Ich habe das Hörbuch gehört: Die norwegische Schriftstellerin Line Baugstø hat mich mit diesem Hörbuch bestens unterhalten. Ihr Roman wird von der Schauspielerin und Sprecherin Silke Buchholz perfekt und ...
Ich habe das Hörbuch gehört: Die norwegische Schriftstellerin Line Baugstø hat mich mit diesem Hörbuch bestens unterhalten. Ihr Roman wird von der Schauspielerin und Sprecherin Silke Buchholz perfekt und humorvoll vorgelesen. Mona, 65, noch berufstätig, die von der Nachricht, dass sie Oma wird, nicht gerade entzückt ist, hat schwer mit den Tücken des Alltags zu kämpfen. Die zwischenzeitliche Beherbergung ihres Sohnes und dessen schwangerer Freundin birgt mehr Konfliktpotenzial, als es gut ist für Mona. Deren kleine Dreizimmerwohnung und ihre Ansprüche an einen normalen Alltag erweisen sich als zu klein. Als sie sich dann auch noch einen Verehrer einfängt, hat sie erst richtig Probleme. Aber sie weiß sich zu behaupten und auf Instagram unter dem Pseudonym EvilGrandma65 wehrt sich sich boshaft und erfolgreich zugleich. Dass Mona nicht auf Enkelkinder steht, auch nicht auf fremde, sei ihr verziehen. Ihre Freundin Annemor hat sozusagen gegenteilige Probleme, sie möchte gerne Enkelkinder, aber wohl keine Chance bei ihrer weltrettenden Tochter. So geht es hin und her in der Geschichte und es wird nicht langweilig. Keine Hochliteratur, aber kurzweilige Unterhaltung. Nicht nur für Ü65.
Fazit: 6 Stunden und 45 Minuten vergehen wie im Fluge, man wünscht Mona alles Gute für die Zukunft. Vielleicht kommt da noch ein zweiter Teil???
Mechtild Borrmanns neuer Roman hat mich von der ersten Seite an gefesselt. Diese Autorin beschäftigt sich seit vielen Jahren in ihren Romanen (Trümmerkind, Feldpost usw.) mit der Zeit des Zweiten Weltkriegs ...
Mechtild Borrmanns neuer Roman hat mich von der ersten Seite an gefesselt. Diese Autorin beschäftigt sich seit vielen Jahren in ihren Romanen (Trümmerkind, Feldpost usw.) mit der Zeit des Zweiten Weltkriegs und mit den Nachkriegsjahren. Sie hat ein hohes Einfühlungsvermögen in die Menschen, über die sie schreibt, denen zum Teil real existierende Personen oder Ereignisse zu Grunde liegen. Ihre Recherchen sind niemals nur einseitig auf etwas gerichtet, sondern untersuchen immer alle Ebenen. So auch hier, in Lebensbande erfährt der Leser nach und nach ein ganzes Geflecht aus Familiengeschichten, Tragödien und Hoffnungen.
Worum geht es? Zeit: Anfang 1991. Ort: Kühlungsborn an der Ostsee. Eine ältere Frau und Witwe erhält Post von der Rentenversicherung. Sie möge ihre Konten vor 1953 klären. Diese Aufforderung bringt ihr bescheidenes und zurückgezogenes Leben ins Wanken. Erinnerungen überfallen sie wie dunkele Schatten. Nein, die Konten klären will sie nicht, dann müsste sie ihr Leben vor 1953 offenlegen, auch das will sie nicht. Aber sie beginnt nachzudenken, besonders, als ein Neffe aus Nürnberg sie übers Rote Kreuz ausfindig macht und Fragen stellen könnte. So beginnt sie in einem Schulheft ihre Erinnerungen niederzuschreiben. Erinnerungen an ihre Cousine und Freundin Lene, an deren Sohn Leo, an ihre treue Freundin Lotte, an einen vermeintlichen Mord, an den Krieg und die Jahre danach. Zwischendurch gehen ihre Gedanken hin und her, sie arbeitet im Garten, kümmert sich um den zugelaufenen Hund, trifft sich mit ihrer Freundin, aber sie ist unruhig und will sich von der Last der Vergangenheit befreien.
Ich habe dieses Buch mit Herzklopfen und Tränen in den Augen gelesen, was Menschen aushalten können, ist geradezu unfassbar. Aber es ist wahr. Ich möchte hier nichts über die Erinnerungen der alten Frau preisgeben, aber ich kann dieses Buch jedem empfehlen, der sich für die Kriegs- und Nachkriegszeit interessiert und einen beeindruckenden Roman über drei Frauenschicksale, die exemplarisch für Tausende stehen, lesen möchte.
Fazit: Mich hat dieser Roman sehr beeindruckt, auch wenn das Cover etwas romantisch daherkommt, verbirgt sich dahinter eine unglaubliche Geschichte. 5 Sterne von ganzem Herzen.
Adama ist schwer zu bewerten. Ein Buch voller Blut, Gewalt, Liebe, Rache, Tränen und Verrat. Ich habe vom Autor Lavie Tidhar bisher noch nichts gelesen, aber von seinem preisgekürten Bestseller aus dem ...
Adama ist schwer zu bewerten. Ein Buch voller Blut, Gewalt, Liebe, Rache, Tränen und Verrat. Ich habe vom Autor Lavie Tidhar bisher noch nichts gelesen, aber von seinem preisgekürten Bestseller aus dem letzten Jahr habe ich natürlich schon gehört. Tidhar nimmt in seinem neuen Krimi wiederum die Geschichte Israels ins Visier.
Beginn und Ende des Romans schließen die Geschichte ein wie eine Schraubzwinge, Hanna verliert ihre Mutter Esther an den Krebs, ihr Erbe ist eine alte Teeschachtel mit Fotos. Sie verlässt mit dieser Schachtel die Wohnung der Mutter, und es entfaltet sich danach ihre Familiengeschichte anhand von Episoden, die nicht in zeitlicher Reihenfolge erzählt werden, aber alle ineinander übergehen wie Zahnräder. So lernt man zuerst Lior kennen, den Enkel von Ruth. Ruth ist eine ungarische Jüdin, die wie ihre Schwester Shoshana den Holocaust überlebte und in Israel, im Kibbuz Trisham, nach dem Krieg einen Neuanfang wagt. Der Unterschied zwischen beiden ist die Tatsache, dass Ruth vor den Nazis rechtzeitig aus Budapest fliehen konnte, Shoshana und die Familie aber verraten und nach Auschwitz deportiert wurden. Shoshana überstand Auschwitz, die Eltern wurden ins Gas geschickt. Der Bruder Yehoyakim ist vorerst verschollen. Auf ganz unterschiedlichen Wegen und mit großen Schwierigkeiten verbunden kommen alle drei nach Palästina. Besonders Shoshanas Erlebnisse im DP-Lager und auf der Überfahrt sind haarsträubend und erschreckend. Sie kommt mit einem furchtbaren Geheimnis in die neue Heimat. Aber auch Ruth hat ihre Geheimnisse und tragischen Momente.
Das Leben, das für die Kibbuzbewohner völlig normal war, ist für den Leser, der über diese Lebensform, die einer kommunistisch-maoistischen Weltanschauung zugrunde liegt, nur wenig weiß, sehr schwer zu begreifen. So ist es nicht verwunderlich, dass Kinder derer, die die Kibbuzim aufbauten und am Leben erhielten, sich abwenden wollen, aufbegehren und zum Teil auch kriminell werden.
Die notwendigste Erzählung im Roman gilt jedoch der blutigen Geburt des Staates Israel. Das Buch endet 2009, aber die Probleme, die wir heute laut und deutlich jeden Tag in den Nachrichten hören, sehen, lesen, die sind eher schrecklicher geworden. Das Palästinenserproblem ist nicht gelöst, die Siedlungspolitik Israels fordert Kritik und Gegenwehr geradezu heraus usw. Die Ereignisse des 7. Oktober 2023 hätten auch in den Roman einfließen können, aber er endet ja 2009, trotzdem spürt man das Massaker als bedrohliches Wissen, als eine Art Vorahnung auf jeder Seite. Im Roman kann man die Entwicklung dorthin minutiös beobachten. Auge um Auge.
Trotzdem hat der Roman anziehende und wohl austarierte Szenen der Liebe, auch der Liebe zu den Kindern. Ruth hat immer wieder das Bedürfnis, ihren kleinen Yoram an sich zu drücken, zu küssen und ganz für sich zu haben. Das ist konträr zum Kibbuz-Reglement. Die Kinder sind im Kinderhaus, fern von einem heimeligen Zuhause. Und so muss Ruth immer wieder Stärke zeigen, Herzlosigkeit, Hass, Vergeltungsfantasien beeinflussen ihr alltägliches hartes Dasein. Diese Härte zieht sich durch das ganze Buch, Ruth kann nicht mehr weich werden, nur schwach und alt.
Der Roman entwickelt einen fatalen Sog, ich konnte ihn zum Schluss kaum aus der Hand legen. Einige Rezensenten bezweifeln, ob es ein Thriller ist. Ich neige zu einem Ja, auch wenn es ein Roman mit tiefem historischem Hintergrund ist, hat Tidhar wesentliche Handlungsstränge als Thriller angelegt. Seien es die Erlebnisse von Shoshana im DP-Lager oder Ruths Rachegelüste oder Liors Vergeltungsaktion, immer fließt Blut, ist Gewalt vordergründig. Und das sind nur einige Beispiele.
Aber ich sehe das Buch auch als einen historischen Roman an, es wird vieles angerissen, die vielen Kriege, Attentate, Israel, das Land, das seit seiner Gründung nicht zur Ruhe kommt. Israel, in dem Adama jedem Israeli ins Herz und Hirn gebrannt ist. Zitat: „»Es gibt kein A-d-a-m-a ohne d-a-m«, hatte ihr [Shoshanas] erster Lehrer stolz erklärt. »Dam« war Hebräisch und bedeutete Blut. Kein Land ohne Blut.“
Normalerweise findet man in einem Roman immer eine Lieblingsfigur, einen Protagonisten, mit dem man sich identifizieren kann. Das gelang mir nur teilweise. Shoshana, genannt Shosh, war es für mich geworden. Sie, die so hart gegen andere und sich selbst ist, zeigt in der schwierigsten Episode ihre Menschlichkeit. Das hat mich sehr gerührt.
Aber da sind auch Moritz, ihr Freund aus dem Lager, Yael, ihre Tochter, oder Ophek, der Zauberer, ihr Neffe, Esther, die so gern weit weg wäre, Yoram, Dov, Danny, jeder mit einer Geschichte, die für mehr als einen Menschen reichen würde. Tidhar ließ mich alle kennenlernen, bewundern oder verabscheuen. Ruth bildet immer den Mittelpunkt, egal ob geliebt oder gehasst. Ich konnte sie nicht mögen, allein die Vorstellung, dass meine Mutter in einem solchen Kibbuz unter dem Regime von einer solchen Ruth hätte leben müssen, bringt mich um den Schlaf. Meine Mutter ist 1945 nicht ausgewandert, sie blieb in Deutschland, vor allem, weil sie nicht hebräisch konnte. Nach der Lektüre dieses Buches kann ich nur sagen: Welch ein Segen.
Der Autor machte es mir auch nicht gerade leicht mit seinen vielen – oftmals miteinander verwandten – Protagonisten, mit den schnell wechselnden Ereignissen und den Geheimnissen, die sich immer und überall verbargen. Ein Personenregister zu Beginn hätte die Verwirrung etwas mindern können. Auch einem Thriller hätte am Ende als Anhang ein kurzer geschichtlicher Abriss mit den wichtigsten Daten Israels gutgetan. Obwohl ich mich oft und eingehend mit Israel, dem Holocaust und der jüdischen Geschichte beschäftige, habe selbst ich nicht alle Daten im Kopf. Einige Seiten Platz wären noch gewesen, wenn man auf die Anzeigen (außer auf die für „Maror“) verzichtet hätte.
Das Coverbild und die gesamte Covergestaltung gefallen mir gut, aus Blut und Gewalt sehe ich ein Land wachsen, das ich sehr liebe und verehre. Der Zitate von Junot Díaz und Catriona Ward hätte es nicht bedurft, ich habe schon nach dem Lesen der Verlagsankündigung gewusst, das ist „mein“ Buch. Dass die Lobeshymnen dann auch noch auf der Rückseite des Umschlags weitergehen, ist überflüssig, erinnert an amerikanische Krimis, bei denen oftmals die ersten Seiten der Bücher mit solchen Lobeshymnen bedruckt sind oder dem Titelbild kaum noch Platz geben. Da hätte eine kurze Inhaltsangabe mehr Wirkung gehabt.
Fazit: ein historischer Roman, ein Familienroman, ein harter Thriller – das alles ist Israel, das ist Adama. Lesenswert, empfehlenswert, aber nichts für schwache Nerven.
Der Roman von Laura Maaß spielt vorrangig in einem nicht benannten kleinen Ort auf der ostdeutschen Elbseite, bis zur Elbe darf niemand, fürs Dorf benötigt man Zuzugsgenehmigung oder Beziehungen, am Besten ...
Der Roman von Laura Maaß spielt vorrangig in einem nicht benannten kleinen Ort auf der ostdeutschen Elbseite, bis zur Elbe darf niemand, fürs Dorf benötigt man Zuzugsgenehmigung oder Beziehungen, am Besten beides. Also ruhig und abgeschieden ist es dort, trotzdem spielen sich Dramen ab. Die junge Ruth Winkler kommt Ende der 1960er-Jahre plötzlich aus Berlin, wohnt - später mit Baby Jule - dann bei ihrem Onkel in der Schulhausmeisterwohnung. Wenn es zu kalt wird im Winter, kann man bei Frieda Quartier nehmen, dort ist es nicht nur wärmer, auch gemütlicher. Ruth war in Berlin das, was man nicht angepasst nannte, sie trennte sich zudem von ihrem Verlobten und ihr neuer Freund, Fotograf und ein "Staatsfeind" mit blauen Augen und kupferrotem Haar, verschwand von der Bildfläche, ehe er erfuhr, dass er Vater wird. Ruths Vater, ein SED-Bonze, hatte Angst um seine Reputation und schickte sie zu Arthur Winkler, eben jenem Hausmeister am Rande der DDR.
Im Dorf lebt zur gleichen Zeit die Familie von Andi. der genauso alt ist wie die kleine Jule. Beide wachsen zusammen auf, werden Teil dieses Dorfes und sind untrennbar miteinander verbunden. Frieda ist der absolute Ruhepol für die Kinder und Arthur, wie auch für den Roman. Lange muss man warten, bis man erfährt, warum auf der Uhr von Andis Vater Heinrich immer die Zeit zehn nach neun angezeigt wird. Ein Schicksalsschlag wie viele andere, das ist wohl das Markenzeichen dieser Dorfbewohner, jeder der Protagonisten hat sein Päckchen zu tragen.
Dass die unzertrennlichen Freunde und Liebenden Jule und Andi sich dann doch auf unterschiedliche Wege begeben, das ist schmerzlich, aber sie bleiben über ihr Spiel "Ich sehe was, was Du nicht siehst" trotzdem immer verbunden.
Das Buch nimmt Fahrt auf, bis die Wende kommt und sich alles ändert. Auch die Geschwindigkeit des Buches. Sieben lange Jahre versucht Jule ihren Vater in der weiten Welt zu finden. Auch für einen fiktionalen Roman etwas langgezogen. Ob sie ihn findet, das muss jeder Hörer oder Leser selbst herausbekommen.
Ich bin in der DDR aufgewachsen und kann vieles, was erzählt wird, durchaus bestätigen. Wobei der Unterschied zwischen Berlin und diesem Dorf selbst zu DDR-Zeiten nicht größer gewesen sein könnte. Auch um Berlin war die Mauer, aber das Dorf war im Nirgendwo. Wenn da mal Westbesuch auftauchte, war es ein Ereignis, so wie Bananen oder Orangen. Aber das liebevolle Miteinander hat wohl einiges aufgewogen. Sehr eindrücklich auch der Schneewinter 1978/1979 mit seinen unvorhersehbaren und dramatischen Ereignissen.
Laura Maaß berichtet liebevoll von diesem Dorf an der Elbe, die Figuren sind sehr unterschiedlich und interessant charakterisiert. Jules Verhalten z. B. ist schon recht extrem, der Charakter von Andi ist genau das Gegenteil, duldsam und ruhig.
Ich bin kein Liebhaber der geschlechtergerechten Sprech- und Schreibweise, ab und an nervte mich das beim Hören etwas. Der Vortrag von Heike Warmuth hat mir recht gut gefallen, aber sie müsste etwas genauer lesen. Zu viele verschluckte Endungen habe mich doch etwas gestört, obwohl sie aus den Protagonisten echte Menschen machte durch ihre empathische Art.
Fazit: Eine Dorf- und Familiengeschichte, die sich über rund 40 Jahre erstreckt und Leser wie Hörer mit in eine vergangene und beinahe vergessene Zeit und Gegend führt. Empfehlenswert.
Das Thomas-Mann-Jubiläumsjahr neigt sich langsam dem Ende zu, das neue Buch von Florian Illies habe ich lang erwartet. Nach so viel Thomas Mann und Anhang in einem Jahr werden die Details rarer, die ich ...
Das Thomas-Mann-Jubiläumsjahr neigt sich langsam dem Ende zu, das neue Buch von Florian Illies habe ich lang erwartet. Nach so viel Thomas Mann und Anhang in einem Jahr werden die Details rarer, die ich noch nicht kenne. Umso mehr freute es mich, dass vom sonst oft vernachlässigten Golo Mann gleich wahre Heldentaten berichtet wurden. Ich habe fast zeitgleich auch das Hörbuch genossen. Aber selbst lesen ist auch sehr schön!
Während des Lesens dieses Buches holte ich einige andere Veröffentlichungen zum Thema Mann, die ich in diesem Jahr auf meiner Leseliste hatte, noch einmal hervor. Sie passten ganz hervorragend zu Illies „Sanary-sur-mere“-Erzählungen. Da war Kerstin Holzer mit dem Buch „Thomas Mann macht Ferien“, das das absolute Gegenteil von erzwungenen Exilferien beschreibt. Oder Volker Weidermann, der sich das Thema „Mann vom Meer“ auserkoren hat. Auch bei ihm taucht einmal Sanary auf, und der schöne Klaus findet Erwähnung. Wer etwas Fiktionales mit Thomas Mann in der Hauptrolle sucht, dem seien die Krimis von Tilo Eckardt nahegelegt. Aber nicht nur der Vater findet sich in der aktuellen Literatur wieder, auch Erika, seine Tochter, macht wieder Furore. Zum Beispiel im Roman „Ins Dunkel“ von Angela Steidele.
Florian Illies, auf dessen Bücher ich seit „1913“ schon immer sehr gespannt bin, enttäuscht auch diesmal seine Anhängerschaft nicht. Die Kritiker werden ihm wieder vorwerfen, dass er seine Bücher immer nach dem gleichen Muster schneidert, aber mir gefällt sein Stil, seine Ironie, seine Suche nach pikanten Details ebenso wie seine Art, die von ihm beschriebenen Personen niemals zu beleidigen, auch wenn er sie doch recht oft bloßstellt. Bei Illies bekommt fast jeder sein Fett weg, mal mehr mal weniger. Und das nicht nur in der Familie, auch die anderen in Sanary-sur-mer den Sommer 1933 verbringenden Gäste sind höchst amüsant beschrieben. Drogensüchtige kennt man ja bereits, Klaus und Erika Mann, das Beinahe-Zwillingspaar, haben einen gewaltigen Hang zu jeder Art von Rauschmitteln, aber die befreundeten Damen übertreffen die beiden um Längen. Der Schriftsteller Aldous Huxley, er ist in der Sommerfrische, nicht im Exil, neigt zu Alkohol und Damen. Eine wird von seiner schönen Terrasse durch ein vom Himmel fallendes Tier vertrieben, wie unangenehm. Auch Lion Feuchtwanger, der mit Ehefrau Marta hier sein Exil beginnt, tönt noch sehr selbstverliebt vor sich hin, lässt möglichst keine Dame aus und schreibt wie verrückt an seinen „Geschwister Oppermann“. Mit der Mann’schen Familie und deren Freunden und Bekannten ist das „Personal“ im Buch also weit gefächert.
Doch es gibt nicht nur Amouröses zu berichten, denn nach der Machtübernahme und dem Reichstagsbrand ist es für die Manns wirklich brandgefährlich geworden in Deutschland. Man wagt nicht zu fragen, was wäre passiert, wären Thomas und Katia Mann nicht gerade auf einer Vortragstournee unterwegs gewesen. Es lässt sich nur schwer erkennen, ob sie jemals Erika und Klaus dankbar waren für die Sturheit, ihnen die Rückkehr nach Deutschland tatsächlich auszureden. Dass sich das sogenannte Dritte Reich an den Manns, den Pringsheims (Katias Eltern) und Tausenden anderen bereichert hat, wie es das vorher noch nie gab, das steht auf einem anderen Blatt. Mit einer gehörigen Portion Chuzpe gelingt es aber tatsächlich, viele Manuskripte, Bücher, Möbel und anderes aus Deutschland herauszubekommen. Auch hier ist das mit dem Dank, der besonders Golo für seine Husarenstücke gebührt, auch so eine Sache. Thomas Mann ist und bleibt ein norddeutscher Stiesel, davon können seine Kinder ein Lied singen. Katia Mann hat ihn trotzdem überlebt.
Die sechs Kinder der Eheleute Mann haben ihren Herrn Papale aber doch gern, sie äffen ihn nicht nach, sie lachen ihn nicht aus, sie nennen ihn der Zauberer. Dass er sich im Jahr 1933 aber zugleich als ein Zauderer erweist, das liegt besonders Klaus und Erika schwer auf der Seele. Zur offenen, öffentlichen Konfrontation Thomas Manns mit dem Dritten Reich wird es erst viel später kommen, wenn er bereits in den USA sein Exil genommen hat. Ab Herbst 1940 wendet er sich über die BBC an die deutschen Hörer und versucht auf seine Art Einfluss auf die geistige Haltung in Deutschland zu nehmen. Ob er Erfolg hatte, ist fraglich.
Als eine Art Nachwort erhält man Einsicht in die Schicksale der wichtigsten Protagonisten dieses Buches, sie sind nicht immer fröhlich und glücklich verlaufen. Vielleicht ist es die Lieblingstochter Medi, Elisabeth Mann, die das meiste Glück davongetragen hat. Das Glückskind der Familie verstarb erst nach den Dreharbeiten zum Film „Die Manns – Ein Jahrhundertroman“ von Heinrich Breloer.
Fazit: Diesen Sommer 1933 in Sanary-sur-mer werde ich so schnell nicht vergessen. Florian Illies' Schreibstil und Detailreichtum machen Freude und lassen kaum eine Pause zu.