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Veröffentlicht am 15.09.2016

Eine Welt voller Bücher...

Die Seiten der Welt
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Kai Meyer schafft mit diesem Roman eine Welt, in der sich alles um Bücher dreht. Neben sprechenden Lesesesseln und -lampen, Buchstaben, die aus den Seiten fallen und Kolonien bilden, und allerhand anderen ...

Kai Meyer schafft mit diesem Roman eine Welt, in der sich alles um Bücher dreht. Neben sprechenden Lesesesseln und -lampen, Buchstaben, die aus den Seiten fallen und Kolonien bilden, und allerhand anderen Kreaturen gibt es die Möglichkeit, durch Bücher zu reisen, durch Bücher Magie zu wirken (die Bibliomantik) und sogar die geheime "Bücherstadt" Libropolis, in der es so gut wie jedes Buch gibt, das das Herz begehrt. Diese Welt birgt aber nicht nur positives: Man kann mit der Bibliomantik auch Schaden anrichten und Furia muss sich einigen Gefahren entgegenstellen. Es gibt einen großen Konflikt und darin mehrere Positionen, die sehr unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wie das Leben sein sollte. Man kann jede Seite verstehen und es fällt dem Leser schwer, sich zu entscheiden, was richtig und was falsch ist; die Protagonistin selbst handelt an mehreren Stellen sehr grenzwertig, weil sie glaubt, im Recht zu sein, und ist damit keinesfalls allein. Meyers Welt kann durchaus brutal und unbarmherzig sein - was die ganze Sache unglaublich faszinierend macht.

Man hat vielschichtige Figuren (vor allem die Protagonistin), über deren Entscheidungen man ausgiebig diskutieren könnte. Man mag nicht immer zustimmen, aber man kann normalerweise nachvollziehen, warum die Charaktere glauben, nicht anders handeln zu können. Die Nebenrollen sind ebenfalls interessant und zwar bunt zusammengewürfelt, aber jede hat ihren festen Platz und passt hervorragend in die Geschichte. Außerdem stecken die Figuren voller Überraschungen, es ist lange unklar, wer Freund, wer Feind und wer "neutral" ist.
Hinzu kommt eine wendungsreiche Handlung, die sehr fantasiereich und auch spannend ist. Furia und ihre Begleiter durchleben einige Abenteuer, wobei jeder einen eigenen, ganz individuellen Antrieb hat. Auch die Gesellschaft, die der unseren ähnelt, sich aber durch das Vorkommen der Bibliomantik und natürlich durch die Elemente der Phantastik von ihr unterscheidet, wird recht gut erklärt und der historische Hintergrund hat mich besonders interessiert. Ich hätte gerne mehr erfahren und ein paar offengebliebene Detail-Fragen (die für die Handlung des Buches keine größere Rolle spielen) beantwortet bekommen, aber insgesamt ist die Geschichte in sich rund und findet auch einen gelungenen Abschluss, der zu den vorherigen Ereignissen passt und auf mich recht realistisch wirkt. Generell kann man sagen, dass Kai Meyer die Phantastik und den Realismus gut ausbalanciert hat. Die Fantasy-Elemente sind glaubhaft in das Geschehen eingebunden und die Welt ist, wie bereits erwähnt, sehr faszinierend - nicht nur, weil sich viel um Bücher dreht, aber auch. Die Welt bietet so viel Potential und eröffnet unendliche Möglichkeiten, was es noch geben könnte, was noch möglich sein könnte, was erreicht werden kann.

Ein kleiner Kritikpunkt ist für mich das Ende. Es ergibt zwar Sinn und passt zur Geschichte, aber irgendwie waren mir die Erklärung und die Auflösung fast zu einfach. Ich hatte zwar nicht damit gerechnet, dass sich alles so zusammenfügen würde, aber ich hatte wohlt etwas anderes erwartet.
Dennoch bekommt Die Seiten der Welt von mir 4,5 Sterne. Das Buch hat mich sehr gefesselt und ich konnte es kaum aus der Hand legen. Absolute Empfehlung!

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ihr lebt in eurer Geschichte, wir in unserer.

Die Straße der Geschichtenerzähler
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Zunächst muss angemerkt werden, dass die Geschichte nicht war, was ich aufgrund der Inhaltsangabe auf dem Buchrücken erwartet hätte. Besonders ärgert mich die falsche Information, dass Vivian Tahsin Bey ...

Zunächst muss angemerkt werden, dass die Geschichte nicht war, was ich aufgrund der Inhaltsangabe auf dem Buchrücken erwartet hätte. Besonders ärgert mich die falsche Information, dass Vivian Tahsin Bey erst bei der Ausgrabung in Labraunda kennen lernen würde - er ein Freund ihres Vaters und kannte sie, seit sie ein kleines Kind war, was auch so im Klappentext steht. Es ist nur eine Kleinigkeit, die keine wirkliche Konsequenz für die Handlung hat, aber ich frage mich wirklich, wie solche Fehler in der Inhaltsangabe passieren können.
Auch die angekündigte Geschichte einer "großen Liebe" gibt es nicht. Vivian und Tahsin entwickeln zwar Gefühle füreinander, werden aber durch den Krieg getrennt, bevor sie diese ausleben könnten. Ich will nicht zu viel verraten, aber wer eine romantische Liebesgeschichte vor einem historischen, exotischen Hintergrund erwartet, wäre von diesem Buch sehr enttäuscht. Sie spielt nur am Rande eine Rolle.

Viel wichtiger sind die historischen Ereignisse. Der erste Teil des Buches beschäftigt sich mit dem Ersten Weltkrieg und der Fokus liegt hierbei auf der Indischen Armee und ihrem Beitrag zum Kampf Großbritanniens. Dies fand ich sehr interessant, da ich bisher nicht viel über die Teilnahme nicht-europäischer Länder am Krieg wusste und ich somit eine „andere“ Seite des ersten Weltkrieges kennenlernen konnte.
Shamsie schafft es sehr gut, den Schrecken des Krieges nahezubringen. Vivian, die Protagonistin, arbeitet eine zeitlang als freiwillige Schwesternhelferin und sieht viele Menschen ihren Verletzungen erliegen, während Quayyum Gul (dessen Geschichte auch einen großen Teil der Handlung einnimmt) selbst verwundet wird. Auch nachdem die beiden nach Peschawar reisen und somit den Kriegshandlungen entkommen, spürt man, dass der Krieg noch nicht vorbei ist, sondern sie immer noch verfolgt, nicht loslässt.

Die beiden Hauptcharaktere sind sehr unterschiedlich und sich dabei doch ähnlich. Vivian ist zu Beginn unglaublich naiv, sehnt sie sich nach der Anerkennung ihres Vaters und will ihrem Vaterland im Krieg helfen. Quayyum ist stur, seinem Vaterland treu ergeben und davon überzeugt, dass Großbritannien etwas ist, von dem sein Land sich befreien sollte. Beide verändern sich durch den Krieg, machen ihre Fehler und haben eindeutige charakterliche Schwächen, was sie als Figuren glaubwürdig macht.
Außerdem haben beide ihre Vorurteile, von denen sie sehr fest überzeugt sind. Dies macht die Geschichte interessant, da die Autorin es so schafft, die schwierige Situation des Ersten Weltkrieges und des danach beginnenden Unabhängigkeitskampfes des heutigen Pakistans aus der Sichtweise beider Parteien darzustellen. Sie zeigt, wie beide Seiten glauben, das richtige zu tun und wie beide Seiten sich ein festes Bild ihrer Gegner machen, wovon sie sich nur schwer abbringen lassen. Beide Seiten werden berücksichtigt und beide Seiten handeln nicht immer richtig. Das hat mir gut gefallen, da Shamsie somit eine typische Schwarz-/Weiß-Malerei vermieden hat.

Insgesamt fand ich "Die Straße der Geschichtenerzähler" sehr gut. Es war abwechslungsreich, gut geschrieben und faszinierend. Besonders interessant waren für mich hierbei die historischen Fakten, die die Autorin eingearbeitet hat, und ihre Ausarbeitung der Krisensituation.
Was mir leider nicht gefallen hat, war das Ende, genauer gesagt die letzten fünfzig Seiten. Ich hatte das Gefühl, dass sich eigentlich nichts aufgelöst hat, und fand alles ein wenig verwirrend, vor allem durch den Wechsel der Perspektive. Deshalb habe ich von der Endwertung einen halben Stern abgezogen und "nur" 3,5 Sterne: gegeben. Außerdem hat mich gestört, wie Dialoge dargestellt wurden. Sie wurden nicht mit Anführungszeichen markiert und manchmal wurden auch mitten im Absatz ein paar Worte gesagt, die nicht hervorgehoben wurden, was meinen Lesefluss ein paar Mal unterbrochen hat.

Abgesehen von dieser Kritik kann ich das Buch aber weiterempfehlen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Guter Krimi

Schwarzer Lavendel (Ein-Leon-Ritter-Krimi 2)
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Schwarzer Lavendel hat mir gut gefallen. Es ist ein eher ruhiger Krimi; die schöne Landschaft der Provence wird so bildlich beschrieben, dass man das Gefühl hat, dort zu sein und das Privatleben des Protagonisten ...

Schwarzer Lavendel hat mir gut gefallen. Es ist ein eher ruhiger Krimi; die schöne Landschaft der Provence wird so bildlich beschrieben, dass man das Gefühl hat, dort zu sein und das Privatleben des Protagonisten spielt eine große Rolle. Er spielt Boule, verbringt die Abende mit seiner Vermieterin und deren Tochter und zudem hat er ein abgelegenes Haus geschenkt bekommen, um das er sich kümmert, kurz: er führt außerhalb der Arbeit ein recht erfülltes Leben, das ausgiebig dargestellt wird. Insgesamt vermittelt der Autor eine gelassene, entspannte Atmosphäre, ideal für einen kleinen Urlaubsort. Er schafft es aber ebenso gekonnt, diese Idylle zu unterbrechen, wann immer es um die Morde geht. Gerade die Kapitel aus der Sicht des Täters und seiner Opfer tragen dazu bei, eine bedrohliche Stimmung zu schaffen. Schon der Prolog gibt uns Einblicke in die letzten Momente des Opfers und Eyssen hat meiner Meinung nach sehr gut beschrieben, wie orientierungslos, panisch und auch ungläubig es ist. Die Motivation des Mörders wurde ebenfalls sehr klar herausgearbeitet und seine geradezu fanatische Art, gepaart mit seinem planvollen Vorgehen, haben ihn gefährlich wirken lassen.

Wie bei vielen Krimis haben es mir besonders die Schilderungen der Arbeit am Fall angetan. Eyssen beschreibt die Autopsien recht detailliert und er vermittelt dabei auf leicht verständliche Art einiges an sehr interessantem Fachwissen, zum Beispiel über die Mumifizierung. Auch, was in einem toten Körper vorgeht, beschreibt der Autor, ohne dabei allerdings zu graphisch zu werden. Zudem gab es Einblicke in die Struktur und Arbeitsweise der französischen Polizei, was ebenfalls interessant war. Ich hätte mir hier fast mehr Details gewünscht.

Die Charaktere selbst sind gut ausgearbeitet - zumindest die beiden Protagonisten, Leon Ritter und Isabelle Morell. Beide Charaktere haben Stärken und Schwächen sowie kleine Macken; Leon beispielsweise „diagnostiziert“ seine Mitmenschen ständig und weist ihnen mögliche Krankheitsbilder zu. Diese 'Berufskrankheit' macht ihn greifbar und (für mich) auch sympathisch.
Im Gegensatz dazu sind die Nebenfiguren leider ein wenig eindimensional, gerade der Polizeichef, Zerna, der aus Prinzip immer gegen Ritter vorzugehen scheint. Dies hat mich ein wenig genervt; der Gerichtsmediziner überschreitet zwar manchmal seine Grenzen und eckt durch seine unbequemen Theorien an, aber dennoch ist diese anhaltende Antipathie unnötig. Zerna wirkt einfach unprofessionell, wenn er seine Gefühle über Beweise und Fakten stellt und da frage ich mich, wie er so zum Polizeichef werden konnte. Natürlich soll er Ritters Gegenspieler sein, aber ich finde, dass die Handlung auch ohne diese Konstellation auskommen würde.
Ebenfalls kritisieren muss ich Leon Ritters Intuition, die für meinen Geschmack ein kleines bisschen zu gut ist. So „halluziniert“ er, dass ein Tier über den Boden zur Leiche hinhuscht, nur um dann an ihr tatsächlich ein Exemplar dieser Gattung zu finden. Diese Eingebung fand ich unnötig und ehrlich gesagt habe ich nicht verstanden, welchen Zweck sie erfüllte, da er den Hinweis auch ohne sie hätte finden können.
Dazu kommt, dass die Hauptverdächtigen, die im Laufe der Handlung präsentiert wurden, in meinen Augen zu offensichtlich verdächtig wirkten, sodass mir von Anfang an klar war, dass sie die Morde nicht begangen hatten. Die eigentliche Auflösung hat mir dafür gut gefallen; es war eine überraschende, aber stimmige Wendung.

Fazit
Trotz dieser Kritik ist "Schwarzer Lavendel" ein guter Krimi. Der Fall ist spannend und die Ermittlungsarbeit sehr interessant dargestellt, dazu sind die Protagonisten sympathisch und der Autor versteht sich darauf, die eher idyllische Atmosphäre der Geschichte mit der bedrohlichen Stimmung, die durch die Taten entsteht, zu verbinden.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein ungewöhnlicher Reisebericht

No Baggage
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Auf No Baggage bin ich hauptsächlich durch den Untertitel aufmerksam geworden - "Ein Date, drei Wochen, acht Länder - und kein Gepäck" klang nach einer interessanten, außergewöhnlichen Geschichte. Zuerst ...

Auf No Baggage bin ich hauptsächlich durch den Untertitel aufmerksam geworden - "Ein Date, drei Wochen, acht Länder - und kein Gepäck" klang nach einer interessanten, außergewöhnlichen Geschichte. Zuerst dachte ich, dass es sich um einen Roman handelt, doch als ich erkannte, dass Clara Bensen ihre eigenen Erlebnisse niedergeschrieben hat, stieg meine Neugierde. Ich konnte mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, drei Wochen lang ohne Gepäck zu verreisen, und war gespannt darauf, ob das wirklich funktionieren würde - vor allem, da die Autorin und ihr Freund erst seit kurzer Zeit zusammen waren. Ich erwartete einen Bericht über die Schwierigkeiten und Erfolge dieser ungewöhnlichen Reise... und teilweise habe ich das auch bekommen.

Bensens Schilderung der Reisen ohne Gepäck war überraschend positiv. Laut ihrer Darstellung hatten sie und Jeff kaum Probleme, ohne Besitztümer oder auch eine feste Unterkunft auszukommen; sie haben außer ihren Klamotten und einer handvoll Kleinigkeiten nichts materielles bei sich und kommen bei Fremden unter (sogenanntes Couchsurfing) oder buchen spontan Hotelzimmer. Die Autorin stellt schnell fest, dass sie dieser Art des Reisens einiges abgewinnen kann, sodass das Buch eine sehr positive Darstellung ist. Ich kann nicht beurteilen, ob wirklich alles so vergleichsweise reibungslos abgelaufen ist, aber ich hatte mehr Unannehmlichkeiten und auch Zweifel erwartet. Beides tritt aber nur vereinzelt und hauptsächlich zu Beginn auf. Beispielsweise werden hygienische Probleme erwähnt, doch sie scheinen nicht wirklich von Bedeutung zu sein.
Zwischendurch geht die Autorin durchaus auf persönliche Spannungen ein, die sie und ihr Freund haben, doch dies wird auch nur recht kurz behandelt.

Um ehrlich zu sein hatte ich erwartet, dass die Reise an sich ausführlicher geschildert werden würde, dass die Autorin auf die Menschen, bei denen sie unterkommen und die sie treffen, mehr eingeht und außergewöhnliche Erlebnisse darstellt. Es gibt durchaus solche Szenen, doch hauptsächlich schildert Bensen ihre Eindrücke und Stimmungen. Zudem befasst sich ein großer Teil der Geschichte mit den persönlichen Problemen in ihrer Vergangenheit und den Auswirkungen auf die Gegenwart und ihre Beziehung zu Jeff. Schnell wird so klar, dass die beiden zwar ohne materielle Güter, dafür aber mit emotionalem Gepäck unterwegs sind; gerade Clara hat ein Päckchen zu tragen. Sie geht recht ausführlich auf ihre psychischen Probleme, ihre eher konservative Erziehung sowie die Versuche, sich davon zu lösen, ein. Auch das Entwickeln ihrer romantischen Beziehung wird geschildert. Das hat mich nicht wirklich gestört, aber es war nicht das, was ich erwartet hatte und ich kann mir vorstellen, dass es andere stören könnte, die einen reinen Reisebericht erwarten. Die Reise steht zwar im Mittelpunkt, aber die 'Altlasten' der Reisenden spielen ebenfalls eine wichtige Rolle.
Das Buch ist außerdem teilweise recht philosophisch angehaucht und Bensen verarbeitet viele Zitate von bekannten Persönlichkeiten, mit denen sie sich wohl identifiziert. Die Autorin präsentiert ihre Sicht der Dinge auf eine recht persönliche Art und schreibt auch viel über ihre intimsten Gefühle, sodass man nach der Lektüre von "No Baggage" durchaus das Gefühl hat, man würde einiges über sie wissen. Dennoch konnte ich mich nicht wirklich mit ihr (oder ihrem Freund) identifizieren. Eine Reise, wie die beiden sie unternehmen, oder generell dieses "ungeplante" Leben, wären nichts für mich - ich fand den Bericht aber durchaus interessant.

Fazit
No Baggage war nicht, was ich erwartet hatte, ist aber dennoch lesenswert. Ich hätte mir gewünscht, dass die besondere Art der Reise mehr im Vordergrund gestanden hätte, doch das Buch ist gut geschrieben und interessant zu lesen. Es ist auf jeden Fall ein sehr persönlicher Erlebnisbericht, bei dem man als Leser einige schöne Einblicke in eine Reise durch Europa bekommt, wie ich sie zuvor noch nicht gesehen hatte.
3,5 Sterne

Veröffentlicht am 15.09.2016

Berührend

Solange du bei uns bist
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Die Rezension bezieht sich auf das englische Original.

Lone Wolf war mein erstes Buch von Jodi Picoult. Ich kannte bisher nur den Film Beim Leben meiner Schwester, von dem ich sehr begeistert war, und ...

Die Rezension bezieht sich auf das englische Original.

Lone Wolf war mein erstes Buch von Jodi Picoult. Ich kannte bisher nur den Film Beim Leben meiner Schwester, von dem ich sehr begeistert war, und habe ein paar Bücher von ihr auf der Wunschliste, gekauft hatte ich aber noch nichts von ihr. Lone Wolf war ein absoluter Spontankauf im Urlaub.

Die Situation, mit der Picoult den Leser hier konfrontiert, ist eine sehr verfahrene. Die Familie Warren ist vollkommen zerrüttet; da ist Cara, ein siebzehnjähriges Mädchen, das ihren Vater über alles liebt und die letzten vier Jahre bei ihm gelebt hat, dafür aber ihrem Bruder nicht verzeihen kann, dass er gegangen ist. Georgie, die Mutter, hat eine neue Familie gegründet, während Edward sechs Jahre lang in Thailand gelebt hat und sich nur sehr sporadisch bei seiner Mutter gemeldet hat. Und dann ist da noch Luke – ein Mann, der die Gesellschaft von Wölfen der seiner menschlichen Familie vorzieht. Der mit ihnen schläft, isst, balgt. Ein Mann, der lieber ein Wolf wäre als ein Mensch… und sich viel einfacher in ein Rudel integrieren kann als in eine menschliche Gruppe.

Ich muss sagen, dass Lukes Leben mit den Wölfen mich sehr fasziniert hat. Für mich persönlich ist es absolut nicht verständlich, wie man mit Wölfen leben, die Raufereien ertragen und darüber seine Familie vernachlässigen kann, aber es war glaubhaft geschildert. Lukes Beweggründe werden klar, man kann seine Leidenschaft spüren, man merkt, dass er sich dem Rudel zugehörig fühlt und dass er „in seinem Element“ ist. Auch die Interaktionen mit den Wölfen waren in meinen Augen sehr realistisch geschildert und man kann einige interessante Fakten aus dem Buch ziehen. In ihrer Danksagung erwähnt Jodi Picoult, dass sie sich intensiv mit Shaun Ellis (der drei Jahre lang mit Wölfen zusammenlebte und dann "Der mit den Wölfen lebt" verfasste) unterhalten und von ihm viel erfahren hat – und ich finde das merkt man. Alles wirkt sehr gut recherchiert und einfach echt. Die Wölfe benehmen sich wie Wölfe. Dabei stellt die Autorin sie weder als blutrünstige Monster noch als sanfte Lämmchen dar, sondern sie schafft es, ein Bild zu vermitteln, das ich persönlich für realistisch halte.
Das macht die Kapitel aus Lukes Sicht sehr interessant; sie tragen zwar nicht direkt zum Fortgang der Handlung bei, helfen aber, Luke und seine Handlungen, die die ganze Familie beeinflusst haben, besser zu verstehen. Ich fand es ein wenig schade, dass in seinen Kapitel seine menschliche Familie kaum thematisiert wurde, aber da sie wohl hauptsächlich dazu dienten, seine Liebe zu den Wölfen zu erklären, war es okay.

Der schwere Unfall, der Luke ins Koma befördert, passiert direkt am Anfang der Geschichte. Die Ärzte sind wenig optimistisch, dass er noch einmal zu Bewusstsein kommen wird und wenn, wäre er nicht mehr in der Lage, sich selbst zu versorgen.
Nun bilden sich zwei Fronten: Edward ist der Meinung, selbst wenn sein Vater wieder aufwachen würde, würde er dieses Leben nicht für lebenswert erachten, während Cara ihn nicht aufgeben möchte und sich an die winzige Chance klammert, dass er wieder aufwachen könnte.
Die Autorin hat es meisterhaft geschafft, beide Seiten glaubhaft zu schildern. Man kann beide Positionen nachvollziehen und verstehen, warum die Geschwister so handeln, so fühlen, diese Entscheidung treffen wollen. Als Leser fragt man sich unweigerlich, wie man selbst in einer solchen Situation, die man wohl nicht einmal seinem ärgsten Feind wünscht, handeln würde – und ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass ich es wirklich nicht weiß. Vom emotionalen her habe ich Cara vollkommen verstanden: Wie kann man einen Menschen, den man liebt, nach so kurzer Zeit gehen lassen, ihn quasi „aufgeben“? Aber von einem rationalen Standpunkt aus musste ich Edward zustimmen – wenn es kaum noch Chancen gibt, ist es eher eine Qual, die lebenserhaltenden Maßnahmen nicht abzuschalten…
Picoult macht aus dem Leser einen Spielball: Er ist hin und hergerissen, durchläuft eine emotionale Achterbahn, ist im absoluten Gefühlschaos. Dadurch, dass man sich mit wirklich jedem Ich-Erzähler so gut identifizieren kann und jede Position versteht, ist es ein ständiges Auf und Ab, ein Hin und Her. Nicht jeder Autor schafft es, seine Leser emotional so zu involvieren.
Dies wird natürlich noch dadurch unterstützt, dass die Geschichte einfach herzzerreißend ist. Die Verzweiflung der Geschwister über die Situation ihres Vaters, dazu noch die Konflikte innerhalb der Familie… ich habe mehrfach, bereits in der ersten Hälfte, Tränen verdrückt, vom Ende ganz zu schweigen.

Das Ende hatte ich so erwartet. Ich war die ganze Zeit zu hundert Prozent sicher, dass das Buch so enden würde und auch der Verlauf der Geschichte war keine große Überraschung. Aber Picoult schafft es, die Reise dorthin so emotional zu gestalten und den Leser so in die Welt ihrer Charaktere zu verstricken, dass ich trotzdem nicht mit dem Lesen aufhören wollte und die Geschichte gespannt verfolgt habe. Es ist zwar kein großer Spannungsaufbau da und stellenweise war die Handlung auch ein wenig in die Länge gezogen, aber dafür war ich emotional sehr involviert. Ich habe mit den Figuren gelitten, mit ihnen gehofft und mich in ihr Leben, ihre Geheimnisse, hineinziehen lassen.

Der Epilog war für mich – das muss ich leider sagen – unnötig und übertrieben kitschig. Das „eigentliche“ Ende war perfekt für die Geschichte, sodass ich finde, dass Picoult sich diese zwei Seiten hätte sparen können; ich habe wirklich die Augen verdreht und mich gefragt, ob sie das jetzt ernst meint oder nicht. :roll:

Lone Wolf beziehungsweise Solange du bei uns bist ist in meinen Augen ein sehr gutes Buch – es ist sogar ein letztes Jahres-Highlight für mich. Die Geschichte hat mich von Anfang an gefesselt und sehr bewegt, außerdem hat mich Picoult als Autorin absolut überzeugt, indem sie es geschafft hat, mich mit jeder Person mitfühlen und ihre komplett unterschiedlichen Standpunkte nachvollziehbar werden zu lassen. Es war definitiv nicht mein letztes Buch von der Autorin, so viel kann ich sicher sagen.
Da ich aber das Gefühl hatte, dass die Geschichte stellenweise ein wenig in die Länge gezogen wurde, und der Epilog einfach nur unnötig war, ziehe ich einen halben Stern ab.
Dennoch – von mir eine absolute Leseempfehlung.