinsames Buch entstehen, was jedoch nicht mehr in dieser ursprünglichen Konzeptform umgesetzt werden konnte. Neun Jahre später entschließt sich Linn Ullmann die Tonbandaufnahmen aufzuarbeiten. Sie sind jedoch nicht nur der Anlass dafür, das Buch zu schreiben, sie durchziehen das gesamte Werk und bestimmen damit dessen Duktus insgesamt. Endergebnis ist ein äußerst facettenreiches, anrührendes Erinnerungswerk, dessen zeitliche Spanne sich von den frühesten Erinnerungen der Autorin bis in die jüngste Vergangenheit erstreckt.

Besonderes Charakteristikum ihres Romans ist es, nicht nur sich selbst sprechen zu lassen, sondern auch die Stimmen anderer Personen miteinzubinden, vor allem die ihres Vaters, sowie in Dialog mit anderen Texten zu treten. So positioniert sich Linn Ullmann oftmals bezüglich eines Themas durch den Einsatz von literarischen Texten: „»Die autobiografische Arbeit beginnt mit dem Gefühl, vollkommen allein zu sein«, schreibt John Berger. Ich wollte sehen, was geschehen würde, wenn ich uns in einem Buch sichtbar werden ließ, als wären wir an keinem anderen Ort daheim.“

Auch thematisiert Linn Ullmann in ihrem Werk oft die Grenzen des Gedächtnisses sowie die Konstruiertheit der Erinnerungen: „Gäbe es ein Teleskop, das man auf die vergangene Zeit richten könnte, würde ich sagen: Sieh her, da sind wir, so hat es sich abgespielt. Und jedes Mal, wenn wir unsicher gewesen wären, ob das, woran ich mich erinnere, wahr ist, oder ob das, woran du dich erinnerst, wahr ist, oder ob das, was geschah, auch wirklich geschah, oder ob wir überhaupt existieren, wären wir in der Lage gewesen, uns nebeneinanderzustellen und zu schauen.“

Sie beobachtet sich selbst stets höchst aufmerksam beim Prozess des Schreibens. „Ich schrieb: »Ich erinnere mich«, und mir war sofort unwohl dabei, da ich begriff, wie viel ich vergessen hatte. Ich besitze ein paar Briefe, ein paar Fotos, ein paar verstreute Zettel, die ich aufbewahrt habe, ohne dass ich zu sagen wüsste, warum ich ausgerechnet diese Zettel aufbewahrte und andere nicht, ich habe sechs Gesprächsaufnahmen mit meinem Vater, aber als wir die Aufnahmen machten, war er so alt, dass er den größten Teil seiner eigenen und unserer gemeinsamen Geschichte vergessen hatte. Ich erinnere mich an das, was geschah, ich glaube, ich erinnere mich an das, was geschah, aber manches habe ich mit Sicherheit auch erfunden, mir fallen Geschichten ein, die immer wieder erzählt wurden, und Geschichten, die nur einmal erzählt wurden, manchmal hörte ich zu, und manchmal hörte ich nur mit halbem Ohr zu, ich lege das alles nebeneinander, lege es aufeinander, lasse es gegeneinander stoßen, versuche, eine Richtung zu finden.“

Linn Ullmann verdeutlicht, dass autobiographische Arbeit in der Literarisierung und Deutung des Geschehens bestehe, dass es nicht darum gehe, den Gegensatz zwischen Fakt und Fiktion aufzulösen: „Um über wirkliche Personen zu schreiben wie Eltern, Kinder, Geliebte, Freunde, Feinde, Onkel, Brüder oder zufällige Passanten, ist es notwendig, sie zu fiktionalisieren. Ich glaube, dies ist der einzige Weg, ihnen Leben einzuhauchen. Sich erinnern heißt, sich umzuschauen, immer wieder jedes Mal von Neuem erstaunt.“

Die Sprache und das Gedächtnis sind für die Erzählerin untrennbar miteinander verbunden. So thematisiert sie auch den lebenslangen Sprachkampf des Vaters und seinen allmählichen Sprachverlust in den letzten Lebensjahren: „Die Stille im Schreibzimmer ist nicht ungetrübt freundlich. Die Worte kommen nicht, oder sie kommen in der falschen Reihenfolge. Die Sätze winden sich und haben weder Anfang noch Ende. Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt, schrieb Wittgenstein, doch was geschieht jetzt, fragt der Fårökauz, was geschieht jetzt, da ich dabei bin, die Sprache zu verlieren. Bald sind nur noch Scherben übrig.“

Das Werk besitzt zwar eine chronologische Grundstruktur, die sich in der Kapiteleinteilung zeigt: Der erste Teil ist ihrer Kindheit auf Fåro gewidmet, der zweite ihrem Vater und ihrem gemeinsamen Projekt, der dritte ihrem Aufenthalt in Amerika mit ihrer Mutter, und die letzten beiden Teile wieder ihrem Vater in seinen unterschiedlichsten Lebensphasen, wobei sie auch das Verhältnis ihrer Eltern zueinander im vorletzten Teil näher beleuchtet. Und doch kann man von einer Chronologie im engeren Sinn nicht sprechen, da die Erzählung, teilweise mehrmals innerhalb eines Absatzes, zwischen verschiedenen Zeitebenen wechselt. Die geschilderte Vergangenheit wird sozusagen reflektierend von der Gegenwart eingeholt. Umgekehrt passiert dasselbe auch mit der Gegenwart, die durch Rückgriff auf Vergangenes überprüft wird. Die Gegenwart und die Vergangenheit stehen somit in einem ständigen Dialogverhältnis. Eine mosaikartige Konstruktion ist das Ergebnis, Gesprächs- und Gedankenbruchstücke aus unterschiedlichen Zeiten im Leben der Erzählerin werden miteinander vermischt. Wo oberflächlich eine Chronologie herrscht, wird sie durchbrochen und wo wiederum chronologisch eigentlich ein Bruch besteht, wird der Leser mit unerwarteten Zusammenhängen konfrontiert. Die erlebte Vergangenheit wird stets von der Gegenwart eingeholt, Erzählgegenwart und reflexive Betrachtungen spannen sich lückenfüllend über die gesamte geschilderte Vergangenheit.

Linn Ullmann verbindet in ihrem Werk „Die Unruhigen“ Literarizität und Reflexivität miteinander, sie lässt es zu einem Stimmen- und Textkonglomerat werden, das den Leser unwillkürlich in seinen Bann zieht und nachhaltig prägt.

Veröffentlicht am 04.09.2018

Zu hohe Erwartungen?

Die Schwestern von Mitford Manor – Unter Verdacht
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Die skandalumwitterten Mitford-Schwestern, der unaufgeklärte Mord an Florence Nightingale Shore und auch noch aus der Feder Jessica Fellowes, der Nichte Julian Fellowes, der die Drehbücher zu der Serie ...

Die skandalumwitterten Mitford-Schwestern, der unaufgeklärte Mord an Florence Nightingale Shore und auch noch aus der Feder Jessica Fellowes, der Nichte Julian Fellowes, der die Drehbücher zu der Serie „Downton Abbey“ geschrieben hat! Diese Kombination verspricht einen erstklassigen Lesegenuss!

Das (oder so ähnlich) mag sich manche Person gedacht haben, als sie zu dem Roman „Die Schwestern von Mitford Manor. Unter Verdacht“ griff. Leider werden die auf diese Weise hochgeschaukelten Erwartungen nur zum Teil erfüllt.

Kommen wir zunächst auf die Mitford-Familie zu sprechen. Wählt man als Autor(in) bekannte historische Persönlichkeiten, so hat man den Vorteil, dass man die Figuren nicht mehr einführen und dem Leser erst sympathisch machen muss, der Nachteil dagegen besteht darin, dass je nach Wissensstand des Lesers, gewisse Erwartungen den Figuren gegenüber nicht erfüllt werden, was ich in dem vorliegenden Fall bestätigt sehe. Von dem spezifischen Flair der schockierenden aber trotzdem (oder gerade deshalb!) faszinierenden Mitford-Schwestern ist in dem Roman Jessica Fellowes nichts zu spüren. Natürlich kann man das zum Teil darauf zurückführen, dass in dem ersten Band der Mitford-Schwestern-Serie nur Nancy Mitford fast erwachsen ist, die restlichen Mitford-Schwestern dagegen noch Kinder sind, doch hätte in diesem Fall zumindest Nancy so herausgearbeitet werden können, dass sie für den Leser direkten Erkennungswert hätte. Trotzdem bleibt abzuwarten, ob die Autorin in den weiterführenden Bänden das Charakteristikum der Mitford-Schwestern gezielter herausarbeiten wird, hat sie doch, eigenen Angaben zufolge, die Primär- und Sekundärliteratur zu den Mitford-Schwestern eingehend studiert!

Was den kriminalistischen Aspekt in dem Roman betrifft, so zieht er sich über drei Viertel des Romans in die Länge, um im letzten Viertel rasant an Tempo zuzunehmen, um dann ebenso schnell wieder zu verklingen und sich zusammen mit all den anderen im Laufe der Romanhandlung aufgebauten Konflikten in Wohlgefallen aufzulösen.

Auch eine kleine Liebesgeschichte wird einem geboten, die den Leser jedoch auch nur mäßig fesseln kann. Vielmehr dient sie wohl dem Zweck, den personalen Erzähler auf zwei Figuren aufzuteilen, deren Schicksal miteinander verwoben wird und die doch separat für sich agieren können und so den Mordfall gemeinsam lösen können.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Roman leicht und flüssig zu lesen ist, er jedoch weder in erzählerischer noch sprachlicher Hinsicht als herausragend zu bezeichnen wäre. Der Roman ist zwar nicht schlecht zu nennen, es fehlt ihm jedoch an Leben, Individualität, Glaubwürdigkeit und Authentizität. Sicherlich hat Jessica Fellowes für den ersten Band der Mitford-Manor-Serie viel Recherche betrieben und das sollte man ihr auch zugute halten, doch wirkt alles – die Figuren, die Situationen, die Gespräche – viel zu konstruiert, als dass man den Roman zu wirklich guter Literatur zählen könnte.