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Veröffentlicht am 25.04.2024

eine ruhige, fein erzählte tiefgründige Geschichte

Zuckerbrot
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Ich mag die Unaufgeregtheit mit der wir in „Zuckerbrot“ Pin und ihre Familie kennenlernen. Pin, aus deren Sicht der Großteil der Geschichte erzählt wird, merkt die Untiefen der Familiengeschichte an ihren ...

Ich mag die Unaufgeregtheit mit der wir in „Zuckerbrot“ Pin und ihre Familie kennenlernen. Pin, aus deren Sicht der Großteil der Geschichte erzählt wird, merkt die Untiefen der Familiengeschichte an ihren klugen Beobachtungen der Gegenwart. Die Beschreibungen von Jinis Kochkünsten und Pins Interpretation der Gefühle ihrer Mutter über diese sind berührend. Im Verlauf der Geschichte werden langsam aus Andeutungen und Ahnungen Wissen. In beständigem Erzähltempo und mit Beschreibungen Singapurs die eindrücklich und zugänglich sind, folgen wir Pin zur Schule, in den Sikh-Tempel und auf den Platz zum Fußballspielen. Jeder der Charaktere ist mir schnell ans Herz gewachsen, nicht zuletzt weil Pins Liebe für ihre Familie aus den Beschreibungen spricht. Gleichzeitig ist da die Vorsicht, das auf Eierschalen laufen, die Abgründe, die die Charaktere auch haben. Langsam, wie Perlen in einem Wasserglas, brechen Konflikte auf, zeitweise hatte ich den Eindruck drückender Luft bei einem Sommergewitter. Meisterhaft vermittelt die Autorin diese Stimmungen und die sanften Entwicklungen. Es ist eine Familiengeschichte, ein Gesellschaftsroman und auch einfach eine berührende Coming-of-age Geschichte in der die verschiedenen Themen immer wieder die verschiedenen Ebenen berühren, insbesondere das Thema Religion. „Zuckerbrot“ liest sich gut, im Anhang gibt es noch ein Glossar zu kulturellen oder singlischen Begriffen, ich musste nie nachschlagen um dem Text folgen zu können, mochte diese Einblicke aber trotzdem.

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Veröffentlicht am 17.04.2024

Poetisch, drückend: Portrait der Odile Ozanne

Das andere Tal
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„Das andere Tal“ folgt in der Erzählung dem Leben von Odile, zu Beginn des Romans 16 Jahre alt. Das Besondere: Gleichzeitig existieren in den Tälern nach Ost und West jeweils 20 Jahre zeitversetzt Odile ...

„Das andere Tal“ folgt in der Erzählung dem Leben von Odile, zu Beginn des Romans 16 Jahre alt. Das Besondere: Gleichzeitig existieren in den Tälern nach Ost und West jeweils 20 Jahre zeitversetzt Odile und die anderen Bewohner. So kommt es, dass Odile Besucher erkennt und aufgrund der Regelungen zur Genehmigung solcher Zeitreisen absehen kann, dass einer ihrer Mitschüler wohl sterben wird. Damit muss Odile umgehen.

Dieses Buch hat mich schnell in seinen Bann gezogen, es ist wie ein düsteres Loch, das mich verschluckt hat. Die Zeitreisemöglichkeit, die erstmal wie süße Freiheit klingt, wird stark reglementiert, die (räumliche) Existenz und Anwesenheit von Zukunft und Vergangenheit wird zwar auch zum reizvollen Gedankenspiel, hauptsächlich aber zur drückenden Last. So sind die Themen des Romans Fragen zu Freiheit, Vorherbestimmung und dem Umgang mit einer Gegenwart die doch nicht so ganz gegenwärtig sein will. Hin und wieder tauschen sich auch die Charaktere über die philosophischen Fragen aus, viel mit Explizitem oder gar mit festen Antworten dient das Buch aber nicht.

Odile ist eine Hauptperson, die mich stark mitgezogen hat, so wie sie sich mitziehen ließ. Bei mir kam selten der Frust mit ihr hoch, ich fand es eher tröstlich ihre fortlaufende Existenz mitzuerleben. Wer sich nach Action sehnt wird das womöglich ganz anders sehen. Die wenigen wirklich wichtigen Charaktere sind alle interessant, viele Entwicklungen bleiben angedeutet, trotzdem findet sich eine überzeugende Tiefe.
Dieses Buch besticht mit einer durchweg poetische Sprache, bei der immer wieder ganze Sätze oder Satzteile hängen bleiben und nachhallen. Sie trägt die Stimmung und macht das größtenteils langsame Tempo der Handlung gewinnbringend. Trotz seiner diesbezüglichen Anlagen bleibt mir dieses Buch nicht als Logikrätzel, sondern als Biografie, als Portrait von Odile, in Erinnerung.

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Veröffentlicht am 05.04.2024

überraschend wie überzeugend viel Romantik in einer (noch) nicht ganz so düsteren Dystopie

Honesty. Was die Wahrheit verbirgt
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Mit "Honesty" hatte ich viel Lesefreude! Mit Meander (kurz Mae) und aus ihrer Sicht erleben wir den dystopischen Staat Sestiby, der gob das ehemalige Deutschland umfasst. In Sestiby sagt jede*r die Wahrheit, ...

Mit "Honesty" hatte ich viel Lesefreude! Mit Meander (kurz Mae) und aus ihrer Sicht erleben wir den dystopischen Staat Sestiby, der gob das ehemalige Deutschland umfasst. In Sestiby sagt jede*r die Wahrheit, dank der verpflichtenden Einnahme eines Medikamentes. "Schlechte" Gefühle wie Neid, Wut, Eifersucht und Hass, aber auch Trauer unterbrindet dieses Medikament ebenfalls. Nur bei Mae nicht, seit sie denken kann fühlt sie und muss aufpassen dafür nicht angeklagt zu werden, denn nur, wenn alle unter der Wirkung des Medikaments stehen, kann es Zusammenleben und Frieden geben, oder?

Gleich zu Beginn wird eine der Stärken des Buches deutlich: die Charaktere und ihre Beziehungen untereinander. Mae und ihre Familie sind schnell ins Herz geschlossen, auch die weiteren, im Verlauf des Buches eingeführten wichtigen Charaktere machen Spaß und haben Persönlichkeit und treten als glaubhafte Akteure ihrer selbst auf, auch wenn wir mit Mae bangen und zweifeln und Vertrauen gewinnen und verlieren. Dass einige Charaktere nicht-binär oder schwul/Lesbisch oder aromantisch sind passiert ganz nebenbei, Franzi Kopka ist hier eine coole casual queer representation gelungen die über Nebencharaktere hinausgeht, auch Maes Väter sind ein Schwules Ehepaar. Mir gefällt besonders, dass Sestiby deswegen nicht ein Deut weniger dystopisch ist, im Gegenteil, queere Identitäten werden genauso knallhart nach Logik des Systems in Gesetze eingebunden.

"Honesty" kommt mit einer interessanten Mischung aus Bedienen von tropes und klassischen Elementen sowie den Brüchen damit. Eine KI, ein überwachender Staat, eine Pandemie als Hintergrund, Denglische Begriffe wie "HealFix" und Elemente die deutlich an einzelne relevante Werke erinnern, wie zb. die Aufteilung von Sestiby in Ringe die den sozialen Status festlegen. Gleichzeitig steht Mae mit ihrem Problem von Anfang an nicht alleine da, sondern hat den Rückhalt ihrer Famile. Außerdem achtet Franzi Kopka auf eine weitestgehend ent-genderte Sprache indem sie, nicht das weiter verbreitete gender-Sternchen, sondern, das Partizip ("Aufsehende"/"Behandelnde") nutzt. Ich habe allerdings nicht lange gebraucht um mich in diesen sprachlichen Stil einzufinden.
Im Klappentext angeteasert, liefert sie eine enemies-to-lovers Geschichte, die mich überzeugt hat. Wer diese trope nicht mag sollte das Buch lieber sein lassen, denn neben der Dystopie findet erstaunlich viel Romantik Platz auf den Seiten. In der ersten Hälfte stehen diese ganzen Aspekte auch noch etwas unverbunden nebeneinander, aber mit der Zeit ergibt sich immer mehr ein Gesammtbild, was ich insbesondere vor dem Hintergrund der Trilogie und noch kommenden Bände auch ok finde. Es dauerte eben etwas, so war mehr Zeit zu flirten. Die angelegten politischen Themen werden sicherlich noch tiefer Thema werden, wenn es weitergeht.

"Honesty" war durchaus anders als erwartet, aber enttäuscht bin ich nicht. Immer wieder landeten Sätze treffsicher und brachten mich zum lachen, zum frösteln oder vor Spannung schnell weiter lesen. Ich hatte meinen Spaß und hoffe sehr ihn in der restlichen Trilogie fortsetzen zu können.

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Veröffentlicht am 01.04.2024

eine wertvolle Leseerfahrung

Babel
4

Ich habe meine Zeit gebraucht um mit "Babel" warm zu werden. Ich fühlte mich etwas allein gelassen und verloren in der Erzählung. Ich würde die ersten Hälfte nicht gerade als fast-paced beschreiben, wie ...

Ich habe meine Zeit gebraucht um mit "Babel" warm zu werden. Ich fühlte mich etwas allein gelassen und verloren in der Erzählung. Ich würde die ersten Hälfte nicht gerade als fast-paced beschreiben, wie bei einem guten Tee nimmt Kuang sich die Zeit die Erzählung ziehen und die Nuancen entfalten zu lassen. Nichts passiert ohne Sinn, aber tiefgreifendes Verständnis ist nicht bei jedem erzählerischen Schlenker notwendig um der Handlung zu folgen. Vielmehr gibt es unzählige kleine "Landschaftsschwenks" oder Griffe ins Bonbonglas, die je nach geschichtlicher, linguistischer oder theologischer Vorbildung und Vorliebe mal mehr mal weniger vom Lesenden gewertschätzt werden können und die Haupthandlung stilvoll unterstreichen. Ich persönlich kann kein Französisch und habe an diesen Punkten die eingestreuten Feinheiten nicht wertschätzen können, dafür war ich begeistert wie viel Tiefgang mir schon meine rudimentären Mandarin Kenntnisse in diesem Buch geschenkt haben.

Nach der Hälfte etwa aber, da geht die Erzählung ab wie eine Lawine. Es lohnt sich durchzuhalten, wenn eins den erzählerischen Ansatz der ersten Hälfte eher zäh empfinden sollte. Und wer in den vielen Details und angelegten Themen in Ruhe geschwelgt hat muss vielleicht auch mit der Härte, der Konsequenz konfrontiert werden. So oder so, das Erzähltempo ändert sich und ich halte das für eine wertvolle Entscheidung von Kuang.

Mir fehlen am Anfang ein paar Alltagsinteraktionen unserer vier Hauptpersonen, Robins Jahrgang an der Uni. Etwas mehr Ausgestaltung ihrer Freundschaft wäre schön gewesen, Szenen wie Robins und Ramys ersten Abend hätte es mehr gebraucht. So werden immer wieder Momente referenziert an denen wir als Lesende nicht unmittelbar teilhaben durften, ich fühle mich als Leser um etwas Versprochenes betrogen.

Das magische System des Silberwerkens hat mich von Anfang an begeistert. Es traf einfach alle meine persönlichen Dispositionen, war mir einleuchtend und hat mich, auch in der Beschreibung in der Geschichte, tief angerührt. Ich kann mir aber vorstellen, dass es für manche Lesende zu technisch, zu abstrakt, schlicht zu wenig Magie beinhaltend daher kam. Das Magiesystem fügt sich nahtlos in die Welt ein, Kuang schafft es, dieses auch nicht zum Widerspruch der realen Historie zu machen. Gleichzeitig bleibt das Magiesystem meiner Meinung nach dadurch hinter seinem Potential zurück und erschafft einfach keine Fantasy vibes für das ganze Buch.

Es scheint mir nicht treffend zu sagen, dass es in diesem Buch um Rassismus geht. Natürlich "geht es" um Rassismus. Unsere rassistische Welt ist Fundament von Babel. So natürlich wie diese Welt gezeichnet wird, so selbstverständlich fühlen sich die Gespräche darum im Rahmen der Erzählung an. Es fehlt schlicht dieser gewisse Aspekt von Theater spielen den die meisten Bücher, die Diskriminierungsformen thematisieren, aufweisen. Es geht eben über die Darstellung von Diskriminierung und Vorurteil hinaus, es nimmt das systemische Wirken ernst und bildet dieses ab. Daher geht es natürlich auch um Identität, um Werte und Verwertung, um Respekt, Würde und der Frage nach dem praktischen Wie von Hoffnung und Veränderung.
"Babel" ist ein gewaltiges Buch, in jeder Hinsicht. It contains multitudes, es enthält und verbindet so viele Ebenen. Und immer mit einem wachen Verstehen, nicht ein Charakter, der holzschnittartig daher kommt oder dem die Erzählweise die Würde nimmt.

Ich würde sagen, der dark academia Aspekt ist in "Babel" deutlicher als der Fantasy Aspekt. Auch Leser:innen die sonst nicht im Fantasy Genre unterwegs sind können, denke ich, gut mit diesem Buch warm werden. Wer das Buch aufgrund des „Harry Potter“ Vergleiches auf dem Einband lesen möchte oder (high) Fantasy erwartet wird enttäuscht werden. Ich habe den Eindruck, das Marketing tut dem Buch hier keinen Gefallen.

Mein persönliches Fazit ist positiv, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das Verallgemeinern möchte.

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Veröffentlicht am 14.03.2024

ehrliche authentische Stimmen in einem Sammelband

Vögel im Kopf
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Patient:innen und Zugehörige erzählen in der Rückschau über Ihre Zeit und Erfahrung in und mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Gerahmt wird das Buch von Worten von in der KJP tätigen Menschen, diese ...

Patient:innen und Zugehörige erzählen in der Rückschau über Ihre Zeit und Erfahrung in und mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Gerahmt wird das Buch von Worten von in der KJP tätigen Menschen, diese kommen auch in eigenen Beiträgen im Buch zu Wort. Jeder Beitrag hat seine eigene Stimme, eine Verallgemeinerung ist kaum möglich. Manche Beiträge beleuchten die selbe Situation aus jeweils anderen Perspektiven, einige stehen für sich. Je nach Beitrag finden sich nüchternere Beschreibungen und Ablaufsberichte, kunstvoll erzählte Puzzel oder Dramaturgien und offene, ehrliche Einblicke in Gedanken und Fühlen der Autor:innen. Zu den Texten gibt es kleine Biografien. Jeder Text ist einzigartig, sie verbindet erstmal nur der Ort an dem sie spielen und von dem sie, mal mehr mal weniger, handeln. Trotzdem kommen manche Gedanken oder Themen immer wieder, in unterschiedlichen Schattierungen und Wärmestufen, zusammen ergeben die Texte einen Chor der erstaunlich harmonisch klingt. Ob das an gelungenen Lektorat lag oder eine Wirklichkeit abbildet vermag ich nicht zu sagen.

Einzelne Texte haben mich sehr berührt, haben an meine eigenen Erfahrungen freundlich angeklopft, mich in den Arm genommen oder sind mir auch wie Geister kalt den Rücken herunter gerutscht. Ich habe nach ein paar Texten das Buch weglegen müssen um erstmal zu weinen und zuzulassen, dass ich berührt werde. Denn berührt haben sie mich, diese Texte. Manchmal war es nur ein Nebensatz oder ein sprachliches Mittel. Wenn Patient*innen authentisch zu Wort kommen dürfen, so wie hier, ist das wertvoll. Es wird nichts von außen beschönigt oder abgewertet. Ich bin mir sicher, die Texte, die mich nicht derartig tief berührt haben, taten dies bei anderen Lesenden.

Es ist keine Lektüre für Zwischendurch oder Nebenbei, diese Texte haben Aufmerksamkeit verdient und Zeit. Es ist keine Unterhaltung oder Bespaßung für die Lesenden, trotzdem ist das Buch kein -metaphorischer- schwerer Klotz sondern behält im Chor der Beiträge eine Weitsicht und Öffenheit, die gut tut.

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