Temporeiche und spannende Handlung mit Stoff zum Nachdenken, mittelmäßige Charaktere
HELIX - Sie werden uns ersetzenEin gelungener Klappentext zu einer megaspannenden, aktuellen und brisanten Thematik ließ mich zu diesem Taschenbuch greifen.
Die chronologische Handlung gestaltet sich sehr temporeich und turbulent, sodass ...
Ein gelungener Klappentext zu einer megaspannenden, aktuellen und brisanten Thematik ließ mich zu diesem Taschenbuch greifen.
Die chronologische Handlung gestaltet sich sehr temporeich und turbulent, sodass es mir schwer fiel, das Buch aus der Hand zu legen. Auf den 646 Seiten wird mehr als 200 x die Perspektive zwischen zahlreichen durchaus glaubwürdig geratenen Figuren (mehr als 10) gewechselt. Zu oft für meinen Geschmack. Große Gefühle und reizvolle Gedankengänge sind nur von kurzer Dauer. Erschwerend kommt hinzu, dass man sich in den ersten Zeilen immer erst orientieren muss, wo und bei wem man gerade ist. Hier hätten Kapitelüberschriften oder ein Personenverzeichnis hilfreich sein können. Es gibt Figuren, deren Sicht nur zeitweise von Belang ist und deren sonstiger Werdegang nur in Nebensätzen auftaucht, während man Jessica und Helen über die gesamte Länge begleitet. Die weiblichen Hauptfiguren sind nicht besonders innovativ, trotzdem konnte ich eine gewisse Nähe entwickeln. Sie machen innere Kämpfe durch, die mir in ihren Ansätzen gefallen haben, für meinen Geschmack aber noch tiefgreifender hätten sein können, um Authentizität und Mitfühlfaktor zu erhöhen (z. B. Pflicht zur Verschwiegenheit gegenüber der Familie, Anstrengungen zur Vereinbarkeit von Job und Familie). Die profitorientiert und gefühlskalt anmutenden Männer bleiben unnahbar, undurchsichtig, ohne besondere Entwicklung und setzen sich nicht in meinem Gedächtnis fest, obwohl ihre Betrachtungen, u. a. zum Leben der armen Bevölkerung im ländlichen Afrika und zu Wirtschaftstrends, spannend, glaubhaft und vielfältig sind.
Mir gefallen besonders die auftretenden Rätsel und die mysteriösen Figuren, über deren Motive sich spekulieren lässt.
Gefühlt hätte man (wohlgemerkt als Meckern auf hohem Niveau) mehr Atmosphäre erzeugen und aus Nebensträngen mit mehr Liebe zum Detail inhaltlich mehr herausholen können (z. B. Präsidentin). Wissenschaftliches rund um Gentechnik wird für die Allgemeinheit verständlich umschrieben, hätte aber gern noch fundierter und ausführlicher sein können. Der Stoff hätte 900 Seiten bzw. zwei Bände hergegeben, die ich begeistert gelesen hätte.
Faszinierend finde ich den Bezug zur Realität, z. B. dass aufstrebende Politiker trainiert werden, keine DNA in der Öffentlichkeit zu hinterlassen, z. B. in Form von Taschentüchern. Das ist ein Wow-Erlebnis und erweitert den Horizont.
Inspirierend sind die späten Erkenntnisse zu fördernswerten menschlichen Eigenschaften.
Anfang und Mittelteil gefielen mir am besten, Verfolgung/Flucht weniger.
Das Ende stellt mich nicht ganz zufrieden. Zwar sind wesentlichste Rätsel und Fragen beantwortet, aber der Weg dahin bleibt auf den letzten Seiten auf der Strecke. Ein paar Fragezeichen bleiben, was ich bei diesem Genre aber durchaus passend finde, weil ich auf diese Weise selbst gefordert bin, die Lücken aufzufüllen.
Nach meinem Empfinden schießen die Ergebnisse des in einem Anfangsstadium befindlichen Forschungsexperiments ein bisschen über‘s Ziel hinaus. Das erhöht die Dramatik, mindert aber die Glaubhaftigkeit. Trotzdem herrlich viel Stoff zum Mitdenken, Rätseln und Nachreflektieren. Darüber wie sich die Welt entwickelt, wie man selbst dazu steht (Ethik, globaler Wettbewerb, ...) und handeln würde. Will man einen Schockeffekt erzielen und zu Diskussionen im Leserkreis anregen, haben solche Übertreibungen ja auch durchaus ihre Berechtigung. Weiter in die Zukunft extrapoliert, ergibt die Darstellung absolut Sinn. Als weiterführende Literatur empfehle ich: „Bios“ von Daniel Suarez (spielt 2045) und die c23-Reihe von Ralph Edenhofer (Sci-Fi im 23. Jahrhundert).
Super unterhalten und um Denkanstöße bereichert, vergebe ich für „Helix“ vier Sterne mit Tendenz zu fünf.